2.110.1 (sch1p): [Diktatorischer Wirtschaftsausschuß; Ein- und Ausfuhr]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

Extras:

 

Text

RTF

[Diktatorischer Wirtschaftsausschuß; Ein- und Ausfuhr]

Die heutige Kabinettssitzung ist auf Wunsch des Reichsministers Wissell zusammenberufen worden1. Minister Wissell teilt zunächst mit, daß der Diktatorische Wirtschaftsausschuß die Aufhebung der Devisenordnung beschlossen habe, nachdem erst vor kurzem eine Verschärfung der Devisenordnung durchgeführt sei2. Er sei als Minister nicht in der Lage, eine solche Vorlage einzubringen, die in dieser Weise im Gegensatz zu einer Vorlage stehe, die er erst kürzlich eingebracht habe. Aber auch das Kabinett könne s[eines] E[rachtens] einen solchen Wechsel, der als Planlosigkeit wirke, nicht vornehmen. Da das Reichswirtschaftsministerium an den Devisen, die zur Verteilung gelangten, zur Zeit nur zum kleinsten Teil beteiligt werden könne, könne er vom Standpunkt des Reichswirtschaftsministeriums sich dem gefaßten Beschlusse an und für sich fügen. Wenn aber zu Gunsten des Beschlusses auf die Zustimmung des Reichsbank-Direktoriums verwiesen werde, so sei zu bemerken, daß die Reichsbank sich nur deshalb für die Aufhebung der Devisenordnung ausgesprochen habe, weil sie sich von dieser Verordnung keinen Nutzen mehr verspreche, nachdem der Diktatorische Ausschuß der Freigabe von 20% der durch Ausfuhr erzielten Devisen für den Exporteur beschlossen habe3.

1

In einem Schreiben des RWiM an den RMinPräs. vom 6.6.1919 hieß es: „Der diktatorische Wirtschaftsausschuß hat in seiner Sitzung soeben sich dahin schlüssig gemacht, beim Kabinett zu beantragen, die Devisenordnung aufzuheben. Es wird Wert darauf gelegt, die Entscheidung des Kabinetts hierüber baldmöglichst erfolgen zu lassen. Da morgen der Friedensausschuß tagt und wahrscheinlich um 14 Uhr eine Pause machen wird, wird es möglich sein, in dieser Pause zur Erledigung dieser Angelegenheit eine wahrscheinlich ja nur sehr kurze Kabinettssitzung stattfinden zu lassen. Ich bitte, das Erforderliche dazu veranlassen zu wollen. Wissell“ (R 43 I /1191 , Bl. 10). Das Ersuchen Wissells entsprach dem § 5 des Erlasses betr. den diktatorischen Wirtschaftsausschuß vom 28.5.1919, s. Dok. Nr. 89, Anm. 10.

2

Gemeint ist hier die VO über den Zahlungsverkehr mit dem Ausland, die jedoch nie in Kraft trat; s. Dok. Nr. 89, P. 10.

3

Zu der Freigabe eines Teils der durch Ausfuhr erzielten Devisen für den Export erläuterte der 4. Monatsbericht des RWiMin. vom 26.6.1919: „Durch die vor einiger Zeit erfolgte Ankündigung, daß 20% der Devisen den Ausfuhrfirmen zur freien Verfügung, auch zur Übertragung an Dritte, überlassen werden sollen, ist die Regelung des Devisenverkehrs wieder allgemein zur Erörterung gekommen. Der Durchführung dieser Ankündigung haben sich in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten entgegengestellt. Insbesondere wird gegen die Übertragbarkeit der 20% geltend gemacht, daß sich dann in diesen 20% ein freier, von den übrigen Notierungen unabhängiger Markt entwickeln würde, wodurch die Stellung unserer Währung gegenüber dem Ausland noch mehr geschwächt würde. Ferner würde die Devisenordnung, deren Durchführung infolge der mangelnden Kontrolle über den Waren- und Zahlungsverkehr im besetzten Gebiet ohnehin schon in Frage gestellt ist, in ihrem praktischen Wert noch mehr verringert werden, wenn 20% der Devisen ganz außer der Regelung fallen würden. Es ist in Verfolg dieser Gedankengänge von einigen Ministerien die alsbaldige Aufhebung der Devisenordnung angeregt worden. In der Sitzung des Staatenministeriums [muß heißen: Reichsministeriums] am 7. Mai ist davon aber gegenwärtig abgesehen worden. Die Devisenordnung soll zunächst noch beibehalten werden. Die Prüfung erstreckt sich daher augenblicklich auf die Frage, wie die Freilassung der 20% mit dem System der Devisenordnung vereinbart werden kann. Im Zusammenhang mit diesen 20% ist auf Veranlassung des ‚Kommissars des diktatorischen Wirtschaftsausschusses‘ vom Reichswirtschaftsministerium dem Staatenausschuß eine Vorlage gemacht worden, durch die ein allgemeiner Zwang zum Angebot und zur Übertragung von ausländischen Zahlungsmitteln und Forderungen an die Reichsbank eingeführt werden sollten. Im Staatenausschuß ist dafür im Augenblick jedoch keine Mehrheit vorhanden.“ (R 43 I /1126 , Bl. 272-284, hier: Bl. 274 f.).

[433] Reichsminister Wissell fährt sodann fort: Es komme ihm hauptsächlich darauf an, Verwahrung dagegen einzulegen, daß im Diktatorischen Ausschuß versucht werde, die zur Zeit bestehenden Grundsätze für die Wirtschaft zu ändern, und zwar namentlich auf dem Gebiete der Ein- und Ausfuhrverbote. Es bestehe der Wunsch, die Ein- und Ausfuhrverbote möglichst zu beseitigen, während er sein Amt nur fortführen könne, wenn grundsätzlich an ihnen festgehalten werde4. Die Beratung über die Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums sei bis zur Klärung der außenpolitischen Situation zurückgestellt worden. Er könne sich hiermit nur einverstanden erklären, wenn solange an dem bisherigen Rechtszustand nicht gerüttelt werde.

4

Siehe Dok. Nr. 63 a; 63 b.

Zur Frage der Aufhebung der Devisenordnung führen die Reichsminister Gothein und Schmidt die Gründe an, die ihres Erachtens für die Aufhebung sprechen. Reichsminister Dernburg erklärt, daß inzwischen fraglich geworden sei, ob die internationalen Verpflichtungen und bevorstehenden Abmachungen der Aufhebung der Devisenordnung entgegenständen, und daß daher die endgültige Erledigung vorläufig noch aufgeschoben werden müsse.

Das Kabinett betrachtet die Angelegenheit daher für heute als erledigt.

Zur Frage der Ein- und Ausfuhrverbote betont Reichsminister Gothein seinen grundsätzlich abweichenden Standpunkt gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium; während dieses Ausnahmen nur im Einzelfalle gewähren will, hält er es für richtig, soweit als irgend möglich ganze Warengruppen freizugeben. Die Minister Bauer, David und Giesberts, denen sich der Ministerpräsident anschließt, erklären, daß sie ohne nähere Unterlagen und genaueres Studium nicht in der Lage seien, die grundsätzliche Frage zu entscheiden.

Unterstaatssekretär Albert regt an, eine vorläufige Regelung zu vereinbaren. Die praktische Differenz sei weniger groß, als sie nach dem grundsätzlichen Ausführungen scheine. Man sei sich einig, daß einerseits für gewisse Warengruppen, wie Kohle, eine generelle Erlaubnis nicht erteilt werden könne. Anderseits sei man sich auch einig, daß Ausnahmen zugelassen werden müßten, und Minister Wissell habe hierbei auch erklärt, daß er für einzelne Warengruppen die Ausnahme in jedem Falle zu bewilligen bereit sei. Man könne daher vielleicht vereinbaren, daß es grundsätzlich bei dem bisherigen Rechtszustand der Ein- und Ausfuhrregelung bleibe, daß aber der Diktatorische Ausschuß Ausnahmen bestimmen könne. Diese Ausnahmen könnten für den einzelnen Fach, d. h. für ein bestimmtes Geschäft, oder, soweit es möglich sei, auch[434] für eine ganze Warengruppe bestimmt werden. Minister Wissell erklärte sich mit einer vorläufigen Regelung einverstanden, aber nur in der Weise, daß der Diktatorische Ausschuß nur Ausnahmen im Einzelfalle bei der Ausfuhr bestimmen dürfe. Minister Dernburg erklärt, dem zustimmen zu können, wenn anderseits das Wirtschaftsministerium in dieser Zeit Schritte zur Regelung einzelner Wirtschaftszweige im Sinne seines Programms unterlasse und namentlich keine Verordnungen vor Anhörung des Kabinetts ergehen lasse.

Nach kurzer Aussprache erklärt sich Minister Wissell zu folgender Zusage bereit: „In den nächsten 14 Tagen werden keine Verordnungen mit gesetzlich bindender Kraft ohne Zustimmung des Kabinetts ergehen.“

Minister Dernburg wünscht hierzu den Zusatz, daß auch keine Zusammenlegungen von Industrien in dieser Zeit ohne Zustimmung des Kabinetts erfolgen. Minister Wissell widerspricht dem, weil er es nicht verantworten könne, in die laufenden Arbeiten des Reichswirtschaftsministeriums, die seit dem November v. J. nach dem gleichen Plane vor sich gingen, in dieser Weise einzugreifen. Übrigens würden die Zusammenfassungen stets mit Zustimmung der Industrien durchgeführt. Minister Dernburg hält seinen Antrag aufrecht.

Das Kabinett nimmt hierauf mit 9 Stimmen gegen die Stimmen der Minister Dernburg, Gothein und Preuß folgende vorläufige Regelung – ohne den von Minister Dernburg gewünschten Zusatz – an:

Grundsätzlich bleibt es bei dem bisherigen Rechtszustand der Ein- und Ausfuhrregelung. Der Diktatorische Ausschuß darf im Einzelfalle bei der Ausfuhr entscheiden. – In den nächsten 14 Tagen werden keine Verordnungen mit gesetzlich bindender Kraft ohne Zustimmung des Kabinetts vom Reichswirtschaftsministerium ergehen5.

5

Anschließend an die Kabinettssitzung übersandte Gothein dem RMinPräs. folgendes Schreiben: „Nachdem das Kabinett heute beschlossen hat, der diktatorische Wirtschaftsausschuß habe lediglich über Anträge Einzelner auf Zulassung der Ein- und Ausfuhr bestimmt bezeichneter Waren zu entscheiden, sehe ich eine ersprießliche Tätigkeit für den diktatorischen Wirtschaftsausschuß nicht mehr gegeben. Bei der außerordentlichen Arbeitslast, die mein Ministerium mit sich bringt, kann ich es aber nicht verantworten, an Sitzungen teilzunehmen, in welchen lediglich über solche Einzelgesuche verhandelt wird. Ich sehe mich daher genötigt, mein Mandat im diktatorischen Wirtschaftsausschuß niederzulegen.“ (R 43 I /1191 , Bl. 11).

Extras (Fußzeile):