1.228 (bru2p): Nr. 480 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung mit Reichsminister a. D. Hamm vom 21. September 1931

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[1716] Nr. 480
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung mit Reichsminister a. D. Hamm vom 21. September 1931

R 43 I /1027 , Bl. 198–199

Mit dem früheren Reichsminister Dr. HammHamm hatte ich heute eine einstündige wirtschaftspolitische Aussprache über die bevorstehenden bzw. erforderlichen Notmaßnahmen der Reichsregierung an der Hand der bekannten Eingabe des Deutschen Industrie- und Handelstages1. Im Verfolg des Gespräches machte mir dann Minister Hamm noch folgende Mitteilungen. Mitte vergangener Woche war auf Einladung des Staatssekretärs Abegg eine Besprechung bei Herrn Abegg2 mit den Herren Hamm, Dr. Weber, Morath, Graf Westarp, Schlange-Schöningen, Lejeune-Jung, Hülser und H. Flinsch3. Das eigentliche Gesprächsthema war zunächst – kurz gesagt – der Gedanke der Gründung einer wirklichen Staatspartei zwischen der Rechten und der Linken, damit durch diese Staatspartei zusammen mit dem Zentrum wieder eine schlagkräftige Mitte gebildet werde. Wie Herr Hamm mir erzählte, sei das Gespräch nicht zuletzt auch auf Grund seiner Anregung übergeleitet worden zu der Frage einer praktischen Zusammenarbeit ab 13. Oktober. Er persönlich habe ausgeführt, daß die Öffentlichkeit bei dem gegenwärtigen Stand der politischen Dinge sich kaum mehr interessiere für die Frage des Versuchs der Zusammenlegung von Parteien und Grüppchen. Es würde schon schwierig sein, unter den Anwesenden ein gemeinsames Programm, das man doch dem Herrn[1717] Reichskanzler unterbreiten müsse, auszuarbeiten, und mit einem Kompromißprogramm, das vielleicht zustande käme, wäre doch dem Herrn Reichskanzler nicht gedient. Was aber wichtig und möglich sei, sei ein einheitlicher Entschluß dieser Parteien und Gruppen, sich ganz betont hinter die Führerpersönlichkeit des Reichskanzlers zu stellen. Es müßte – wie er sich ausdrückt – die plebiszitarische Grundlage einer verfassungsmäßigen Diktatur geschaffen werden. Es müsse ausgesprochen werden, daß ein Führer notwendig sei aber auch da sei, und daß man von diesem Führer verlangen müsse, daß er sachlich und zeitlich richtig handele, ohne ihn auf Einzelheiten festzulegen.

1

In der Denkschrift „Zur gegenwärtigen Wirtschaftslage und den wirtschaftspolitischen Erfordernissen“, die der DIHT dem RK am 12.9.31 vorgelegt hatte, war die Inflation und jegliche Währungsgefährdung, ebenso aber auch eine Weiterentwicklung der Deflation als Mittel zur Überwindung der Krise abgelehnt worden. Der DIHT hatte private Preissenkungen, Gehaltskürzungen und Sparmaßnahmen begrüßt, staatliche Eingriffe in das Lohn- und Preisgefüge jedoch abgelehnt. Wenn der DIHT auf der einen Seite allgemeine Eingriffe in das Gebiet wirtschaftlicher Vereinbarungen und Bindungen in seinem Memorandum kritisiert hatte, so hatte er andererseits eine Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und privater Hand befürwortet. Der DIHT hatte die Förderung der Kapitalbildung, eine weitere Lohn- und Gehaltssenkung, die Einschränkung der öffentlichen Aufgaben und Ausgaben sowie eine Reichs- und Verwaltungsreform und die Entlastung des bebauten Grundbesitzes von der Hauszinssteuer gefordert. Außerdem war in der Denkschrift eine Anpassung der Agrarpreise an die Marktbedürfnisse empfohlen und eine staatliche Handelspolitik der Autarkie als verfehlt abgelehnt worden. Zum Problem des Außenhandels hatten DIHT-Präs. v. Mendelssohn und das geschäftsführende Präsidialmitglied Hamm ausgeführt: „Die Entwicklung hat dazu geführt, daß die Einfuhr in sehr viel stärkerem Maße als die Ausfuhr sank und sinkt und der Ausfuhrüberschuß steigt. Diese Deutschland durch seine insbesondere vom Ausland bedingte volkswirtschaftliche Lage aufgezwungene Entwicklung ist u. E. zur Bildung nationalen Eigenkapitals, aus Gründen der Arbeitsbeschäftigung und der Preishaltung wie letzten Endes, trotz der Gefahr von Fehlurteilen über die deutsche Leistungskraft, aus Gründen der Reparationspolitik handelspolitisch zu fördern. Wir besorgen hierbei freilich, daß dieser Entwicklung unter Umständen engere Grenzen gesetzt werden können, als es der Ausnutzung der deutschen Leistungskraft zuträglich ist. Aber jede für die Besserung unserer Kapitalversorgung gewonnene Zeit ist u. E. für die Stärkung der deutschen Wirtschaft von großer Bedeutung“ (R 43 I /2373 , S. 909–943, Zitat S. 914).

2

S. Dok. Nr. 473.

3

Alexander Flinsch, Papiergroßhändler, Mitglied der DStP.

Mit dieser Erweiterung des Gesprächsthemas hätten sich die Anwesenden der ersten Sitzung durchaus einverstanden erklärt, insbesondere hätten auch die Abgeordneten Schlange-Schöningen und Lejeune-Jung ihm zugestimmt. Es sei dann für heute 5 Uhr nachmittags eine erneute Sitzung einberufen worden, bei der er leider auf Grund des Beschlusses der übrigen Anwesenden vorsitzen müsse. Der Kreis werde heute etwas erweitert sein, insgesamt etwa 20 Teilnehmer.

Auf meine Frage erklärte Herr Hamm, daß die Deutsche Volkspartei durchaus eingeschaltet sei. Sie werde wahrscheinlich heute durch drei Abgeordnete vertreten sein. Herr Dingeldey erscheine persönlich nicht, habe aber seine volle Zustimmung erklärt. Er, Hamm, hoffe zuversichtlich, daß aus den heutigen und weiteren Verhandlungen ersprießliche Ergebnisse zur Unterstützung der schweren Regierungsarbeit des Reichskanzlers Brüning herausspringen werden. Vielleicht werde, einer Anregung des Abgeordneten Dr. Weber entsprechend, um diesen Block der Mitte nach außen deutlich sichtbar zu machen, auch die Einsetzung eines kleinen Büros beschlossen werden.

Persönlich erklärte ich Herrn Minister Hamm, daß ich den Plan und insbesondere seine Auffassung für richtig und sehr wertvoll hielte. Auch mir erscheine die Bildung einer neuen umfassenderen Partei im Augenblick überflüssig. Bedeutsam würde es aber sein, wenn bei den bevorstehenden Verhandlungen des Reichstags ein solcher Block der Mitte durch gemeinsame Erklärung und Abstimmung deutlich sichtbar werde4. Es erscheine mir auch sehr richtig, daß sich diese Arbeitsgemeinschaft nicht zu sehr auf Einzelheiten einlassen solle, da es eben entscheidend im Augenblick nur auf Führung ankomme und man die Einzelentscheidungen dem Führer überlassen müsse.

4

Eine gemeinsame Erklärung (vgl. auch Dok. Nr. 473) ist bei der Besprechung der Regierungserklärung des Rkab. Brüning II im RT nicht abgegeben worden. Die DVP stimmte am 16.10.31 für einen Mißtrauensantrag gegen die RReg. (RT-Bd. 446, S. 2239 ). Vgl. auch die Materialien über die Verhandlungen wegen der Gründung einer neuen Partei im Nachlaß Passarge , Nr. 6, S. 1–51.

Herr Hamm, der eigens eine Stunde vor dieser Sitzung, der er heute vorsitzt, zu mir gekommen war, war über meine Einstellung sehr befriedigt, und ich gestattete ihm auf seine Bitte gern, eventuell von dieser meiner Auffassung in der Besprechung vertraulich Gebrauch zu machen. Ich erwähnte hierbei, daß ich damit natürlich nur für meine Person spräche, aber immerhin glauben könne, daß der Herr Reichskanzler eine ähnliche Auffassung habe.

Pünder 21. 9.

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