2.160.1 (ma11p): [Finanzielle Fragen der Gemeinden des besetzten Gebiets.]

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[Finanzielle Fragen der Gemeinden des besetzten Gebiets2.]

2

In dieser Besprechung sollten die Anträge erörtert werden, die OB Adenauer namens des Verbandes der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets in seiner Denkschrift vom 14. 3. gestellt hatte (vgl. Dok. Nr. 150, Anm. 11). In der Denkschrift wird die Fortführung der finanziellen Hilfsaktion des Reichs und der Länder zugunsten der Gemeinden des besetzten Gebiets über den 1.4.24 hinaus verlangt. Im einzelnen handelt es sich u. a. um die Weiterzahlung von Besoldungszuschüssen, um weitere Sonderzuweisungen von Reichs- und Landessteuereinnahmen aus dem besetzten Gebiet an die Gemeinden, um Zuschüsse zu den Sozialausgaben der Gemeinden.

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung.

Oberbürgermeister Dr. Johansen (Krefeld): Der deutschen Wirtschaft im besetzten Gebiet gehe es jetzt eher noch schlechter als früher, trotz der Abnahme der Erwerbslosigkeit. Infolgedessen sei auch die finanzielle Lage der Gemeinden des besetzten Gebiets noch schlechter geworden. Den Gemeinden des besetzten Gebiets sei vom Reichsminister der Finanzen die Überweisung von Reichs- und Landessteuern in Aussicht gestellt worden3. Die Anteile an diesen Steuern seien aber nur zu einem kleinen Teile in die Kassen der Gemeinden[507] gelangt. Die Einkommensteuer sei auch nur mit Ausnahme des Aufkommens aus dem Kleben von Steuermarken überwiesen worden. Den Gemeinden sei die Überweisung von 50% des Aufkommens aus der Grundvermögenssteuer überwiesen4 worden. Die Steuer sei jedoch im besetzten Gebiet nicht zugelassen worden, so daß die Gemeinden aus dieser Steuer nichts erhalten hätten. Die Personalabbauverordnung werde im besetzten Gebiet noch nicht durchgeführt, da die Besatzungsmächte sich eine genaue Kontrolle des Abbaues vorbehalten hätten. Infolgedessen könnten die Gemeinden auf diese Weise auch keine Ersparnisse erzielen. Er müsse bitten, daß den Gemeinden mindestens das verbleibe, was ihnen im Dezember 1923 versprochen worden sei. Im einzelnen müßten die inzwischen abgebauten Besoldungszuschüsse5 wieder eingeführt werden und so lange aufrechterhalten bleiben, als die Abbauverordnung im besetzten Gebiet nicht durchgeführt werde. Es dürften ferner die durch § 42 der dritten Steuernotverordnung den Gemeinden aufgebürdeten Lasten den Gemeinden so lange nicht obliegen, als die 3. Steuernotverordnung im besetzten Gebiet nicht eingeführt sei6.

3

S. hierzu im einzelnen Dok. Nr. 164, Anm. 15.

4

Statt „überwiesen“ müßte es sinngemäß heißen „in Aussicht gestellt“.

5

Nach § 39, Ziffer 14 der 3. SteuerNotVO vom 14.2.24 (RGBl. I, S. 83 ) fallen die Besoldungszuschüsse des Reichs an Länder und Gemeinden zum 1.4.24 gänzlich fort.

6

Zur Zulassung der 3. SteuerNotVO vom 14.2.24 durch die Irko vgl. Dok. Nr. 117, Anm. 11.

Der Reichskanzler Er verkenne keineswegs die außerordentlich schwierige Lage der Gemeinden des besetzten Gebiets, aber auch die finanzielle Lage des Reichs sei schlecht. Im Januar habe das Reich in finanzieller Hinsicht außerordentlich schwierige Zeiten durchgemacht. Auch jetzt könne das Reich noch nichts Nennenswertes leisten. Die mit den Sachverständigen gepflogenen Verhandlungen habe man vielleicht in Deutschland zu optimistisch begrüßt. Die Forderungen der Gegenseite, die bis jetzt laut geworden seien, könnten nicht angenommen werden. Man könne nur mit den allerschärfsten Befürchtungen in die Zukunft sehen.

Der Reichsminister der Finanzen Der Haushaltsplan für 1924, der auch mit der Fortdauer der Besatzungslasten in gewissem Umfange und der Lasten aus dem Versailler Vertrage rechne, weise ein Defizit von 437 Millionen Mark auf. Von einer Balancierung des Etats könne daher keine Rede sein. In steuerlicher Beziehung müsse er bemerken, daß die den Ländern und Gemeinden zugewiesenen Steuern besser flössen, als man geschätzt habe, die dem Reiche zugewiesenen Steuern jedoch schlechter eingingen oder günstigstenfalls ebenso wie veranschlagt. Wenn die Gemeinden des besetzten Gebiets einen sorgfältigen Überblick über ihre Einnahmen und Ausgaben vorgelegt hätten, dann hätte er sich ein Urteil bilden können. So aber sei das ganz unmöglich. Die finanziellen Verhältnisse der einzelnen Gemeinden im besetzten Gebiet seien ganz verschieden. Über die künftige Gestaltung der Reichsfinanzen lasse sich gar nichts Genaues voraussagen. Das Reich könne nur für den Monat April einen gewissen Zuschuß in Aussicht stellen. Von einer Fortzahlung der Besoldungszuschüsse könne nicht die Rede sein, da diese nur während der Geldentwertung gegeben worden seien.

[508] Staatssekretär Zapf (Reichsfinanzministerium): Das Reich habe den Gemeinden des besetzten Gebietes 10% des Aufkommens aus der Einkommen- und Körperschaftssteuer und 25% des Aufkommens aus der Umsatzsteuer unmittelbar überwiesen7. Die Beträge an Einkommensteuer, die durch Kleben von Steuermarken eingingen, seien so gering, daß sie den Gemeinden des besetzten Gebiets nicht überwiesen worden seien, zumal die Unkosten für die Überweisung ziemlich hoch seien.

7

Vgl. hierzu Dok. Nr. 164, Anm. 15.

Ministerialdirektor v. Schlieben (Reichsfinanzministerium): Auch er müsse betonen, daß lediglich der Währungsverfall den Grund für die Zahlung der Besoldungszuschüsse seitens des Reichs gebildet habe. Für die Erfüllung der den Gemeinden des besetzten Gebiets obliegenden Fürsorgemaßnahmen könnten aus dem dem Reichsarbeitsministerium zur Verfügung gestellten Betrage von 50 Millionen Rentenmark den Gemeinden des besetzten Gebiets Vorschüsse gegeben werden.

Der Reichsminister der Finanzen Er müsse im allgemeinen noch folgendes bemerken: Durch die dritte Steuernotverordnung sei eine genaue Abgrenzung zwischen Reich, Ländern und Gemeinden in steuerlicher Beziehung vorgenommen worden8. Für die Ansprüche, die jetzt an das Reich gestellt würden, sei das Reich nicht passiv legitimiert. Auch könne das Reich nicht mehr helfen. Allein die Länder könnten beurteilen, wie die finanzielle Lage in den Gemeinden des besetzten Gebiets sei.

8

Vgl. Art. V (Finanzausgleich) der 3. SteuerNotVO vom 14.2.24 (RGBl. I, S. 82  ff.).

Bürgermeister Dr. Fischer (Dortmund): Er wundere sich sehr darüber, daß finanzielle Fragen der Gemeinden des besetzten Gebiets als nichtdeutsche Fragen bezeichnet würden. Wenn Preußen die Anforderungen der Kommunen auch ablehne, dann hätten sie nirgends auf eine Hilfe zu rechnen. Es sei den Gemeinden unmöglich, die Grund- und Gewerbesteuer noch stärker anzuspannen. Die sozialen Leistungen, die den Gemeinden oblägen, seien sehr umfangreich. Es sei den Gemeinden unmöglich, ihre steuerlichen Einnnahmen zu erhöhen.

Der Vizekanzler Ein Teil der zur Erörterung gestellten Fragen gehöre zur Kompetenz der Länder, ein Teil jedoch auch zur Kompetenz des Reichs. Aus diesem Grunde habe die Reichsregierung eine Besprechung mit Vertretern des besetzten Gebiets auch nicht abgelehnt.

Der Reichsminister der Finanzen Das Reich sei in seinen Einnahmen unbeweglicher als die Länder. Irgendwelche Entscheidungen ohne genauen Einblick in die finanziellen Verhältnisse der einzelnen Kommunen könne er nicht treffen.

Bürgermeister Dr. Ehrhard (Mainz): Aus der Tatsache, daß die Länder über die Finanzgebarung der Gemeinden leichter eine Kontrolle ausüben könnten, könne man nicht die Folgerung ziehen, daß die Länder den Kommunen finanziell helfen müßten. Er habe für die Stadt Mainz mit der hessischen Regierung verhandelt. Es dürfte bekannt sein, daß Hessen zu über 50% besetzt sei. Es sei infolgedessen selbstverständlich, daß die hessische Regierunq dem besetzten Gebiet nicht helfen könne. Sachsen und Württemberg z. B. merkten nichts von[509] der Besatzung. Es sei nur gerecht, wenn auch diese Länder zur Tragung der allgemeinen Lasten, die durch die Besatzung entstünden, herangezogen würden. Anfänglich habe die Besatzung auch Geld ins Land gebracht, heute bringe sie nur Lasten. Sache des Reichs sei es zu helfen, nicht Sache der Länder.

Der Reichsminister der Finanzen Wenn das Reich helfen solle, dann müsse der neue Reichstag die bestehenden Gesetze, insbesondere die 3. Steuernotverordnung, abändern.

Der Reichskanzler Er bitte dringend, der schlechten Finanzlage des Reichs Rechnung tragen zu wollen.

Finanzrat Helferich (Preuß. Finanzministerium): Preußen habe es begrüßt, daß die Gemeinden des besetzten Gebiets in Vorverhandlungen mit der preußischen Regierung getreten seien. Die Kompetenzen wolle er dermaßen abgrenzen, daß die Fürsorge für die Gemeinden Sache des Reichs, die Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel auf die einzelnen Gemeinden Sache der Länder sei. Von dem den Ländern zustehenden Anteil an dem Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer habe Preußen 7% mehr überwiesen als vorgeschrieben.

Justizrat Mönnig: Das ganze deutsche Volk müsse zu dieser Art von Kriegskosten beitragen.

Freiherr v. Biegeleben: Er bitte die Reichsregierung, ihm Gelegenheit zu geben, möglichst bald über die besondere Lage Hessens mit ihr zu beraten.

Der Reichskanzler sagte dies zu.

Oberbürgermeister Dr. Johansen (Krefeld): Es liege ihm am Herzen, auf die besonders schlechte finanzielle Lage der Gemeinden hinzuweisen, in denen Firmen ihren Sitz hätten, die auf Grund von Micum-Verträgen an die Besatzungsmächte Sachleistungen tätigten.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß er schon seit langem diesen Gemeinden seine besondere Aufmerksamkeit widme.

Der Vizekanzler schlug vor, die in der Eingabe des Verbandes der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets vom 14. März 1924 gestellten Anträge9 einzeln durchzuberaten.

9

Vgl. oben Anm. 2.

Nach kurzer Aussprache erklärte es der Reichskanzler für notwendig, daß die Reichsregierung demnächst über diese Anträge sich mit einem engeren von dem Verbande der Stadt- und Landkreise zu benennenden Ausschuß von 5 Personen berate. Die Versammlung war hiermit einverstanden. Die Besprechung wird am Freitag, dem 4. April, vorm. 11 Uhr, in der Reichskanzlei stattfinden10.

10

Zum Ergebnis dieser Besprechung s. Dok. Nr. 164, Anm. 17.

Vorher, nämlich am Montag, dem 31. März, nachm. 4 Uhr, soll im Reichsfinanzministerium eine Besprechung mit den Ländern zur Herbeiführung einer Einigung über die grundsätzliche Haltung gegenüber den Anträgen des Stadt- und Landkreisverbandes stattfinden.

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