1.44.1 (bru2p): Abschluß der Aussprache über die Genfer Tagung.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

Abschluß der Aussprache über die Genfer Tagung.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete, daß ihm der französische Botschafter nunmehr Richtlinien über das französische wirtschaftliche Europa-Projekt übermittelt habe1. Die französische Skizze sei noch sehr verschwommen. Sie enthalte folgende Vorschläge:

1

S. dazu Dok. Nr. 293, Anm. 7.

1.

Verwirklichung des Gedankens der Präferentialzölle,

2.

Ausbau des Kartellsystems und Gewährung von Krediten,

3.

Herstellung einer Atmosphäre des Vertrauens und der sozialen Sicherheit,

4.

Besondere Fürsorgemaßnahmen für Österreich.

[1075] Der Reichsminister des Auswärtigen bezeichnete es als nicht erforderlich, daß das Reichskabinett zu den französischen Vorschlägen schon jetzt Stellung nehme.

Zu Punkt 1, Präferenzsystem, werde Deutschland unbedingt an den bilateralen Präferenzverträgen festhalten müssen. Hinsichtlich der zweiten Frage, der Kartellierung, sei eine Einwirkung von Regierungsseite eigentlich überflüssig. Kartelle bildeten sich erfahrungsgemäß selbständig. Ebenso sei der dritte Vorschlag der Aktion für die Konsolidierung der europäischen Atmosphäre sachlich kaum durchzuführen. Am ernstesten zu nehmen sei Vorschlag 4, das Angebot an Österreich2. Wir würden Österreich sagen müssen, daß wir eine einseitige Fürsorgeaktion für Österreich, der dann die Zollunion geopfert werden solle, nicht mitmachen würden. Herr Schober wie Herr Riedl hätten aber auch erklärt, daß sie unbedingt festbleiben würden.

2

Die Frz. Reg. hatte vorgeschlagen, daß die Hauptabnehmerländer österreichischer Waren für gewisse österr. Exportprodukte ein Vorzugssystem im Rahmen von Kontingenten einrichten sollten. Als Gegenleistung könnte Österreich seinen Abnehmern eventuell verschiedene geschäftliche Vorteile bieten; diese Vorteile müßten aber auch den Drittländern zugute kommen, mit denen Österreich durch die Meistbegünstigungsklausel verbunden sei (R 43 I /619 , Bl. 132–133; dt. Übersetzung Bl. 136).

Der Reichsminister des Auswärtigen appellierte an die Mitglieder des Reichskabinetts, den Österreichern nicht von vornherein Mißtrauen entgegen zu bringen und einen Erfolg der ganzen Aktion nicht von Anfang an für unmöglich zu erklären.

Die Verhandlungen im Europakomitee müßten von Deutschland möglichst auf die allgemeinen Gesichtspunkte gerichtet werden. Der französische Gegenvorschlag werde wahrscheinlich über seine eigene Unzulänglichkeit, ohne starke Nachhilfe von deutscher Seite, zu Fall kommen. Deutschland werde nur Sorge tragen müssen, daß das deutsch-österreichische Protokoll nicht etwa dem Europaausschuß zur Prüfung oder Genehmigung vorgelegt werde. Das sei nicht seine Sache. Wie die Verhandlungen im Völkerbundsrat laufen würden, sei noch nicht zu übersehen. Werde eine Prüfung der Rechtsfrage vorgeschlagen, so könne Deutschland sie nicht ablehnen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg erklärte erneut, daß er die letzten Absichten einzelner maßgebender österreichischer Unterhändler für bedenklich halte. Demgegenüber erklärte der Reichsminister des Auswärtigen daß er nicht mit Zweifeln belastet nach Genf gehen könne, sondern auch an seinen Erfolg glauben müsse.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete sodann über die sonstigen im Völkerbundsrat anstehenden Fragen, soweit sie Deutschland interessieren. Er schilderte den Stand der verschiedenen Danziger Streitpunkte und des Streits mit Litauen wegen des Memellandes3. Hinsichtlich der oberschlesischen Beschwerdefälle erklärte der Reichsminister des Auswärtigen, daß die von der Polnischen Regierung zugesicherten Entschädigungen für die Unruheschäden nahezu 100%ig durchgeführt worden seien4. Die von Polen zugesagten[1076] Strafverfahren seien verabredungsgemäß eingeleitet, aber nicht voll befriedigend durchgeführt worden. In der Einstellung des Woiwoden sei eine Änderung zu Gunsten des Deutschtums feststellbar. Das Auswärtige Amt könne sich daher nicht, wie es die Minderheit neuerdings fordere, im Völkerbundsrat für Einsetzung einer Kontrollkommission oder Absetzung des Woiwoden bemühen.

3

Vgl. Dok. Nr. 306.

4

S. Dok. Nr. 227, Anm. 16 und 17 und Dok. Nr. 306.

Endlich schilderte der Reichsminister des Auswärtigen die Situation hinsichtlich des Beitritts zur Generalakte5. Voraussichtlich würden Frankreich, England und Italien die Generalakte feierlich unterzeichnen. Es sei für Deutschland schwierig, sich auszuschließen, andererseits könne in dem Beitritt Deutschlands eine weitere Sanktionierung des Status quo durch Deutschland erblickt werden. Sachliche Bedenken habe das Auswärtige Amt allerdings nicht. Der Beitritt würde nur eine Geste bedeuten, die eben verschieden ausgelegt werden könne. Vorläufig werde Deutschland nicht unterzeichnen.

5

Generalakte über die friedliche Regelung zwischenstaatlicher Streitfälle. S. auch Dok. Nr. 306, Anm. 7.

Der Reichsminister des Innern bat, über die Frage der Generalakte später eine eingehende Diskussion herbeizuführen.

Der Reichskanzler stellte abschließend fest, daß das Reichskabinett mit den Vorschlägen des Reichsministers des Auswärtigen für die Europa-Konferenz und der Tagung des Völkerbundsrats einverstanden sei. Er sprach dem Reichsminister des Auswärtigen die guten Wünsche des Reichskabinetts für die schweren Aufgaben aus, die bei der bevorstehenden Tagung zu lösen seien.

Die Ministerbesprechung wurde hierauf geschlossen.

Extras (Fußzeile):