2.65.9 (cun1p): 9) Orientexpresszug und Expresszug Paris – Warschau.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[221] 9) Orientexpresszug und Expresszug Paris – Warschau.

Der Herr Reichsminister des Auswärtigen glaubt, daß die Streichung der Züge Paris – Prag – Bukarest und Paris – Warschau eine verfehlte Maßnahme sei13. Sie treffe nicht nur die Franzosen, sondern auch die Engländer und zahlreiche Neutrale. Dem französischen Protest sei ein belgischer und ein polnischer gefolgt14. Er schlage vor, die französische Note wegen der Besetzung von Offenburg und Appenweier15 aufs schärfste zurückzuweisen, ohne in dieser Note über die Wiedereinstellung dieser Züge etwas zu erwähnen. Einige Zeit darauf solle in den Zeitungen mitgeteilt werden, daß etwa 2/3 der gestrichenen Züge wieder eingestellt seien, da die Kohlenlage es zur Zeit gestatte. Nach einigen weiteren Tagen soll dann die französische Regierung in einer zweiten Note darauf hingewiesen werden, daß die beiden Züge wieder führen und somit die Begründung für die Besetzung von Offenburg und Appenweier nicht mehr zutreffe.

13

Das RVMin. hatte aus Gründen der Kohlenersparnis vom 30. 1. ab eine Reihe von Zügen eingestellt, darunter auch die internationalen Fernzüge Paris–Berlin–Warschau/Riga, Paris–Bukarest und Paris–Prag; diese nach Mitteilung des RVM an die Rkei vom 6. 2. „mit Rücksicht auf ihre Gefährdung infolge der erregten Volksstimmung.“ (R 43 I /206 , Bl. 504). Am 8. 2. sendet das RVMin. StS Hamm eine fünfseitige Aufzeichnung über die verfügten Zugeinstellungen (R 43 I /207 , Bl. 65-70).

14

Die frz. Reg. hatte gegen die Einstellung der Fernzüge Paris–Berlin–Warschau/Riga am 31. 1. protestiert und sie als Nichterfüllung Deutschlands gegenüber den Verpflichtungen aus Art. 367 des VV bezeichnet. Die belg. Reg. schloß sich diesem Protest am 3. 2. an, die poln. Reg. am 2. 2. Wortlaut der Noten in RT-Drucks. Nr. 5651, Bd. 377, S. 30  ff.

15

Am 2. 2. hatte die frz. Reg. gegen die Einstellung der Fernzüge Paris–Bukarest und Paris–Prag protestiert und ihren Beschluß mitgeteilt, „die Grenze des Kehler Brückenkopfes als Sanktion bis zu den Bahnhöfen von Appenweier und Offenburg auszudehnen.“ (RT-Drucks. Nr. 5651 , S. 5). Am 4. 2. teilte Tirard mit, daß die Irko „unter Billigung dieser Maßnahmen“ das Sanktionsgebiet der Verwaltung des Kehler Brückenkopfes unterstellt habe (ebd.). Am selben Tag erfolgte die Besetzung des Gebietes.

Der Herr Reichsminister der Finanzen macht gegen diesen Vorschlag ernste Bedenken geltend. Man würde es in Baden nicht verstehen, wenn die Reichsregierung nicht sofort mit der Begründung, daß die Züge wieder eingestellt seien, die Räumung von Offenburg und Appenweier fordere.

Der Herr Reichsminister des Auswärtigen wendet ein, daß bei einem solchen Vorgehen die Streichung der Züge als eine willkürliche Maßnahme erscheinen würde. Die Franzosen würden darauf hinweisen, daß die Züge nicht aus Gründen der Kohlennot gestrichen worden seien, denn auf ein energisches Vorgehen Frankreichs hin habe die deutsche Regierung die Züge sofort wieder eingestellt.

Das Kabinett beschließt, daß die Formulierung der Noten zwischen dem Herrn Reichskanzler, dem Herrn Reichsminister des Auswärtigen und dem Herrn Reichsverkehrsminister vereinbart werden solle16.

16

Am 8. 2. ergehen die dt. Protestnoten gegen die Besetzung Offenburgs und Appenweiers an die frz. Reg. sowie an die belg. und brit. Reg. Darin heißt es u. a.: „Die deutsche Reichsbahnverwaltung hat sich infolge Kohlenmangels und anderer durch den französisch-belgischen Einbruch in das Ruhrrevier verursachter Verkehrsschwierigkeiten zur Einstellung einer großen Anzahl fahrplanmäßiger Zugverbindungen des internationalen und des innerdeutschen Dienstes gezwungen gesehen. Es ist richtig, daß sich darunter auch die beiden in der Note genannten Zugpaare befinden. Zeit und Umstände geben jedoch dieser Anordnung der Reichsbahnverwaltung offensichtlich den Charakter einer vorübergehenden Notstandsmaßnahme. Von einer Vertragsverletzung kann daher keine Rede sein. Selbst wenn aber eine formale Verletzung des Vertrages vorläge, müßte es als das Zerrbild eines Friedenszustandes bezeichnet werden, daß die Französische Regierung eine Maßnahme von so untergeordneter Bedeutung wie die Einstellung zweier Zugverbindungen zum Anlaß nimmt, ohne weiteres ihre Truppen in deutsche Städte einmarschieren zu lassen.“ (RT-Drucks. Nr. 5651, Bd. 377, S. 6 ). Eine mögliche Wiedereinsetzung der Züge wird in diesen Noten nicht angesprochen. Als äußerstes Entgegenkommen in dieser Frage schlägt das RVMin. dem AA am 8. 2. u. a. folgende Formulierung vor: „Sie [die RReg.] würde es für angebracht halten, bis zum Eintritt einer gewissen Beruhigung die Züge in anderer Zusammensetzung, ohne die auffallenden Schlafwagen, durch Deutschland zu fahren, wobei Durchführung der so umgebildeten Züge auf ihrem ganzen Lauf oder nur durch Deutschland in Frage käme. Letztere Lösung würde Umsteigen an den deutschen Grenzen bedingen. Die Bedenken gegen die Durchführung der auffallenden Schlafwagen bestehen nicht nur unvermindert weiter, sondern wachsen mit der zunehmenden Erregung. Die Reichsbahn kann keine Gewähr für ihre sichere Durchführung übernehmen, so daß jede Verantwortung dafür abgelehnt werden muß.“ (R 43 I /207 , Bl. 171-173). Am 13. 2. erfolgt schließlich die Antwort der RReg. auf die frz. Note vom 31. 1. (s. Anm. 14). In ihr wird darauf verwiesen, daß die Reichsbahnverwaltung wegen der Besetzung des Ruhrgebiets rd. 40% der deutschen Schnellzüge einstellen mußte, naturgemäß zunächst die am wenigsten benutzten Züge, wozu auch die Fernzüge Paris–Warschau/Riga gehören. „Die Einstellung der Züge ist eine durch Frankreichs und Belgiens Vorgehen erzwungene Notstandsmaßnahme, die aufgehoben werden wird, wenn und insoweit die Verhältnisse es gestatten.“ (RT-Drucks. Nr. 5651 , S. 32). Von der gefährlichen Erregung der Bevölkerung ist in den dt. Noten an keiner Stelle die Rede. In der Folgezeit regt der bad. StPräs. Remmele in Schreiben an den RK wiederholt Verhandlungen zur Wiedereinsetzung der Züge an, wenn damit die frz. Sanktionsmaßnahmen rückgängig gemacht werden können. Von Verhandlungen beim Völkerbund oder beim Haager Schiedsgericht rät der RK jedoch ab, und Besprechungen mit der tschechischen Eisenbahnverwaltung führen zu keinem Ergebnis (Schriftwechsel Remmele–Cuno in R 43 I /212 , Bl. 260-264, 265-267). Das Offenburger Gebiet bleibt besetzt, die Züge werden nicht wieder eingesetzt.

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