2.15 (mu11p): Nr. 15 Stellungnahme zur Besetzung des Maingaues durch französische Truppen. 6. April 1920

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Nr. 15
Stellungnahme zur Besetzung des Maingaues durch französische Truppen. 6. April 19201

1

Diese Stellungnahme befindet sich ohne Überschrift, Datierung und Paraphe bzw. Unterschrift in den Akten der Rkei. Möglicherweise handelt es sich um einen Entwurf für die offizielle Entgegnung der RReg. auf den frz. Einmarsch im Maingau. Die in der Presse veröffentlichte Erklärung der RReg. s. in Schultheß 1920 I, S. 91.

R 43 I /175 , Bl. 323-326

Französische Truppen haben heute morgen [6. 4.] 5 Uhr die Städte Darmstadt, Dieburg, Frankfurt a/Main besetzt und sind in weiteren Vormarsch auf Hanau begriffen2. Eine vorherige amtliche Mitteilung an die Reichsregierung, wie sie die französische Regierung in ihrer letzten Note in Aussicht gestellt hatte, war nicht erfolgt3. Wenn auch nach der inzwischen telephonisch in die[35] Hände gelangten Mitteilung der französischen Regierung4 die Besetzung der vorbezeichneten Städte nur solange dauern soll, wie die in das Ruhrgebiet geschickten Truppen sich dort befinden, und damit, da die über das Kontingent im Ruhrgebiet verwendeten Truppen binnen wenigen Tagen zurückgezogen sein werden, die Angelegenheit in kürzester Frist erledigt sein wird, so sieht sich die deutsche Regierung doch veranlaßt, gegen das französische Vorgehen mit aller Entschiedenheit Verwahrung einzulegen5.

2

Eine von der innenpolitischen Presseabteilung des AA verbreitete Meldung, die die Ortsangabe „Frankfurt a/M. Polizeidirektion“ trägt, lautet: „Heute früh 5 Uhr ist in Frankfurt a/M. das französische Besatzungskommando in Stärke einer Division, etwa 20 000 Mann, eingerückt. Eisenbahn, Post und Polizei wurden sofort besetzt. Der Belagerungszustand wurde verhängt. Starke französische Militärpatrouillen durchziehen die Stadt. In der Stadt selbst ist alles ruhig. Die Behörden sind in ihrer Arbeit nicht gehindert, arbeiten jedoch unter Kontrolle der französischen Besatzungsbehörde, die Briefzensur angeordnet, Telefon- und Telegrammgebrauch verboten hat. Eine Regelung im einzelnen soll heute Nachmittag im Beisein des französischen Kommandeurs erfolgen. Vorläufig ist für jedes Telefonat, für jedes Telegramm das Visum der französischen Behörde notwendig. Außer Frankfurt a/M. sind bis jetzt Darmstadt, Offenbach, der Kreis Königstein und Homburg besetzt. Heute Nachmittag werden voraussichtlich die Kreise Dieburg und Hanau besetzt werden, wohin französische Truppen schon unterwegs sind“ (R 43 I /2728 , Bl. 296). S. auch Dok. Nr. 51.

3

S. Anm. 14 zu Dok. Nr. 10.

4

Die frz. Note war am 6. 4. vormittags von MinDir. Göppert telephonisch UStS von Haniel mitgeteilt worden (R 43 I /2728 , Bl. 297); zum Text s. Schultheß 1920 II, S. 328. Am 7. 4. teilte die frz. Regierung dem dt. Geschäftsträger Dr. Mayer ihre Erklärung mit, in der sie vor der Botschafterkonferenz den Einmarsch rechtfertigte; s. Schultheß 1920 II, S. 331 f.

5

Die deutsche Note an die frz. Regierung zur Besetzung des Maingaues s. in Schultheß 1920 II, S. 329 ff.

Die deutsche Regierung hat bereits dargelegt, daß sie gegen den Sinn des Friedensvertrages in keiner Weise verstoßen hat6. Es handelt sich nicht um eine Bedrohung Frankreichs, sondern um eine bloße Polizeiaktion, gegenüber einem kleinen, unter dem Terror roter Banden stehenden Landesteil. Ein Friedensvertrag wie der Friedensvertrag von Versailles, der dem deutschen Volke ohne Diskussion aufgezwungen worden ist, kann nur sinngemäß ausgelegt und sinngemäß erfüllt werden. Die Bestimmungen der Artikel 42–44 des Friedensvertrages sind, wenn sie dem Sinne nach ausgelegt werden, d. h. nach dem Zweck, den sie haben und dem Ziel, das dabei verfolgt wurde, deutscherseits in keiner Weise verletzt worden. Frankreich benutzt also eine formelle Handhabe7, um entgegen dem Geiste und Sinne des Friedensvertrages seine Machtschere zu erweitern und die militärische Besetzung Deutschlands auszudehnen.

6

S. Dok. Nr. 10.

7

Art. 42 und 43 enthielten Bestimmungen über die Räumung des linken Rheinufers durch dt. Truppen. Art. 44 VV erklärte Verstöße Deutschlands gegen diese Bestimmungen zur feindseligen Haltung.

Mit dieser Art der Auslegung und der Ausführung des Vertrages wird dem Friedensvertrage der schwerste Stoß versetzt. Nachdem Deutschland völlig entwaffnet ist, liegt der Schwerpunkt des ganzen Friedensvertrages in der Wiedergutmachung. Die Wiedergutmachung setzt einen wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands voraus. Aus einem wirtschaftlich ruinierten Deutschland wird auch Frankreich trotz aller militärischen Maßnahmen keinen Nutzen ziehen können. Es ist aber keiner Regierung möglich, Deutschland wirtschaftlich wieder aufzubauen, die in ihrer Existenz und Autorität fortgesetzt durch unnötige und nach dem Sinne des Friedensvertrages unberechtigte militärische Maßnahmen der Entente erschüttert wird. Die inneren Schwierigkeiten der Regierung sind groß genug und werden offenbar noch immer nicht auf französischer Seite verstanden. Man kann nach dem jetzigen Vorgehen zweifeln, ob der französischen Regierung überhaupt an eine Erfüllung des wirtschaftlichen Teiles des Friedensvertrages gelegen ist und ob sie nicht eine politische Zerstückelung unter allen Umständen auf Kosten der wirtschaftlichen Entwickelung vorziehe. Jedenfalls muß die deutsche Regierung jede Verantwortung für die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Einmarsches ablehnen.

[36] Die deutsche Regierung hat keinen Anlaß zu diesem Einmarsch gegeben, nachdem sie in der dringendsten Form die formelle Erlaubnis zu einer geringen Vermehrung der Reichswehr im besetzten Gebiete erbeten, aber nicht erhalten hat8. Eine Regierung, die dem dringenden Hilferuf der Bevölkerung nach Sicherheit und Schutz und Leben und Eigentum nicht nachzukommen in der Lage ist, kann ebenso gut zurücktreten. Zu entscheiden, ob diese politischen Maßnahmen auf Grund solcher Hilferufe notwendig sind, muß ihr überlassen werden. Wenn die französische Regierung andere Informationen hatte, die nach Ansicht der deutschen Regierung nicht richtig sind und deren Quelle sie nicht nachprüfen kann, so dürfte das kein Anlaß sein, nach Ansicht der deutschen Regierung eine formelle Ermächtigung zu etwas sachlich absolut Notwendigem zu verweigern. Der jetzige Einmarsch bringt außerdem die Gefahr mit sich, daß sich die Beruhigungsaktion verzögert, weil sich die Aufrührer dadurch moralisch gestärkt fühlen. Auch hierfür trifft die Verantwortung die französische Regierung.

8

S. Dok. Nr. 2.

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