2.161.7 (cun1p): 7) (Außerhalb der Tagesordnung) Reparationsfrage.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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7) (Außerhalb der Tagesordnung) Reparationsfrage11.

11

Der folgende Teil des Protokolls ist von MinR Kempner geführt worden.

Der Reichsaußenminister In der Besprechung mit den Parteiführern12 habe er darauf hingewiesen, daß man vor Absendung einer Note eine Sondierung erwäge. Der Abgeordnete Marx und einige Mitglieder der Volkspartei hätten dabei angeregt, diese Sondierung dadurch zu unterstützen, daß Herren des Finanz- und Wirtschaftslebens gleichzeitig in Aktion treten. Er sei hierfür durchaus. Man müsse seines Erachtens die Note in großen Strichen unverbindlich entwerfen und den Botschaftern eine eingehende Instruktion geben, an deren Hand sie die auswärtigen Regierungen um Erläuterungen bitten könnten.

12

S. Dok. Nr. 160.

In der Höhe der Ziffern könne nicht entgegengekommen werden, wohl aber mit einer Konstruktion, die die Gesamthöhe nicht steigert. Er sei bereit, zum Annuitätenschema überzugehen und in der Pfänder- und Garantiefrage durchaus großzügig zu sein. Die Aussichten der Sondierung seien sicher nicht rosig. Rom und London wüßten, was Poincaré wolle, und niemand wolle es z. Zt. mit Frankreich verderben13. Aber er befürchte keine Verschlechterung unserer Position, wenn wir sondierten. Eine geringe Erhöhung unseres Zahlenangebots würde nach seiner Überzeugung nicht helfen.

13

Am 13. 5. hatte v. Neurath aus Rom über ein Gespräch mit Contarini berichtet, der erklärte, „er glaube, daß vor weiteren deutschen Vorschlägen eine Fühlungnahme zum mindesten mit England und Italien, eventuell auch mit Amerika über die Annehmbarkeit erfolgen sollte, wobei von dieser Seite Änderungswünsche und Vorschläge gemacht werden könnten.“ (AA Büro RM 5, Reparationen Bd. 12).

Reichskanzler Auch ihm sei vom Ausland geraten worden, keine neue Note ohne vorherige Fühlungnahme abzusenden.

Reichsminister der Finanzen Er könne seine Bedenken gegen ein diplomatisches Zwischenspiel auch heute nicht fallen lassen, sie seien durch die Ausführungen des Herrn Reichsaußenministers nicht entkräftet. Die ganze Angelegenheit bedürfe der größten Beschleunigung, da die Finanzlage sich ungemein verschärfe. Der Herr Reichsaußenminister sei der Ansicht, man müßte bei der bisherigen Gesamtsumme bleiben und nur die Konstruktion des Planes[484] ändern. Dieser Schritt werde scheitern. Wenn wir bei der Gesamtsumme von 30 Milliarden stehenbleiben und sie nur durch ein neues Annuitätenschema günstiger erscheinen lassen wollten, als England sie aufgefaßt habe, so würden wir nur das Gegenteil erreichen und die Blößen des alten Planes enthüllen. Er rate ausdrücklich von der Sondierung ab, wie auch davon, von nur 30 Milliarden auszugehen. Wir hätten durch das Schiedsgerichtsangebot bereits mehr geboten. Wenn wir uns auf den Boden des Bonar Law-Plans als Verhandlungsbasis stellten, mit dem Vorbehalt, daß das Schiedsgericht auch für die Serie I gelten solle14, so schränkten wir unser altes Angebot ein, anstatt es zu erweitern. In der Garantiefrage stimme er mit dem Außenminister voll überein. Scheitere eine Sondierung nach dem alten Vorschlag, so würden ernste Folgen auf dem Devisenmarkt eintreten. Die Sondierung sei auch nicht nötig, da wir die Sachlage selbst beurteilen könnten. Auch unserer Note vom 2. Mai sei doch wohl eine Sondierung vorausgegangen, und wir hätten gesehen, welche Aufnahme sie gefunden habe. Er empfehle besonders, in die neue Note den Gedanken der internationalen Schuldenverrechnung als einen zur schnellen Lösung geeigneten aufzunehmen. Dies würde besonders den Anschauungen Frankreichs und Italiens entgegenkommen, so daß wir dann nicht einseitig im englischen Fahrwasser segelten.

14

Der Bonar Law-Plan sah ein Schiedsgericht für die Serie II der Obligationen (17,31 Mrd. M) vor, nicht für die Serie I (50 Mrd. M).

Reichsminister für Wiederaufbau Er möchte an die letzte Besprechung anknüpfen, nach der die Entscheidung der Sondierungsfrage bis zur Einigung über eine sachliche Basis zurückgestellt werden sollte15. Er habe neulich Bedenken gegen den Brückenvorschlag des Finanzministers gehabt, besonders, weil der Bonar Law-Plan international schon abgelehnt sei. Er habe sich dann den Vorschlag des Reichsfinanzministers nochmals reiflich überlegt und sei zu dem Ergebnis gelangt, daß es zu begrüßen wäre, wenn sich ein Übergang zu dem Plan Bonar Law finden ließe. Zu diesem Standpunkt sei er auch durch die eindrucksvollen Ausführungen des Reichswehrministers gebracht worden. Materiell lägen die Dinge so, daß Frankreich jetzt bereits etwa die Hälfte der früheren Kohlenmengen erhielte16. Jetzt gingen die Franzosen auch dazu über, sich die Farbstoffe gewaltsam anzueignen. Diese Politik führe dazu, daß Frankreich ungeheuere Werte erlange. Der ursprüngliche Fehlschlag der Einbruchsmächte würde so in einen Erfolg umschlagen. Bei dieser Sachlage schiene auch ihm die allergrößte Beschleunigung notwendig, nach Ansicht des Reichswehrministers sei es sogar schon zu spät. Ein neuer Vorschlag habe sicher den Nachteil, daß es schwer sei, im Kabinett rasch zu einer Verständigung zu kommen und die Öffentlichkeit entsprechend einzustellen. Man müsse vielleicht so vorgehen, daß man vom alten Plan ausgehe, darlege, daß er mißverstanden worden sei; dann allerdings müsse man einen gewissen Salto mortale machen, um auf den B. L.- Plan zu kommen, aber in anderer Form und mit den nötigen Vorbehalten. Eine etwa so abgefaßte Note hätte den Vorteil, daß man sachlich nicht mehr biete, aber andererseits wenigstens England zur Annahme zwinge. In der Beurteilung[485] der Frage, ob eine vorherige Sondierung nötig und möglich sei, möchte er sich zurückhalten, da man hier nur urteilen könne, wenn man das gesamte außenpolitische Material kenne. Mit dieser Einschränkung möchte er sagen, daß er nach einigem Schwanken zu der Ansicht gelangt sei, daß eine Sondierung außerordentliche Gefahren und Nachteile haben würde. Denn falle sie negativ aus, so könne man solchen Plan nicht mehr vorlegen, was aber seines Erachtens auch innenpolitisch erforderlich sei. Zusammenfassend komme er zu dem Ergebnis, man solle den vom Finanzminister vorgeschlagenen Weg gehen.

15

Vgl. Dok. Nr. 159.

16

Vgl. Dok. Nr. 165.

Reichsminister des Innern Er habe neulich den Eindruck gewonnen, daß bei einer Umrechnung unseres alten Planes auf Annuitäten der Unterschied gegenüber dem B. L.-Plan nicht sehr groß sei. Denn wir hätten ja auch im alten Plane die Schiedsgerichtsklausel gehabt. Gegen den B. L.-Plan als Grundlage unseres neuen Angebots spreche, daß er jedenfalls etwas höher sei als unser alter. Für ihn spräche der Umstand, daß England ihn nicht gut ablehnen könne. Wenn dies auch die anderen Mächte könnten, so gewännen wir auf diese Weise doch wenigstens einen Bundesgenossen, wenn es auch ein schlechter sei. Würde der B. L.-Plan als Grundlage angenommen, so halte er eine Sondierung für falsch, denn es bestände dann die Gefahr, daß England abrate. Von jedem anderen Vorschlag würde England ganz sicher abraten. Er komme also zu dem Ergebnis, daß zunächst geprüft werden müsse, ob der Plan B. L. als Grundlage für uns tragbar sei. Würde dies bejaht, so müsse man schnell und ohne Sondierung vorgehen.

Reichsarbeitsminister Auch er halte für nötig, daß schnell gehandelt werde. In der letzten Sitzung hätte er geglaubt, daß die verschiedenen Anschauungen nicht sehr weit voneinander entfernt seien. Der Reichsfinanzminister habe das B. L.-Schema mit dem Vorbehalt eines Schiedsgerichts empfohlen, während er ein neues Schema unter der B. L.’schen Höhe empfohlen habe, aber mit der Möglichkeit der Erhöhung durch ein Schiedsgericht. Nach allem scheine es ihm wünschenswert, ein Annuitätenschema nach unserem alten Vorschlage zu entwerfen, das als Verhandlungsgrundlage möglich sei. Es sei nicht nötig, den B. L.’schen Plan einfach als Grundlage zu akzeptieren. Hiergegen habe er Bedenken, denn wir würden in den Verhandlungen noch über diese Höhe hinausgetrieben werden. In der Sondierungsfrage könne er nicht mit Sicherheit urteilen.

Reichsminister des Innern macht darauf aufmerksam, daß zwei Parteien des Reichstags es für wünschenswert erklärt hätten, daß der Herr Reichspräsident an den Besprechungen des Kabinetts über diese Frage teilnehme17.

17

Darüber fanden sich keine Hinweise in den Akten der Rkei.

Reichskanzler Dies würde geschehen, wenn die Ansicht des Kabinetts selbst weiter geklärt sei.

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Die ziffermäßigen Leistungen in unserem Plane und dem von Bonar Law weichen – abgesehen von der Anleihefrage – nicht sehr weit voneinander ab. Wenn seine neulich vorgelegte Rechnung richtig sei, so betrage der Nennwert unseres Gebots 46,93[486] Milliarden. Die erste Voraussetzung für ein Weiterverhandeln sei jetzt die sichere, rechnungsmäßige Aufklärung dieser Frage18.

18

Vgl. dazu Anm. 5 zu Dok. Nr. 159.

Reichsaußenminister Zu einer Umarbeitung des Planes auf Annuitäten sei er, wie schon früher bemerkt, bereit. Aber Annahme des B. L.-Plans wäre ein Verlassen unseres alten Angebots. Das Anerbieten, nach Schätzung eines unparteiischen Gremiums noch mehr als 30 Milliarden zu leisten, sei bereits ein großes Wagnis gewesen, aber keine Unaufrichtigkeit. Eine Unaufrichtigkeit aber würde darin liegen, wenn wir jetzt unter dem Druck der Note unsere Leistungsfähigkeit höher einschätzten, als in der Note vom 1. Mai. Zur Rechnung des Reichsernährungsministers müsse er um die Erklärung des Phänomens bitten, daß nach Baldwin unser Maximalangebot 30 Milliarden und das engl. 50 Milliarden; unser geringstes Angebot 16 und das engl. 35½ betrage19. Wie erklärt sich das? Der Reichsfinanzminister beurteile die Aussichten einer Sondierung nicht günstig. Hiermit stimme er mit ihm überein. Aber das vom Reichsfinanzminister vorgeschlagene Verfahren biete genau ebensowenig Aussicht. Dagegen würde es zur Folge haben, daß der Glaube an die Ernsthaftigkeit und Überzeugungstreue dieser Regierung im Ausland verlorenginge. Führe der von ihm vorgeschlagene Weg nicht zur Rettung, so führe der des Reichsfinanzministers ins Verderben.

19

Am 15. 5. (an Berlin 16. 5., 12.30 h) hatte Sthamer telegrafisch über Baldwins Erklärung vor dem Unterhaus am 14. 5. berichtet. Danach bezifferte Baldwin den Gegenwartswert des deutschen Angebots auf minimal 820 Mio Pfund = 16,4 Mrd. GM, maximal 1 500 Mio Pfund = 30 Mrd. GM. Der engl. Vorschlag entspreche dagegen einem Gegenwartswert von 2 500 Mio Pfund, der sich aber auf 1 975 Mio Pfund ermäßige, falls die Serie II der Obligationen gestrichen werde. Falls Deutschland von der Serie I sogleich 1 250 Mio Pfund einlöse, falle der Gegenwartswert sogar auf 1 775 Mio Pfund = 35,5 Mrd. GM (AA Büro RM 5, Reparationen Bd. 12). Tatsächlich liegt der Gegenwartswert des Bonar Law-Plans im Minimalfall, bei sofortigem Rückkauf der 50 Mrd. Obligationen durch Begebung einer Anleihe von 25 Mrd. GM, sogar bei 25 Mrd. GM. Doch ist dies ein rein theoretischer Fall, da die kurzfristige Aufnahme einer Anleihe in dieser Höhe absolut unmöglich ist.

Reichswirtschaftsminister warnt vor überhasteten Beschlüssen. Alle Parteien dächten ebenso.

Reichsarbeitsminister erklärt sich gleichfalls gegen eine Überhastung.

Reichsminister für Wiederaufbau bittet um strengste Vertraulichkeit der Verhandlungen.

Reichsfinanzminister Es müsse jedenfalls vor Pfingsten [20. 5.] geklärt werden, ob man sich auf die Grundlage des B. L.-Plans stelle oder nicht. Dem Reichsaußenminister müsse er erwidern, daß wir eben doch mehr geboten hätten als 30 Milliarden, denn durch die Schiedsgerichtsklausel hätten wir 30 + X geboten. Daher sei zwischen dem alten Vorschlag und seinem neuen kein fundamentaler Unterschied. Mit einer Annuitäten-Konstruktion komme man nicht weiter. Was er vorschlage, sei keine Konstruktion, sondern ein politischer Akt. Daher rate er dringend, sich jetzt auf den B. L.-Plan zu stellen.

Reichswirtschaftsminister Wenn man dem Reichsfinanzminister folge, so würden wir erklären, daß wir nunmehr unsere Leistungsfähigkeit auf 50 Milliarden einschätzten.

Reichsfinanzminister hält dies für unrichtig, denn wir wollten den Plan nur als Grundlage annehmen, und im übrigen sollte das Schiedsgericht über die[487] ganzen 50 Milliarden entscheiden. Dies sollte auch dann entscheiden, wenn wir mit einer Annuität im Rückstand blieben20. Er wolle offen aussprechen, daß, wenn wir jetzt gleich an den Konferenztisch kämen, wir nichts erreichen würden. Bei der ganzen Situation glaube er nur an eine Zwischenlösung.

20

In einem undatierten Notenentwurf, überschrieben „Entwurf Hermes-Bergmann“, der dem Entwurf Bergmanns vom 14. 5. entspricht (in R 2 /2904 ), wird die Bereitschaft der RReg. erklärt, „den britischen Reparationsplan vom 2. Januar ds. Js., soweit er sich auf die deutschen Leistungen bezieht, in seinen Grundzügen als Verhandlungsbasis anzunehmen.“ Hier wird handschriftlich (von Hermes ?) hinzugefügt: „Hierbei geht sie [die RReg.] davon aus, daß Vorsorge dafür getroffen werden könnte, daß das in dem britischen Plane vorgesehene Schiedsgericht auch in solchen Fällen tätig wird, wo Deutschland bei der Ausführung der übernommenen Verpflichtung unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sollte.“ (AA Büro RM 5, Reparationen Bd. 12).

Reichsminister für Wiederaufbau Man müsse jetzt den Plan des Finanzministers nüchtern erwägen. Man sollte jetzt unsere Leistungsfähigkeit nicht neu abschätzen und sachlich über das Gebot vom 2. 5. nicht hinausgehen. Aber das geschähe auch nicht, wenn man dem Plane Hermes folge. Im übrigen handle es sich zur Zeit nicht mehr um reine Ziffern, sondern um eine politische Tat. Weise der Reichsaußenminister nach, daß wir hiermit politisch etwas ganz Falsches täten, so läge die Sache natürlich anders.

Reichsaußenminister Auch in einem neuen Angebot sollte das internationale Gremium das Kernstück sein. Er wolle in einer neuen Note keine Zahlenkunststücke machen, sondern nur sagen, daß wir bereit seien, auch ein den Ziffern entsprechendes Annuitätenschema anzunehmen. Auch Italien habe erklärt, daß der B. L.-Plan nicht möglich sei21. Schlügen wir ihn vor, so würde uns vorgeworfen werden, wir wollten Zwietracht unter die Alliierten säen.

21

Italien hatte den engl. Plan, ebenso wie die anderen Alliierten, bereits auf der Pariser Konferenz abgelehnt, vor allem wegen der im Bonar Law-Plan vorgesehenen interalliierten Schuldenregelung.

Reichsfinanzminister weist darauf hin, daß der B. L.’sche Plan uns ein Moratorium von vier Jahren bringt und daß nach dessen Ablauf auch die ersten Annuitäten wohl durch Anleihe gezahlt werden könnten. Für Frankreich und Italien sei das internationale Schuldenproblem entscheidend, deshalb würden wir jetzt auch noch zu keiner endgültigen Lösung kommen.

Hierauf wurde die weitere Besprechung vertagt.

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