2.149 (cun1p): Nr. 149 Staatssekretär Hamm an den Reichswirtschaftsminister. 3. Mai 1923

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Nr. 149
Staatssekretär Hamm an den Reichswirtschaftsminister. 3. Mai 1923

R 43 I /2445 , Bl. 121 f. Entwurf1

1

Der Entwurf MinR Kempners ist von StS Hamm mit einer solchen Vielzahl handschriftlicher Verbesserungen versehen worden, daß es einer Neuformulierung gleichkommt. Der ursprüngliche Entwurf Kempners ist im folgenden nur an den wichtigsten Stellen angemerkt worden. Das Schreiben wird am 5. 5. abgesandt.

[Betrifft: Untersuchung der Ursachen für den Zusammenbruch der Markstützungsaktion]

Verehrte Exzellenz!

In der Anlage beehre ich mich Abschrift eines Schreibens des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bochum zu übersenden2. Da[460] der Herr Reichskanzler die Herren nicht empfangen kann, wird Herr Bürgermeister Schmid sich bemühen, durch Entsendung eines seiner Beamten zu mündlicher Aufklärung an Ort und Stelle die entstandene Beunruhigung zu beheben. Ich habe mir gestattet, Euer Exzellenz von diesem Schreiben Kenntnis zu geben, weil es m. E. ein Beweis für die Richtigkeit der Auffassung des Herrn Reichskanzlers ist, daß die plötzlich und sprunghaft eingetretene Steigerung der ausländischen Devisen in ihren Gründen einer rückhaltlosen Klarstellung bedarf. Von immer weiteren Kreisen ist diese Klarstellung verlangt; wie weit sie gelingt und befriedigt, wird für Dauer und Standhaftigkeit des Abwehrkampfs von erheblicher Bedeutung sein. Das Schreiben der Stadt Bochum gibt durchaus eine weit verbreitete Stimmung wieder, wenn es fordert, daß entweder die etwaigen Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden oder eine öffentliche Feststellung erfolgt, daß ein Verschulden nicht vorliegt, die Steigerung der Devisen vielmehr durch die wirtschaftlichen Verhältnisse natürlich bedingt ist, wobei diese Feststellung, die naturgemäß die Aufzeigung gewisser mitwirkender schuldhafter Verursachungen durchaus nicht ausschließt, wegen der zukünftigen Markentwicklung mit einer gewissen Zurückhaltung wird erfolgen müssen. Veranlassung zu öffentlicher Klarstellung geben die Interpellation der Fraktionen der Arbeitsgemeinschaft3 und der Antrag der Fraktion der VSPD im Reichstag4.

2

Unter dem 30. 4. hatte die Stadt Bochum an den RK u. a. geschrieben: „Eine große Gefahr für diesen einheitlichen Abwehrkampf ist aber dieser Tage entstanden durch das Sinken des Markwertes um fast 50%. Nach den Äußerungen des Herrn RbkPräs. [s. Dok. Nr. 138] und nach den Ausführungen führender Zeitungen (z. B. Frankfurter Zeitung und Rheinisch-Westfälische Zeitung) ist das Sinken der Mark auf Spekulationsmaßnahmen führender Wirtschaftskreise zurückzuführen. Durch den Marksturz werden alle Preise des täglichen Bedarfs sofort in die Höhe getrieben. Löhne und Gehälter müssen nachfolgen. Wenn das von seiten der RReg. für nötig erachtet wird, wird das jedermann über sich ergehen lassen; wenn aber diese Wirkung aus selbstsüchtigen Motiven von Führern in der Wirtschaft in einem Augenblick herbeigeführt wird, wo alles vermieden werden muß, um einem Riß in der Einheit der Abwehrfront herbeizuführen, sehen die Arbeiterschaft, die Beamtenschaft und viele Angehörige der freien Berufe in diesem Einbruch in den Valutastand unserer Mark ein Stück Landesverrat. Die Arbeiterschaft hat erklären lassen, daß sie nicht mehr bereit sei, unter diesen Umständen mitzutun, es sei denn, daß ohne Ansehen von Person und Partei die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen würden. Wir bitten daher den RK, ohne Ansehen von Person und Partei die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, unter Umständen unter Schaffung der nötigen gesetzlichen Unterlagen für solche Fälle, oder umgehend öffentlich festzustellen, daß ein solcher Dolchstoß in den Rücken nicht versucht worden ist.“ Wegen der Bedeutung dieser Frage für den Abwehrkampf an der Ruhr bäten sie um einen Empfang durch den RK (R 43 I /2445 , Bl. 120).

3

Die Interpellation von Zentrum, DDP und DVP vom 1. 5. bittet die RReg. um Auskunft über die Gründe des Marksturzes, „insbesondere darüber, ob von inländischer Seite auf diesen Marksturz vorsätzlich oder fahrlässig hingearbeitet worden ist, und welche Maßnahmen gedenkt die RReg. zu treffen, um ähnlichen Ereignissen für die Zukunft vorzubeugen?“ (RT-Drucks. Nr. 5772, Bd. 377 ).

4

Am 3. 5. beantragt die SPD gemäß Art. 34 der RV die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, „der die Wirksamkeit der von der RReg. und der Rbk zur Stützung der Mark getroffenen Maßnahmen prüfen und die Vorgänge feststellen soll, die zur Erschütterung der Stützungsaktion für die Mark auf dem Geldmarkt geführt haben.“ (RT-Drucks. Nr. 5776, Bd. 377 ). Am 9. 5. kommt es im Rahmen der Etatberatungen gleichzeitig zu einer Aussprache über die beiden Drucksachen (RT-Bd. 359, S. 10930  ff.). Der Untersuchungsausschuß wird gebildet aus den MdR Hertz und Schmidt (SPD), Lange-Hegermann (Zentrum, Vorsitzender). Dauch (DVP), Dernburg (DDP), Helfferich (DNVP), Emminger (BVP) und Frölich (KPD). In der Zeit vom 29. 5. bis 9.7.23 hält der Ausschuß insgesamt 17 Sitzungen ab, davon 8 nichtöffentliche. Die Wortprotokolle von 12 Sitzungen finden sich in den Akten des RFMin. (R 2 /2419 ); in den Akten der Rkei waren lediglich verkürzte Protokolle der Sitzungen vom 29. 5., 4. 6., 6. 6. und 18.6.23 zu ermitteln (R 43 I /2435 , Bl. 246 f. und 2445, R 43 I /2445 , Bl. 148 f., 151-154). Der Abschlußbericht des Ausschusses wird dem RT erst am 11.3.24 vorgelegt (RT-Drucks. Nr. 6591, Bd. 380 ).

Ganz persönlich bitte ich Euer Exzellenz hiermit, die mündlich dargelegte Sorge aussprechen zu dürfen, daß durch die gegen die Wirtschaft erhobene Beschuldigung, aus eigennützigen Gründen die erfolgreich eingeleitete Stützungsaktion vernichtet zu haben, der innere Friede unseres Volkes und seine einheitliche Front zerschlagen wird5. Schon mehren sich die Stimmen, die von einem „Dolchstoß“ sprechen. Sollte sich die außenpolitische Lage ungünstig entwickeln, so können daraus für Staat und Wirtschaft die schwersten Gefahren[461] erwachsen. Behördliche Untersuchungen können mit den behördlichen Mitteln allein nicht den Sachverhalt ganz aufhellen, wenn nicht Industrie, Banken und Handel selbst aus freien Stücken dazu das ihre tun. Es wäre ungewöhnlich, aber wirksam gewesen, wenn zunächst z. B. der Reichsverband der deutschen Industrie erklärt hätte, daß er sich ganz in den Dienst dieser Klarstellung stelle, die namhaftesten Häupter der Industrie sich persönlich zu rückhaltloser Aufdeckung vor Vertrauensmännern der Regierung erboten hätten. Vielleicht ist diese Möglichkeit überholt, vielleicht aber kann sie sogar noch mit der Untersuchung durch den Untersuchungsausschuß verbunden werden6. Euer Exz. wäre ich sehr dankbar, wenn Sie auch, dem im Schreiben vom 26. 4. ausgesprochenen grundsätzlichen Ersuchen entsprechend, auf enges Benehmen des Reichswirtschaftsministeriums mit der Presseabteilung der Reichsregierung hinwirken wollten.

5

Der Entwurf Kempners fährt von hier bis Anm. 6 fort: „Die wirksamste Gegenaktion gegen diese Gefahr erblicke ich darin, daß die bekanntesten und wirtschaftskräftigsten Führer der deutschen Industrie und wenn möglich auch des Handels für die Öffentlichkeit bestimmte formelle Erklärungen abgeben, aus denen die Haltlosigkeit der erhobenen Vorwürfe sich zweifelsfrei ergibt. Wenn ich auch nicht verkenne, daß durch eine solche Aktion nicht alle Vorwürfe und alle Zweifel ausgeräumt werden können, so bin ich doch der Meinung, daß sie einen starken Erfolg der gewünschten Richtung haben würde.“

6

Vor dem RT-Untersuchungsausschuß sagen später aus dem Bereich der freien Wirtschaft aus: die Bankiers Löb, Melchior, Wassermann und Katz; von der Firma Hugo Stinnes die Direktoren Minoux, Kalveram, Lerch sowie Hugo Stinnes jr.; Prokurist Robert Cohn und Rechtsanwalt Bernstein. Lt. Vermerk Kempners vom 28. 4. hatten Stinnes, Siemens und Vögler vor dem RdI „die übereinstimmende und gemeinsame Erklärung abgegeben, daß ihre Konzerne im Monat April mehr Devisen verkauft als gekauft hätten. Stinnes habe dann nach dieser formellen Erklärung noch gesprächsweise gesagt, daß seine Firma in den 3 Tagen, in denen die Schwierigkeiten am Devisenmarkt sich ergaben, zufällig überhaupt keine Devisen gekauft habe. Eine Anregung von Mitgliedern des Reichsverbandes, eine entsprechende Erklärung zu veröffentlichen, hätten die Herren abgelehnt. Mein Gewährsmann meinte, daß diese Ablehnung aus dem eigensinnigen Widerwillen entspränge, auf Anzapfungen der Ullsteinpresse überhaupt zu reagieren.“ (R 43 I /2445 , Bl. 116).

Endlich darf ich bei dieser Gelegenheit auch schriftlich das dringende Ersuchen des Herrn Reichskanzlers übermitteln7, daß der Reichsverband der deutschen Industrie mit größter Beschleunigung in einer öffentlichen Erklärung uneingeschränkt hinter die auswärtige Politik der Reichsregierung und den Inhalt der Note an die alliierten Mächte tritt8.

7

Im Entwurf Kempners heißt es: „Endlich darf ich bei dieser Gelegenheit an die dringende Bitte des Herrn RK, die er mir heute erneut aus Freudenstadt fernmündlich übermittelt hat, erinnern.“

8

Pressechef Heilbron vermerkt am 3. 5.: „Ich habe, da der RK abwesend war, mit Herrn v. Bibra gesprochen, der mich bittet, Ihnen folgende Notiz vom RK zu übermitteln: Der Herr RK lege großen Wert darauf, daß der Reichsverband der deutschen Industrie in dem Sinne, wie es mit dem RM Becker besprochen sei, eine Mitteilung veröffentlicht des Inhalts, daß er hinter der RReg. stehe. Herrn StS Hamm ganz ergebenst vorzulegen.“ Hamm handschriftlich dazu: „Mündlich an Exz. Becker gegeben.“ (R 43 I /36 ). Die gewünschte Erklärung des RdI kommt nicht zustande. Lt. Vermerk v. Maltzans vom 6. 5. schlug dieser dem RdI folgende Erklärung vor: „Die durch den Reichsverband vertretene deutsche Industrie hat die ernstesten Sorgen, ob nicht die in der Note der Deutschen Regierung vom 1. Mai angebotenen Leistungen Deutschlands Leistungsfähigkeit übersteigen. Wenn aber auf dieser oder einer ähnlichen für Deutschland tragbaren Basis eine endgültige Lösung des Reparationsproblems erzielt und damit der Weg zur Freiheit geöffnet wird, so ist die deutsche Industrie entschlossen, mit ihrer ganzen Kraft bei der Durchführung der übernommenen Verpflichtungen mitzuwirken.“ Diese Erklärung hätten Bücher und Sorge akzeptiert, nicht aber Stinnes, der darauf bestand, daß das dt. Angebot „weit über Bergmann-Offerte“ hinausgehe und daher der RdI vom Angebot abrücken müsse (AA Büro RM 5 secr., Reparationen Bd. 2). Den Vermerk v. Maltzans nimmt StS Hamm zur Kenntnis und gibt ihn am 8. 5. an den RAM zurück.

In aufrichtiger Verehrung bin ich Euer Exzellenz ganz ergebener

H[am]m

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