2.22.1 (sch1p): 1. Territorialfragen.

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1. Territorialfragen.

Graf Rantzau macht hierzu nähere Ausführungen3.

3

Die Ausführungen des RAM entsprechen im wesentlichen dem Teil II „Territorialfragen“ der Richtlinien für die dt. Friedensunterhändler, s. Dok. Nr. 49.

Erzberger: Unsere erste Forderung muß sein, sofortige Räumung der besetzten Gebiete am Tage des Friedensschlusses. Diese Forderung schon jetzt in der Presse energisch erheben4. Dafür natürliche Verbündete in den alliierten Soldaten, die nach Hause wollen. – Einverstanden, daß auf Abstimmung in Elsaß-Lothringen beharren. Abstimmung in folgender Reihenfolge: Autonomie, Autonomie innerhalb Frankreichs, Autonomie innerhalb Deutschlands (evtl. ferner Autonomie unter französischem, unter amerikanischem Protektorat). Am besten Stimmzettel, wo alle fünf Möglichkeiten vorgedruckt sind, und der Abstimmende zu streichen hat. – Über Förderung und Absatz von Kali besondere Vereinbarung.

4

Weiter sagte RM Erzberger laut PA-Protokoll, S. 2: „Diese von Deutschland aufzustellende Forderung sei notwendig, um dem dt. Volke die innere Kraft für die Verhandlungen zu geben. Sie müsse daher von den dt. Delegierten von vornherein als Basis und als Voraussetzung für die gesamten Verhandlungen aufgestellt werden.“

Graf Rantzau: In Kalifragen Gegner geschlossen gegen uns.

Gothein: Vor Abstimmung in E[lsaß]L[othringen] Zurückziehung der französischen Truppen und Besetzung durch Schweiz oder Holland erwünscht. Ausschließung der Regierungsbeamten von der Abstimmung höchstens soweit gerechtfertigt, als eingewandert. – Anschluß des Saargebiets an Frankreich gegen Englands Interessen, weil Kohle ihm Konkurrenz machen würde. Diesen Gegensatz[76] ausnutzen5. – Über Kali spätere Vereinigung mit Frankreich, gemeinsames Interesse aber nicht bei den Friedensverhandlungen, denn dann würde man England und Amerika gegen sich haben. – Über Wiederherstellung Polens enthält Gerard’s Buch einschränkende Äußerung Wilsons, die man ausnutzen könnte6.

5

Laut PA-Protokoll, S. 3 forderte Gothein, „daß wirtschaftliche Abkommen nicht lediglich auf Minette und Koks beschränkt, sondern auch auf Kohle und andere Eisenerze ausgedehnt werden, so daß ein Austausch von Eisenerz gegen Koks und Kohle stattfände.“

6

Dieser Passus lautet im PA-Protokoll, S. 4: „Bezüglich der Behandlung der poln. Frage weist der Minister auf eine Erklärung des früheren amerik. Botschafters Gérard gegenüber dem damaligen RK v. Bethmann Hollweg im Jahre 1917 hin, wonach Wilson nur ein Interesse an der Wiederherstellung Kongreßpolens habe“, s.: Gérard, James W.: Meine vier Jahre in Deutschland, Lausanne 1919, S. 335 ff.

Graf Rantzau: Diese Äußerungen sind vor dem Krieg mit Amerika gefallen.

Ministerpräsident: Forderung auf Räumung besetzter Gebiete vor Abstimmung wird beantwortet werden mit Hinweis auf unser Verhalten nach Brest-Litowsk, in Litauen usw.7. Gerard’s Bemerkungen kann man nicht anführen. Gut auszunutzen wäre aber die französische Denkschrift des Herrn Denis, Referenten der polnischen Kommission beim französischen Ministerium des Äußern (vgl. Berl[iner] Tagebl[att], 21. März morgens), weil danach feststeht, daß auf dem Wege nach Danzig nur polnische Minderheit.

7

Laut PA-Protokoll, S. 4 f. sagte Scheidemann, es müsse eine Abstimmung in Elsaß-Lothringen gefordert werden, „bemerkt aber, daß man sich von vornherein darüber klar sein müsse, daß die Entente eine solche Forderung ablehnen werden.“

Bell: Wenn auch Räumung besetzter Gebiete nicht durchzusetzen, doch Forderung aufstellen. Das hilft uns mindestens dazu, daß sie nicht noch jahrelang da bleiben. Elsaß und Lothringen getrennt abstimmen lassen. Die daraus vertriebenen Deutschen müssen mitstimmen. Sehr wichtig Schutz der deutschen industriellen Unternehmungen in E[lsaß]L[othringen]; darüber, über Kali und Minette wirtschaftliche Abmachungen.

Schiffer: Wünschenswert Abstimmung erst geraume Zeit nach dem Krieg. – Anteilige Abtretung der Reichsschulden. Eine der schwierigsten Fragen; bitte um Zuziehung zur Beratung darüber8.

8

Der entsprechende Passus im PA-Protokoll, S. 6 lautet: „Die abgetretenen Gebietsteile müßten natürlich einen Teil der Staatsschulden bei der Abtretung mit übernehmen. Die Frage dieser Schuldenübernahme werde im RSchAmt bearbeitet.“

Reinhardt: Ablehnung farbiger Besatzungstruppen wertvoll. „Schwarze“ zu eng, weil Marokkaner und Turkos nach französischer Terminologie nicht schwarz. Durchsetzung praktisch wichtig, weil Farbige immun gegen Bolschewismus.

Erzberger9: Mißstimmung in E[lsaß]L[othringen] wächst täglich. Daher Bewegung für Autonomie stark, besonders unter Arbeitern (3,50 Fr. Tagelohn, 10stündiger Arbeitstag).

9

Vor dem folgenden Satz erklärte RM Erzberger laut PA-Protokoll, S. 7, ein moderner Großstaat könne wirtschaftliche Garantien als Faustpfand zur Sicherung feindlicher Forderungen geben, „und daß sich daher die Besetzung deutschen Bodens als Faustpfand vermeiden ließe.“

Ministerpräsident10: Stimmung der Arbeiterkreise in E[lsaß]L[othringen][77] allerdings beachtenswert. Fangen an Forderungen zu stellen, z. B. keine Nachteile, weil nicht französisch können, keine Verschlechterung im Arbeiterschutz, in sozialer Gesetzgebung.

10

Laut PA-Protokoll, S. 7 erinnerte der RMinPräs. an dieser Stelle „an eine Episode in Stockholm, wo anläßlich der Sozialistenkonferenz der frz. Sozialist Thomas eine arbitrage obligatoire après la guerre vorgeschlagen habe; freilich sei die Situation jetzt wesentlich anders.“

Graf Rantzau: Dankbar, wenn öffentliche Meinung für Aufhebung der Besatzung bei Friedensschluß schon jetzt grundsätzlich eintreten würde11.

11

Hieran schließt sich im PA-Protokoll, S. 8 eine Bemerkung Gotheins: „Daß in der Frage der sofortigen Räumung der besetzten Gebiete die Stellung Deutschlands keine ungünstige sei, da die Parteien, die jetzt die Regierung bildeten, sich gegen eine längere feindliche Besetzung deutscher Gebiete ausgesprochen hätten […].“

Dr. David: Ja, jetzt gleich propagandistisch dafür eintreten. Wir werden es aber nicht erreichen. Man wird auf 1871 verweisen. Dann Bedingungen der Besetzung ganz klarstellen: persönlicher und wirtschaftlicher Verkehr, Post, genaue Sicherungsbestimmungen für unsere Bevölkerung. Besatzungstruppen Engländer und Amerikaner. – Frage der Autonomie E[lsaß]L[othringens] für uns günstig, weil früher bei uns immerhin gewisse Autonomie, die im zentralistischen Frankreich jetzt verlorenzugehen droht. Frankreich hier in schwieriger Lage. Daher auf Autonomie ausgehen.

Reinhardt: Leider sehr zweifelhaft, ob Zurückziehung farbiger Truppen zu erreichen, weil auch Amerikaner hier mit den anderen identisch vorgegangen.

ReichspräsidentEbert: Zusammenfassung: Wollen eintreten für sofortige Räumung der besetzten Gebiete, evtl. Zurückziehung der farbigen Truppen, Festlegung des Abstimmungsmodus12, Verträge über wirtschaftliche Fragen, besonders Eisenerze und Kali. – M[eines] E[rachtens] keine große Hoffnung, E[lsaß] L[othringen] wieder mehr oder weniger an unsere Seite zu bekommen, daher wirtschaftliche Fragen umso wichtiger.

12

Laut PA-Protokoll, S. 9 erklärte der RPräs., es müsse gefordert werden, „daß der Bevölkerung Elsaß-Lothringens das Recht auf Abstimmung zugebilligt werden müsse, und daß hierbei eine Mehrheit von zwei Dritteln zu verlangen sei.“

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