2.9.1 (lut1p): 1. Deutsch-französische Wirtschaftsverhandlungen.

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1. Deutsch-französische Wirtschaftsverhandlungen.

Geheimrat Ernst berichtete über die Lage1 und empfahl, da es unmöglich sei, gegenwärtig in Paris weiterzukommen, die Verhandlungen freundschaftlich[27] auf ungefähr drei Monate zu vertagen. Dadurch werde gleichzeitig einerseits der französischen Regierung die Möglichkeit gegeben, ihre Zolltarifnovelle verabschieden zu lassen und zum anderen könne die Deutsche Regierung die erforderlichen zolltariflichen Arbeiten bis dahin zu einem Abschluß bringen2.

1

Verhandlungen über den Abschluß eines dt.-frz. Wirtschaftsabkommens waren bereits im Oktober 1924 aufgenommen worden, da mit Ablaufen der fünfjährigen Periode (10.1.25), in der Frankreich auf Grund der Art. 264–267 und 280 des VV das einseitige Meistbegünstigungsrecht im Handelsverkehr mit Dtld. beanspruchen konnte, ein vertragsloser Zustand eintreten würde. Am 1.1.25 wurde dem dt. Verhandlungsleiter, StS Trendelenburg, der frz. Entw. eines provisorischen Wirtschaftsabkommens übergeben, dessen Hauptbedingungen wie folgt lauten: 1) Dtld. gewährt Frankreich die Meistbegünstigung und erhält für bestimmte Waren den frz. Minimaltarif, für andere einen Zwischentarif. 2) Dtld. hebt Einfuhrverbote gemäß noch zu überreichender Warenliste auf und gewährt Frankreich Einfuhrkontingente, die Meistbegünstigung genießen. 3) Dtld. erklärt sich bereit, eine Anzahl elsaß-lothringischer Warenkontingente zollfrei einzuführen (Telegramm Trendelenburg und Hoesch an AA vom 1.1.25 in: Pol. Arch. des AA, Büro RM 7, Frankreich, Bd. 5). – Trendelenburg, zur Berichterstattung nach Berlin berufen, teilte in der Kabinettssitzung am 8. 1. mit, daß die dt. Delegation das frz. Provisorium abgelehnt habe. Die Ablehnung sei dadurch erleichtert worden, „daß die Basis der Verhandlungen durch das Verhalten der Franzosen in den letzten Tagen völlig verschoben worden sei. Die Franzosen hätten nicht bloß neuerdings erklärt, daß die Annahme der französischen Tarifnovelle vor Abschluß der Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland nicht in Frage käme, sondern sogar in den Verhandlungen der Sachverständigen zum Ausdruck gebracht, daß bei Nichtabschluß eines Handelsvertrags mit noch wesentlich höheren Sätzen als den in der Novelle vorgesehenen zu rechnen sei. Die Frage des Provisoriums sei daher zunächst erledigt.“ (R 43 I /1398 , Bl. 17-22, s. auch in dieser Edition: Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 388, P. 1).

2

Die Ausführungen Ernsts stimmen sinngemäß mit den Empfehlungen überein, die er am 18. 1. telegrafisch aus Paris an das AA übermittelt hatte (R 43 I /1119 , Bl. 63 f.).

Der Reichswirtschaftsminister wies darauf hin, daß das Kabinett immer davon ausgegangen sei, einem Provisorium könne nur dann zugestimmt werden, wenn die Aussicht auf ein befriedigendes Definitivum bestände. Auf die Frage nach der Art des Definitivums habe jetzt endlich die französische Regierung in der neuen Note eine Antwort erteilt, die klar erkennen lasse, daß sich die Französische Regierung das Definitivum in einer Form vorstelle, die für Deutschland unerträglich sei3. Außerdem sei aber auch der Charakter des vorgeschlagenen Provisoriums derart, daß es Deutschland nicht annehmen könne4. Es entstehe nun die Frage, wie jetzt verfahren werden solle. Er komme unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, daß die Verhandlungen freundschaftlich vertagt, daß daneben aber keine Kampfmaßnahmen seitens Deutschlands ergriffen werden sollten, die es später nur erschweren würden, die Verhandlungen wieder neu aufzunehmen. Er glaube bestimmt, daß auch ohne Kampfmaßnahmen für eine spätere Zeit eine günstigere Basis erzielt werde.

3

Zur Frage der zukünftigen frz. Zollpolitik gegenüber Dtld. heißt es in einer Note, die der frz. Handelsminister Raynaldy StS Trendelenburg am 26.1.25 übergeben hatte: „Aber wenn im Verlauf der Verhandlungen für das endgültige Abkommen als feststehend erkannt wird oder sich herausstellt, daß – selbst ohne Berücksichtigung der außergewöhnlichen Arbeitsmethoden oder künstlichen Verkaufsbedingungen, die schon gesetzmäßig einen Ausgleich oder eine Benachteiligung gestatten würden – gewisse deutsche Artikel unter normalen Umständen und einzig und allein auf Grund der günstigen deutschen Wirtschaftsbedingungen zu viel günstigeren Preisen […] produziert oder angeboten werden können, dann erhebt sich die Frage, ob diese bevorzugte Lage durch einen Zwischentarif ausgeglichen werden kann.“ (Abschrl. vom AA an die Rkei am 29. 1. in R 43 I /1119 , Bl. 78-87).

4

Für das Provisorium stellt die frz. Note (s. Anm. 3) u. a. in Aussicht: (a) Die Möglichkeit der Gewährung der gegenwärtigen frz. Minimaltarife für Rohstoffe und Lebensmittel sowie für eine begrenzte Zahl von Fertigprodukten der Maschinen- und Glasindustrie. (b) Gewährung des Minimaltarifs für Artikel der Elektroindustrie nur in ganz wenigen Ausnahmen, da diese in Dtld. unter Bedingungen hergestellt würden, die durch den frz. Minimaltarif im allgemeinen nicht ausgeglichen werden könnten.

Der Reichsminister der Finanzen schloß sich dieser Auffassung an.

Ministerialdirektor Ritter glaubte, daß noch nicht alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Insbesondere empfehle er mit Rücksicht auf den Schlußteil der letzten französischen Note, der ein Appell an die Deutsche Regierung sei, nunmehr ihrerseits die erforderlichen Schritte zu tun, um zu[28] einem befriedigenden Endergebnis zu gelangen5, jetzt den theoretischen Streit über Prinzipien beiseite zu lassen und einmal durch Verhandlungen über die einzelnen Positionen zu versuchen, wieweit denn tatsächlich die beiderseitigen Auffassungen praktisch auseinander seien.

5

Der Schlußsatz der frz. Note (s. Anm. 3) drückt die Hoffnung aus, daß die Verhandlungen bald wieder aufgenommen und zu beiderseits befriedigenden Ergebnissen geführt werden könnten.

Der Reichsarbeitsminister hielt es für nicht möglich, sich jetzt schon zu entscheiden. Aus der neuesten Note der Französischen Regierung könne noch nicht ersehen werden, inwieweit das vorgeschlagene Provisorium für uns ungünstig sei. Auch sei noch nicht zu übersehen, wie sich die Franzosen eine Berücksichtigung der deutschen Produktionsverhältnisse dächten.

Der Reichsminister des Auswärtigen unterstrich die Bedenken gegen eine Unterbrechung der Verhandlungen, die sich aus dem Schlußsatz der französischen Note ergäben. Es habe den Anschein, als ob dieser Satz gerade mit Rücksicht auf diese Möglichkeit einer Unterbrechung geschrieben sei.

Ministerialdirektor Denhard sprach sich für die Auffassung des Ministerialrats Ernst aus.

Ministerialrat Ernst erklärte, daß es sich nicht nur um Prinzipienstreitereien bei den Verhandlungen in Paris gehandelt habe, es seien vielmehr sämtliche Positionen teils durch die Sachverständigen beider Parteien, teils durch die beiden Delegationen durchgesprochen worden. Es sei auch in einigen Punkten Übereinstimmung erzielt worden. Jetzt handele es sich aber nur noch um die ganz großen Fragen, bei denen beide Parteien Farbe bekennen müßten, und hier sei eine Einigung nicht möglich. Ein Fortsetzen irgendwelcher Verhandlungen erscheine ihm zwecklos.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt es ebenfalls für unmöglich, jetzt weiter zu verhandeln. Unter keinen Umständen dürften wir auf dem Gebiet der Handelspolitik die Möglichkeit aus der Hand geben, einen starken Druck auf Frankreich auszuüben. Er könne sich nicht vorstellen, daß durch eine Unterbrechung die Lage schlechter werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen empfahl, da es sich hier um einen politisch äußerst bedeutsamen Schritt handle, vor einer Beschlußfassung des Kabinetts Staatssekretär Trendelenburg persönlich zu hören.

Der Reichskanzler stimmte dieser Auffassung bei. Er ersuchte das Auswärtige Amt, dafür zu sorgen, daß umgehend den Mitgliedern des Kabinetts die letzte Note der französischen Delegation und das Telegramm Trendelenburgs – die Note deutsch und französisch – zugestellt werde.

Das Kabinett war damit einverstanden und beschloß, Staatssekretär Trendelenburg sofort nach Berlin zur Berichterstattung zu berufen6.

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Zum Bericht Trendelenburgs in der Kabinettssitzung am 31. 1. s. Dok. Nr. 13.

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