1.229.1 (bru3p): a) Arbeitsbeschaffungsprogramm, b) Frage der Verkürzung der Arbeitszeit, c) Sicherung der Sozialversicherung.

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a) Arbeitsbeschaffungsprogramm,
b) Frage der Verkürzung der Arbeitszeit,
c) Sicherung der Sozialversicherung.

Herr Eggert begründete die Notwendigkeit eines umfassenden Arbeitsbeschaffungsprogramms der Reichsregierung1. Er empfahl, die Vorschläge des Reichswirtschaftsrats als Grundlage zu benutzen2.

1

Der ADGB hatte den Arbeitsbeschaffungsplan von Woytinsky, Tarnow und Baade übernommen: siehe Dok. Nr. 664, Anm. 3; vgl. auch Dok. Nr. 715, Anm. 13.

2

Vgl. den Bericht des Zentralausschusses des Vorl.RWiR vom 12.3.32, auszugsweise in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 442.

Fräulein Mleinek unterstützte diese Forderung. Sie setzte sich ferner für eine möglichst allgemein anzuordnende Arbeitszeitverkürzung ein und forderte schließlich,[2509] daß in der Arbeitslosenversicherung unter allen Umständen der Versicherungscharakter und der Versicherungsanspruch erhalten bleiben3.

3

Für die Änderung der ALV setzte sich vor allem RPreiskom. Goerdeler ein: siehe Dok. Nr. 744, Anm. 11; vgl. Dok. Nr. 707, Anm. 1.

Herr Rössiger befaßte sich ebenfalls mit dem Thema der Versicherung. Auch er forderte die unbedingte Erhaltung des Versicherungsanspruchs in der Arbeitslosenversicherung.

Der Reichskanzler ging auf die Darlegung der Arbeitnehmervertreter in längeren Ausführungen ein. Er erklärte, daß man für die gegenwärtige Wirtschaftskrise zwei Hauptgründe anführen könne.

a) Nach jedem Kriege müsse die Lebenshaltung der am Krieg beteiligten Völker herabsinken. Das sei immer so gewesen. Nach dem Weltkriege habe man sich dieser Erkenntnis aber bisher verschlossen. Man habe im Gegenteil geglaubt, die Lebenshaltung erhöhen zu können. Jetzt zeige sich der Rückschlag in verschärfter Form4.

4

Vgl. auch die Äußerung des RK in Dok. Nr. 475.

b) Die politische Unsicherheit. Letztere bewirke, daß Handel und Industrie nicht den Mut hätten, größere Läger zu halten. An Kapital fehle es nicht, wenn man die Weltwirtschaft als Ganzes betrachte. Wesentliche Teile des Kapitals lägen brach, z. B. in Gestalt ungeheurer Goldvorräte in den Kellern der Bank von Frankreich und der amerikanischen Zentralnoteninstitute. Die Auswirkungen der politischen Unsicherheit machten sich nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern der Welt bemerkbar. Der Engländer Sprague, mit dem er sich vor einigen Tagen unterhalten habe5 und der wohl als größter Sachkenner angesprochen werden könne, habe ihm erzählt, daß in England und in Amerika die Verhältnisse ähnlich lägen wie in Deutschland. An die Auffüllung der Läger werde man aber erst dann herangehen, wenn die politische Unruhe behoben sei. Der Tiefpunkt der Depression könne erst dann überschritten werden6, wenn in der Reparationsfrage eine Lösung gefunden werde. Es müsse eine Lösung geschaffen werden, die dauernden und restlosen Charakter habe. Vielleicht befinde man sich jetzt in dem Stadium der Krise, in dem nach den Erfahrungen früherer Krisen der wirtschaftliche Wiederaufstieg beginnen könne. Die Zinssätze, insbesondere die Diskontsätze der Zentralnoteninstitute seien nämlich sehr stark gesunken. Das bedeute, daß der Geldmarkt flüssig geworden sei. Nach den Erfahrungen früherer Krisen sei dies das Anzeichen für den möglichen Wiederaufstieg. Wenn sich gleichwohl in der gegenwärtigen Krise der Aufstieg noch nicht zeige, so liege dies an der politischen Krise. Wenn es nicht gelingt, die politische Krise zu überwinden, d. h. durch eine befriedigende Endlösung in der Reparationsfrage das Vertrauen der Weltwirtschaft wieder herzustellen, werde der größte wirtschaftliche Zusammenbruch unaufhaltbar sein. Was die Verhältnisse in Deutschland angehe, so müsse auch hier für alsbaldige Beruhigung der politischen Atmosphäre gesorgt werden. Die Wahlepidemie, die das deutsche Volk befallen habe, verhindere, daß die unbedingt erforderliche Beruhigung des Wirtschaftslebens eintrete. Damit die Beruhigung eintrete, müsse sich die[2510] Reichsregierung davor hüten, in der öffentlichen Meinung irgendwelche Illusionen über eine günstige Entwicklung der nächsten Zukunft zu erwecken, wie dies z. B. in abschreckender Weise in Amerika geschehe durch die Propagierung großer Wirtschaftsprogramme, die sich stets nach kurzer Zeit als enttäuschter Fehlschlag herausstellten7. Ferner müsse in Deutschland alles vermieden werden, was geeignet sei, an der Währung zu rütteln. Wenn man die Währung auch nur um ganz wenige Punkte absinken lassen wolle, werde die Situation unmöglich zu halten sein. Der gegenwärtige Währungszustand sei im Grunde genommen keine echte Goldwährung mehr. Eine solche gebe es zur Zeit in der Welt überhaupt nicht mehr. Der Wert der Mark werde gehalten durch die Schaffung eines Seltenheitswerts. Im übrigen sei die Währung ein künstliches Gebilde, mit dem man unter keinen Umständen experimentieren dürfe. Ein zweites Mal werde man sich nicht mehr durch eine Rentenmark retten können. Der Ausgang der Reichstagstagung am vergangenen Tage und der Anlaß für das Auffliegen der Tagung seien leider nicht geeignet8, die so unbedingt notwendige Ruhe zu schaffen. Insbesondere seien die Aussichten für einen Erfolg der Prämienanleihe9, die ja im Zusammenhang mit den Arbeitsbeschaffungsplänen aufgelegt werden müsse, sehr in Frage gestellt worden.

5

Sprague hatte sich vom 7.–9.5.32 in Berlin aufgehalten (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 24–26).

6

Vgl. entsprechende Äußerungen zum bereits erreichten Tiefpunkt der Depression am 15.6.31 (Dok. Nr. 332), am 29.10.31 (Dok. Nr. 526) und am 16.12.31 (Dok. Nr. 606).

7

Vgl. Dok. Nr. 644, Anm. 10.

8
 

Die RT-Sitzung wurde am 12.5.32 abgebrochen, nachdem Nationalsozialisten einen Journalisten im RT-Restaurant und in der Lobby blutig geschlagen hatten: RT-Bd. 446, S. 2686 –2688; vgl. Brüning, Memoiren, S. 588–589. Am 14.5.32 verurteilte das Schnellschöffengericht Moabit die drei RT-Abgg. Heines, Stegmann und Weitzel wegen Überfalls auf den Journalisten Klotz zu je drei Monaten Gefängnis. Der mitangeklagte Gregor Strasser wurde freigesprochen (Vossische Zeitung, Nr. 231 vom 14.5.32, R 43 I /2684 , S. 197).

9

Vgl. Dok. Nr. 733, P. 2.

Herr Schlimme verbreitete sich sodann über Fragen der Lohnpolitik. Er forderte einen verstärkten staatlichen Schutz gegen weiteren Lohnabbau.

Der Reichsarbeitsminister machte nähere Ausführungen über die Arbeitsbeschaffungspläne der Reichsregierung und über die Schwierigkeiten der Finanzierung. Er ging ferner auf die Kritik des Herrn Schlimme an der Schlichtertätigkeit ein. Schließlich erläuterte er auch in großen Zügen die Pläne der Reichsregierung auf dem Gebiet der Reform der Arbeitslosenhilfe und der Invalidenversicherung.

Zum Schluß ging er auf das Problem der Arbeitszeitverkürzung und die Forderung der Gewerkschaften nach Schaffung eines Einstellungszwanges für weitere Arbeitskräfte ein.

Diese Ausführungen wurden von Arbeitnehmervertretern mit besonderem Dank entgegengenommen und durchaus ruhig und verständnisvoll gewürdigt.

Herr Graßmann richtete zum Schluß an den Herrn Reichskanzler die Frage, ob die Besprechung nicht in der kommenden Woche nach Abschluß der Beratung des Reichskabinetts, aber vor Erlaß der in Vorbereitung befindlichen Notverordnungen, im gleichen Kreise fortgesetzt werden könnte.

Der Reichskanzler sagte die Erfüllung dieser Bitte zu.

Für die Fortsetzung der Besprechung wurde zunächst der Abend des 18. Mai in Aussicht genommen. Zu dieser Besprechung sollen alsdann auch der Reichsminister der Finanzen, der Reichswirtschaftsminister und der Reichsbankpräsident zugezogen werden10.

10

Vgl. Dok. Nr. 754.

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