1.193.3 (mu22p): 3. Fortsetzung der Aussprache über den Reichshaushaltsplan 1930.

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3. Fortsetzung der Aussprache über den Reichshaushaltsplan 1930.

Das Kabinett setzte die am 13. Februar abgebrochene Aussprache über den Reichshaushaltsplan 1930 fort5.

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Siehe Dok. Nr. 444 und die neue Vorlage des RFM, Dok. Nr. 447.

Der Reichskanzler stellte zunächst die im Etat des Reichsarbeitsministeriums offen gebliebenen 4 Streitpunkte zur Erörterung:

1. Der Reichsminister der Finanzen beantragte, die Reichszuschüsse zur Familienwochenhilfe auf 5 Millionen RM festzusetzen. Demgegenüber hielt der Reichsarbeitsminister eine Summe von 29 Millionen RM für erforderlich.

2. Der Reichsminister der Finanzen beantragte, die nach § 7 des Gesetzes über Zolländerungen vom 17. August 1925 der Invalidenversicherung zu überweisenden 40 Millionen RM auf 20 Millionen RM herabzusetzen.

Der Reichsarbeitsminister widersprach diesem Antrage.

Der Reichsverkehrsminister machte einen Vermittlungsvorschlag. Er wies darauf hin, daß das Gesetz vom 17. August 1925 bis zum 31. März 1935 befristet sei, daß die Invalidenversicherung mithin noch auf 5 Jahresraten von 40 Millionen RM Anspruch erheben könne. Er empfahl, die Geltungsdauer der in Frage kommenden Vorschrift des Gesetzes auf 10 Jahre zu erstrecken und den Jahresbetrag auf 20 Millionen RM festzusetzen.

3. Der Reichsminister der Finanzen trug vor, daß in dem Entwurf des Haushalts des Reichsarbeitsministeriums für Zwecke der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge einstweilen noch 55 Millionen RM vorgesehen seien. Er beabsichtige jedoch, im kommenden Jahr für die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge in anderer Weise zu sorgen. Das Reich habe für die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge bisher 300 Millionen RM Kredite vergeben. Wie er in der vorhergehenden Sitzung bereits dargelegt habe, sei beabsichtigt, die zu erwartenden[1468] Rückflüsse einer öffentlich-rechtlichen Anstalt zuzuweisen, deren Aufgabe es sein werde, in Zukunft die ihr zufließenden Kapitalien für Zwecke der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge wiederzuverwenden. Es bestehe auch begründete Hoffnung, daß es gelingen werde, der in Frage kommenden Anstalt binnen kurzem Auslandsgeld zu verschaffen, mit deren Hilfe die neue Organisation bereits vom 1. April 1930 an arbeiten könne.

Der Reichsarbeitsminister erklärte demgegenüber, daß die Hoffnungen auf die neue Organisation zu vage seien, um sich damit abfinden zu können. Er beantragte, in den Haushaltsplan für Zwecke der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge 105 Millionen RM einzusetzen.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte diese Forderung für unannehmbar. Er bat die Beschlußfassung zur Sache auszusetzen, da er binnen 10–14 Tagen Klarheit darüber herbeiführen zu können glaube, ob die Hoffnung auf Beschaffung eines ausreichenden Auslandskredits für die Finanzierung der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge im kommenden Rechnungsjahr sich erfüllen werde.

4. Der Reichsminister der Finanzen trug vor, daß im Versorgungsetat für die Kapitalabfindung der Kriegsbeschädigten 63 Millionen RM vorgesehen seien. Der Reichsarbeitsminister fordere dagegen 88 Millionen. Die Erfüllung dieser Forderung müsse er ablehnen. Dagegen sei er bereit, den für die Renten vorgesehenen Betrag von 597 Millionen RM um 5 Millionen RM zu erhöhen und ferner auch dem für die Hinterbliebenenrenten vorgesehenen Betrage von 584 Millionen RM weitere 5 Millionen RM hinzuzusetzen.

Abstimmung:

1. Auf Vorschlag des Reichskanzlers wurde die Abstimmung über die Frage der Ausgestaltung der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge zurückgestellt, in der Erwartung, daß die Frage der Beschaffung einer Auslandsanleihe für diese Zwecke binnen 10–14 Tagen geklärt sein werde.

2. Der Antrag des Reichsministers der Finanzen auf Festsetzung des Betrages für die Familienwochenhilfe auf 5 Millionen RM anstatt 29 Millionen RM wurde mit Stimmenmehrheit abgelehnt.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte darauf, daß er gegen diesen Beschluß gemäß § 21 der Reichshaushaltsordnung sein Veto einlege.

Im späteren Verlauf der Sitzung – nach Herbeiführung der Einigung des Kabinetts über den Wehretat – kam der Reichsminister der Finanzen auf die Angelegenheit zurück und erklärte, daß er seinen Widerspruch zurückziehen wolle, wenn das Kabinett damit einverstanden sei, daß die Reichszuschüsse zur Familienwochenhilfe auf 15 Millionen RM festgesetzt werden6.

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Wissell habe auf keinen Fall die sozialpolitischen Errungenschaften, die sein Vorgänger Brauns erzielt hatte, aufgeben wollen, berichtet hierzu Moldenhauer in seinen Erinnerungen. „Es kam schließlich soweit, daß ich, als ich in einer Frage des Abbaues des Etats des RArbMin. überstimmt wurde, mein Veto einlegte. Nach der GO des Kabinetts bedeutete das, daß in einer nächsten Sitzung über diese Frage noch einmal abgestimmt werden muß und der Finanzminister dann nur überstimmt werden kann, wenn der RK gegen ihn stimmt. Das würde in den meisten Fällen wohl zur Kabinettskrise führen. Soweit mir erzählt worden ist, hatte zuletzt Luther vor fünf Jahren von diesem Mittel einmal Gebrauch gemacht. Nachdem ich mich aber mit Groener geeinigt hatte, sprach ich mit Müller, der mit Wissell gegen mich gestimmt hatte, und bat ihn, auch hier für eine Verständigung zu wirken. Schließlich gab Wissell nach, und in derselben Nacht, in der die Verständigung mit Groener erfolgte, kam auch die Verständigung mit Wissell zustande, der, wenn ich mich recht erinnere, etwa zwei Drittel seiner Mehrforderungen aufgab“ (BA: Nachlaß Moldenhauer  3, Teil II, S. 8).

[1469] Der Reichsarbeitsminister widersprach auch diesem neuen Vorschlage.

Das Kabinett billigte jedoch den neuen Antrag des Reichsministers der Finanzen mit Stimmenmehrheit.

3. In der Frage der Zuschüsse für die Invalidenversicherung aus dem Zollgesetz billigte das Kabinett mit Stimmenmehrheit den Antrag des Reichsverkehrsministers, der dahin geht, die Geltungsdauer des Zollgesetzes bis zum 31. März 1940 zu erstrecken und die Höhe der jährlichen Zuschüsse für die Invalidenversicherung auf 20 Millionen RM festzusetzen.

4. Der Antrag des Reichsarbeitsministers, den Ansatz für die Kapitalabfindung der Kriegsbeschädigten von 63 Millionen auf 88 Millionen zu erhöhen, wurde mit Stimmenmehrheit abgelehnt.

Der Reichsarbeitsminister ließ keinen Zweifel daran, daß er nicht bereit sei, die gegen ihn ausgefallenen Entscheidungen vor dem Reichstage zu vertreten.

Nach einer Pause setzte das Kabinett die Beratungen mit der Erörterung der beim Etat des Reichswehrministeriums offen gebliebenen Streitpunkte fort.

Der Reichswehrminister trug den Stand der zwischen ihm und dem Reichsminister der Finanzen hinsichtlich der Ausgestaltung des Wehretats bestehenden Meinungsverschiedenheiten vor. Er erklärte, daß seine Forderung beim Heeresetat sich auf 513,6 Millionen RM beziffere gegenüber 494,6 Millionen RM, die der Reichsminister der Finanzen zugestehen wolle. Die entsprechenden Ziffern beim Marineetat seien 210 Millionen RM des Reichswehrministeriums gegen 190 Millionen RM des Reichsfinanzministeriums. Die Differenz beziffere sich mithin beim Heeresetat auf 19 Millionen, beim Marineetat auf 20 Millionen RM7.

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Zum Stand dieser Frage siehe Dok. Nr. 445. Nach Schäffers Tagebuchaufzeichnung hat Groener erklärt: „Mein Streben im Kampf mit dem Finanzministerium ist nur, auf die Gesamtsumme zu kommen. Stabilität des Wehretats ist erforderlich für eine Reihe von Jahren. Ein normales Jahr ist dafür erforderlich. Unsere Wehrmacht ist zur Zeit nicht voll schlagfähig, weil ihr Waffen und Munition fehlen. Wir können nur ein Gefecht machen. Es gibt zwei große Posten, Ausbildung und Rüstung. Beide sind auf dem Minimum“ (17.2.30; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

In der Aussprache erklärten sowohl der Reichswehrminister wie auch der Reichsminister der Finanzen daß eine Erörterung über Einzelpunkte des Etats unzweckmäßig sei, daß es vielmehr auf eine Einigung auf eine feste Globalsumme ankomme. Im übrigen nahm die Erörterung über die Aufstellung und Durchführung eines Flottenbauprogramms mit Einschluß der neuen Linienschiffe in der Debatte einen weiten Raum ein.

Das Reichskabinett faßte, nachdem der Reichskanzler, der Reichsminister der Finanzen und der Reichswehrminister in einer Sonderbesprechung die Gestaltung des Wehretats beraten hatten8, folgenden einstimmigen Beschluß:

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Moldenhauer hatte schon vor der Ministerbesprechung versucht, eine Verständigung mit Groener herbeizuführen. „Schließlich mußte die letzte Frage im Kabinett ausgetragen werden. Es gelang mir, die Verständigung auf der Basis, daß Groener etwa die Hälfte dessen, was er mehr forderte, aufgab, dafür aber sich bereit erklärte, die Einstellung des Panzerkreuzers B in den Etat auf das nächste Jahr zu verschieben. Dafür wurde ihm das Recht zugebilligt, ein Programm über den kommenden Flottenbau vorzulegen. In dieser Kabinettssitzung, die bis spät in die Nacht dauerte, hatten wir die Sitzung unterbrochen und führten schließlich zu dritt, RK Müller, Groener und ich, die Besprechung weiter und verständigten uns auf meinen Vorschlag. Auch hier empfand ich wieder, wie sehr Müller bereit war, einen mittleren Weg zu gehen, wie wenig er von Parteidoktrinen beherrscht war. Das Kabinett trat dann dem Beschluß bei. Es war für mich eine große Genugtuung, diese sehr kritische, politische Frage gelöst zu haben“ (BA: Nachlaß Moldenhauer  3, Teil II, S. 6).

[1470] I. In Anbetracht der besonders angespannten Haushaltslage im Jahre 1930 werden Mittel für eine erste Rate des Ersatzbaus „Panzerschiff B“ in diesem Haushaltsjahr nicht eingesetzt.

II. In Ausführung des Beschlusses des Reichstags vom 18. Juni 1929, der die Vorlage eines auf längere Sicht abgestellten Bauprogramms verlangt, wird die Reichsregierung mit dem Etatvoranschlag für 1931 einen Plan vorlegen, in dem für einen Reihe von Jahren die Ersatzbauten der Marine festzulegen sind, wobei auch der Ersatz der Linienschiffe vorzusehen ist.

Dies soll, um die Verhandlungen mit den Fraktionen über die Ausgestaltung des Etats 1930 nicht zu erschweren, zunächst nicht bekannt gegeben, sondern erst bei der Zuleitung des Haushaltsplanes 1930 an den Reichsrat diesem mitgeteilt werden.

III. Um die Beschaffung von Waffen, Munition und Geräten sowie die Ausbildung und die sonstigen Rüstungsaufgaben der Wehrmacht in dem vom Reichswehrminister für unerläßlich erachteten Mindestmaß sicherzustellen, werden die Gesamtausgaben von Heer und Marine im Etatsjahr 1930 auf 700 Millionen RM festgelegt.

Das Kabinett wandte sich sodann den beim Etat des Rheinministeriums noch offenen Streitpunkte zu.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete wiederholte seine in der vorigen Sitzung gestellte Forderung auf paritätische Behandlung des Ostens und des Westens des Reichs und beantragte, im kommenden Rechnungsjahr sowohl für den Osten wie auch für den Westen je 22 Millionen RM vorzusehen. […]

Der Reichsminister des Innern erklärte, daß er es in Anbetracht der größeren Notlage des Ostens für richtiger halte, sich auf das bereits in der vorigen Sitzung erörterte Summenverhältnis von 25 Millionen RM für den Osten und 17 Millionen RM für den Westen zu einigen.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß für ihn der Vorschlag des Reichsministers für die besetzten Gebiete nur dann annehmbar sein werde, wenn bei der Zuleitung des Haushalts 1930 an den Reichsrat diesem als Auffassung des Kabinetts mitgeteilt werde, daß in den kommenden Jahren die größere Sorge der Reichsregierung dem Osten gelten werde.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erwiderte, daß er gegen eine derartige Mitteilung an den Reichsrat keine Einwendungen erhebe.

Das Kabinett billigte darauf mit Stimmenmehrheit den Antrag des Reichsministers für die besetzten Gebiete auf paritätische Berücksichtigung des Ostens und des Westens mit je 22 Millionen RM.

[1471] Ferner billigte das Kabinett auf Vorschlag des Reichsministers der Finanzen mit Stimmenmehrheit, daß in den Etat 1930 für Zwecke der Saargängerunterstützung ein Betrag von 3 Millionen RM eingesetzt wird. Der Posten soll mit dem Vermerk „künftig wegfallend“ versehen werden.

Die Beratung wurde daraufhin geschlossen. Es wurde in Aussicht genommen, die im übrigen noch offenen Restpunkte der Ausgabenseite des Etats 1930 in einer späteren Sitzung am Donnerstag, den 20. Februar, zu Ende zu beraten.

[…]

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