1.199.1 (mu22p): Deckungsvorschläge zum Haushalt 1930.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Deckungsvorschläge zum Haushalt 1930.

Der Reichsminister der Finanzen ging davon aus, daß er bei der Aufstellung seines Finanzprogramms an dem vom Reichskabinett bereits im Dezember 1929 festgelegten Grundgedanken festgehalten habe, daß die Kapitalbildung nicht gehemmt werden dürfe. Dementsprechend habe er keine neuen direkten Steuern vorgesehen. Ferner habe er den Gedanken der sogenannten großen Deckung, d. h. Abdeckung des Defizits 1928 außerhalb des Schuldentilgungsgesetzes, fallen lassen müssen.

Nach seiner Meinung sei der richtige und sachlich am meisten gerechtfertigte Weg zur Deckung des Fehlbetrages im Haushalt 1930 die Erhöhung der Umsatzsteuer um ¼% und dazu die Erhöhung der Biersteuer um 50%. Dieser Weg scheitere aber nach den Vorbesprechungen, die er geführt habe, am unnachgiebigen Widerstand einzelner Koalitionsparteien1.

1

Abgelehnt worden war die Umsatzsteuer von der SPD und der DVP in einer Besprechung am 18. 2. (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93). Zur Ablehnung der Biersteuererhöhung siehe u. a. die Ausführungen des RPM als Sprechers der BVP.

Der Reichsminister der Finanzen entwickelte darauf die Einzelheiten der den Reichsministern im Schreiben vom 25. Februar 1930 […] übermittelten Deckungsvorschläge. Dabei legte er ganz besonderen Wert auch auf die Schlußabsätze dieses Schreibens, in welchen von der Festlegung von Lastensenkungsplänen für die Zukunft die Rede ist2.

2

Siehe Dok. Nr. 454.

Er schloß seinen Überblick mit Ausführungen über den Gedanken eines Notopfers, von dem bei den Verhandlungen mit den Fraktionen die Rede war und legte die Gründe dar, die ihn und seine Fraktion zur Ablehnung dieses Gedankens veranlaßt haben.

Auf Vorschlag des Reichskanzlers trat das Kabinett darauf in eine Generaldebatte über die beiden Hauptfragenkomplexe, nämlich Sanierung der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung und Steuerdeckungsprogramm ein3.

3

Zuvor hatte noch MinDir. Ernst über Benzinzoll und Benzinsteuer gesprochen (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsminister des Innern erklärte, daß er mit den von dem Reichsminister der Finanzen vorgetragenen Grundgedanken weitgehend einig sei; insbesondere billige er die Rücksichtnahme auf die Entwicklung und Bedürfnisse[1503] der Länder. Bezüglich Einzelheiten der Vorschläge sei er jedoch vielfach anderer Meinung wie der Reichsminister der Finanzen. Er glaube auch, daß sich die jetzt zu fassenden Entschließungen des Reichskabinetts auf die Deckungsvorschläge zum Haushalt 1930 zu beschränken hätten und daß die Steuersenkungspläne des Jahres 1931 jetzt noch nicht festgelegt werden könnten. In der Zukunft müsse man handeln, ohne vorher allzuviel von den Plänen der Zukunft zu sprechen. Eine Debatte über die Erfordernisse der Zukunft belaste die gegenwärtige politische Lage, ohne letzten Endes Beruhigung und Sicherheit für die Zukunft zu schaffen.

Er bemerkte ferner, daß er es begrüßt haben würde, wenn der Reichsminister der Finanzen in seinem Programm entsprechend der Forderung mehrerer Länder eine Heraufsetzung der Altersgrenze für Beamte auf 68 Jahre vorgesehen und die Frage der Herabsetzung der Pensionen auf 1200,– M behandelt hätte4.

4

Severing hatte sich für eine „Kontigentierung auf 12 000 Mark“ ausgesprochen (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Das Programm des Reichsministers der Finanzen sei für die sozialdemokratische Fraktion als Ganzes nicht annehmbar, und zwar schon allein aus dem Umstande heraus, weil es eine direkte Steuer nicht enthalte. An sich habe er gegen keine der vorgeschlagenen neuen Steuern grundsätzliche Bedenken. Er vermisse nur an dem Programm, daß der Besitz nicht in irgend einer Form herangezogen werde. Die Sozialdemokratie werde unbedingt an der Forderung festhalten, daß irgend eine direkte Steuer in das Programm mit aufgenommen werde, denn sonst sei den Parteiführern eine Vertretung des Programms gegenüber den der Gefahr der Radikalisierung ausgesetzten Wählermassen nicht möglich. Am meisten sympatisch sei ihm der Gedanke eines Zuschlages zur Einkommensteuer. In diesem Zusammenhang führte der Reichsminister des Innern auch lebhafte Klage über die Verschleppung der Verabschiedung des Republikschutzgesetzes im Reichstag, weil dadurch eine erfolgreiche Bekämpfung der kommunistischen Hetzbewegung sehr erschwert werde5.

5

Weiterhin erklärte Severing: „Die gefährliche Stimmung wird ohne die Aufnahme einer direkten Steuer vermehrt. Ein einmaliger Zuschlag von 10% auf die Einkommensteuer würde eine Steigerung der Kapitalflucht nicht bedeuten. Die Kapitalflucht beruht zum großen Teil auf Furcht vor den Kommunisten. Diese Flucht kann durch ein geeignetes Steuerprogramm gemindert werden. Ich bin auch zu unpopulären Maßnahmen bereit, z. B. ein Besoldungssteuergesetz für die Länder und Gemeinden. Ich bin bereit, mit Ihnen das ganze Spar- und Steuerprogramm zur Gesundung herbeizuführen. Es tritt aber keine Gesundung ein, wenn die Gesicherten in dieser Notlage der Gesamtheit nicht herangezogen werden“ (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsverkehrsminister erklärte, daß nach seiner Auffassung 4 verschiedene Möglichkeiten zur Erörterung stünden, nämlich

1. Annahme der Vorschläge des Reichsministers der Finanzen in ihrer Gesamtheit.

Hierzu bemerkte er, daß er dem Reichsminister der Finanzen trotz starker Bedenken bezüglich verschiedener Einzelheiten im großen und ganzen folgen könne. Das gelte insbesondere von der Billigung des Mineralwassersteuergesetzes und der Besteuerung von Benzin und Benzol.

[1504] 2. Die Selbständigmachung der Arbeitslosenversicherung.

Dieser Gedanke sei ihm an sich nicht unsympatisch. Er glaube aber, daß er sich im gegenwärtigen Zeitpunkt, wo 3 Millionen Arbeitslose vorhanden wären, nicht durchführen lasse. Bei einer derartig hohen Erwerbslosenziffer halte er es für unmöglich, die Ausgabenlast allein auf die Schultern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu legen. Vielleicht sei der Gedanke vom 1. April 1932 ab durchführbar, da er annehme, daß die Jahresdurchschnittszahl der Erwerbslosen alsdann auf 1 Million zurückgegangen sein werde.

Der Vorschlag des Reichsministers der Finanzen, der dem Vorstand der Reichsanstalt die Verantwortung für die Sanierung zuschiebe, sei unklar und lückenhaft, weil er die letzte Entscheidung doch dem Reichskabinett vorbehalte.

3. Der Gedanke eines allgemeinen Notopfers.

Die Durchführung dieses Planes sei wegen der psychologischen Rückwirkungen, die er im Gefolge habe, bedenklich. Er begünstige nämlich die verhängnisvolle Kapitalflucht.

4. Die Heranziehung der Festbesoldeten zur Deckung des Defizits.

Auch dieser Gedanke leide an erheblichen Mängeln, insbesondere glaube er, daß es Schwierigkeiten machen werde, die Angestellten in den freien Berufen richtig und vollständig zu erfassen. Aber alles in allem gesehen glaube er, daß dieser Plan am ehesten vertretbar sei.

Dem Gedanken des Reichsministers der Finanzen, auch die Zukunft in den Kreis der jetzt zu treffenden Abmachungen einzubeziehen, stimme er insoweit zu, als er eine Festlegung auf eine bestimmte Globalsumme für den Etat 1931 für möglich halte. Im übrigen aber glaube er das Kabinett nochmals darauf hinweisen zu müssen, daß auch in dem vorliegenden Programm kein Weg gezeigt worden sei, wie man über die Frage einer Tariferhöhung bei der Reichsbahn hinwegkommen könne. Hierauf müsse später zurückgekommen werden6.

6

Stegerwald hat sich zufolge Schäffers Tagebucheintragung für eine Pensionsbegrenzung eingesetzt und als Kompromißmöglichkeiten vorgeschlagen: „a) Regelung der ALV in Verbindung mit den Steuern, indem man nicht die ganze Last beiden Teilen allein auferlegt. b) Ich bin damit einverstanden, daß die Globalsumme (für die ALV) überschritten werden darf und daß dies nur möglich ist durch Schaffung neuer Einnahmen. – Im Programm fehlt die Tariferhöhung der RB. Die RB muß anleihewürdig werden. Für eine Tariferhöhung kommen nur die Massengüter in Betracht, und das wirkt schlimmer als die Umsatzsteuer“ (Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsminister der Justiz erklärte, daß das Kabinett an der in früheren Beschlüssen festgelegten Richtschnur festhalten müsse, daß die Kapitalbildung gefördert und die Kapitalflucht verhindert werden müsse. Nach seiner Meinung trage das Programm des Reichsministers der Finanzen diesen Grundsätzen nicht genügend Rechnung. Er bedauere, daß der Gedanke der Erhöhung der Umsatzsteuer zu früh aufgegeben worden sei. Das Kabinett sei früher für diese Steuer gewesen. Der Reichsminister der Finanzen habe sich mit den Fraktionen zu weit auf eine Erörterung dieses Themas eingelassen, so daß es jetzt allerdings für diesen Weg zu spät sei. Ferner vermisse er genügend durchgreifende Maßnahmen zur Bereinigung der Abfindungsansprüche der Länder, zumal da der[1505] Reichsetat hierfür nicht allein in Anspruch genommen zu werden brauche. Die Postabfindung müsse von der Reichspost getragen werden. Den Vorschlag zur Sanierung der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung halte er für undurchführbar. Nach seiner Meinung sei die Heranziehung der Festbesoldeten zur Deckung des Defizits bei der Reichsanstalt mit einem Beitrag von 1¾% ihres Einkommens durchaus möglich. Ein allgemeiner Zuschlag zur Einkommensteuer begünstige die Kapitalflucht und sei daher bedenklich. Dem Vorschlag des Reichsministers des Innern auf Kürzung der Pensionen trat er nachdrücklich entgegen.

Der Reichspostminister warnte davor, die jetzigen Verhandlungen über den Plan einer Sanierung der Finanz- und Kassenlage über das Jahr 1930 hinaus auszudehnen. Im übrigen führte er aus, daß die Not des Reichshaushalts und ihre Behebung Sache des ganzen deutschen Volkes sei, und daß daher auch das ganze deutsche Volk zur Tragung der Lasten herangezogen werden müsse. Das Notopfer müsse auf breiteste Schultern gelegt werden, und deshalb sei nach seiner Meinung der allgemeine Zuschlag einer Einkommensteuer der richtigste Weg zur Deckung des Defizits. Der Gedanke, lediglich die Festbesoldeten heranzuziehen, sei falsch, denn auch die Lage der Beamtenschaft, namentlich in den unteren Gruppen sei schlecht7. Er widersprach auch dem Vorschlage einer Kürzung der Beamtenpensionen. Hinsichtlich der vom Reichsjustizminister behandelten Frage der Abfindung der Länder bestätigte er, daß die Postabfindung von der Post allein getragen werden könne, zumal da im Etat der Reichspost für diese Zwecke bereits eine Reserve von 50 Millionen zurückgestellt worden sei. Bezüglich der Steuervorschläge sprach er sich für eine Erhöhung der Umsatzsteuer aus und verwies ferner auf den bekannten Widerspruch seiner Fraktion gegen die Erhöhung der Biersteuer8.

7

Schätzel begründete seine Ansicht: „Ein großer Teil der Beamten wäre ohne eigenes Verschulden verschuldet. Noch haben wir die Beamten in der Hand, aber Kräfte zu ihrer Radikalisierung sind vorhanden. Ein Post- und Eisenbahnstreik liegt nicht außerhalb der Möglichkeiten. Daher bin ich gegen Heranziehung der Festbesoldeten und für die Heranziehung der Einkommen“ (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

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„Meine Partei kann diese Steuer nicht mitmachen und muß sich die politischen Konsequenzen vorbehalten“, hat hierzu Schätzel mitgeteilt (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft meinte, daß das entscheidende Gewicht bei der Deckung des Defizits auf eine stärkere Heranziehung des Verbrauchs gelegt werden müsse. Wie man dies mache, sei eine Frage zweiter Ordnung. Er glaube, seine Fraktion für die Annahme des Programms des Reichsministers der Finanzen gewinnen zu können. Dagegen glaube er nicht, daß der Gedanke einer direkten Steuer bei seiner Fraktion Gegenliebe finden werde. Wenn der Gedanke jedoch unbedingt weiter verfolgt werden müsse, so lasse sich vielleicht ein Kompromiß nach der Richtung finden, daß man eine allgemeine Heranziehung des Besitzes im Jahre 1930 im folgenden Jahre 1931 durch eine entsprechende Entlastung wieder ausgleiche9.

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Der REM sagte, wie Schäffer notierte: „Zwei Fragen möchte ich ausscheiden. Die Abfindung der Länder darf man nicht allzu tragisch nehmen, weil die Länder, die am meisten schreien, am wenigsten Einkommen daraus bezogen haben. Ich glaube nicht, daß der RT sich jemals für große Abfindungen hergeben wird. Ausscheiden müssen auch die politischen Sorgen. Wie lange will man zusehen, was die Russen in Deutschland treiben? Wenn die Beamtenschaft schon vom Kommunismus ergriffen wird, so ist das ein sehr bedenklicher Zustand. Man muß hier eingehend unsere außenpolitische Haltung revidieren. – Meiner Partei sind die Einzelheiten sehr gleichgültig. Wir legen nur Wert darauf, daß das Bier genügend herangezogen wird. Alles andere ist uns gleichgültig. Bei der Benzinsteuer fragen wir uns, ob wir die Kraftwagensteuer nicht mehr nach dem Verbrauch an Gummi vertiefen sollten. Ich wäre in meiner Fraktion für die Annahme des Programms des Finanzministers, wie es ist. – Was machen wir aber mit der Forderung der Sozialdemokraten nach einer direkten Belastung. In meiner Fraktion ist hierfür keine Gegenliebe vorhanden. Man käme aus dieser Schwierigkeit nur heraus, wenn man die Frage kombiniert mit der Frage, was wird im Jahr 1931. Wenn wir uns für dieses Jahr festlegen, so liegt der Grund in den 450 Millionen Schuldenabdeckung. Wenn wir entsprechende Abschläge alsbald festsetzen und gleichzeitig die Ausgaben begrenzen, dann kämen wir durch. Ich bin deswegen der Meinung, daß wir den Ausweg suchen, durch alsbaldige Festlegung der Entlastung für 1931 die psychologische Voraussetzung für eine direkte Belastung zu finden. Wir die Volkspartei das können? Wie sollen nun die 100 Millionen fehlend bei der ALV aufgebracht werden? Zwischenruf Guérard: Durch Belastung der Festbesoldeten mit 1¾%. Dietrich: Soll durch Mehr-Steuereingänge zu den 100 Millionen etwas zugelegt werden? Das Arbeitslosenproblem muß an einem anderen Punkt angegriffen werden, z. B. auf der Kreditgrundlage der Hauszinssteuerhypotheken. Ein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm“ (Institut für Zeitgeschichte ED 93).

[1506] Der Reichskanzler setzte sich nachdrücklich für eine alsbaldige, endgültige und klare Entscheidung durch das Reichskabinett hinsichtlich des Deckungsprogramms ein. Er unterstützte den Gedankengang des Reichsjustizministers, daß es unbedingt geboten sei, die Vermögensbildung zu fördern und die Kapitalflucht zu verhindern. Andererseits legte er dar, daß auch nach seiner Meinung das Gesamtprogramm des Reichsministers der Finanzen von der sozialdemokratischen Fraktion in der vorliegenden Gestalt nicht angenommen werden könne. Eine Gegenwirkung gegen die Massenbelastung sei unerläßlich notwendig. Der gerechteste Ausweg sei nach seiner Meinung ein allgemeiner Zuschlag zur Einkommensteuer10. Auch für die Erhöhung der Biersteuer halte er den jetzigen Augenblick für den richtigen; allerdings glaube er, daß die Durchbringung dieses Gesetzes auch in seiner Fraktion mit Schwierigkeiten verbunden sein werde, wenn eine der Koalitionsparteien, die Bayerische Volkspartei, sie ablehne. Nach seiner Meinung könne die Bayerische Volkspartei sich mit der Biersteuer abfinden, wenn in Bayern sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Deutschen Volksparteier die Steuer mitzumachen bereit wären. Die Mineralwassersteuer sei trotz starker Bedenken vertretbar, allerdings werde es wohl nötig sein, ihr als Ausgleich eine Besteuerung des Weines in irgend einer Form, vielleicht in Form einer Gemeinde-Getränkesteuer an die Seite zu setzen. Er widerriet der gewünschten Festlegung auf eine Lastensenkung im Jahre 1931, da ohnehin niemand besonderes Vertrauen in die Durchführung derartiger Zukunftspläne, selbst wenn sie noch so festgelegt würden, haben werde. Andererseits erschwere die Ausdehnung der Verhandlungen auf das Jahr 1931 die[1507] Durchbringung des Programms für 1930. Das Finanzbild 1931 werde sich ohne weiteres besser gestalten11.

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Müller führte weiter aus, er kenne die Gegengründe. „Aber man läßt bei dem Beamtennotopfer die potentesten mit aus. Nur auf diesem Wege ist es auch möglich, die unteren Einkommen frei zu lassen. Beim Beamtenbeitrag muß man sehr weit heruntergehen, wenn man zu festen Beträgen kommen will. Ich werfe die Frage auf, ob zur Behebung dieser Bedenken nicht eine Neuveranlagung zur Vermögenssteuer notwendig wäre. Könnte man diese nicht vornehmen? Man könnte dies als Äquivalent tun für die Unterlassung der Erhöhung der Einkommensteuer“ (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

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Weiterhin erklärte Müller: „Wir sollten uns jetzt nicht festlegen für Dinge, die wir dann vielleicht gar nicht mehr notwendig haben. Herabdrückung der Ausgaben ist verständig. Wenn dieses Kabinett über der Steuerfrage zusammenbricht, dann können auch die Young-Gesetze nicht kommen. Was soll dann werden? Ein Minderheitskabinett kann den Etat und die Steuern nicht verabschieden. Oder wir kommen zu einer Reichstagsauflösung und müßten dann aus Kassengründen noch vorher die Steuergesetze verabschieden“ (Tagebuch Schäffers; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsminister der Finanzen ging sodann auf die gegen sein Programm geltend gemachten Einwendungen kurz ein. Er blieb bei seinem Standpunkt, eine direkte Steuer nicht in Vorschlag bringen zu können, und hielt auch ferner an seiner Forderung auf Festlegung eines Lastensenkungsplanes für das Jahr 1931 fest.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete gab zu bedenken, ob nicht die Mineralwassersteuer dadurch überflüssig gemacht werden könne, daß aus der Belastung des Benzols mehr herausgeholt werde oder daß man darüber hinaus an eine Besteuerung der Autoreifen herangehe. Ferner stellte er die Anregung zur Debatte, dem Gedanken einer Einfügung einer direkten Steuer in das Programm durch eine Zwangsanleihe Rechnung zu tragen, die den Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 16 000 RM und darüber aufzuerlegen sei. Diese Zwangsanleihe müsse alsdann in den folgenden Jahren durch Verrechnung auf die Steuerschuld der Anleihezeichner amortisiert werden.

Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen und am Nachmittag 4½ Uhr fortgesetzt.

Nachmittagssitzung.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erklärte, darauf hinweisen zu müssen, daß von seiten der Zentrumsfraktion möglicherweise Schwierigkeiten bei der für den kommenden Tag vorgesehenen Abstimmung in den Reichstagsausschüssen über die Haager-Abkommen entstehen könnten, wenn in der heutigen Kabinettssitzung bezüglich der Kernfragen des Finanzprogramms eine Annäherung der entgegengesetzten Standpunkte nicht erfolge. Es sei ja bekannt, welcher Zusammenhang für das Zentrum zwischen der Verabschiedung des Haager Abkommens und der Finanzsanierung bestehe.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß vom Standpunkt der Außenpolitik eine weitere Hinauszögerung der Abstimmung über die Haager Abkommen nicht vertreten werden könne.

Der Reichsminister der Justiz machte ebenfalls auf die Gefahr aufmerksam, die entstehen würde, wenn am kommenden Tage über die Haager-Abkommen in den Reichstagsausschüssen abgestimmt werden müsse. Er sagte voraus, daß das Zentrum möglicherweise einen Vertagungsantrag stellen werde.

Der Reichskanzler warnte vor einer Vertagung, da das ohnehin in weiten Kreisen gegen das Haager Abkommen bestehende Mißbehagen sich alsdann nach außen hin noch weiter steigern werde. Der bekannte Schritt des Zentrums[1508] habe bisher auch nur eine Bereinigung der Finanzfragen vor der 3. Lesung der Haager Abkommen gefordert12.

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Am folgenden Tag erklärte Brüning im Haushaltsausschuß für das Zentrum, die Finanzsanierung sei trotz der Bemühungen des RK nicht gelungen. Seine Partei hoffe, daß sie bis zur dritten Lesung der Young-Gesetze gelingen werde und enthalte sich jetzt der Stimme. Die BVP enthielt sich gleichfalls der Stimme, gab aber als Grund an, wichtige Probleme seien noch nicht genügend erörtert worden (129. Sitzung des Haushaltsausschusses).

Der Reichsarbeitsminister übte starke Kritik an den Vorschlägen des Reichsministers der Finanzen über die Sanierung der Reichsanstalt für die Arbeitslosenversicherung. Er hielt es für unmöglich, bei der gegenwärtigen Zahl der Arbeitslosen an der Darlehenspflicht des Reiches gegenüber der Reichsanstalt zu rütteln. Nach seiner Meinung könne das Defizit von 100 Millionen RM durch ein Notopfer der Festbesoldeten oder, was er für richtiger halte, durch einen Zuschlag zur Einkommensteuer gedeckt werden. Als letzter Ausweg bliebe immer noch die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 4%.

Der Reichskanzler faßte das wesentliche Ergebnis der Aussprache über die Frage der Arbeitslosenversicherung dahin zusammen, daß wohl allgemein Einigkeit darüber bestehe, daß die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung aus dem Reichsetat verschwinden müßten. Darüber sei sich das Reichskabinett übrigens auch schon früher grundsätzlich einig gewesen. Für die Deckung des Defizits der Reichsanstalt sehe er drei Wege:

a)

Erhöhung der Beiträge auf 4%,

b)

Deckung des Fehlbetrags durch ein Notopfer in irgend einer Form,

c)

Erhöhung der Beiträge um ¼%, wodurch 70 Millionen aufgebracht würden, so daß noch ein Restbetrag von 30 Millionen zu decken wäre, der entweder durch Ersparnisse der Reichsanstalt oder aus Zuschüssen aus der Reichskasse abgedeckt werden müsse.

Schließlich bleibe auch als vierter Weg noch der unveränderte Vorschlag des Reichsministers der Finanzen. Einer dieser Wege müsse gegangen werden.

Da weitere Wortmeldungen nicht vorlagen, machte der Reichskanzler den Vorschlag, über die Hauptstreitfragen zwecks grundsätzlicher Klärung der Auffassung des Kabinetts eine vorläufige Abstimmung zu veranstalten.

Mit diesem Vorschlag war das Kabinett einverstanden.

Zunächst wurde darüber abgestimmt, ob das Defizit bei der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung grundsätzlich durch ein Notopfer abgedeckt werden soll. Diese Frage wurde mit 8 Stimmen gegen 4 Stimmen bejaht.

Dafür stimmten die sozialdemokratischen Minister sowie die Minister des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei, dagegen die Minister der Volkspartei, Reichsminister Dietrich und Reichsminister Groener.

Sodann wurde über die Form des Notopfers abgestimmt:

Ein Zuschlag zur Einkommensteuer wurde mit 5 gegen 7 Stimmen abgelehnt.

Für den Zuschlag zur Einkommensteuer stimmten die sozialdemokratischen Minister sowie Reichsminister Schätzel; die übrigen Minister stimmten dagegen.

Der Gedanke eines Notopfers der Festbesoldeten wurde mit 7 gegen 5 Stimmen angenommen.

[1509] Dafür stimmten die sozialdemokratischen Minister und die Minister des Zentrums; die übrigen Minister stimmten dagegen.

Der vom Reichsminister der Finanzen vorgeschlagene Benzinzoll wurde von allen Ministern grundsätzlich gebilligt.

Die Abstimmung über die vom Reichsminister der Finanzen vorgeschlagene Mineralwassersteuer wurde zurückgestellt, da zunächst Klarheit darüber geschaffen werden soll, ob möglicherweise eine Ergänzung dieser Steuer durch eine ausgleichende Belastung des Weines erfolgen kann.

Die vom Reichsminister der Finanzen vorgeschlagene Erhöhung der Biersteuer wurde von allen Ministern gegen die Stimmen des Reichspostministers gebilligt.

Die vom Reichsminister der Finanzen vorgeschlagenen Kürzung der Fälligkeitstermine bei verschiedenen Steuern wurde von allen Ministern gebilligt, ebenso der vorgeschlagene Verzicht auf die Herabsetzung der Industriebelastung.

Die Weiterberatung wurde daraufhin vertagt auf Freitag, den 28. Februar 193013.

13

Siehe Dok. Nr. 457.

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