2.13.1 (ma31p): Innerpolitische Umtriebe.

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Innerpolitische Umtriebe1.

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Auf Grund von Nachrichten über rechtsradikale Diktaturpläne hatte die pr. Polizei am 11. und 12.5.26 bei verdächtigen Personen und Verbänden Haussuchungen vorgenommen. Von der Durchsuchungsaktion betroffen waren führende Mitglieder des Alldeutschen Verbandes, der Vereinigten Vaterländischen Verbände, des Nationalverbandes deutscher Offiziere, des Bundes der Großdeutschen, der Bünde Wiking, Wehrwolf und Olympia, außerdem prominente westdeutsche Wirtschaftsführer wie Vögler, Kirdorf, Wiskott, Winkhaus und Frhr. v. Lüninck. Am 12. 5. gab der „Amtliche Preußische Pressedienst“ bekannt: „Die Tätigkeit der vaterländischen Verbände, die in letzter Zeit die Öffentlichkeit wiederholt beschäftigte, wird, wie bereits seit einiger Zeit erkennbar ist, von einem Kreis politischer Persönlichkeiten nach außen unsichtbar geleitet. Die Durchsuchungen ergaben, daß dieser Kreis einen genauen Plan für die Herbeiführung der Diktatur festgelegt hat. Diese Diktatur sollte dadurch ermöglicht werden, daß nach dem über kurz oder lang zu erwartenden Rücktritt der gegenwärtigen Reichsregierung [Luther] – gedacht war vor allem an die Fürstenenteignung – eine vom Reichspräsidenten ernannte Regierung von Außenseitern nach Ablehnung eines Vertrauensvotums den Reichstag auflöst und die Zeit bis zur Neuwahl zur Mobilisierung der vaterländischen Verbände im Rahmen der Reichswehr nützt. Sofern eine genügend starke Hausmacht bereit stand, beabsichtigte man, nach freiwilligem Rücktritt des Reichspräsidenten, an dessen Stelle verfassungsmäßig der Reichskanzler zu treten hätte, die Diktatur herbeizuführen. Das erste Manifest der Regierung sah die Aufhebung der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 und der Länderverfassungen vor. Die für die Durchführung dieses ungeheuerlichen Planes vorgesehenen Männer sind: der Bürgermeister von Lübeck, Dr. Neumann, als Reichskanzler, Geheimrat Hugenberg als Reichsfinanzminister, der Industrielle Dr. Wegener aus Kreuth in Bayern als Reichsinnenminister, General von Möhl als Reichswehrminister, der Vorsitzende der Rheinischen Landwirtschaftskammer und Führer der Rheinischen Bauernvereine, Dr. Freiherr v. Lüninck, als Ernährungsdiktator.“ („Vorwärts“ Nr. 221 v. 12. 5.)

Von der deutschnationalen und volksparteilichen Opposition im PrLT und der ihr nahestehenden Presse wurde der Pr. Reg. vorgeworfen, daß ihre Mitteilungen über eine drohende Rechtsdiktatur stark übertrieben seien; die Durchsuchungsaktion der pr. Polizei habe offenbar politische Zwecke verfolgt und keine Beweise für ernstzunehmende Putschpläne erbracht; die Pr. Reg. gehe einseitig gegen die Rechtsverbände vor, während sie die Kommunisten schone. Besonders scharf wurden die Haussuchungen bei den westdt. Industriellen verurteilt.

Siehe dazu: Egelhaaf 1926, S. 120 ff.; Schultheß 1926, S. 102 ff.; Stresemann, Vermächtnis, Bd. II, S. 402 ff.; Severing, Mein Lebensweg, Bd. II, S. 87 ff.; Braun, Von Weimar zu Hitler, S. 195 ff.; Friedensburg, Lebenserinnerungen, S. 162 ff.

Nach einleitenden Worten des Reichskanzlers berichtete Ministerialrat Schönner (Preuß. Ministerium des Innern) zunächst über die Rechtsbewegung. Er führte aus, daß die Rechtsverbände seit dem März d. Js. eine hohe Aktivität entfalteten. In maßgeblichen Rechtskreisen sei der Plan entstanden, der Reichspräsident müsse auf Grund des Artikels 48 R.V. eine neue Regierung ernennen und[30] den Reichstag auflösen. Wie ein Beamter im Polizeipräsidium von einem den Rechtskreisen nahestehenden Mann erfahren habe, kämen für die neue Regierung der Bürgermeister Dr. Neumann als Reichskanzler, Hugenberg als Reichsfinanzminister, General v. Möhl als Reichswehrminister und Freiherr v. Lüninck als Ernährungsminister in Frage.

Es sei Pflicht der Polizei gewesen, energische Maßnahmen zu treffen. Die Polizei habe deshalb auch am 11. und 12. Mai bei einer Reihe verdächtiger Persönlichkeiten Haussuchungen vorgenommen. Das bei den Haussuchungen beschlagnahmte Material sei am 19. Mai dem Oberreichsanwalt übersandt worden. Das Ergebnis der Ermittlungen werde abzuwarten sein. Gegen Justizrat Claß sei jedenfalls bereits die Voruntersuchung wegen Hochverrats eröffnet worden2. Gemeinsam sei allen rechtsradikalen Kreisen die Bestrebung, eine Linksbewegung zu provozieren, um dann sagen zu können, die Rechtskreise müßten zur Abwehr der linksradikalen Bestrebungen energische Maßnahmen ergreifen.

2

Mit Ausnahme von Claß (Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes) wurde gegen keinen der von der Durchsuchungsaktion Betroffenen ein Gerichtsverfahren eingeleitet, da der Oberreichsanwalt das Belastungsmaterial für nicht ausreichend hielt. In der Strafsache gegen Claß wegen Vorbereitung zum Hochverrat beschloß der 4. Strafsenat des Reichsgerichts am 15.10.27, das Hauptverfahren aus Mangel an Beweisen nicht zu eröffnen und Claß außer Verfolgung zu setzen. Damit entsprach das Reichsgericht einem Antrag des Oberreichsanwalts Werner, der auf Grund der Voruntersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, daß Claß eine konkrete Absicht, die verfassungsmäßige Ordnung auf illegalem Wege zu beseitigen, nicht nachzuweisen sei. Siehe hierzu: Lagebericht des RKom. für Überwachung der öffentl. Ordnung vom 24.12.27 (R 43 I /2697 , Bl. 73); Bericht des Oberreichsanwalts über die Voruntersuchung gegen Claß vom 13.7.27 (ein Exemplar im IISG, Nachl. Grzesinski , Nr. 1465); unveröffentlichte Lebenserinnerungen von Claß, Bd. 2, S. 849–879 (Mikrofilm im BA, Kl. Erwerbungen, 499 F); Ausführungen des Abg. Landsberg, des RJM Hergt und des Abg. Lohmann zum Fall Claß in der RT-Sitzung vom 25.1.28 (RT-Bd. 394, S. 12388  ff., 12395 f., 12401 ff.).

Die linksradikale Bewegung sei zur Zeit nicht stark. Die kommunistische Partei nehme an Mitgliederzahl ab, es fehle der Partei an einer Führernatur. Der Rote Frontkämpferbund sei nicht ernst zu nehmen. Er habe ungefähr 138 000 Mitglieder. An dem roten Frontkämpfertag zu Pfingsten in Berlin hätten ungefähr 21 000 Personen teilgenommen. All diese Zahlen seien natürlich nur Schätzungen.

Ministerialdirektor Dr. Abegg führte ergänzend aus, daß das Material über die rechtsradikale Bewegung sehr umfangreich sei. Als Zeitpunkt für einen Putsch hätten die Rechtsradikalen die Zeit nach dem Volksentscheid3 in Aussicht genommen. Von links sehe er keine Gefahr, da die kommunistische Partei abnehme.

3

Der Volksentscheid über die Fürstenenteignung sollte am 20.6.26 stattfinden.

Staatssekretär Dr. Weismann wies darauf hin, daß vielleicht das bei den Haussuchungen beschlagnahmte Material zu einer Verurteilung der Beschuldigten nicht ausreichen werde. Das sei jedoch kein Beweis dafür, daß die Rechtsradikalen keinen Putsch beabsichtigt hätten. Es werde eben immer schwer sein, die Absicht eines Putsches zu beweisen.

Der Reichskanzler führte aus, daß er zwei Mißstände bei der ganzen Angelegenheit besonders bedauern müsse, das mangelnde Zusammenarbeiten zwischen[31] Preußen und dem Reich, das dazu geführt habe, daß das Reich erst ganz spät über die angeblichen Putschpläne der Rechtsradikalen durch Preußen unterrichtet worden sei, und die überaus frühe Unterrichtung eines Teiles der Presse4.

4

Erste Informationen über rechtsradikale Putschpläne und die Haussuchungen der pr. Polizei hatte das Reichskommissariat für Überwachung der öffentl. Ordnung am 11.5.26 abends vom Berliner Polizeipräsidium erhalten und sogleich an den RK und den RIM weitergeleitet. Weitere Informationen des Berliner Polizeipräsidiums übermittelte RKom. Kuenzer mit zwei Schreiben vom 12.5.26 an die Rkei, das RIMin. und das RWeMin. (R 43 I /2709 , Bl. 3–5, 10–15). Im ersten Schreiben Kuenzers vom 12. 5. heißt es u. a.: „Es bleibt die auffallende Tatsache bestehen, daß zwar die Reichsbehörden von dem ‚unmittelbar bevorstehenden Putsch‘ nicht orientiert wurden, daß aber – und zwar [am 11. 5.] mittags schon – die Linkspresse orientiert wurde, die Durchsuchungen aber erst später stattfanden. – Die Rechtsbewegung wird von mir [Kuenzer] mit derselben Sorgfalt wie die Linksbewegung überwacht, und es haben sich dabei keinerlei Anzeichen dafür ergeben, daß Vorbereitungen für einen Putsch, der ernst zu nehmen sei, getroffen werden.“ (R 43 I /2709 , Bl. 3).

Der Preuß. Ministerpräsident erwiderte, daß es natürlich unangenehm sein könne, wenn die Presse bisweilen zu rechtzeitig von derartigen Vorgängen Kenntnis erhalte. Was das Zusammenarbeiten zwischen preußischen und Reichsbehörden angehe, so müsse er darauf hinweisen, daß die Exekutive den Ländern zustehe. Seinerseits müsse er bedauern, daß der Oberreichsanwalt unnötigerweise in seinen an Vögler gerichteten Schreiben die Polizei rektifiziert habe. Jedenfalls könne man das aus dem Begleitschreiben des Oberreichsanwalts herauslesen5.

5

Das Schreiben des Oberreichsanwalts an Vögler vom 21.5.26 wurde in der Presse veröffentlicht. Es lautete: „Am 12. d. Mts. haben Polizeibeamte auf Veranlassung des Polizeipräsidenten zu Berlin – ohne eine von mir erteilte Anweisung – eine Durchsuchung in Ihren Wohn- und Geschäftsräumen vorgenommen und dabei fünf Schriftstücke erhoben. Ich sende Sie Ihnen hiermit ergebenst zurück, weil sie keine Bedeutung für die hier anhängige Untersuchung wegen Vorbereitung eines Hochverrats haben.“ (DAZ Nr. 242/243 vom 29. 5.).

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß der Reichstag bis heute noch nicht über die Anträge auf Aufhebung der Immunität kommunistischer Abgeordneter befunden habe6. Diese Verzögerung sei außerordentlich zu bedauern. Ganz allgemein müsse er bemerken, daß der Sinn der Immunität vielfach völlig mißverstanden werde.

6

Siehe Dok. Nr. 6, Anm. 6.

Was den beabsichtigten Rechtsputsch anbelange, so habe er vor allen Dingen für die Frage Interesse, ob genügend Anhalt dafür vorhanden sei, daß die Rechtsradikalen tatsächlich die Absicht gehabt hätten, den Reichstag aufzulösen und vielleicht auch den Reichspräsidenten zu verdrängen. Er müsse ferner die Frage aufwerfen, ob die vielfach in der Rechtspresse aufgetauchte Behauptung richtig sei, der beschlagnahmte Entwurf einer Notverordnung stamme schon aus dem Jahre 19237.

7

Siehe hierzu die Ausführungen des Abg. Landsberg, des RJM Hergt und des Abg. Lohmann in der RT-Sitzung vom 25.1.28 (RT-Bd. 394, S. 12390 , 12395 , 12402).

Der Preuß. Ministerpräsident erwiderte, daß die Grenze zwischen Legalem und Illegalem oft sehr schwer zu ziehen sei. Der Entwurf der Notverordnung sei von der Polizei jedenfalls erst jetzt gefunden worden.

Der Reichskanzler dankte zum Schluß für die wertvolle Unterrichtung des Reichskabinetts durch die preußischen Herren.

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