1.87.3 (bru2p): 3. Politische Lage.

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3. Politische Lage.

Der Reichskanzler bat die an der Notverordnung vom 5. Juni 1931 federführend beteiligten Ressorts, binnen drei Wochen zu prüfen

a)

welche Bestimmungen der Notverordnung2 für Bevölkerung und Wirtschaft besonders schwer tragbar seien und

b)

bei welchen solcher Bestimmungen Abänderungen politisch durchführbar seien.

2

NotVO vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 279 ).

Entsprechende Abänderungsvorschläge sollen binnen dieser drei Wochen dem Reichskabinett unterbreitet werden.

Die Prüfung soll insbesondere von den Wünschen ausgehen, welche die politischen Parteien des Reichstags geäußert haben3.

3

Vgl. Dok. Nr. 330, Dok. Nr. 332, Dok. Nr. 333 und Dok. Nr. 334. Zum Ergebnis der Prüfung s. Dok. Nr. 355.

[1228] In welcher Weise eine Abänderung der Notverordnung alsdann in Aussicht zu nehmen sei, sei eine spätere Frage. In Betracht komme wahrscheinlich zunächst eine eingehende Erörterung im Haushaltsausschuß des Reichstags. Im übrigen könnten bei einer solchen Novellierung etwaige neue Wünsche der Ressorts unter keinen Umständen Berücksichtigung finden.

Abschließend stellte der Reichskanzler die einstimmige Zustimmung zu diesen Richtlinien fest.

Der Reichskanzler nahm eine Besprechung mit dem Reichsverkehrsminister wegen des Schenker-Vertrages für die nächste Woche in Aussicht4.

4

Diese Unterredung hat nicht stattgefunden. Zum Schenkervertrag s. Dok. Nr. 244, P. 1, Dok. Nr. 245 und Dok. Nr. 246, P. 2.

Auf Wunsch des Reichskanzlers berichtete sodann Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg über grundsätzliche Wirtschaftsfragen. Er führte u. a. aus, daß die Kohlenindustrie eine Preissenkung von sich aus nicht gern werde vornehmen wollen. Die Kohlenindustrie werde es lieber sehen, wenn ihr die Preissenkung von der Regierung aufoktroyiert werde. Naturgemäß stehe die Preissenkung im Zusammenhange mit den Löhnen im Bergbau5.

5

Vgl. dazu Dok. Nr. 343.

Der Reichsarbeitsminister teilte mit, daß der Schlichter den gegenwärtigen Lohntarif im Ruhrkohlenbergbau um drei Monate verlängern wolle6.

6

S. Dok. Nr. 343, Anm. 4.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte auf Grund seiner Aufzeichnung7 weiter aus, daß die gegenwärtige, besonders schwere Wirtschaftskrisis auch eine Vertrauenskrisis des Kapitalismus bedeute. Den von vielen Seiten erhobenen Vorwurf, daß die kapitalistische Wirtschaftsform versagt habe, müsse er zurückweisen. Entscheidend sei nach wie vor die Versorgung der Wirtschaft mit Kapital. Es würde noch schwieriger sein, eine Planwirtschaft mit Kapital zu versorgen, als eine private Wirtschaft. Er komme zu dem Ergebnis, daß den natürlichen Kräften der Privatwirtschaft noch mehr Möglichkeiten als bisher eingeräumt werden müßten.

7

In den Akten der Rkei nicht vorhanden.

Eine Beseitigung der Bindungen der Kartellpolitik halte er nur für möglich im Zusammenhange mit einer Auflockerung der Lohnpolitik. Für nicht durchführbar erachte er eine Beseitigung der Möglichkeit staatlicher Einwirkung auf die Lohngestaltung. Im übrigen müsse jedoch das Lohnniveau auf einzelnen Gebieten den im Auslande teilweise niedrigerem Lohnniveau angepaßt werden. Auch sei es geboten, das Lohnniveau mehr regional zu differenzieren.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg hielt es weiter für notwendig, daß die Löhne in Groß- und Kleinbetrieben unterschiedlich gestaltet würden. Durch die Gleichsetzung seien die Konzentrationstendenzen in hohem Grade gefördert worden.

Bei einer Auflockerung der Kartelle sei die Differenzierung der Löhne in diesem Sinne eine der wesentlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen.

Der Gegensatz in der Preispolitik hinsichtlich der Landwirtschaft und der übrigen Erwerbszweige müsse zum Gegenstand eingehender Erörterungen gemacht werden. Der Druck auf die gewerblichen Preise und die Maßnahmen[1229] zur Steigerung der landwirtschaftlichen müßten dort ihre Abgrenzung finden, wo die Interessen der Handelspolitik entscheidend berührt werden. S. halte er einen Butterzoll im gesamtwirtschaftlichen Interesse für unerträglich8.

8

Zum Kabinettsstreit um die Butterzollerhöhung s. Dok. Nr. 246, P. 3, Dok. Nr. 247, P. 1, Dok. Nr. 249 und Dok. Nr. 284, P. 1.

Mit der Steigerung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nähmen auch die Anträge auf Subventionen aus öffentlichen Mitteln zu. Würde ihnen entsprochen, so bestände die Gefahr uferloser Ausweitung dieser Bewegung. Der Reichsetat würde übermäßig belastet und damit auch der Rest der gesunden Unternehmungen.

Wenn aus öffentlichen oder sozialen Gründen ausnahmsweise Subventionen für möglich gehalten würden, so müsse verlangt werden, daß das private Kapital vorher restlos eingesetzt und geopfert sei. Die Sanierung der Österreichischen Kreditanstalt9 entspreche diesem Grundsatze nicht.

9

Vgl. Dok. Nr. 335.

Wenn der Staat für einzelne Industriegruppen wirksam werde, so müsse er verlangen, daß diese in ihrer Organisation den Anforderungen entsprechen, die von der Wirtschaft an den Staat gestellt werden. Das läge beispielsweise nicht vor, wenn die IG Farben etwa 50 Aufsichtsratsmitglieder habe, von denen jedes eine höhere Entschädigung erhalte, als das Ministergehalt im Reiche ausmache.

Die staatlichen Maßnahmen hinsichtlich der Kapitalversorgung seien besonders schwierig. Das Bankwesen sei übermäßig konzentriert. Das Filialsystem habe die selbständigen Provinzbanken, zum Nachteil der gesamten Kreditwirtschaft, weitgehend verdrängt. Die Umorganisierung sei nötig, aber nur von innen heraus und sehr behutsam möglich, anderenfalls bestände die Gefahr einer verhängnisvollen Erschütterung des Kreditgebäudes.

Die Kreditwirtschaft sei durch die Krise schwer bedroht. Auch der Markt der Pfandbriefe sei durch sie deroutiert, insbesondere der Kurs der 7%igen Pfandbriefe stark gedrückt. Der Hypothekenmarkt sei gefährdet. Das Ausland habe Goldhypotheken gekündigt und verlange ohne Berechtigung sofortige Sicherstellung der Schuldsumme in Gold. Die Bewegung gehe insbesondere von der Schweiz aus.

Die gegenwärtigen Schwierigkeiten müßten aus der kapitalistischen Wirtschaft heraus überwunden werden. Der Staat könne nur allgemein Hilfsstellung leisten. Dies insbesondere und dringlich durch Reform des Aktienrechts. Es müsse geprüft werden, ob die Reform ohne das Parlament und möglichst umgehend in Kraft gesetzt werden könne.

Ähnliches gelte für die Vergleichsordnung. Sie ermögliche jedem Unternehmer, seine Substanz bis auf 80% zu belasten und dann erst an seine Gläubiger heranzugehen. Dann sei es aber meist zu spät. Gegen eine Änderung würde von den schwachen Unternehmen Sturm gelaufen werden. Sie müsse gleichwohl auch erfolgen.

Die private Wirtschaft werde ähnliche Reformen durchführen müssen, wie der Staat und die öffentliche Hand energisch in Angriff genommen haben. Bisher[1230] richteten sich die Sanierungspläne der Wirtschaft nur ganz zögernd und allmählich gegen die eigenen Mißstände. Sie gingen meist in der Richtung von Reformen auf seiten des Staates und der anderen öffentlichen Körperschaften.

In den Vereinigten Staaten habe die Krisis zu Erwägungen der Wirtschaftsführer auch über Reformen im eigenen Hause geführt.

In Deutschland, das sich in einem Zwischenzustande zwischen Privatwirtschaft, Fürsorgestaat und Planwirtschaft befinde, müsse versucht werden, eine Stabilisierung der Verhältnisse durch Stabilisierung der öffentlichen Wirtschaft herbeizuführen, die etwa 50% des Volkseinkommens kontrolliere. Zunächst müßten aber die Unternehmer klar darüber werden, daß sie die Vertrauenskrise des Kapitalismus nicht durch eine Einstellung gegen die Reichsregierung überwinden könnten. Kämen radikale Strömungen ans Ruder, so wäre es um die Privatwirtschaft geschehen, wieweit, sei allerdings bei den Rechtsradikalen zweifelhaft. Die Unternehmer müßten ihre Fehler und Irrtümer erkennen und mit einer Reformarbeit von innen heraus beginnen. Um diese zu organisieren, könne auf Grund eines Schreibens des Herrn Reichspräsidenten an die Reichsregierung eine Kommission aus Vertretern der Wirtschaftsführer gebildet werden. Es müsse sich um Maßnahmen der Unternehmer selber handeln, nicht um einen Teil staatlicher Wirtschaftspolitik. Die Regierung solle nur die Schaffung der Kommission anregen, müsse ihr aber dann die Arbeit und Verantwortung überlassen. Deswegen dürfe auch die Zusammensetzung nicht über den Kreis der Unternehmer hinausgehen10.

10

Zu diesem Vorschlag vgl. auch Dok. Nr. 323, Anm. 3.

Über die Einzelheiten des Planes wird Staatssekretär Dr. Trendelenburg, seinem Vorschlage entsprechend, zunächst dem Reichskanzler persönlich Vortrag halten.

Bisher sei der Fehler gemacht worden, daß die Konjunktur, die sich aus dem Einströmen ausländischen Kapitals nach Deutschland ergeben habe, zu starken Vorgriffen auf die Zukunft Anlaß gegeben habe. Kurzfristige und teure Gelder seien vom Staate und anderen Körperschaften ebensosehr verbaut worden wie von privaten Unternehmungen. In der Krise seien die Ausgaben gedrosselt worden; das verschärfe aber den Krisenzustand.

Wenn die öffentliche Hand bei aufsteigender Konjunktur mit Aufträgen zurückhalte und Gelder ansammele, könne sie bei Verschlechterung der Lage durch vermehrte Auftragserteilung auf eine Abmilderung der Schwierigkeiten hinwirken. Das entspreche dem alten Grundsatz der Haushaltsordnung, in guten Zeiten Reserven für schlechte zu sammeln. Dieser Plan müsse insbesondere mit dem Reichsminister der Finanzen eingehend durchgesprochen werden. Es sei deswegen nicht zweckmäßig, jetzt bereits die vorgetragenen Grundgedanken schriftlich zu skizzieren.

Der Reichskanzler erklärte, daß der Wirtschaftsplan alsbald in einer Ministerbesprechung zur Erörterung gestellt werden soll.

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