2.197.1 (mu21p): 1. Bericht des Reichsministers des Innern über die Mai-Unruhen.

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1. Bericht des Reichsministers des Innern über die Mai-Unruhen.

Der Reichsminister des Innern berichtete über die Mai-Unruhen in Berlin2. Er führte u. a. aus, daß der Berliner Polizeipräsident schon vor längerer Zeit ein Demonstrationsverbot erlassen und dieses auch schließlich für den 1. Mai aufrechterhalten habe3. Er (der Reichsminister des Innern) habe in Preußen angeregt, für den 1. Mai die Polizeikräfte in Berlin zu verstärken. Es sei ihm jedoch erwidert worden, daß die vorhandenen Kräfte ausreichten. In den Bezirken Wedding und Neukölln sei es zu Schießereien gekommen.

2

Bei kommunistischen Demonstrationen am 1. und 2. 5. hatte es durch das Eingreifen der Polizei insgesamt 19 Tote und 36 Verletzte gegeben. Vgl. zu den Ereignissen K. Severing, Mein Lebensweg II, S. 186 f.; M. Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau, 1957, S. 150 ff.; die Rede von E. Thälmann über „die politische Lage und Aufgabe der Partei“ und sein Schlußwort zum XII. Parteitag der KPD in: Reden und Aufsätze II, 1956, S. 59 ff. und 134 ff. Im RT kam es wegen der Mai-Demonstration zu einem Zusammenstoß zwischen SPD und KPD am 2. 5. (RT-Bd. 424, S. 1801  ff.).

3

Die Kommunisten nähmen an, daß das Demonstrationsverbot nicht eingehalten werde, hatte der Polizeipräsident dem PrIM Grzesinski am 25. 4. mitgeteilt. Von kommunistischer Seite werde mit Blutvergießen gerechnet, daraufhin solle zum Generalstreik aufgerufen werden. Für den Ablauf der Demonstration am 1. Mai habe Max Hölz Anweisungen erteilt, u. a. dürften keine Abzeichen des Rot-Frontkämpfer-Bundes und keine Waffen getragen werden. Beunruhigt sei die KPD, da der Leninbund bewaffnet an den Demonstrationen teilnehmen und Zusammenstöße mit der Polizei provozieren wolle (25. 4.; dem RIM durch den Reichskommissar für öffentliche Ordnung am 27. 4. zugeleitet; R 43 I /2674 , Bl. 240-243).

Am 2. Mai habe er gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Braun und dem Minister des Innern Grzesinski überlegt, was zu tun sei. Nach seiner Erfahrung sei der Erlaß eines Zeitungsverbotes besonders wirksam. Es sei denn auch am 2. Mai ein Verbot der „Roten Fahne“ erlassen worden.

Am 3. Mai habe er erneut gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Braun und dem Minister des Innern Grzesinski die Sachlage geprüft. Er habe dem[644] Minister Grzesinski vorgeschlagen, den Roten Frontkämpferbund nebst den angegliederten Organisationen zu verbieten. Der preußische Minister des Innern habe auch die Kommunistische Partei verbieten wollen. Davon habe er (der Reichsminister des Innern) jedoch abgeraten, weil ein solches Verbot nicht durchführbar und infolgedessen ein Fehlschlag sei. Es hätte auch ein derartiges Verbot zuvor mit den Innenministern der übrigen Länder erwogen werden müssen. Es sei dann schließlich der Rote Frontkämpferbund und seine angegliederten Organisationen (Rote Jungfront, Rote Marine) auf Grund des Gesetzes zum Schutze der Republik und anderer gesetzlicher Bestimmungen von der preußischen Regierung mit Zustimmung der Reichsregierung verboten worden. Der diesbezügliche Erlaß des preußischen Ministers des Innern sei von dem Reichsminister des Innern den übrigen Länderregierungen zur Kenntnis gebracht worden; er hoffe bestimmt, daß diese sich dem Vorgehen Preußens anschließen würden. Sollten Länder es ablehnen, ein gleiches Verbot zu erlassen, werde er die Frage von Reichswegen prüfen, ob ein Verbot am Platze sei. Er habe erfahren, daß Hessen sich mit dem Gedanken trage, von einem Verbot Abstand zu nehmen4.

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Das Verbot des RFB in Preußen erfolgte am 6. 5. (WTB; R 43 I /2674 , Bl. 252). Am Nachmittag des gleichen Tages wurde das Karl-Liebknecht-Haus (Hauptquartier der KPD) polizeilich durchsucht (Voss. Zeitung, 7. 5.). Bayern erließ gleichfalls ein Verbot des RFB am 6. 5. (Bericht des Vertreters der RReg. München; R 43 I /2254 , Bl. 362); bis zum 11. 5. folgten Sachsen, Hamburg, Lippe-Detmold und Mecklenburg-Strelitz. In einer Konferenz der Länderinnenminister, die den RFB noch nicht verboten hatten, beim RIM wurde von ihnen erklärt, daß für sie kein „zwingender Anlaß und nicht die notwendige Rechtsgrundlage für ein Verbot“ vorliege (Vermerk in der Rkei vom 11. 5.; R 43 I /2674 , Bl. 258); aber am 13. 5. verboten noch Baden und Thüringen den RFB (Germania, 14. 5.).

Im übrigen liege kein Anhalt dafür vor, daß die Unruhebewegungen in Berlin in besonders starkem Maße von Rußland geschürt worden seien, obwohl eine gewisse Verbindung mit Rußland unzweifelhaft bestehe. Dies ergebe sich u. a. aus angehaltenen Telegrammen des Metallarbeiterverbandes in Rußland und des Politischen Bureaus in Moskau. Der Reichsminister des Innern verlas diese Telegramme5.

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Das erste Telegramm lautete: „Barrikaden und Blut Berliner Arbeiter am ersten Mai werden in der Geschichte der Revolution verewigt sein als Demonstration revolutionärer Bereitschaft deutscher Arbeiterklasse und als empörender Akt des Verrates dreimal verfluchter Sozialdemokratie. Zentralkomitee Metallarbeiterverbandes Sowjetunion sendet flammende Grüße heldenhaften Kämpfern für Sozialismus. Es lebe proletarische Weltrevolution. Es lebe rücksichtsloser Kampf auf Leben und Tod gegen Bourgeoisie und ihre Hofhunde Sozialdemokraten.“ Das zweite Telegramm hatte den Inhalt: „Berliner Maidemonstration abgibt neues Zeugnis ungeheurer Zuspitzung Klassengegensätze und Kampfentschlossenheit deutscher Arbeiterschaft. Sie darstellt Weiterführung neuer revolutionärer Taktik. Hunderttausend Arbeiter unter revolutionärer Führung auf Straßen Berlins haben bewaffneten vereinten Kräften Bourgeoisie Reformisten Waffengang geliefert, der als Auftakt zu heranrückenden Kämpfen zu betrachten ist. Senken unsere Kampfesfahnen vor heldenhaften Opfern sozialdemokratischer Meuchelmörder. Beileid Hinterbliebenen proletarischer Opfer. Revolutionäre Kampfesgrüße kampfentschlossenem Berliner Proletariat.“ (R 43 I /138 , Bl. 121 f.). Das Hauptpostamt Berlin hatte die Telegramme auf Grund des Artikels 7 des Welttelegraphenvertrags angehalten (R 43 I /138 , Bl. 115). Das AA teilte dem deutschen Botschafter mit, daß das Berliner Polizeipräsidium keinen Anhalt für die Teilnahme russischer Staatsangehöriger oder von Sowjetstellen an den Demonstrationen gefunden habe (Vermerk in der Rkei vom 8. 5.; R 43 I /2674 , Bl. 251).

[645] Zusammenfassend stellte der Reichsminister des Innern nochmals fest, daß nach seiner Auffassung das Verbot des Roten Frontkämpferbundes und der ihm angegliederten Organisationen sowie das Verbot der „Roten Fahne“ rigoros durchgeführt werden müßte, auf andere Maßnahmen, wie z. B. das Verbot der Kommunistischen Partei, jedoch verzichtet werden solle, weil dies voraussichtlich nur ein Fehlschlag bedeuten würde.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies darauf hin, daß der russische Kriegsminister in Moskau in einer Rede am 1. Mai erklärt habe, der Polizeipräsident Zörgiebel habe zwar ein Demonstrationsverbot erlassen, die Massen würden aber trotzdem demonstrieren. Bei einem Umzug in Moskau seien karikaturistische Bilder der sozialdemokratischen Mitglieder des Reichskabinetts im Zuge mitgeführt worden. Botschafter v. Dirksen habe in Moskau bereits eine Demarche unternommen6. Das Ergebnis der Demarche sei ihm jedoch noch nicht bekannt. Auch habe er selber (der Reichsminister des Auswärtigen) mit dem russischen Botschafter in Berlin über die Angelegenheit gesprochen.

6

Zum Moskauer Mai-Umzug hatte Botschafter v. Dirksen berichtet: „Nach Beendigung Parade begannen Demonstrationszüge mit karnevalistisch-satirischen Wagen. Der Zug wurde eröffnet durch eine Nachbildung des Panzerkreuzers, über dem Aufschrift des Inhalts gespannt war, daß Deutschland 80 Millionen für Panzerkreuzer opfere, Arbeitslose aber verhungern lasse. Am Bug des Panzerkreuzers war schwarz-rot-goldene Fahne, am Heck schwarz-weiß-rote Fahne und alte Kriegsflagge. Auf dem Schiff bewegten sich als Karrikaturen gekleidete Figuren mit Zylinder auf dem Kopf, um die Bänder in Reichsfarben gewunden waren. Diese Personen darstellten nach Aufschriften die sozialdemokratischen RM, RWeM, PrIM und Polizeipräsidenten von Berlin.“ Weiterhin hatte v. Dirksen seinen Protest wegen der Entwürdigung der Reichsfarben und der Verhöhung amtlicher Persönlichkeiten sowie wegen des mangelnden behördlichen Eingreifens beim stellvertretenden Volkskommissar Karachan angekündigt. Die Rede Woroschilows wolle er sich im genauen Wortlaut geben lassen (Telegramm Nr. 306 v. 1. 5.; R 43 I /138 , Bl. 113 f.). Dazu vermerkte Pünder: „Wegen dieser abermaligen unerhörten Rede des russischen Kriegsministers ist H. v. Dirksen vom AA sofort mit energischer und schärfster Demarche beauftragt worden. An dem ‚Festakt‘ hatte das ganze diplomatische Korps teilgenommen“ (3. 5.; R 43 I /138 , Bl. 113 f.).

Bei einer sodann folgenden Aussprache darüber, ob der Reichsminister des Innern die vorhin verlesenen Telegramme aus Rußland bei der Etatsberatung des Reichsministeriums des Innern verwenden könne, bestand schließlich Übereinstimmung darüber, daß es unbedenklich sei, wenn der Reichsminister des Innern die Telegramme bei der Beratung des Etats des Reichsministeriums des Innern im Haushaltsausschuß verlese7.

7

Severing verlas die Telegramme in der 69. Sitzung des Haushaltsausschusses am 7. 5.

Das Reichskabinett war im übrigen mit den Darlegungen des Reichsministers des Innern einverstanden.

Auf Anfrage des Reichsministers des Auswärtigen erklärte sich Staatssekretär Dr. Weismann bereit, für Ausweisung des Berliner Korrespondenten der „Prawda“, Großmann, wegen seiner besonders hetzenden Artikel in der „Prawda“ nach Möglichkeit Sorge tragen zu wollen8.

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Großmann hatte aus eigenem Erleben über einen neuen Zusammenstoß zwischen Arbeitern und Polizisten am 2. 5. in einem Pressetelegramm nach Moskau berichten wollen, dessen Beförderung vom Hauptpostamt Berlin aber zurückgewiesen worden war (Rkei-Vermerk und Text des Artikels in R 43 I /138 , Bl. 115-120).

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