2.229.3 (mu21p): 3. Bericht über den Gang der Verhandlungen mit den Regierungsparteien über Abänderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.

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3. Bericht über den Gang der Verhandlungen mit den Regierungsparteien über Abänderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.

Der Reichsarbeitsminister nahm Bezug auf seine in der Sitzung zur Verteilung gelangte Vorlage vom 15. Juni 19298 […] und erklärte anschließend, daß er keine Möglichkeit sehe, ein noch so gestaltetes Sofortprogramm durch den Reichstag zur Verabschiedung bringen zu lassen. Er beantragte daher, von einem Sofortprogramm Abstand zu nehmen und die Beratungen des Sachverständigenausschusses abzuwarten.

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Der RArbM hatte darin mitgeteilt, daß in den interfraktionellen Besprechungen die Gegensätze nicht zu überbrücken gewesen seien. „Während von einer Seite [SPD] eine Regelung unter Einbeziehung der Saisonarbeiterfrage und der Beitragsregelung für erforderlich erachtet wurde, wurde von anderer Seite [DVP] eine Sicherstellung der Versicherung nur auf der Grundlage eines Abbaues der Leistungen für möglich gehalten und der Beitragserhöhung widersprochen.“ Die politischen Konsequenzen dieser Lage und die Form, in der das Sofortprogramm einzubringen sei, müßten geprüft werden (R 43 I /2034 , Bl. 226).

Der Reichswirtschaftsminister erklärte, daß er unverändert an seinem in der Kabinettssitzung vom 31. Mai d. J. vertretenen Standpunkt festhalte9. Die Reichsregierung habe ein Sofortprogramm öffentlich angekündigt und müsse[750] ein derartiges Sofortprogramm daher jetzt bringen. Allerdings hätten die Verhandlungen mit den Regierungsparteien nicht zu einer Einigung geführt. Er halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß eine Einigung doch noch erreicht werde. Er beantragte, ein Sofortprogramm mit den in der Kabinettssitzung vom 31. Mai als unstreitig festgestellten Punkten an den Reichstag gelangen zu lassen, in der Annahme, daß sich die Parteien bei der Beratung dieses Sofortprogramms doch noch auf eine gemeinsame Lösung einigen würden. Die Verhandlungen zwischen den Parteien über gewisse Anträge, die die Einführung eines Verhältnisses zwischen Beitragsleistung und Versicherungsleistung zur Grundlage hätten, seien schon jetzt erfolgversprechend weit gediehen.

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Vgl. Dok. Nr. 213.

Der Reichskanzler erklärte, es sei richtig, daß die Reichsregierung ein Sofortprogramm angekündigt habe. Bei der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit werde eine rechtzeitige Verabschiedung eines Sofortprogramms schon im Reichsrat nur dann möglich sein, wenn die Parteien des Reichstags über das Endziel einig wären. Da es an dieser Voraussetzung fehle, halte er es für ziemlich zwecklos, jetzt noch den Versuch der Einbringung eines Sofortprogramms zu machen.

Der Reichsminister des Innern vertrat die Auffassung, daß der Reichsrat mit einem Sofortprogramm sicherlich nicht in wenigen Tagen fertig werde. Im Reichsrat würden die gleichen Differenzen zutage treten, die sich bei der Beratung der Regierungsparteien herausgestellt hätten. Die Reichsregierung tue daher gut, das Reformwerk jetzt nicht zu verzetteln, vielmehr die ganze Kraft für die Spätsommertagung des Reichstags aufzusparen.

Der Reichsverkehrsminister legte dar, daß er jedenfalls dann für die Vorlegung eines Sofortprogramms eintreten würde, wenn er die Überzeugung hätte, daß ein entsprechender Gesetzentwurf jetzt noch durchgebracht werden könne. Diese Überzeugung habe er jedoch nach dem Gang der bisherigen Verhandlungen mit den Parteien nicht mehr. An dem kleinen Programm, das sich in der Kabinettsberatung vom 31. Mai ergeben habe, habe er kein Interesse. Wenn eine Möglichkeit bestehen sollte, ein Sofortprogramm zur Erledigung zu bringen, das auch die Frage der Saisonarbeiter und die Beitragsfrage erledige, so wolle er an einem derartigen Programm mitarbeiten.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß nach seiner Überzeugung die Arbeitslosenversicherung auch ohne Prüfung durch den Sachverständigenausschuß unter Einschluß der Saisonarbeiterfrage weitgehend reformiert werden könne. Wenn die Reichsregierung die Reform jetzt durch ein Sofortprogramm in Gang bringe, werde möglicherweise schon durch den Reichsrat eine derartige Ausgestaltung des Sofortprogramms erfolgen, daß das Sofortprogramm in gewisser Hinsicht einem Endprogramm gleichkomme. Wenn dies aber der Fall sei, dann werde auch seine Partei ein solches Sofortprogramm nicht an der Beitragsfrage scheitern lassen.

Der Reichsverkehrsminister gab zu bedenken, daß sich die Reichsregierung durch die Ankündigung eines Sofortprogramms der Öffentlichkeit gegenüber bereits stark gebunden habe und nur unter Prestigeverlust von einem Sofortprogramm absehen könne. Sein Vorschlag gehe daher dahin, ein Sofortprogramm einzubringen, in dem auch die Saisonarbeiterfrage geregelt werde[751] und eine befristete Beitragserhöhung erfolge, wobei er an eine Frist von drei Monaten denke. Wenn die Durchbringung eines derartigen Programms nicht gelinge, falle das Odium für den Mißerfolg nicht auf die Reichsregierung, sondern auf die Parteien.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß die Reform nach seiner Meinung nicht in Stücken, sondern nur im Ganzen erfolgen könne. So wie die Dinge lägen, halte er es aber für erforderlich, daß die Reform schon jetzt langsam in Gang gebracht werde; sonst bestehe die Gefahr, daß man auch im Herbst nicht rechtzeitig ans Ziel gelange. Eine Beitragserhöhung ohne gründliche Reform werde sich nicht durchsetzen lassen. Die Reichsregierung müsse die Führung in der Sache in die Hand nehmen. Der Vorschlag des Reichswirtschaftsministers, der letzten Endes dem Reichsrat die Initiative überlasse, sei ihm nicht sehr sympathisch. Ohne spezielle Einzelvorschläge machen zu wollen, gehe sein Vorschlag dahin, daß die Reichsregierung die Reform schon jetzt irgendwie in Gang bringen müsse.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete empfahl den Vorschlag des Reichsverkehrsministers zur Annahme. Er machte auf die starke Polemik in der Tagespresse aufmerksam, die sich in steigendem Maße zu Ungunsten der Reichsregierung auszuwirken drohe. Durch den Vorschlag des Reichsverkehrsministers werde zum mindesten die negative Feststellung erreicht, daß ein Sofortprogramm nicht möglich sei.

Auch der Reichspostminister befürwortete eine positive Entschließung der Reichsregierung. In erster Linie komme es darauf an, daß jetzt überhaupt eine Vorlage gemacht werde. Auf die Form dieser Vorlage komme es erst in zweiter Linie an. Was er zu verhüten wünsche, sei, daß die Reichsregierung heute zu einem negativen Beschlusse komme.

Der Reichsminister des Innern erklärte, daß nach seiner Meinung die Fragestellung, ob man heute negativ oder positiv zu beschließen habe, falsch sei. Wenn die Reichsregierung auf eine negative Feststellung ausgehe, so erreiche sie in der Sache selbst nichts. Wenn sie ein materielles positives Ergebnis anstrebe, so sei eine Einigung mit den Parteien erst dann möglich, wenn der Sachverständigenausschuß seine Tätigkeit beendet habe. Er empfahl daher nochmals, daß die Reichsregierung ihre ganze Kraft für die Sache für den Herbst verspare.

Der Reichskanzler bemerkte, daß man allerdings dem Kabinett den Vorwurf mangelnder Führung machen werde, aber es sei keine Führung, wenn man mit einem Fragment an die gesetzgebende Körperschaft herantrete, um es dem Reichsrat oder dem Reichstag zu überlassen, das Fragment zu ergänzen.

Die Abstimmung über den von dem Reichsarbeitsminister zu Beginn der Aussprache gestellten Antrag ergab dessen Annahme in einem Stimmverhältnis von fünf gegen vier Stimmen mit einer Stimmenthaltung (Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft).

[Nach der Sitzung einigen sich der RArbM, der RFM und der RVM über das Pressekommuniqué.]

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