2.205 (feh1p): Nr. 205 Bericht des Auswärtigen Amts über die inoffiziellen Verhandlungen während der Londoner Konferenz. [15. März 1921]

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[564] Nr. 205
Bericht des Auswärtigen Amts über die inoffiziellen Verhandlungen während der Londoner Konferenz. [15. März 1921]1

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Diesen Bericht übersandte das AA Mitte März allen Teilnehmern an der Londoner Konferenz. Mit einem Anschreiben des AA vom 15. 3. erhielt auch der StSRkei ein Exemplar dieses Berichts. In dem Anschreiben war der Bericht als „Streng vertraulich“ gekennzeichnet. Der Bericht selbst war undatiert (R 43 I /18 , Bl. 286).

R 43 I /18 , Bl. 288–304 Umdruck

Unmittelbar nach der Sitzung vom Donnerstag, den 3. März, in der die Alliierten die deutschen Gegenvorschläge als undiskutabel ablehnten und das Ultimatum bis zum Montag stellten2, wurde auf verschiedenen Wegen der Versuch unternommen, sich mit den Gegnern in Verbindung zu setzen. Am Freitag früh [4. 3.] suchte Staatssekretär Schroeder den englischen Botschafter in Berlin, Lord D’Abernon, der im Savoy-Hotel wohnte, auf, um ihn zu fragen, ob er bereit sei, mit dem Minister Simons zu sprechen. Staatssekretär Schroeder erläuterte bei dieser Gelegenheit die deutschen Gegenvorschläge und beseitigte einige Mißverständnisse. Über den Inhalt der Unterredung gibt ein Bericht des Staatssekretärs Auskunft (Anl. 1)3. Lord D’Abernon suchte noch im Laufe des Vormittags, nachdem er mit Lloyd George Fühlung genommen hatte, den Minister Simons auf und erklärte, daß der britische Premier bereit sei, in seiner Wohnung am Sonnabend um 10 Uhr den Reichsminister zu empfangen.

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Zu den in diesem Bericht geschilderten Verhandlungen s. auch die Dok. Nr. 188199. Zum Gang der Londoner Verhandlungen s. ferner RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 137  f. und DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 216 f.

Lloyd George hatte in seiner Rede vom 3. 3. im Namen der Alliierten die dt. Gegenvorschläge vom 1. 3. als unzureichend zurückgewiesen. Sodann hatte er weitgehende Sanktionen für den Fall angekündigt, daß Dtld. die Pariser Beschlüsse nicht bis zum 7. 3. annehmen würde.

Zu der Rede Lloyd Georges und zu den Sanktionen s. RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 153 –167 und DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 257–265.

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Siehe dazu Anlage 1 zu diesem Dok.

Inzwischen war durch Vermittlung der Deutschen Botschaft in London Staatssekretär Bergmann mit Mr. Philip Kerr, dem Privatsekretär Lloyd Georges, in Verbindung gesetzt worden, den er um 1 Uhr in Downing Street aufsuchte. Auch Staatssekretär Bergmann erläuterte eingehend die deutschen Vorschläge und empfahl eine Unterredung zwischen Lloyd George und Minister Simons, um eine weitere Klärung herbeizuführen. Nachmittags um 2½ Uhr am selben Tage suchte Ministerialdirektor v. Simson den französischen Botschafter in Berlin, MLaurent, auf, um die gleichen Schritte bei ihm zu unternehmen. Er erklärte dabei die Bereitwilligkeit des Ministers Simons, mit einem der französischen Delegierten in Fühlung zu treten. Einzelheiten ergeben sich aus der Anlage Nr. 24. Im Laufe des Nachmittags des 4. März wurde von Downing Street mitgeteilt, daß am 5. März, vormittags 10½ Uhr, eine streng geheim zu haltende Besprechung in dem Privathaus von Lord Curzon in Carlton House[565] Terrace Nr. 1 stattfinden sollte, an der die Führer der englischen, französischen und deutschen Delegation mit je einem Berater teilnehmen sollten. Die Besprechung fand abredegemäß am Sonnabend, vormittags 10½ Uhr, statt und dauerte etwa 1½ Stunden. Es nahmen an ihr teil: Lloyd George, Lord Curzon, Lord D’Abernon, Briand, Loucheur, Reichsminister Simons und Staatssekretär Bergmann.

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Siehe dazu Anlage 2 zu diesem Dok.

Über die Besprechung hat der Reichsminister den anliegenden Bericht erstattet (Anlage Nr. 3)5.

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Siehe dazu Anlage 3 zu diesem Dok.

Es wurde schließlich vereinbart, daß am Nachmittag desselben Tages wieder im Hause von Lord Curzon eine Besprechung stattfinden sollte, an der von jeder Seite drei Herren teilnehmen sollten. Die Besprechung begann um 3½ Uhr und schloß gegen 5 Uhr. Die Teilnehmer waren von englischer Seite: Lord D’Abernon, Mr. Fass und Mr. Blackett sowie ein Sekretär; von französischer Seite MLoucheur, MSeydoux und M. Aron; von belgischer Seite MTheunis; von deutscher Seite die Staatssekretäre Bergmann und Schroeder und Ministerialdirektor v. Simson. Die Verhandlungen wurden auf der Gegenseite im wesentlichen von Herrn Loucheur geführt, der die Unterredung mit der Frage begann, welche Leistungen Deutschland eventuell als neue Vorschläge anbieten könnte. Die deutschen Vertreter setzten darauf auseinander, daß man mangels jeglicher Aussicht auf Zustandekommen einer endgültigen Regelung den Gedanken eines Provisoriums wieder aufnehmen müsse. Als ein solches Provisorium empfehle sich vielleicht der Vorschlag, den die alliierten Sachverständigen im Anschluß an die Brüsseler Beratungen gemacht hätten und der daraufhin auch von englischer und französischer Seite bei der Deutschen Regierung angeregt worden sei, nämlich die Zahlung von drei Milliarden Goldmark auf fünf Jahre6. Für Deutschland werde es vielleicht möglich sein, auf diesen Gedanken einzugehen, wenn man die an und für sich nicht erträglichen Lasten eines solchen Abkommens dadurch erleichtere, daß zehn Milliarden von diesen fünfzehn Milliarden durch eine alsbald aufzubringende internationale Anleihe von acht Milliarden Mark abgegolten würden und im übrigen jedes Jahr eine Milliarde Goldmark im wesentlichen durch Sachleistungen geleistet würde. Von der Gegenseite, namentlich von Herrn Theunis, wurde darauf hingewiesen, daß eine solche Regelung dem Bedürfnis der Alliierten auf Beschaffung von Geldmitteln nicht genügen könne. Herr Theunis regte an, ob nicht Deutschland daneben für weitere 25 Jahre die Garantie für eine Goldannuität in Höhe von mindestens drei Milliarden jährlich übernehmen könne. Herr Loucheur erklärte bei dieser Unterredung, daß er einem solchen Gedanken ablehnend gegenüberstehe. Er fragte seinerseits, ob Deutschland bereit sei, für das Provisorium außer den drei Milliarden die Exportabgabe oder ein Äquivalent dafür zu bewilligen. Die Fragen der Herren Theunis und Loucheur wurden von den deutschen Vertretern verneint und damit diese Besprechung abgeschlossen.

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Dies war der sogenannte Vorschlag Seydoux vom 7.1.1921. Siehe dazu Dok. Nr. 156, Anm. 15 und 17.

[566] In internen Beratungen der Deutschen Delegation kam man zu dem Ergebnis, daß eine Einigungsmöglichkeit nur dann gegeben sei, wenn man als Provisorium den Gegnern ein volles Äquivalent für dasjenige biete, was sie nach den Pariser Beschlüssen in den ersten fünf Jahren erhalten würden, d. h. feste Annuitäten von je zwei Milliarden Goldmark in den beiden ersten Jahren und je drei Milliarden Goldmark in den drei folgenden Jahren sowie außerdem den Gegenwert der Exportabgabe von 12%. Als Voraussetzung eines solchen Angebots bezeichnete man aber eine internationale Anleihe, die hinreichende Privilegien erhalte, um billig ausgegeben werden zu können.

Ferner wurde es aus taktischen Gründen für zweckmäßig erachtet, als Zahlungsmodus (nicht als Erhöhung der Annuität) den Gegnern anzubieten, daß sie sich durch einen Abzug von der Einfuhr von Waren aus Deutschland bezahlt machen sollten, etwa in der Weise, daß vielleicht 25% des Gegenwertes der Einfuhr aus Deutschland in den alliierten Ländern an die dortigen Staatskassen bezahlt, den deutschen Verkäufern die Quittung des betreffenden alliierten Schatzamts übergeben und diese Quittung dann von Deutschland eingelöst werden würde6a.

6a

) Diesen Provisoriumsvorschlag übermittelte RAM Simons am Abend des 5. 3. mit dem Telegramm Nr. 50 nach Berlin. Siehe dazu Dok. Nr. 196, Anm. 1.

Ministerialdirektor v. Le Suire, Staatsrat v. Meinel und Ministerialrat Fellinger verneinten die Möglichkeit der Leistung so erheblicher Beträge im Rahmen eines fünfjährigen Provisoriums und meinten, aus innerpolitischen Gründen von einem solchen Angebot abzusehen.

Am Sonntag früh fand zwischen Staatssekretär Schroeder und Lord D’Abernon eine neue Besprechung statt, in der Staatssekretär Schroeder – zunächst als die vorläufige Meinung der Delegation und unter Vorbehalt der endgültigen Stellungnahme der Deutschen Regierung – die vorstehend skizzierten Gedanken entwickelte. Lord D’Abernon brachte diese Gedanken zu Papier; sie sind in Anlage Nr. 4 in englischer Sprache und in deutscher Übersetzung wiedergegeben7. Lord D’Abernon teilte mit, daß er mit Herrn Briand zusammen frühstücken und dann nachmittags mit ihm nach Chequers zu Lloyd George fahren würde. Er stellte einen Bescheid für den Nachmittag in Aussicht. Im Laufe des Spätnachmittags und Abends fanden aber in Downing Street noch mehrere Besprechungen unter den Hauptdelegierten der Alliierten statt8.

7

Siehe dazu Anlage 4 zu diesem Dok.

8

Zu diesen Besprechungen der all. Delegationen untereinander s. DBFP, 1st Series, Vol. XV, p. 295–312.

Kurz vor Mitternacht hatten Lord D’Abernon und Loucheur nochmals eine Besprechung mit den Staatssekretären Bergmann und Schroeder und Ministerialdirektor v. Simson. Minister Loucheur teilte hierbei mit, daß ein Provisorium nicht in Frage komme. Es könnten zwei Lösungen in Erwägung gezogen werden:

a)

Anstelle der in den Pariser Vorschlägen vorgesehenen Annuitäten und der 12%igen Ausfuhrabgabe Jahresleistungen von drei Milliarden fest und dazu eine Zusatzleistung von 25% des Ausfuhrwertes; oder

b)

[567]eine Bemessung der Gesamtannuitäten in Prozentsätzen des Ausfuhrwertes z. B. 40% und Festsetzung einer Mindestannuität von 3 oder 3½ Milliarden.

Diese Leistungen sollten hinzutreten zu allen bisherigen Leistungen bis zum 1. Mai 1921. Die Ratifizierung durch den Reichstag müsse in ganz kurzer Zeit erfolgen, möglichst innerhalb acht Tagen. Von den vier Vorbehalten, die in der Vormittagsbesprechung gemacht seien (Oberschlesien, Handelsfreiheit, keine Kreditsperre, keine Zollkontrolle) könne nichts zugegeben werden. Über die Einräumung einer Priorität für eine von Deutschland unterzubringende Anleihe vor den Rechten der Alliierten aus Artikel 248 des Friedensvertrages ließe sich sprechen9.

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Zu Art. 248 VV vgl. Dok. Nr. 201, Anm. 12.

Die deutschen Vertreter stellten in Aussicht, eine Antwort auf die Anregung des Herrn Loucheur am nächsten Montag um ¾ 10 Uhr zu geben und besprachen das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen mit dem Führer der Delegation. Zur festgesetzten Stunde am Morgen des 7. März unterhandelten dann Staatssekretär Schroeder und Ministerialdirektor v. Simson mit Herrn Loucheur und Lord D’Abernon. Der Inhalt ihrer Äußerungen wurde von Herrn Loucheur fixiert und ist in der Anlage Nr. 5 im französischen Text nebst einer deutschen Übersetzung wiedergegeben10.

10

Siehe dazu Anlage 5 zu diesem Dok.

Eine weitere vertrauliche Besprechung hatte zum Schluß der Reichsminister mit Lord D’Abernon bei Gelegenheit seines Gegenbesuchs im Hotel Savoy am 8. März, mittags 12 Uhr. Der Verlauf des Gesprächs ist in der Anlage Nr. 6 geschildert11.

11

Siehe dazu Anlage 6 zu diesem Dok.

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