1.212 (bru3p): Nr. 726 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine belgische Reparationsinitiative, 23. April 1932.

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[2465] Nr. 726
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine belgische Reparationsinitiative, 23. April 1932.

R 43 I /335 , Bl. 125–127

Am Tage seiner Abfahrt nach Genf1 hatte der Herr Reichskanzler noch eine Besprechung mit Herrn Geheimrat Bücher über die Frage einer etwaigen amtlichen belgischen Initiative hinsichtlich der zentral-europäischen Probleme zur Behebung der Weltwirtschaftskrisis und Erledigung des Reparationsproblems2. Geheimrat Bücher hatte dem Herrn Reichskanzler berichtet, daß aufgrund privater Initiative3 die belgische Regierung in voller Übereinstimmung mit dem König der Belgier zur Entwicklung einer solchen Initiative bereit sei. Nur müsse sie zuvor die Gewißheit haben, vor allem auch durch einen Wink deutscherseits, daß die Entwicklung einer solchen Initiative von belgischer Seite den anderen in erster Linie in Betracht kommenden Mächten nicht ungelegen sei.

1

Der RK war am 14.4.32, 21 Uhr nach Genf abgereist (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 49).

2

Das Gespräch fand von 18 Uhr–18.20 Uhr statt (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 49).

3

Es handelte sich um den Vorschlag des belg. Industriellen Dannie Heineman, die dt. Elektroindustrie als Pfandobjekt für eine endgültige Reparationslösung zu verwenden (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 49). Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 531 und S. 566 und Dok. Nr. 272, P. 4. Nach einem Schreiben von StS Schäffer an StS Pünder vom 19.4.32 war der Gedanke einer Heranziehung der dt. Elektritizätswerke für die Deckung der Reparationen seit 1919 immer wieder aufgetaucht (Durchschrift in R 43 I /337 , Bl. 162–168, hier Bl. 162).

Der Herr Reichskanzler hatte Herrn Geheimrat Bücher in dieser Besprechung kurz vor seiner Abreise erklärt, er werde über diesen Punkt insbesondere auch mit dem amerikanischen Staatssekretär Stimson zu sprechen suchen, um vor allem sicherzustellen, daß der Durchführung eines solchen von Europa ausgehenden Planes in Amerika keine Schwierigkeiten entstünden. Über das Ergebnis seiner Fühlungnahme bei Staatssekretär Stimson würde er mir zur Weitergabe an Herrn Geheimrat Bücher rechtzeitig einen Wink geben.

Ein Gespräch des Herrn Reichskanzlers mit dem amerikanischen Staatssekretär Stimson zu diesem Punkte ist bisher nicht in Gang gekommen. Bei der auffallend starken Zurückhaltung, die der amerikanische Staatssekretär in Genf überhaupt allen Problemen gegenüber einnimmt, ist irgend eine Förderung des belgischen Gedankens von der amerikanischen Seite her offensichtlich nicht zu erhoffen.

Inzwischen sind auf belgischer Seite die Dinge weiter vorangeschritten. Der hiesige belgische Gesandte Graf Kerchove bemüht sich in stärkster Weise, zunächst einmal lose Besprechungen zwischen einigen ganz besonders ausgesuchten deutschen und belgischen – und vielleicht auch französischen – wirtschaftlichen Sachverständigen in allernächster Zukunft in Gang zu bringen4. Dieserhalb hat er insbesondere auch mit Herrn Ministerialdirektor Dr. Köster vom Auswärtigen Amt, dem er von früher her persönlich sehr nahesteht, gesprochen. Auf Rückfrage des[2466] Herrn Reichskanzlers durch mich bestätigte dieser Tage Herr Ministerialdirektor Köster, daß das in Berlin in Erscheinung tretende starke Interesse des belgischen Gesandten Graf Kerchove mit aller Bestimmtheit von der Belgischen Regierung gebilligt werde. Daraufhin hat der Herr Reichskanzler vorgestern in Genf bei dem belgischen Außenminister Hymans in der Angelegenheit vorsichtig sondiert. Hymans hat sich in dieser Besprechung aber außerordentlich zurückhaltend gezeigt und scheint von sich aus jedenfalls nicht besonders bereit, zu der Entwicklung einer solchen belgischen Initiative seinerseits wesentlich beizutragen5. Das Gespräch mit dem belgischen Außenminister sollte dann in Genf alsbald noch durch Herrn Staatssekretär von Bülow fortgesetzt werden.

4

Vgl. das Schreiben von MinDir. Köpke an StS Pünder vom 27.4.32 mit Anlagen über die Besprechungen mit dem Belg. Gesandten Graf Kerchove in R 43 I /337 , Bl. 169–185.

5

Hierzu das Telegramm StS v. Bülows Dt. Del. Genf Nr. 462 vom 28.4.32: „Reichskanzler läßt Bücher sagen: Er habe mit Hymans Reparationsfrage in etwas anderem Sinne besprochen als in Aufzeichnung von Bücher dargelegt. Es sei fraglich, ob Hymans das Problem richtig erfaßte, er kommt aber morgen früh zum Reichskanzler. Deshalb wäre Aussprache Reichskanzlers Bücher vor Luxemburg dringend erwünscht. Falls sich Luxemburg nicht verschieben läßt, bittet Reichskanzler zur Reparationsfrage schärferen Standpunkt einzunehmen, als in Aufzeichnung und deutsche Zahlungen abzulehnen, falls sie nicht auf Vorschüssen der Gläubiger beruhen. Reichskanzler sagte Hymans, Abschlußzahlung sei nur diskutabel, falls uns zunächst Anleihe gewährt würde und Leistung Deutschlands an Gläubiger könne nur in überhöhtem Zins dieser Anleihe bestehen. Reichskanzler empfiehlt größte Zurückhaltung und bittet in eventuellen Verhandlungen eigene Vorschläge nur als Privatmeinung vorzubringen“ (R 43 I /337 , Bl. 146).

Unabhängig von einem solchen etwaigen amtlichen belgischen Anstoß ist inzwischen seitens der belgischen maßgeblichen Wirtschaftskreise in vertraulichster Form die Einladung an die deutschen Herren ergangen. Wie mir Geheimrat Bücher gestern und heute mündlich berichtete, ist einer der Hauptförderer auf belgischer Seite ein gewisser Herr Barbançon6 (oder so ähnlich), der ein intimer Freund des belgischen Ministerpräsidenten Renkin sei7. Ebenso wie die Belgische Regierung durch den Ministerpräsidenten Renkin, begrüßten auch Tardieu und Flandin sehr einen baldigen Zusammentritt einer solchen einstweilen völlig inoffiziellen und freien Zusammenkunft maßgeblicher Wirtschaftsführer der drei Länder. Diese belgische Einladung ist nunmehr am 29. und 30. April nach Luxemburg ergangen. Die deutschen Unterhändler sollen die Herren Bücher, Krupp von Bohlen, Lammers und Bosch sein. Alle vier Herren sind bereit, mit der Maßnahme, daß Herr Krupp von Bohlen wegen der ihm seitens der Belgier während des passiven Widerstandes angetanen Behandlung an dieser ersten Besprechung in Luxemburg noch nicht teilnehmen wird, aber seinerseits eine Fortsetzung dieser ersten Aussprache kurze Zeit darauf in der Villa Hügel bei Essen selber angeregt hat.

6

Barbanson, Generaldirektor des luxemburgischen Stahlwerks Arbed.

7

Der Dt. Gesandte Graf Lerchenfeld hatte im Bericht A 148 vom 22.4.32 über eine Unterredung mit dem Belg. MinPräs. Renkin berichtet, wonach Barbanson die Initiative ergriffen hatte, die Renkin als rein privat bezeichnet hatte (R 43 I /337 , Bl. 143–144, auch in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 66).

Auf belgischer Seite sollen außer dem erwähnten Barbançon ein Herr Gallopin, Vizepräsident der Société Générale de Belgique, voraussichtlich noch zwei weitere belgische Industrielle teilnehmen. Herr Bücher glaubte, daß einer von diesen der uns bekannte Gutt sein werde. Ebenso würden drei oder vier erste Persönlichkeiten der französischen Wirtschaft teilnehmen, vor allem wahrscheinlich Herr Parmentier.

[2467] Ehe Herr Geheimrat Bücher die belgische Einladung endgültig annahm, erbat er noch die Zustimmung des Herrn Reichskanzlers in Genf, wenngleich nach seiner Auffassung eine Ablehnung der Einladung, da es sich einstweilen um einen rein privaten Akt bekannter Industrieller der verschiedenen Länder handelt, gar nicht infrage käme. Wunschgemäß habe ich heute vormittag dem Herrn Reichskanzler letztere Bitte in vorsichtiger Form unterbreitet. Der Herr Reichskanzler war offensichtlich, ohne dies am Fernsprecher allerdings näher erläutern zu wollen und zu können, bereits über den Sachstand, wie ich ihn vorstehend dargelegt habe, informiert und war mit der Annahme der an die genannten deutschen Industriellen ergangenen Einladung durchaus einverstanden. Meiner Anregung, die ich vorher auch Herrn Geheimrat Bücher gemacht hatte, stimmt der Herr Reichskanzler durchaus zu, vor der Abreise der genannten deutschen Herren nach Luxemburg noch mit Herrn Geheimrat Bücher in Berlin zu sprechen. Diese vorbereitende Besprechung zwischen dem Herrn Reichskanzler und Herrn Geheimrat Bücher soll am kommenden Donnerstag nachmittag8 hier in der Reichskanzlei stattfinden. Die deutschen Industriellen fahren dann in der Nacht zum Freitag nach Trier9 und von dort Freitag früh per Kraftwagen nach Luxemburg10. Der Herr Reichskanzler sagte mir heute früh, daß er Mittwoch abend von Genf abzureisen gedächte, um alsdann Donnerstag mittag in Berlin einzutreffen11

8

28.4.32.

9

Stattdessen ließ der RK eine telegraphische Weisung nach Berlin senden: siehe Anm. 5.

10

Über die Luxemburger Verhandlungen berichtete Clemens Lammers am 4.5.32 dem StS v. Bülow; die Franzosen hätten erneut die RB-Obligationen zur Diskussion gestellt (vgl. auch Dok. Nr. 763, Anm. 3), und Gutt hatte eine Abschlußzahlung von 10 Mrd. RM genannt, was die dt. Verhandlungsseite als indiskutabel und lächerlich bezeichnet habe; außerdem seien alle politischen Streitpunkte, von den Handelsbeziehungen über die Abrüstung bis zur Presse behandelt worden. Der Belg. König Albert I. habe sich sofort nach dem Erfolg der Verhandlungen erkundigt (Aufzeichnung v. Bülows in R 43 I /337 , Bl. 186–190). Aufzeichnungen v. Bülows vom 11.–23.5.32 über Unterredungen mit dem Belg. Gesandten Kerchove in R 43 I /337 , Bl. 191–199. Vgl. auch Dok. Nr. 763.

11

Der RK kehrte am Sonnabend, dem 30.4.32, morgens aus Genf nach Berlin zurück (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 33).

Pünder

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