1.74.2 (mu22p): 2. Stand der Pariser Kommissionsberatungen betreffend die Reichsbahn.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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2. Stand der Pariser Kommissionsberatungen betreffend die Reichsbahn.

Der Reichsverkehrsminister berichtet in großen Zügen über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen über die im Organisationskomitee des Young-Planes[1064] für die Umgestaltung des Reichsbahngesetzes behandelten Fragen. Das Kernproblem, das noch zu lösen sei, bestehe darin, möglichst wenig Bestimmungen des neuen Gesetzes international zu binden oder, wenn dies nicht zu erreichen sei, jedenfalls eine brauchbare, von internationalen Hemmungen möglichst freie Revisionsklausel für die Zukunft durchzusetzen. Es liege zur Zeit der Entwurf einer Revisionsklausel vor, die auf das französische Mitglied des Organisationskomitees Leverve zurückgehe.

Eine Abschrift dieses Entwurfs mit dem aus der Anlage ersichtlichen Wortlaut wurde an die Herren Reichsminister verteilt2.

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Dieser Entwurf lautete: „Article. Le Gouvernement du Reich pourra proposer pendant la durée de la concession des modifications à la loi et aux Statuts des Chemins de fer, mais ces modifications devront respecter les dispositions relatives au paiement et à la garantie des réparations ainsi qui celles concernant le caractère privé et indépendant de la Compagnie, y compris une administrative autonome. – La B. R. I. soumettra sans tarder la proposition pour avis à un Comité consultatif spécial composé de membres nommés par la Banque, sauf l’un qui sera nommé par le Gouvernement du Reich. – Ces membres qui seront choisis pour leur compétence en matière d’administration de chemin de fer seront désignes pour cinq ans des la mise en vigueur de la présente loi. – Dans un délai de trois mois à dater l’accusé de reception de la proposition et sur le rapport établi par le Comité Consultatif, le Conseil d’Administration prendra une décision, donnant ou refusant son approbation au projet, et contre laquelle le Gouvernement Allemand ou l’un des Gouvernements représentés au Comité des Experts pourra faire appel au Tribunal d’Interprétation, prévu au Plan des Experts. – A cet effet la décision sera notifiée aux dits Gouvernements qui devront exercer leur droit dans le délai d’un mois à dater de cette notification“ (R 43 I /1439 , Bl. 393, hier: Bl. 393).

Zu diesem Entwurf bemerkte der Reichsverkehrsminister daß er ihn nicht für annehmbar halte. Die Klausel umfasse nicht nur die international gebundenen, sondern auch die international nicht gebundenen Teile des Gesetzes. Sie bedeute praktisch, daß auch die nicht gebundenen Bestimmungen des Gesetzes der Gesetzgebung des Reichs entzogen würden. So wie das Gesetz jetzt aussehe, seien nicht nur die Bestimmungen über finanzielle Fragen und über das Personal, sondern auch die die Tarifpolitik der Reichsbahn behandelnden Artikel international gebunden. Es könnten Verhältnisse eintreten, die aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Gründen der Verkehrspolitik eine Änderung des Gesetzes zur unbedingten Notwendigkeit machten. Die Durchführung derartiger Änderungen sei nach der Annahme des Vorschlages Leverve außerordentlich erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht. Die Festlegung eines solchen Zustandes auf 37 Jahre sei politisch nicht tragbar und könne von ihm parlamentarisch nicht vertreten werden.

Der Reichsminister der Finanzen meinte, das Schwergewicht der Entscheidung liege weniger bei der Frage, welche Bestimmungen international zu binden seien oder welche ungebunden blieben, vielmehr komme es ausschlaggebend darauf an, eine gute Revisionsklausel durchzusetzen3. Je mehr man[1065] nämlich darauf ausgehe, möglichst viele Bestimmungen des neuen Gesetzes aus der internationalen Bindung auszuschließen, desto größer werde das Bestreben der Gegenseite sein, sich Sicherungen gegen eine zukünftige Revision zu verschaffen. Den deutschen Interessen sei aber damit am allerwenigsten gedient. Der Vorschlag Leverve, der eine Revision für alle Teile vorsehe, gebe eine zur Not annehmbare Revisionsmöglichkeit. Im übrigen sei auch zu bedenken, daß das neue Gesetz der Reichsregierung einen erheblich größeren Einfluß auf die Reichsbahn einräume, wie sie ihn unter der Geltung des bisherigen Gesetzes besessen habe. Verwaltungsrat und Vorstand würden in Zukunft ausschließlich von der Reichsregierung bestellt. Er beurteile den Stand der Verhandlungen und die Aussichten für die parlamentarische Vertretbarkeit der bisherigen Ergebnisse nicht so ungünstig wie der Reichsverkehrsminister dies getan habe.

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In einem Referentenvotum zu diesem Tagesordnungspunkt war von MinR Vogels festgestellt worden: „Die übrigen Reparationsminister sind auf Grund des Berichts des MinDir. Dorn der Auffassung, daß mehr wie in dem Vorschlag Leverve enthalten, praktisch nicht erreicht werden könne. Ein etwaiger Schiedsspruch Wallenbergs [schwedischer Schiedsrichter] werde höchstwahrscheinlich den Young-Plan zur starren Rechtsgrundlage nehmen und die international zu bindenden Teile des Gesetzes auf 37 Jahre für unabänderlich erklären“ (23. 10.; R 43 I /1051 , Bl. 223 f., hier: Bl. 223 f.).

Der Reichsverkehrsminister beharrte demgegenüber auf dem Standpunkt, daß die Beschränkungen, die das neue Gesetz dem Reich hinsichtlich der Tarifpolitik der Reichsbahn auferlege, unannehmbar seien. Er führte aus, daß nach seiner Meinung eine annehmbare Revisionsklausel im wesentlichen folgendes bestimmen müsse: Die Reichsregierung kann Änderungen des neuen Gesetzes jederzeit vornehmen und hat nur die Verpflichtung, diese Änderungen der Reparationsbank nachträglich anzuzeigen. Bei Änderungen von international gebundenen Teilen des Gesetzes soll eine vorherige Anhörung der Reparationsbank stattfinden. Falls es hierbei nicht gelingen sollte, eine Einigung zwischen Reichsregierung und Reparationsbank herzustellen, soll das internationale Schiedsgericht entscheiden, welches aus je 1 Vertreter der Reichsregierung, der Reparationsbank und des Haager Schiedsgerichtes zusammengesetzt sein soll4. Wenn ein derartiges Ziel im Organisationskomitee nicht erreicht werde, müsse die Frage zur Entscheidung durch die Schlußkonferenz über den Young-Plan offen bleiben. Von einer Anrufung des neutralen Vorsitzenden des Organisationskomitees Wallenberg verspreche er sich keinen Erfolg.

4

Siehe dazu § 45 des RB-Gesetzes vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 279 ).

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich im wesentlichen der Auffassung des Reichsministers der Finanzen an. Auch er war der Ansicht, daß es in erster Linie auf eine brauchbare Revisionsklausel ankomme. Im übrigen aber müsse man den Young-Plan hinnehmen wie er sei. Die Vorschläge des Reichsverkehrsministers liefen auf eine Abänderung des Young-Plans hinaus, die praktisch nicht durchzusetzen sei, zumal, nachdem der Young-Plan im Haag mit allgemeiner Billigung des Reichskabinetts grundsätzlich angenommen worden sei.

Er empfahl dringend, dazu beizutragen, daß man sich bereits im Organisationskomitee einige. Wenn dies nicht gelingen sollte, werde eine Anrufung des Schiedsrichters Wallenberg nicht zu umgehen sein. Daß dessen Schiedsspruch nicht im Sinne der Wünsche des Reichsverkehrsministeriums ausfallen werde, sei so gut wie sicher, ebenso wie es hoffnungslos erscheine, auf der politischen Schlußkonferenz einen Schiedsspruch Wallenbergs umzustoßen. Auch bei dem von dem Reichsverkehrsminister vorgeschlagenen Schiedsgericht werde man nicht daran vorbeikommen können, dem Schiedsgericht bestimmte Richtlinien vorzuschreiben, nach denen es zu entscheiden haben werde. Diese Richtlinien[1066] müßten auf das Interesse der Gegenseite nach Sicherung der Reparationszahlungen abgestellt sein. An dem Vorschlage Leverve habe er auszusetzen, daß er sich in seinem ersten Absatz nicht auf dieses Interesse der Gegenseite beschränke. Es gehe zu weit, daß Leverve auch Sicherungen bezüglich des autonomen und privaten Charakters der Gesellschaft vorsehe. Insoweit müsse der Entwurf geändert werden.

Der Reichskanzler vertrat gleichfalls den Standpunkt, daß man unbedingt danach streben müsse, eine Einigung im Organisationskomitee zu erreichen. Wenn Herr Wallenberg entscheiden müsse, woran ohne Einigung man nicht vorbeikommen könne, dann sei zwar rechtlich noch die Möglichkeit offen, bei der politischen Schlußkonferenz eine Änderung durchzusetzen, praktisch sei die Angelegenheit jedoch durch seinen Spruch erledigt. Er stellte das Ergebnis der Aussprache dahin fest, daß im Kreise der Reparationsminister weitere Verhandlungen darüber stattfinden sollen, inwieweit es möglich ist, zu erreichen, im Vorschlag Leverves das Interesse der Gegenseite bei zukünftigen Gesetzesänderungen auf das Interesse an der Sicherstellung der Reparationszahlungen zu beschränken5.

5

In dieser Ministerbesprechung hat der RVM außerdem von einem Empfang von Gewerkschaftsvertretern berichtet, denen er die Gründe mitgeteilt habe, weshalb das vorbereitete RB-Gesetz nicht bekanntgegeben werde. Diese Gründe seien von ihnen als berechtigt anerkannt worden (Vermerk von Vogels, 1. 11.; R 43 I /1051 , Bl. 233, hier: Bl. 233).

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