2.17 (ma11p): Nr. 17 Übersicht über die Hauptfragen des besetzten Gebiets und die Entscheidungen des Reichskabinetts. 10. Dezember 1923

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Nr. 17
Übersicht über die Hauptfragen des besetzten Gebiets und die Entscheidungen des Reichskabinetts. 10. Dezember 19231

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Diese Übersicht, die im RMinbesGeb. angefertigt wurde, faßt die Beschlüsse und Ergebnisse der bisherigen Kabinettsberatungen über Fragen des besetzten Gebiets zusammen (vgl. Dok. Nr. 3, 6, 9, 11, 12). Sie wird in der Kabinettssitzung vom 11. 12. besprochen (Dok. Nr. 18).

R 43 I /1390 , Bl. 152-154 Umdruck

I. Währungsfragen.

Einführung der Rentenmark.

Die amtliche Einführung im besetzten Gebiet soll nicht erfolgen, weil nach dem bisherigen Verhalten der Besatzungsbehörde die Gefahr der Beschlagnahme besteht und weil die Fundierung der Rentenmark im besetzten Gebiet bis jetzt weder erfolgt noch in Aussicht gestellt ist. Gegen die Verwendung der[79] Rentenmark im Postscheckverkehr zwischen dem besetzten und unbesetzten Gebiet bestehen keine Bedenken.

Gewährung von Rentenmarkkrediten an die Wirtschaft.

Die Entscheidung muß der Rentenbank selbst überlassen bleiben. Die Reichsregierung hat auf diese Entscheidung keinen Einfluß.

Notgeldannahme durch die Reichsbank.

Die seitherige Notgeldwirtschaft im besetzten Gebiet muß unbedingt so schnell als möglich zu Ende geführt werden, weil sie eine völlige Zerrüttung der Währung mit sich bringt. Jedoch soll das Reichsbankdirektorium ersucht werden, sich auf der Grundlage der Vorschläge des Reichswährungskommissars Dr. Schacht über einen kurzfristigen Übergang zu verständigen.

Schaffung wertbeständigen Notgeldes.

Die Schaffung von wertbeständigem Notgeld auf der vom Reichsfinanzminister mit den Vertretern des besetzten Gebiets vereinbarten Grundlage soll unverzüglich mit allem Nachdruck durchgesetzt werden. Den Gemeinden und Kommunalverbänden des besetzten Gebiets soll durch Verordnung die Befugnis beigelegt werden, im Wege eines einfachen Gemeindebeschlusses die Zahlung aller Abgaben und Gebühren an die Gemeinde mit wertbeständigem Notgeld anzuordnen.

Stellungnahme zur Rheinischen Goldnotenbank.

Gegen die Errichtung der geplanten Rheinischen Goldnotenbank bestehen bei der Reichsregierung und der preuß. Staatsregierung erhebliche Bedenken. Eine Währungstrennung zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet darf unter keinen Umständen eintreten. Das Reichskabinett setzt die endgültige Beschlußfassung über die Frage der Goldnotenbank bis nach weiterer Klärung der gegenwärtigen Stellungnahme der Wirtschaftskreise des besetzten Gebiets und des Standes der Verhandlungen mit den ausländischen Finanzgruppen aus.

II. Finanzfragen.

Schaffung von Einnahmen aus dem besetzten Gebiet.

Die Finanz- und insbesondere die Steuergesetze und Verordnungen des Reiches sollen der Rheinlandkommission und, soweit als nötig, auch dem General Degoutte vorgelegt werden.

Schaffung von Einnahmen für die Gemeinden.

Die Reichsanteile an der Einkommen- und Körperschaftssteuer sowie die Hälfte des Reichsanteiles an der Umsatzsteuer sollen den Gemeinden, in deren Bezirk sie aufkommen, als Kassenvorschuß überlassen bleiben. Vorbehalten bleibt dabei ausdrücklich die spätere Verrechnung auf die Erstattungen und Überweisungen des Reichs, insbesondere auf die Besoldungszuschüsse.

III. Ernährungsfragen.

Das Reichskabinett nimmt Kenntnis von der Erklärung des Reichsernährungsministers, daß die Lebensmittelversorgung des besetzten Gebietes, insbesondere[80] die Brotversorgung, für die nächsten Wochen gesichert ist und die Anlieferung weiterer Getreidemengen an die Mühlen des besetzten Gebiets in der bisherigen Weise auch über Ende Dezember hinaus erfolgen soll.

IV. Erwerbslosenfürsorge.

Das besetzte Gebiet soll bei der Erwerbslosenfürsorge nach gleichen Grundsätzen wie das übrige Deutschland behandelt werden.

Die im Übergangsetat für die Durchführung der Erwerbslosenfürsorge bis 31. März 1924 vorgesehenen 340 Millionen Goldmark sollen nach Erschöpfung der für die Erwerbslosenfürsorge im besetzten Gebiet zunächst ausgeworfenen 88 Millionen Goldmark gleichmäßig für das besetzte und unbesetzte Gebiet zur Verfügung gestellt werden, und zwar mit der Maßgabe, daß Länder und Gemeinden zu den kontingentierten Reichszuschüssen mindestens in Höhe ihrer gesetzlichen Anteile beisteuern. Die Kurzarbeiterfürsorge soll abgebaut werden. Es soll ferner die Gewährung von Erwerbslosenfürsorge verweigert werden, wenn vorhandene Arbeit ohne triftigen Grund nicht angenommen wird. Die Verordnung betreffend Aufbringung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge vom 15. Oktober 1923 soll unverzüglich der Rheinlandkommission und dem General Degoutte zwecks Zulassung im besetzten Gebiet vorgelegt werden.

Im übrigen sollen die bereits eingeleiteten karitativen Maßnahmen so nachdrücklich wie möglich betrieben und vom Reichswirtschaftsminister alle sachdienlichen Mittel angewandt werden, um namentlich durch entschlossenes Vorgehen gegen Ausschreitungen des Kartellwesens eine Senkung des Preisniveaus zu erreichen.

Denjenigen Gemeinden, denen wegen der Separatistenherrschaft die Zahlungen gesperrt waren, sollen die von den gesetzmäßigen Behörden entsprechend den maßgebenden Bestimmungen gemachten Aufwendungen für Erwerbslosenfürsorge und andere rechtmäßige Leistungen erstattet werden, soweit nach näherer Prüfung durch den Reichsfinanzminister die Kosten für das Reich tragbar sind. Die Erstattung soll in langfristigen Schatzanweisungen des Reichs erfolgen.

V. Besatzungslasten.

Der Reichsaußenminister wird beauftragt, unverzüglich Verhandlungen mit den Besatzungsmächten einzuleiten mit dem Ziele, für die Dauer der in der Durchführung begriffenen Aktion zur Sanierung der Reichsfinanzen eine Einstellung der Leistungen an die Besatzungstruppen zu erreichen. Dabei soll auf die verzweifelte Finanzlage des Reichs und auf die Unmöglichkeit, die Sanierungsaktion bei Fortsetzung der Zahlungen im bisherigen Umfange aufrechtzuerhalten, hingewiesen werden. Es soll weiter den Besatzungsmächten ausdrücklich mitgeteilt werden, daß die Reichsregierung spätestens Ende Dezember ds. Js. über die Frage der weiteren Tragung der Besatzungskosten endgültigen Beschluß fassen müsse.

Unabhängig von dem Erfolg der Verhandlungen des Reichsaußenministers soll die Bezahlung der Besatzungskosten nur noch in Höhe des vom Reichsminister[81] der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister für die besetzten Gebiete festgesetzten Kontingents stattfinden.

VI. Fürsorgemaßnahmen.

Die Fürsorge für Gefangene und für die ausgewiesenen Beamten und Privatpersonen soll mit der Maßgabe weitergeführt werden, daß im Hinblick auf die Finanzlage auf Einschränkungen und Ersparnisse bei der Ausgewiesenen-Fürsorge noch strenger als bisher hingewirkt werden soll.

Die Kosten für die Verteidiger von deutschen Staatsangehörigen, die vor die Militärgerichte der Besatzungsmächte gezogen werden, sollen in angemessenem, vom Reichsminister für die besetzten Gebiete im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen festzusetzenden Umfang erstattet werden.

Die Entscheidung über die Einstellung der Fürsorge für die freien Berufe bleibt vorbehalten.

VII. Entschädigungsfragen.

Für das Sonderverfahren und für die Ansprüche aus dem Okkupationsleistungsgesetz, dem Personenschädengesetz und den Richtlinien für die Entschädigung der Ausgewiesenen bleiben die bisherigen Entscheidungen des Reichskabinetts mit den darin vorgesehenen Einschränkungen aufrechterhalten.

VIII. Politische Fragen.

Außenpolitische Maßnahmen.

Der Reichsaußenminister wird beauftragt, unverzüglich einen erneuten Versuch zu machen, mit den alliierten Mächten in Verhandlungen von Regierung zu Regierung über die durch den Ruhreinbruch aufgeworfenen politischen und wirtschaftlichen Fragen zu kommen. Dabei soll geltend gemacht werden, daß mit dem Abschluß der Micum-Verträge, der Wiederaufnahme der Markvorschuß-Zahlungen und der sonstigen Leistungen an die Besatzungstruppen und dem Mainzer Abkommen über die Eisenbahnfrage auch nach französischer Auffassung der passive Widerstand restlos beseitigt sei, so daß einem Verhandlungsbeginn Hindernisse nicht mehr im Wege ständen.

Ferner wird der Reichsaußenminister gebeten, über die sofortige Aufhebung des Einreiseverbots für die Reichs- und Landesminister Verhandlungen aufzunehmen.

Verhandlungen in Koblenz.

Mit Rücksicht auf die von der Reichsregierung beschlossenen außenpolitischen Schritte sollen die Vertreter des besetzten Gebietes aufgefordert werden, bis auf weiteres von allen Verhandlungen und Fühlungnahmen mit Herrn Tirard oder mit anderen Vertretern der Besatzungsmächte unbedingt Abstand zu nehmen.

Staatsrechtliche Fragen.

Die Reichsregierung steht in voller Übereinstimmung mit dem Preußischen Staatsministerium auf dem Standpunkt, daß staatsrechtliche Veränderungen des[82] besetzten Gebiets nur auf verfassungsmäßigem Wege vollzogen werden könnten. Sie lehnt daher nachdrücklichst jede Ermächtigung zu Schritten ab, welche außerhalb des in der Reichsverfassung vorgesehenen Weges staatsrechtliche Veränderungen des besetzten Gebietes vollziehen oder vorbereiten würden.

Stellungnahme zum 60er-Ausschuß.

Für die Tätigkeit des 60er-Ausschusses der Bevölkerung des besetzten Gebiets sollen klare Richtlinien schriftlich festgelegt und zur Kenntnis der Mitglieder des Ausschusses gebracht werden. Es soll in diesen Richtlinien vor allem festgestellt werden, daß der 60er-Ausschuß sich aller staatsrechtlichen Schritte und aller Verhandlungen mit Vertretern der Besatzungsmächte über staatsrechtliche Fragen grundsätzlich zu enthalten hat.

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