2.249.1 (mu21p): Die künftige Gestaltung des Reichsbahngesetzes.

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Die künftige Gestaltung des Reichsbahngesetzes.

Nachdem Ministerialdirektor Dorn eine zusammenfassende Darstellung der Bestimmung des Young-Plans über die Reichsbahn und ihre voraussichtliche Auswirkung auf die Neuregelung des Reichsbahngesetzes gegeben hatte, wurde über folgende allgemeine Richtlinien Übereinstimmung erzielt:

I. Verfassungsmäßigkeit des Reichsbahngesetzes.

Zu Zweifeln darüber, ob die Anpassung des Reichsbahngesetzes an den Young-Plan Bestimmungen verfassungsändernder Natur notwendig macht,[811] kann lediglich die Verlängerung des Betriebsrechts bis zum Jahre 1966 Anlaß geben, die um ein Jahr vier Monate über die bisherige Übertragung des Betriebsrechts an die Reichsbahngesellschaft hinausgeht3. Gegen die verfassungsändernde Natur dieser Bestimmung spricht:

3

Nach § 5 des RB-Gesetzes vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 272 ) hatte die RReg. der RB-Gesellschaft die Betriebsdauer bis zum 31.12.64 übertragen. Durch Ziffer 105 des Young-Plans (RGBl. 1930 II, S. 442 ) war die RB-Gesellschaft jedoch verpflichtet worden, für 37 Jahre Annuitäten zu zahlen.

1. die allgemeine Erwägung daß die Neuregelung der Reichsbahn sich infolge der Beseitigung des ausländischen Einflusses und der allgemeinen Stärkung der Stellung der Reichsregierung dem Sinne und Wortlaut der Verfassung gegenüber dem bisherigen Zustande bedeutend annähert;

2. die Tatsache, daß die Abtretung des Betriebsrechts nach der bisherigen Regelung ohne feste zeitliche Begrenzung über 1964 hinausgeht, soweit die Reparationsschuldverschreibungen und Vorzugsaktien noch nicht getilgt sein sollten. Der Rückfall des Betriebsrechts an das Reich kann z. B. dadurch verhindert werden, daß ein kleiner Betrag an Vorzugsaktien, die im Reichsbesitz befindlich sind, nicht getilgt wird4.

4

Vgl. dazu § 5 Abs. 2 des RB-Gesetzes vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 272 ).

3. Es kann in die Neuregelung eine Bestimmung aufgenommen werden, daß die Reichseisenbahngesellschaft für das Reich verwaltet wird. Insgesamt sprechen also überwiegende Argumente dafür, die Notwendigkeit der Verfassungsänderung aus rechtlichen Gründen zu verneinen. Der Gegenseite gegenüber wird man im Organisationskomitee in vorsichtiger Form darauf hinweisen müssen, daß gegen die Verlängerung des Betriebsrechts über den bisherigen Zustand hinaus, verfassungsmäßige Bedenken bestehen, um zu erreichen, daß man die interne Bindung der Verlängerung des Betriebsrechts über 1964 hinaus vermeidet.

II. Grundsätzliche Einzelfragen.

1. Vor der Wahl des Generaldirektors durch den Verwaltungsrat ist eine interne Fühlungnahme zwischen Reichsregierung und Verwaltungsrat sicherzustellen.

2. Verwaltungsrat:

Zahl: wie bisher 18.

Ernennung: durch die Reichsregierung.

Amtsdauer: Ziel: Verringerung der Amtsdauer von sechs auf drei bis vier Jahre zwecks Stärkung des Einflusses der Reichsregierung.

Verhältnis zwischen Reichsregierung und Verwaltungsrat:

Der Reichsverkehrsminister hat an sich den Wunsch, daß der Minister, ohne Mitglied des Verwaltungsrats zu sein, grundsätzlich (wie in Belgien) den Vorsitz führt. Falls dies nicht erreichbar, wird wenigstens die Teilnahme von Kommissaren des Verkehrsministeriums an den Sitzungen des Verwaltungsrats ohne Stimmrecht als notwendig angesehen.

[812] 3. Vorsitzender wird vom Verwaltungsrat nach vorheriger Fühlungnahme mit Reichsregierung gewählt und bedarf der Bestätigung der Reichsregierung. Ob ¾- oder ⅔-Mehrheit zweckmäßiger ist, bleibt noch zu klären.

III. Reichsaufsicht.

Wünschenswert eine Verstärkung der Auskunftsrechte des Reichsverkehrsministeriums im Sinne einer Übertragung der bisher dem Eisenbahnkommissar zustehenden Befugnisse.

IV. Personalfragen.

1. Wegfall der Bestimmung des § 24, Absatz 1 (Versetzung in Dienstposten von geringerer Bedeutung)5.

5

Siehe RGBl. 1924 II, S. 276 .

2. Personalordnung (§ 22, Absatz 3). Regelung der Dienstbezüge (§ 26)6. Schwierigkeiten bereitet die Regelung der Leistungszulagen. Wünschenswert erscheint die Aufstellung allgemeiner Grundsätze unter Mitwirkung der Personalvertretung. Die Regelung als solche ist im Interesse des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes nicht entbehrlich.

6

Siehe RGBl. 1924 II, S. 276 .

3. Begrenzung des Begriffs „leitende Beamte“ (§ 26 Abs. 4). Während man ursprünglich nur an die obersten Beamten gedacht hatte, rechnen jetzt zum Kreise der leitenden Beamten sämtliche Präsidenten, Vizepräsidenten, Abteilungsleiter usw., rd. 150 Personen. Wünschenswert eine feste Begrenzung des in Betracht kommenden Personenkreises, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Reichsbahn die Möglichkeit haben muß, sich erstklassige Kräfte im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft zu erhalten.

V. Tariffragen und Auslegungsfragen.

Bei Meinungsverschiedenheiten über Tariffragen wird zweckmäßig die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens vorzusehen sein. Die Gutachter könnten vom Reichswirtschaftsrat aus den Kreisen der Unternehmer, Arbeiter und freien Berufe bestellt werden. Falls die Reichsregierung den Vorschlägen der Gutachterkommission nicht folgen will, könnte die Entscheidung einer Schiedsinstanz vorgesehen werden. Über sonstige Auslegungsfragen hat ein ein für allemal bestelltes Gericht zu entscheiden. Die Frage seiner Zusammensetzung wäre noch zu prüfen. Die Bestellung des Reichsgerichts hat sich nicht bewährt.

VI. Beteiligung der Länder.

Die Frage, wieviel Sitze den Ländern im Verwaltungsrat einzuräumen sind, bleibt späterer Entschließung vorbehalten. Nach Wegfall der internationalen Verwaltungsratsmitglieder ist die Lage des Reiches in den vor dem Staatsgerichtshof schwebenden Prozessen ungünstig7. Voraussichtlich wird dem Reichsrat ein Vorschlagsrecht einzuräumen sein.

7

Gemeint sind die Prozesse um die Besetzung des Verwaltungsrats und auf Zahlung für die Verreichlichung der Eisenbahnen.

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