2.97.1 (mu21p): Konflikt zwischen Reichsregierung und Staatsgerichtshof.]

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Konflikt zwischen Reichsregierung und Staatsgerichtshof.]

Der Herr Reichspräsident

eröffnet die Besprechung und erklärt:

Es ist mir eine Herzenspflicht, den Versuch zu machen, die aufgetretenen Differenzen beizulegen. Ich möchte gleich von vornherein bemerken, daß der Reichsregierung die Absicht irgendwelcher Zurücksetzung des Staatsgerichtshofs absolut ferngelegen hat. Die so unmittelbar vor dem Termin des Staatsgerichtshofs erfolgte Entscheidung der Reichsregierung ist auf Gründe zurückzuführen, für die die Reichsregierung nicht verantwortlich ist. Erschwert ist die Beilegung des Konflikts durch die Öffentlichkeit; ich kann nur die Bitte aussprechen, daß der vorhandene Konflikt wieder geschlossen wird. Wir können im Inlande keine Beunruhigung brauchen und dürfen auch dem Auslande kein Zeichen der Uneinigkeit in unseren höchsten Stellen geben.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Ich will mir kein Urteil über die politische Notwendigkeit des Schrittes der Reichsregierung anmaßen. Ich würde es sogar für vertretbar halten, wenn die Reichsregierung selbst einem Beschluß des Staatsgerichtshofs gegenüber sagt: Ich muß im politischen Interesse des Reichs anders handeln, als der Beschluß[331] vorschreibt. Was der Staatsgerichtshof als kränkend empfand, war, daß ihm nicht Gelegenheit gegeben war, von der Unmöglichkeit, mit der Entscheidung der Reichsregierung bis nach dem Termin vom 15. Dezember zu warten, Kenntnis zu nehmen. Es wäre richtig gewesen, daß vor der Entscheidung der Reichsregierung der Vertreter des Reichsverkehrsministers mich über die Notwendigkeit der Reichsregierung, einen sofortigen Beschluß zu fassen, informiert hätte. Daß wir vor ein Fait accomplí gestellt wurden, ist mit der Hoheit des Rechts und der Würde des Staatsgerichtshofs nicht vereinbar2. Deshalb hat der Staatsgerichtshof in seiner Gesamtheit beschlossen, den Herrn Reichspräsidenten zu bitten, die gekränkte Achtung vor dem Staatsgerichtshof wieder herzustellen. Es mußte ferner festgestellt werden, daß die Art und Weise der Behandlung des Staatsgerichtshofs durch die Reichsregierung nicht richtig war; deshalb habe ich gleichzeitig mein Abschiedsgesuch eingereicht.

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Hierzu hatte Simons dem RK geschrieben: „Es geht nicht an, daß in einer demokratischen Republik die Exekutive der höchsten richterlichen Gewalt derart in den Arm fällt, wie das hier geschehen ist. Wenn die Verfassung öffentlich rechtliche Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern einer gerichtlichen Instanz unterstellt, so darf die Streitigkeit m. E. während sie vor einer richterlichen Reichsinstanz anhängig ist, nicht durch die Reichsexekutive im voraus entschieden werden. […] Daß ich die RReg. und damit Ihnen, Herr RK, durch den unter meiner Mitwirkung entstandenen Konflikt mit dem StGH Schwierigkeiten bereite, die gerade in der gegenwärtigen Zeit, wo es sich um Wahrung deutscher Lebensinteressen gegenüber dem Ausland handelt, höchst unerwünscht sind, kann niemand mehr bedauern als ich. Aber höher als die Forderungen der Tagespolitik, mögen sie noch so dringend erscheinen, steht mir die Sicherung der Grundlagen des Rechtsstaates, ohne die eine erfolgreiche deutsche Politik in Zukunft weder nach innen noch nach außen wird geführt werden können“ (19.12.28; R 43 I /1059 , Bl. 256).

Reichskanzler Müller-Franken:

Daß der Beschluß der Reichsregierung vom 14. Dezember keine Kränkung des Herrn Reichsgerichtspräsidenten darstellt, ist selbstverständlich; ebenso wenig war eine Zurücksetzung des Staatsgerichtshofs beabsichtigt. Die Hinauszögerung des Beschlusses der Reichsregierung bis zum 14. Dezember hat ihre Ursache darin, daß wir uns bemühten, unsere Verhandlungen mit dem früheren Beschluß des Staatsgerichtshofs im Falle Luther in Übereinstimmung zu bringen. Der Treuhänder hat uns zu verstehen gegeben, daß, wenn die Reichsregierung sich bei ihren Ernennungen zum Verwaltungsrat wirtschaftlichen Gesichtspunkten verschließen würde, er statt eines deutschen Verwaltungsratsmitgliedes einen amerikanischen Wirtschaftsmann ernennen müsse. Er hat uns nahegelegt, uns über die Personen mit ihm zu verständigen und uns zugesagt, dann seinerseits einen deutschen Wirtschaftler für den von ihm zu besetzenden Sitz im Verwaltungsrat zu benennen. Nach längeren Verhandlungen mit Preußen und wiederholten Kabinettssitzungen hat sich die Reichsregierung mit der Preußischen Regierung auf diesen Modus geeinigt. Diese Einigung war aber erst am 14. Dezember erzielt; erst an diesem Tage war der Reichsregierung ein Vorgehen auf dem Boden der früheren Entscheidung des Staatsgerichtshofs möglich. Das Kabinett war also in einer Zwangslage; es konnte erst am 14. Dezember entscheiden und mußte an diesem Tage zu einer Entscheidung kommen, da am 15.Dezember der Treuhänder seine Entscheidung[332] treffen wollte. Ich kann daher nicht nur für mich, sondern für die Reichsregierung sagen, daß es uns ganz und gar ferngelegen hat, die Autorität des Staatsgerichtshofes anzutasten.

Reichsjustizminister Koch-Weser:

Die Tatsache, daß wir erst am 14. Dezember zur Entscheidung kommen konnten, hat leider eine loyale und offene Auseinandersetzung mit dem Staatsgerichtshof, wie sie gewünscht gewesen wäre, unmöglich gemacht. Es handelt sich bei der Angelegenheit also nicht um einen Fehler des Kabinetts, sondern nur um ein im Geschäftsgang nicht ganz gelungenes Verfahren. In der letzten Erklärung, die der Herr Reichskanzler dem Herrn Reichsgerichtspräsidenten zusandte, haben wir dieses Verfahren aufgeklärt, in einer Art und Weise, die einer Entschuldigung nahe kommt3. Damit haben wir vor aller Öffentlichkeit dargelegt, daß uns jede Absicht der Kränkung ferngelegen hat. Ich glaube, daß nach dieser Erklärung die öffentliche Meinung es durchaus verstehen würde, wenn das Rücktrittsgesuch zurückgezogen wird.

3

Siehe Dok. Nr. 94.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Das Gefühl einer persönlichen Kränkung liegt bei mir nicht vor. Es handelt sich aber um eine grundsätzliche Frage. Vielfach werden Reichsgericht und Staatsgerichtshof als Behörden angesehen, die vom Reichsjustizminister und dem Reichsminister des Innern abhängig seien. Es wäre daher falsch gewesen, wenn der Staatsgerichtshof sich an den Reichsminister des Innern statt an den Reichspräsidenten gewandt hätte. Der Staatsgerichtshof ist in allen verfassungsrechtlichen Streitfragen zur Entscheidung berufen, auch zur Entscheidung gegen die Reichsregierung und selbst gegen den Herrn Reichspräsidenten. – Der Herr Reichspräsident hat nun auf Vorstellung der Reichsregierung gegen mich entschieden4. Ich bin auch insofern von einer falschen Voraussetzung ausgegangen, als ich die Absicht einer Mißachtung des Staatsgerichtshofs annahm, wo dies nicht der Fall war; in der Form, wie die Entschließung der Reichsregierung und die Mitteilung derselben geschah, mußte allerdings eine Kränkung gesehen werden. Dafür, daß der Staatsgerichtshof in diese Lage gekommen ist, fühle ich mich verantwortlich. Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als auf meinem Abschiedsgesuch zu beharren, so sehr ich bedauere, daß es gerade jetzt geschieht, wo die Regierung Schwierigkeiten genug hat. Ich bedauere auch, trotz des so freundlich ausgesprochenen Wunsches des Herrn Reichspräsidenten bitten zu müssen, mir den Abschied zu erteilen.

4

Anm. 1 a.a.O.

Reichskanzler Müller-Franken:

Ich weiß, wie sehr Ihre Entscheidung von Ethos und Rechtsgefühl getragen sind; dennoch bedauere ich sehr diesen Entschluß und bitte nochmals zu überlegen, ob Sie Ihren Rücktritt nicht wenigstens in der Form modifizieren können, damit der Eindruck eines schweren Konflikts zwischen Reichsregierung und Obersten Gerichtshof nicht in der Öffentlichkeit bestehen bleibt.

[333] Der Herr Reichspräsident:

Ich bedauere sehr, daß meine Entscheidung mit als die Ursache Ihres Abschieds angesehen wird. Niemand kann inniger wünschen als ich, daß Sie bleiben. Meine Entscheidung war pflichtgemäß, ich konnte keine Absicht einer Zurücksetzung oder Übergehung des Staatsgerichtshofs aus den Vorgängen herauslesen. Ich kann sie nur nochmals bitten, eine mildere Auffassung zu finden, und appelliere an Ihre Vaterlandsliebe. Es lag wirklich nicht die Absicht vor, Ihnen oder dem Staatsgerichtshof nahezutreten. Es war vielleicht ein Fehler in der Form, nicht aber in der Sache. Im Interesse der Einigkeit im Inlande und des Ansehens im Auslande wäre es erwünscht, daß der Konflikt völlig beigelegt würde und Sie bleiben.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Der Appell an die Vaterlandsliebe ist der stärkste, den sie aussprechen konnten, Herr Reichspräsident. Ich glaube aber, daß ich dem Vaterlande keinen besseren Dienst leisten kann, als daß ich gehe. Wenn ich bleibe, würde das dem Rechtsgedanken in Deutschland einen schweren Schaden tun, als es die vorübergehenden Schwierigkeiten tun können, die bei meinem Gehen der Reichsregierung entstehen. Wenn ich bleibe, so tue ich dem Staatsgerichtshof ein Unrecht, was der Rechtsentwicklung in Deutschland schaden könnte. Ich will übrigens mein Ausscheiden aus dem Amte in einer Form vollziehen, daß der Reichsregierung keinerlei besondere Schwierigkeiten daraus erwachsen. – Wenn ich auch anerkenne, daß die Absicht einer Kränkung des Staatsgerichtshofs nicht vorlag, so bleibt aber doch die Tatsache, daß eine Vereitelung der Tätigkeit des Staatsgerichtshofs vorliegt. Der Staatsgerichtshof ist leider zur Entscheidung über viele politische Fragen berufen, die besser im Verhandlungswege erledigt würden. Aber nachdem dies einmal der Fall ist, darf auch die Autorität des Staatsgerichtshof nicht verkümmert werden. Bliebe ich im Amt, so würde aber diese Autorität beeinträchtigt.

Reichsjustizminister Koch-Weser:

Kein Gericht hat Anspruch darauf, daß das Urteil, das es erlassen hat, immer vollstreckt wird; jedes Gericht muß damit rechnen, daß seine Entscheidung aus irgendeinem Grunde unvollstreckbar wird. Darin kann man keine Vereitelung der Tätigkeit des Staatsgerichtshofs erblicken.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Auch, wenn das richtig ist, so bleibt immer noch, daß, nachdem die Entscheidung gefallen ist, ich nicht mehr mit Nutzen und Würde dem Staatsgerichtshof vorsitzen kann. Die Konsequenzen des Beschlusses des Staatsgerichtshofs vom 15. Dezember sind mir von vornherein klar gewesen, und so sehr ich sie bedauere, müssen sie gezogen werden.

Staatssekretär Dr. Meissner:

Eine Vereitelung der Tätigkeit des Staatsgerichtshofs liegt deshalb nicht vor, weil das Verfahren noch weiter läuft und der Staatsgerichtshof in der[334] Hauptsache seine Entscheidung darüber, ob das Reich oder die Länder zur Ernennung zum Verwaltungsrat das Recht haben, noch offen hat. Wenn der Staatsgerichtshof zugunsten der Länder entscheidet, wird das Reich diesen Entschluß respektieren. Die Entscheidung ist auch nach wie vor vollstreckbar, weil am 30. September kommenden Jahres wieder neue Sitze frei werden. Sie ist höchstens in der Vollstreckung um etwa ein Jahr verzögert.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Im Prozeß war nicht die theoretische Frage, sondern eine Leistungsklage der Länder auf Berücksichtigung der bevorstehenden Freiwerdung der Verwaltungsratsstellen, und dieser Anspruch wurde durch das Verhalten des Reiches vereitelt. Ich muß daher bei meinem Entschluß bleiben.

Der Herr Reichspräsident

bedauert erneut, daß Reichsgerichtspräsident Dr. Simons bei seinem Entschluß beharrt. Wenn die Angelegenheit nicht in die Presse gekommen wäre, wäre sie jetzt leichter zu lösen.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons:

Auch er bedauere sehr, daß er nicht anders handeln könne und nach seinem Gewissen so handeln müsse. Auch für die Veröffentlichung des Beschlusses vom 15. Dezember durch die Presse trage er die Verantwortung.

Reichsjustizminister Koch-Weser:

Im Abschiedsgesuch des Reichsgerichtspräsidenten erklärt sich dieser bereit, im Hinblick auf die Geschäftslage des Reichsgerichts sein Ausscheiden im Datum noch etwas zu verschieben. Ich bitte daher, daß Herr Reichsgerichtspräsident sich einverstanden erklärt, noch bis zum 1. April nächsten Jahres im Amte zu bleiben; damit würde der Eindruck in der Öffentlichkeit auch günstiger.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons

erklärt sich grundsätzlich bereit, auf Wunsch des Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung die Geschäfte noch weiterzuführen, und ist damit auch einverstanden, daß der 1. April nächsten Jahres als Tag seines Ausscheidens bekanntgegeben wird5.

5

Das RKab. behandelte in der Ministerbesprechung vom 28.1.29 unter P. 1 und in der Ministerbesprechung vom 5.2.29 unter P. 1 die Nachfolge im Amt des RGPräs. Es beschloß auf Antrag des RJM, MinDir. Bumke vorzuschlagen. – Koch-Weser teilte dem Kabinett am 28. 1. mit, daß Simons zur Zeit in einem Sanatorium sei. „Wahrscheinlich habe die schon damals bestehende Krankheit ihn auch bei seinem unglücklichen Vorgehen gegen die RReg. in der Frage der Vertretung der Länder im Verwaltungsrat der RB nachteilig beeinflußt.“

[Pressecommuniqué.]

Schluß der Sitzung: 12.05 Uhr.

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