2.123 (mu21p): Nr. 123 Bericht des Reichsbankpräsidenten an die Reichsregierung über die Lage der Reichsbank und über Fragen der Finanz- und Währungspolitik. 7. Februar 1929, 11 Uhr

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[416] Nr. 123
Bericht des Reichsbankpräsidenten an die Reichsregierung über die Lage der Reichsbank und über Fragen der Finanz- und Währungspolitik. 7. Februar 1929, 11 Uhr

R 43 I /636 , Bl. 166-202

Anwesend: von der RReg.: Müller, Stresemann, Curtius, Hilferding, Dietrich; StS Pünder, v. Schubert, Popitz; MinDir. v. Hagenow, Ritter, Schäffer, Dorn; MinDirig. Heintze, Wachsmann; MinR Vogels, Feßler; von der Rbk: Schacht, Dreyse, Nordhoff; von Preußen: Schröder, MinDir. Grosser, MinR Neumann; von Bayern: v. Preger, MinR Hammer; von Sachsen: Weber, Gradnauer, MinDir. v. Sichart, Hedrich; LegR Roitzsch; von Württemberg: Bosler, MinR Schick; von Baden: MinDir. Kempff; von Hamburg: Strandes; Protokoll: Krieger.

Reichskanzler Müller: Meine Herren, wir wollten trotz der gegenwärtigen starken Inanspruchnahme des Herrn Reichsbankpräsidenten an unserer Gewohnheit festhalten und die vierteljährlich vorgesehene Sitzung abhalten, ehe der Herr Reichsbankpräsident abreist1.

1

Schacht hatte mitteilen lassen, daß er noch einen Bericht über die Wirtschaftslage erstatten wolle. Angesichts seiner Inanspruchnahme komme dafür nur der 7. 2. in Betracht (Vermerk vom 25.1.29; R 43 I /636 , Bl. 145). Schacht trug seinen Lagebericht vor der Reparationsbesprechung (s. Dok. Nr. 119) vor.

Darf ich bitten, Herr Reichsbankpräsident?

Reichsbankpräsident Dr. Schacht: Herr Reichskanzler, ich bin sehr dankbar dafür, daß wir vorher noch einmal zusammenkommen können. Ich darf vielleicht Ihr Einverständnis annehmen, daß wir uns heute auf die wichtigsten Fragen beschränken. Es sind aber einige Probleme doch wieder so dringend geworden, daß auch in diesem Kreise darüber noch einmal gesprochen werden muß.

Im allgemeinen ist Ihnen ja das Bild der Wirtschaftslage bekannt, und ich brauche hier nicht Statistiken zu wiederholen, die Sie täglich zu Gesicht bekommen. Die Gesamtlage ist ungefähr so – vom Geldverkehr aus gesehen, der ja in erster Linie die Reichsbank angeht –, daß das letzte Vierteljahr 1928 immerhin eine nicht unbeträchtliche Steigerung des Zahlungsverkehrs gezeigt hat. Darin spiegelte sich natürlich vor allem die saisonmäßige Geschäftsbelebung, insbesondere auch zu Weihnachten, wider. Im übrigen aber ist als Charakteristikum der ganzen Situation hervorzuheben, daß die Kreditanspannung, die schließlich auch auf den Zahlungsverkehr zurückwirkt, eine gewisse Zunahme aufweist. Das ist insbesondere aus der Wechselsteuer ersichtlich. Das Wechselsteueraufkommen, das wir stets bei unseren Ermittlungen über den Wechselumlauf in Deutschland nach Beobachtung der Laufzeit der Wechsel in unserem Portefeuille zugrunde legen, zeigt, daß der Wechselumlauf in Deutschland von Oktober bis Dezember wiederum um 200 Millionen[417] Reichsmark zugenommen hat. Wir hatten im Oktober 12,1 Milliarden, im Dezember 12,3 Milliarden RM gegen 11,3 Milliarden im Dezember 1927 und gegen 10,1 Milliarden im August 1927. Daraus ergibt sich, daß die Inanspruchnahme des Wechselkredits zweifellos in sehr erheblicher Zunahme begriffen ist; denn man muß natürlich den Rückgang der Konjunktur dieser gesteigerten Wechselumlaufsziffer gegenüberstellen.

Sehr merkwürdig ist es, daß von diesem Wechselumlauf nur ein verhältnismäßig kleiner Teil bei der Reichsbank ist: rund 1,5 Milliarden im Durchschnitt des Monats. Die Natur der übrigen Wechsel wird großenteils wahrscheinlich derart sein, daß sie nicht gerade als reichsbankfähig bezeichnet werden können. Es ist zwar keine Frage, daß wir bei weitem nicht alle reichsbankfähigen Wechsel bei der Reichsbank haben; aber auch wenn man den Bestand der Privatbanken an Wechseln mit heranziehen wollte, so wird man dabei unbedingt berücksichtigen müssen, daß die Banken gezwungen sind, selbst in den schwierigsten Geldzeiten einen gewissen Betrag reichsbankfähiger Wechsel unter allen Umständen in Reserve zu halten, um eben im Falle der Not damit auf die Reichsbank zurückgreifen zu können2. Mit dem Gros ihres Portefeuilles, nämlich mit den nicht für die Reichsbank geeigneten Wechseln, werden sie das ja ohnehin nicht tun können. Infolgedessen ist die Reichsbank meist nicht ganz Herr der Situation am Wechselmarkt, da er auch unelastische Elemente enthält; es ist also ein künstliches Moment in diese ganzen Dinge hineingetragen. Auch wenn die Zinssätze noch so hoch wären und die Reichsbank noch so billig wäre, würden die Leute doch nicht mit ihrem ganzen Portefeuille zu uns kommen, weil sie einerseits immer einen Bestand an reichsbankfähigen Wechseln als Reserve für den Fall äußerster Not zurückhalten müssen, andererseits viele Wechsel ihres Portefeuilles überhaupt nicht reichsbankfähig sind. Es ist demnach nicht so, daß mit einer Herabsenkung des Diskonts unter allen Umständen eine stärkere Beanspruchung der Reichsbank verbunden ist, weil das für die Reichsbank in Betracht kommende Wechselmaterial in der deutschen Wirtschaft begrenzt ist.

2

Fünf Monate später berichtete der Reparationsagent: „Während des Jahres 1928 wiesen die Wechselportefeuilles der Banken eine rapide Zunahme auf, während der Betrag von bei der Rbk diskontierten Wechseln beständig abnahm. In den Frühjahrsmonaten des Jahres 1929 hat jedoch der Wechselbestand der Rbk eine bedeutende Steigerung aufzuweisen gehabt, wogegen der der Banken eine ausgesprochene Schwächung erfuhr“ (Bericht vom 1.7.29, S. 131).

Etwas, was uns berührt, meine Herren, ist die Zahl der unbezahlt gebliebenen Wechsel, die Zahl der Insolvenzen, Vergleiche, Konkurse usw. Unsere Konkursstatistik ist ja leider so eingerichtet, daß wir lediglich die Anzahl der in Konkurs gehenden Firmen erfassen, daß wir aber nicht die Masse erfassen, die bei solchen Konkursen in Mitleidenschaft gezogen wird. Infolgedessen können wir uns nur auf Beobachtungen aus dem täglichen Geschäftsgang verlassen, aus denen hervorgeht, daß die Konkursgefahr immer mehr auch größere und bessere Firmen ergreift. Wir haben in den letzten Monaten eine ganze Reihe von früher guten Firmen in Konkurs gehen sehen; vereinzelt sind sogar ganze Industriezweige in die Gefahr des Verfalls gekommen. Sie wissen selbst[418] aus Ihren Beratungen hier, wie es bei der Werftindustrie und ähnlichen steht, die Waggonindustrie liegt vollständig darnieder, und es scheint als werde so ein Industriezweig nach dem anderen in Deutschland langsam von dem Verfall unserer Wirtschaft angefressen.

Wir beobachten das nicht so sehr an Hand der Statistik wie vielmehr im praktischen Geschäftsverkehr mit unserer Kundschaft. Obwohl die Reichsbank bei ihren strengen Kreditvorschriften doch eigentlich immer am besten gegenüber all diesen Dingen gesichert ist, muß ich leider sagen, daß wir in der letzten Zeit auch selbst in einigen Fällen direkt betroffen worden sind und voraussichtlich einige Verluste haben werden.

Was nun die Lage des Geldmarktes anlangt, meine Herren, so war es ja ganz unvermeidlich nach der Entwicklung der Sätze am offenen Geldmarkt, daß wir am 12. Januar an eine Diskontermäßigung herangehen mußten3. Die Banken haben zweifellos über den Ultimo des Jahres hinüber wieder sehr erhebliche kurzfristige Auslandsgelder herangezogen. Dieses kurzfristige Auslandsgeld hat die Sätze des täglichen Marktes, die Sätze des Privatdiskontmarktes sehr heruntergedrückt. Es hat sich eine vorübergehende Geldfülle in Deutschland herausgebildet, und obwohl man Bedenken haben konnte, ihr durch eine Diskontermäßigung Rechnung zu tragen, so gibt es doch in solchen Augenblicken gewisse Strömungen und Einstellungen, die mehr psychologischer Art sind, denen man sich nicht in jedem Fall entziehen kann; und so haben wir am 12. Januar unseren Diskont ermäßigt. Es ist aber dann prompt das eingetreten, was wir erwartet hatten: die Rückzahlung der ausländischen Gelder hat langsam angefangen. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß wir nicht beobachten, daß etwa das Ausland von sich aus hier Geld zurückzieht. Aber unsere deutschen Banken haben bei dem derzeitigen Zinsniveau im Aus- und Inland nicht mehr die Möglichkeit, insbesondere bei niedergehender Konjunktur, wie wir sie jetzt in Deutschland haben, das ausländische Geld so hier anzulegen, daß es für sie noch gewinnbringend sein könnte, und ziehen es demgemäß vor, dieses Geld zurückzuzahlen.

3

Die Rbk hatte ihren Diskont am 12.1.29 auf 6½% herabgesetzt.

Infolgedessen bemerken wir, daß die Devisenkurse seit geraumer Zeit nach oben gehen. Wir haben schon seit der letzten Hälfte des Dezember das Pfund über dem Goldimportpunkt gehabt, so daß also kein Gold mehr von England hereinkommt. Seit Januar ist das Pfund weiter hinaufgegangen, und die Dollarnotiz liegt auch so, daß wir uns schon nahe am oberen Goldpunkt bewegen4. Ich halte schon aus dieser Entwicklung der Wechselkurse heraus eine weitere Ermäßigung des Diskonts für eine vollständige Unmöglichkeit. Wenn Sie hinzunehmen, daß die Schwierigkeiten auf den ausländischen Märkten, in New York sowohl wie in London, in der Steigerung begriffen sind, so[419] werden Sie auch aus dieser Entwicklung entnehmen können, daß es für uns ganz ausgeschlossen sein muß, in den nächsten Wochen noch einmal an eine weitere Diskontermäßigung zu denken. Wir haben zwar in der letzten Sitzung des Zentralausschusses wieder erlebt, daß jemand aufgestanden ist, der gesagt hat, wenn die Reichsbank den Diskont ermäßigte, dann würde mehr Geld da sein; aber diese Anschauung, die ja leider Gottes immer in sehr zahlreichen, aber doch nicht in sehr unterrichteten Kreisen verbreitet ist, ist eben so unsinnig, daß, wenn man ihr folgte, in unserer augenblicklichen Situation, wo wir vom Auslandsgeld abhängig sind, genau das Gegenteil eintreten würde, je mehr wir den Diskont ermäßigen, um so mehr Geld fließt natürlich von Deutschland ab, und um so weniger Geld wird dann hier verfügbar sein. Diese Situation muß im Auge behalten werden, wenn wir von der weiteren Diskontpolitik der Reichsbank sprechen.

4

Die Notierungen für das Pfund betrugen am 15.12.28: 20,354 RM, am 31. 12.: 20,381 RM; am 7.1.29: 20,385 RM und am 7. 2.: 20,426 RM. Der Dollarkurs stieg von 4,194 RM am 23.12.28 auf 4,213 RM am 7.2.29 (Bericht des Generalagenten für die Reparationen vom 1.7.29, S. 261). – Als Goldpunkt ist die Ober- bzw. Untergrenze der Wechselkurse bei Goldwährung zu verstehen. Der obere Goldpunkt gibt die Grenze an, bei der es günstiger ist, Gold im Inland zu kaufen und anstelle von Devisen ins Ausland zu schicken.

Meine Herren, die Situation in New York und London ist außerordentlich prekär, so kann man beinahe sagen. Ich darf vielleicht jetzt nachträglich in diesem vertrauten Kreise – das bitte ich aber nicht nach außen hin gelangen zu lassen – davon sprechen, daß wir während des Dezember mit der Bank von England eine Reihe von Erörterungen gepflogen haben, die alle darauf hinaus liefen, ob wir hier nicht etwas tun könnten, die Goldexporte von England nach Deutschland abzustoppen und so gewissermaßen, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, dem Kurs des Pfundsterling zu Hilfe zu kommen. Wir haben dem nicht entsprechen können, weil einmal der Goldmechanismus etwas ist, was man nicht künstlich beeinflussen kann und auch nicht künstlich beeinflussen sollte, denn er ist ja nun einmal gerade das einzige automatische Regulierungsmittel, um die Situation der einzelnen Märkte kennen zu lernen und den nötigen Ausgleich herbeizuführen. Auf der anderen Seite von uns aus gewissermaßen eine Prämie für Pfunde zu zahlen, indem wir sie von der Reichsbank mit Reichsbankmitteln zu höheren Kursen ankaufen, als sie in der Form des Goldes zu uns hereinkommen, dazu liegt auch bei uns natürlich kein Grund vor.

Der Gouverneur der Bank von England ist dann nach New York hinübergefahren. Die deutsche Gefahr war für ihn gebannt durch das Anziehen der Sätze am Geldmarkt und jetzt durch die Rückzahlungen von Auslandsgeldern, die von Deutschland wieder abfließen. Die New Yorker Situation ist für ihn jetzt viel bedrohlicher als neulich die deutsche. Was für Verhandlungen er zur Zeit drüben führt, das vermag ich nur aus Andeutungen zu entnehmen. Ich glaube aber sagen zu dürfen, daß diese Verhandlungen unmöglich von einem wirklichen Erfolg begleitet sein können, weil die Dinge sich auf dem Wege über die Manipulierung des Goldes und über Goldverschiffungen von einem Lande ins andere auf die Dauer nicht meistern lassen. Sie lassen sich nur meistern durch die Diskontpolitik, d. h. indem man die Zinssätze entsprechend verändert. Daß also London ohne eine Diskonterhöhung in der nächsten Zeit auskommt, das möchte ich nicht annehmen. Ob diese Diskonterhöhung schon heute – heute ist Donnerstag – vorgenommen wird oder ob sie heute über[420] acht Tage vorgenommen wird, das weiß ich nicht5. Auch das ist natürlich für uns ein Zeichen, daß wir unmöglich unseren Diskont jetzt noch einmal ermäßigen können.

5

Die Bank von England erhöhte am 7.2.29 ihren Diskont von 4½ auf 5½%.

[Schacht erklärt, daß die Rbk wünsche, Deutschland solle gesetzlich „zur freien Goldarbitrage zurückkehren“. Mit dem Büro des Reparationsagenten sei verabredet worden, die Goldeinlösungsklausel solle gesetzlich geregelt werden, wenn es zur Endlösung der Reparationen komme, um dem Kredit Deutschlands „einen großen psychologischen Auftrieb zu geben“. Mit Parker Gilbert bestehe nur über den Termin der Verpflichtung zur Goldeinlösung keine Einigkeit6.]

6

Parker Gilbert hatte die Ansicht vertreten, daß die Rbk auf Grund ihres großen Goldbestandes kraft gesetzlicher Verpflichtung wieder Auszahlungen in Gold leisten solle (Bericht vom 22.12.28, S. 125 f.)

Meine Herren, der Geldmarkt ist fast während des ganzen letzten Jahres auch immer stark beeinflußt gewesen durch die Begebung von Schatzwechseln des Reichs und Preußens am offenen Markte. Wir haben seit einiger Zeit das Bild, daß das Reich nahezu ständig mit etwa 400 Millionen RM durch Schatzwechsel den offenen Geldmarkt in Anspruch nimmt. Preußen ist auf diesem Gebiet auch nicht zurückhaltend; am 23. Januar waren beispielsweise 125 Millionen preußische Schatzanweisungen im Umlauf. Das alles zeigt, daß die öffentlichen Finanzen nun auch wieder stark den Geldmarkt in Anspruch nehmen. Die Erleichterung des Marktes ist selbstverständlich hierdurch mit retardierend beeinflußt worden.

Was nun die Situation der Reichsbank selbst anlangt, so ist sie, rein währungstechnisch gesprochen, so stark, wie sie niemals vorher gewesen ist, auch nicht Ende Dezember 1926, wo wir damals auf einem Höhepunkt unserer Gold- und Devisen-Reserven standen7. Ich glaube, daß diese Tatsache in dem Augenblick, wo wir an die Expertenverhandlungen herangehen, für uns ein gewisses Moment der Beruhigung darstellen kann. Es ist natürlich klar, daß diese Anreicherung der Reichsbank mit Gold und Devisen auf geborgter Grundlage beruht. Aber rein markttechnisch gesehen liegt es doch so, daß wir heute ganz ruhig eine Milliarde oder etwas mehr an Gold und Devisen weggeben könnten, ohne daß wir an eine Einschränkung des Notenumlaufs zu denken brauchten. Wir haben in den letzten Wochen Notendeckungsziffern zwischen 60 und 70 Prozent gehabt. Wenn wir bis auf 40% herunterkämen, so wäre das etwas, was uns nicht lahm legt8. (Zuruf: Gold und Devisen?) Ja, Gold und Devisen.

7

Der Bestand an Gold und Devisen der Rbk betrug am 31.12.26: 2 350 551 Mio RM (Bericht des Reparationsagenten vom 10.6.27, S. 147). Am 7.2.29 verfügte die Rbk über einen Goldbestand im Wert von 2 729 111 Mio RM und über Devisen in Höhe von 140 295 Mio RM.

8

Nach § 28 des Rbk-Gesetzes vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 242 ) war die Rbk verpflichtet, 40% der umlaufenden Noten durch eine Golddeckung (Gold und Devisen) zu sichern.

Es ist etwas, was uns nicht erschlägt und was uns infolgedessen ein gewisses Gefühl der Beruhigung geben kann. Wenn etwa in der nächsten Zeit, worauf ich aufmerksam machen möchte, während der Verhandlungen die Kreditpressungsschraube[421] vom Ausland bei uns angesetzt werden sollte – ich könnte mir ja denken (vielleicht sind das Phantasien, aber ich möchte doch wenigstens hier darauf aufmerksam gemacht haben), daß man Deutschland williger zu machen sucht, indem man ihm den Geldkorb etwas höher hängt –, so wird es einer solchen Taktik gegenüber sehr gut sein, daß die Reichsbank heute so stark dasteht; wir würden einer solchen Eventualität immerhin eine ziemliche Weile begegnen können. Es kommt hinzu, daß der Kredit, den die Golddiskontbank – wenn Sie sich erinnern – in Amerika sich seinerzeit gesichert hatte9, von uns rechtzeitig in eine etwas längerfristige Kreditzusage umgewandelt worden ist. Wir können von heute bis zum Juli 1930 jederzeit 50 Millionen Dollar, also 220 Millionen Goldmark Kredit in Amerika in Anspruch nehmen. Das Bankenkonsortium hat sich gegen eine kleine Kommission gebunden, uns diesen Kredit zu geben. Das würde auch wiederum eine halbe Milliarde Noten bedeuten, wenn wir diese Devisen bei uns vereinnahmen würden.

9

Die Golddiskontbank hatte im Juli 1927 in den USA einen Rediskont von 30 Mio Dollar aufgenommen (Bericht des Reparationsagenten vom 10.12.27, S. 225).

[Das Auslandsgeld sei hauptsächlich in Form von Gold aufgenommen worden. Sollte der obere Goldpunkt erreicht werden und ein Goldexport aus Deutschland folgen, werde das „die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die deutsche Geldsituation“ stärker lenken als Devisenkursbewegungen an der Börse.]

Meine Herren, die Börse befindet sich nach wie vor in einer absoluten Stagnation. Von Zeit zu Zeit wird ein Versuch gemacht, den Kurs der Reichsbankanteile in die Höhe zu setzen; aber dann kommt wieder einmal eine Gelegenheit, wo man auf das Risiko dieser Hinaufsetzung aufmerksam machen kann, und so halten sich auch diese Versuche jetzt einigermaßen in Grenzen. Der Kurs vom 6. war 307¼%. Dagegen bewegt sich das gesamte Aktien-Kursniveau dauernd auf etwa 158–162%. Seit dem Mai 1927, wo wir das übersteigerte Kursniveau hatten, ist eigentlich an der Börse von einer großen Veränderung im Kursniveau nicht mehr die Rede gewesen. Infolgedessen ist auch der ganze Umsatz an der Börse gering, was wiederum auch die Beanspruchung der Banken mit Reports und Lombards niedrig sein läßt. Das alles zeugt davon, daß unser Kapitalmarkt in Deutschland sich nach wie vor in dem Zustand absolutester Unzulänglichkeit befindet. Der Kapitalbedarf steht in einem so schreienden Mißverhältnis zu dem, was an Kapitalneubildung zur Verfügung steht, daß hierin eine Besserung auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Meine Herren, es ist bedauerlich, wenn trotzdem immer wieder der Versuch gemacht wird, den Kapitalmarkt für öffentliche Zwecke in Anspruch zu nehmen, und wenn infolgedessen die Zinsofferten, die man dem Kapitalmarkt macht, dauernd steigen. Soweit die Reichsbank in der Lage gewesen ist, hier einzugreifen, hat sie immer Hand in Hand mit dem Reichsfinanzministerium versucht, das Schlimmste abzuwenden. Aber wenn beispielsweise die 8%ige Kasseler Stadtanleihe in einem Betrage von 6 Millionen Reichsmark mit einer Auszahlung von 89 an die Stadt abgeschlossen wird, so sind das Kurse, die,[422] wenn Sie einmal an die guten Zeiten vor dem Kriege zurückdenken, geradezu verheerend genannt werden müssen. Es ist nicht möglich, daß wir auf diese Weise dauernd unseren Kapitalmarkt weiter schröpfen und in Unordnung bringen lassen.

Das Non-plus-ultra auf diesem Gebiete ist ja zweifellos die mecklenburgische Anleihe gewesen. Meine Herren, der Staat Mecklenburg hat sich nicht gescheut, eine Losanleihe aufzulegen, die bei 110% Auslosung, beginnend im Jahre 1930, und bei fallender Auslosung für die späteren Jahre, sich für jemand, der im ersten Jahre ausgelost wird, mit 25% verzinst; wird er in den Jahren 1938 oder 1939 – also zu einem sehr späten Termin – ausgelost, so hat er immer noch eine 9½%ige Verzinsung. Das sind Zustände, die deswegen so ungeheuer bedauerlich sind, weil sie natürlich ihre Rückwirkung auf alle anderen Länder, auf die Städte usw., aber schließlich auch auf die gesamte Privatwirtschaft haben, denen natürlich der ganze Kapitalmarkt dadurch abgeschnitten wird, soweit er überhaupt noch zur Verfügung ist, und die infolgedessen ihrerseits ebenfalls in Zinssätze hineingetrieben werden, die mit Sicherheit den Ruin der deutschen Wirtschaft herbeiführen werden. Das erinnert mich ungefähr an das, was mir neulich ein Herr sagte, der an einem Streik beteiligt war. Er meinte: Wenn ich weiter streike, so habe ich einen täglichen Verlustsaldo von 70 000 RM; wenn ich aber die Löhne bewillige, die die Leute fordern, dann habe ich nur einen täglichen Verlust von nur 20 000 RM, d. h. ich spare dadurch 50 000 RM täglich und würde infolgedessen geneigt sein, die Löhne zu bewilligen. Das sind Verzweiflungsstimmungen, die natürlich nur aus dem Gedanken erklärlich sind: mit 20 000 RM täglichen Verlust sterbe ich etwas langsamer, und vielleicht passiert in der Zwischenzeit ein Wunder. Ja, meine Herren, wenn das ein Privatmann macht, so kann man es noch verstehen. Wenn das aber die verantwortlichen Staatsmänner machen – und schließlich hat doch auch das Land Mecklenburg eine verantwortliche Staatsregierung –, so muß man wirklich sagen, daß hier von einem Verantwortungsgefühl nicht mehr viel die Rede sein kann. Ich glaube, daß es ganz ausgeschlossen ist, daß die Reichsregierung diesen Dingen tatenlos weiter gegenübersteht; nach dieser Richtung hin muß unbedingt etwas geschehen10.

10

Auf Grund der Anleihe Mecklenburg-Schwerins hatte der RFM den Ländern bereits mitgeteilt, es sei nicht angängig, die pflegliche Behandlung des Kapitalmarkts durch Geldaufnahmen mit untragbaren Bedingungen zu durchkreuzen. Das Vorgehen Mecklenburg-Schwerins habe die Aufnahme weiterer Anleihen gefährdet und den deutschen Kredit im Ausland gefährdet. Es sei erforderlich, daß eine Rücksprache bei dem RFM vorgenommen werde, bevor die Aufnahme eines Kredits erfolge. Werde dieser Bitte nicht entsprochen, dann müsse der RFM einen GesEntw. über Kreditaufnahmen vorlegen, wie das schon angeregt worden sei (Schreiben des RFM an die Länder vom 4.2.29; R 43 I /2276 , Bl. 193 f.).

Bei Preußen war es so, daß es auch eine große Anleihe ausgeben wollte. Bei Kassel hat es sich nur um 6 Millionen gehandelt, was ich vorhin nannte; bei Mecklenburg waren es 15 bzw. 15 + 5 Millionen. Preußen wollte 100 Millionen auflegen, was natürlich eine ungeheuere Beanspruchung des Kapitalmarktes gewesen wäre, und hatte eine Offerte von 9,2%. Meine Herren, der Staat Preußen, der im Frieden mit 3,5% bis 4% jede Anleihe unterbringen konnte, ist heute auf dem Zinsfuß von 9,2% angelangt, und ich frage mich,[423] wie irgend jemand, der für diese Dinge auch nur etwas Verständnis hat, annehmen kann, daß ein Land mit solchen Zinssätzen überhaupt seine Wirtschaft und sein soziales Gefüge aufrechterhalten kann. Das ist auf die Dauer vollständig unmöglich, und wir rennen hier sehenden Auges in den Abgrund hinein.

Bei Preußen ist es ja dann durch Besprechungen gelungen, die Sache etwas abzubiegen, den Betrag zu vermindern und die öffentlichen Stellen in Anspruch zu nehmen. Aber, meine Herren, das Grundproblem bleibt natürlich bestehen, daß an den Kapitalmarkt von öffentlicher Seite solche Ansprüche gestellt werden, bei denen eben der Kapitalmarkt einfach nicht mehr mitkommen kann.

Diese ganze Entwicklung hat sich vollzogen, obwohl das Hereinkommen von Auslandsanleihen im Jahre 1928 durchaus nicht zurückgegangen ist. Die vielen Diskussionen über diese Auslandsanleihen verleiten sehr leicht dazu, anzunehmen, es seien alle Zuflüsse abgeschnitten gewesen. Das ist nicht der Fall. Wir haben im Jahre 1928 genauso viel Auslandsanleihen hereingenommen wie im Jahre 1927, nämlich 1576 Millionen gegen 1575 Millionen im Jahre 1927. Auch von der Auslandsseite her ist irgendeine Einschränkung nicht vorhanden gewesen, und trotzdem sind wir jetzt bei Zinsraten angelangt, die für die erstklassigsten Schuldner über 9% liegen. Das ist eine vollständig unmögliche Entwicklung.

Meine Herren, die Kapitalbildung in Deutschland wird ja an der Hand der Sparkassenziffern und der Kapitalneuanlagen der Lebensversicherungsgesellschaften und ähnlicher Teilziffern von gewissen Kreisen ständig überschätzt. Es ist ganz klar, daß, wenn Auslandskapital hereingenommen wird, dieses Auslandskapital im Inland irgendwie wieder erscheinen muß, wenn es nicht gerade aufgegessen wird. Manchmal wird es ja auch aufgegessen insofern, als es für die Einfuhr von Nahrungsmitteln verwandt wird, die hier einfach verzehrt werden. Aber im übrigen setzt sich dieses Auslandskapital selbstverständlich in Sachwerte um, in Löhne, in Gewinne von Lieferanten usw., die diese Sachwerte zu produzieren oder zu liefern haben usw., und es ist ganz selbstverständlich, daß aus diesen Löhnen und Gewinnen auch die Sparkasseneinlagen steigen müssen. Ich glaube, daß diese Erscheinungen nicht überschätzt werden dürfen. Der ganze Zuwachs der Sparkassen im November gegen Oktober z. B. sind auch nur 178 Millionen. Bei den Lebensversicherungsgesellschaften beträgt der Zuwachs an Neuversicherungen von August bis Oktober nur 54 Millionen RM. Also wirklich: sehr begeisternd sind diese Ziffern, wenn sie mit dem Umsatz unserer gesamten Volkswirtschaft verglichen werden, durchaus nicht.

[Ein Londoner Bankier habe den Bestand der Auslandsgelder in den deutschen Großbanken auf 5% geschätzt.]

Meine Herren, Tatsache ist, daß es heute annähernd 50% sind, d. h. die Hälfte aller Gelder der Berliner Großbanken stammt vom Ausland. Was darin für eine Gefahr liegt, nicht etwa bloß bezüglich der Möglichkeit des unmittelbaren Abzugs dieser Gelder bei irgendeiner Krise, sondern was für eine Gefahr allgemein darin liegt, daß man überhaupt diese Gelder zu Krediten verwendet, noch dazu zu kurzfristigen Krediten, und daß, wenn diese Gelder einmal weggezogen[424] werden sollten, diese Kredite ja alle zurückgezogen werden müssen, was da möglicherweise für eine Zerstörung in unser Wirtschaftsleben hineingetragen wird, davon machen sich die wenigsten eine Vorstellung.

Auf der anderen Seite haben die Guthaben der Banken, die sie im Ausland als Gegenposten unterhalten, prozentual ständig eine Verminderung erfahren. Meine Herren, ob diese Dinge durch die Fusionen usw. besser werden, die neuerdings wieder im Bankwesen vor sich gehen, ist noch fraglich11. Wenn diese Fusionen zu einer Reduzierung der Unkosten, die ja doch ihr Hauptzweck sein muß, führen sollen, dann müßten nach der Fusion sehr erhebliche Betriebszusammenlegungen und wohl auch Entlassungen von Beamten erfolgen. Ob dazu der Mut vorhanden sein wird und was dann mit diesen entlassenen Leuten wieder geschehen soll, das ist ein Problem, welches man ja wohl verallgemeinert als das Problem Deutschlands bezeichnen muß.

11

Im Frühjahr 1929 wurde die Mitteldeutsche Creditbank von der Commerz- und Privatbank übernommen.

Deshalb, meine Herren, glaube ich – und wenn Sie mir erlauben, möchte ich damit schließen –, daß für die kommenden Reparationsbesprechungen, für die man sich ja absolut kein Programm machen kann, es sehr viel weniger darauf ankommt, welche Ziffer man sich als die für Deutschland tragbare ausrechnet oder, daß man sich mit dem Bleistift hinsetzt und sagt: Herr Poincaré verlangt soundsoviel, infolgedessen muß soundsoviel als Leistungssumme herauskommen; nun wollen wir einmal sehen, wie wir das vielleicht noch um ein paar Prozent herunterstreichen können; das ist dann schließlich das Resultat. Meine Herren, auf diesem Wege wird man ja zu keiner Lösung kommen. Die Dinge liegen so, daß, wenn nicht die ganze Wirtschaftsstruktur Deutschlands geändert wird, dann überhaupt eine Zahlungsmöglichkeit für Deutschland nicht gegeben ist. Deutschland muß wieder, wie das Herr Gilbert so schön bereits als feststehend hingestellt hat, ein going concern werden, der er heute nicht ist. Ja, wenn Deutschland die Schulden, die es in der Zwischenzeit angesammelt hat, nicht bald zurückzuzahlen brauchte, so könnte man vielleicht die Hoffnung haben, daß es ein going concern sei. Aber wir haben heute schon soviel ausländisches Geld in Deutschland, teils auf dem Wege von langen Krediten, teils auf dem Wege von kurzen Krediten, teils in der Form von Erwerb mobiler Kapitalien, die man jeden Tag wieder, wenn auch vielleicht zu weichenden Kursen, hier in Deutschland verkaufen kann, daß nicht nur die Rückzahlung dieser Kapitalien eine schwere Erschütterung für Deutschland und eine Unterminierung seiner ganzen Wirtschaft bedeuten würde, sondern daß schon die Aufbringung der Zinsen und Tilgungsraten für diese Kapitalien für Deutschland heute eine Unmöglichkeit wäre, wenn nicht dauernd wieder neues Kapital hereinkäme, mit dem man die alten Fälligkeiten bezahlt. Meine Herren, wir sind – so gesehen – schon nahezu in der Situation eines Bankrotteurs. Wir haben soviel Schulden, daß wir die Verzinsung und Tilgung zur Zeit nicht aus eigenem aufbringen können, sondern hierfür neue Schulden machen müssen. Wir hoffen ja alle – und das ist ja das große Problem, vor dem wir stehen –, daß dieses Geld, das wir hereingenommen haben, so angelegt ist,[425] daß unsere Wirtschaft in ihrer Produktivität und insbesondere in ihrem Export so steigt, daß wir nicht als Bankkrotteure dastehen, sondern daß es möglich wird, aus diesen späteren Überschüssen die Kredite zu verzinsen und zurückzuzahlen.

Meine Herren, nur wenn diese Entwicklung in irgendeiner Weise sichergestellt wird, können wir meines Erachtens neue Verpflichtungen in der Reparationsfrage übernehmen, und deshalb ist nicht die Summe, die wir zu zahlen haben werden, das Entscheidende, sondern die Bedingungen, unter denen Deutschland das Geld verdienen kann, welches wir den Ausländern zu zahlen haben. Nur wenn wir auf diese Grundlage eingehen, glaube ich, werden wir bei den Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis kommen können. Die Gegenseite wird ihre Auffassung von Deutschlands Wohlstand und Deutschlands Produktivität sehr revidieren müssen. Und trotzdem, meine Herren, bin ich nicht hoffnungslos. Wir alle vier Experten gehen mit der positiven Einstellung nach Paris, daß wir versuchen wollen, etwas zu erreichen, zu einer Lösung zu kommen, und wir haben auch nicht unbedingt die Überzeugung, daß man sich unseren guten Gründen verschließen wird. Man kann nur zahlen aus dem, was man verdient. Ob wir dabei nicht sparsamer wirtschaften müssen, als wir es bisher vielleicht getan haben, das ist eine Detailfrage, über die man sich unterhalten kann. Aber wir können nicht zahlen, wenn wir nicht verdienen; dieser Gesichtspunkt muß in die erste Reihe gestellt werden.

[Für den RK, der dem RPräs. über die politische Lage Bericht erstattet, eröffnet der RAM die Diskussion. Der RFM wiederholt seine Aufforderung an die Länder, in der Aufnahme von Krediten Zurückhaltung zu üben, damit er nicht zu einer gesetzlichen Regelung gezwungen werde.]

Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius: Ich bitte, zu diesem Punkte noch eine Ergänzung machen zu dürfen. Diejenigen, die solche Kredite aufnehmen, dürfen nicht vergessen, daß durch die allgemeine Steigerung des Zinsniveaus die Wirtschaft als solche in immer unterträglicherer Weise belastet wird. Man nimmt die Dinge zu leicht. Ich habe jetzt einmal für Zwecke des Expertenkomitees Zusammenstellungen darüber machen lassen, wie hoch wohl die Mehrbelastungen an Zinsen in Deutschland für die deutsche Wirtschaft ist, und habe feststellen können, und zwar nach ganz rohen Überschlägen, daß allein bei den Aktiengesellschaften, die das „Berliner Tageblatt“ in seiner regelmäßigen Statistik kontrolliert, die Mehrbelastung an Zinsen gegenüber der normalen Belastung der Konkurrenzländer 432 Millionen M beträgt, daß ferner die Mehrbelastung der deutschen Landwirtschaft gegenüber den sonstigen Landwirtschaften auf dem europäischen Kontinent oder aber gegenüber der Normallage des Friedens 360 Millionen M beträgt; und wenn Sie dazu die nicht erfaßten Kredite nehmen, dann kommen Sie auf eine Vorbelastung der deutschen Wirtschaft von rund einer Milliarde allein durch die erhöhten Zinsen. Es ist natürlich eine Unmöglichkeit für die deutsche Wirtschaft, weiter so zu arbeiten. Dieses Zinsniveau muß auf alle Fälle gesenkt werden, und es kann nicht gesenkt werden, wenn dauernd die Kapitaldecke, die zu kurz ist, in Anspruch genommen wird durch derartige Kredite, wie sie eben geschildert worden sind.

[426] Ich darf aber auch sagen, daß reparationspolitisch, wenigstens soweit ich sehen kann, eine große Gefahr erwächst. Einer der stärksten Trümpfe für unsere Sachverständigen in Paris wird unzweifelhaft diese Vorbelastung der deutschen Wirtschaft mit Zinsen sein, und Parker Gilbert hat ja selbst in seinem Jahresbericht auf diese drückende Höhe der Zinsenlast hingewiesen. Bruins, der Kommissar der Reichsbank, geht da etwas weiter, argumentiert etwas plastischer, legt aber auch das größte Gewicht darauf, zu zeigen, wie schwer die Belastung mit Zinsen ist12. Wie aber, wenn einer in der Reparationskonferenz sagen würde: die Deutschen sind selbst daran schuld, denn sie treiben fortwährend künstlich ihr Zinsniveau in die Höhe, indem sie derartige Kredite aufnehmen, wie das in der letzten Zeit geschehen ist? Dann ist mit einem Schlage dieses Argument gegenüber den Sachverständigen völlig beiseite geschoben. Es besteht die Gefahr, daß daraus wieder dieselbe Kategorie von Vorwürfen entnommen wird, die Parker Gilbert immer an uns richtet, daß es sich um eine Verschwendung und mangelnde Zurückhaltung der öffentlichen Hand bei Kreditaufnahmen handelt. Deshalb kann man im gegenwärtigen Augenblick die Frage sowohl mit Rücksicht auf die Reparationspolitik wie mit Rücksicht auf die deutsche Wirtschaft nicht ernst genug nehmen, und ich habe mir auch schon gedacht, daß man sich schließlich genötigt sehen würde, gesetzgeberische Vollmachten zu erbitten, um solche Auswüchse zu verhindern.

12

Vgl. S. 249 ff., 257 ff., 265 f. im Bericht des Reparationsagenten vom 22.12.28.

[Präs. Schröder berichtet, daß der PrFM die Ansicht des RFM über Einvernehmen zwischen Ländern und Reich in Anleihefragen teilt. Preußischen Kommunen sei von der Staatsbank abgeraten worden, „unter der jetzigen Situation Anleihen auszugeben“. Sächs.FM Weber erkennt die Sorgen des RBkPräs. und des RFM an, aber es seien „auch die finanziellen Bedürfnisse der Länder zu erfüllen“. Dabei weist er auf wirtschaftliche Aufgaben hin, die durch den außerordentlichen Haushalt zu erfüllen seien, insbesondere Verkehrswesen und Wasserversorgung. Der RFM dankt, daß Sachsen im Einvernehmen mit dem Reich handeln will und warnt nochmals vor einer Konkurrenz der Länder untereinander oder mit dem Reich in der Anleihepolitik. Der RK stellt fest, daß die Anregungen des RFM entsprechend zu berücksichtigen seien.]

Sächsischer Ministerialdirektor Geheimer Rat v. Sichart: Die Mecklenburg-Schwerinsche Regierung ist hier nicht vertreten. Diese Verhandlungen sind ja streng vertraulich. Es ist also ausgeschlossen, daß diese Regierung hiervon etwas erfährt.

Reichskanzler Müller: Das ist bereits vorher geschehen in einer Besprechung, die wir mit dem Ministerpräsidenten und Finanzminister von Mecklenburg-Schwerin hier gehabt haben. Wir haben, nachdem wir von der Anleihe hörten, mit den beiden genannten Ministern verhandelt und ihnen dabei unsere Stellungnahme zu der Anleihe klar zum Ausdruck gebracht13.

13

Siehe Dok. Nr. 107. – Nachdem sich v. Sichart im RR gegen die Anleihepolitik Mecklenburg-Schwerins ausgesprochen hatte, wurde von dem Gesandten des Landes, Tischbein, gegen den sächs. MinDir. der Vorwurf erhoben, er habe Äußerungen über die Sitzung mit dem RbkPräs. am 7. 2. von sich gegeben (Vermerk v. Hagenows vom 8.2.29 und Schreiben Pünders an den sächs. Gesandten Gradnauer vom 9.2.29; R 43 I /636 , Bl. 148, 150-152). v. Sichart wies die Beschuldigung zurück und erklärte, daß die Verbindung mit der von ihm im RR als verfehlt bezeichneten Mecklenburger Anleihe mit dem Bericht des RbkPräs. allein auf einer Kombination Tischbeins beruhe (13. 2.; R 43 I /636 , Bl. 157 f.). Daraufhin erklärte Pünder am gleichen Tag, er wolle die weiteren notwendigen Feststellungen auf nichtschriftlichem Weg bei dem Gesandten Tischbein unauffällig einziehen (R 43 I /636 , Bl. 159 f.).

[427] Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, meine Herren. – Dann danke ich Ihnen und schließe die Sitzung14.

14

Weitere Sitzungen des RkbPräs. mit der RReg. wurden in R 43 I nicht ermittelt, ebenso wenig eine Begründung dafür, daß sie aufgegeben worden seien.

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