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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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Bemerkungen zur Dokumentenauswahl

Die Kanzlerschaft Stresemanns war kurz; sie währte nur 103 Tage. In dieser Zeit waren die Einheit des Reiches und der Bestand der Republik von außen und innen her bedroht. Kaum einer anderen Regierung der Weimarer Republik ist eine ähnliche Fülle von Entscheidungen in vergleichbar kurzem Zeitraum abgefordert worden. Reparationen, Inflation, Währungsstabilisierung, Arbeitslosigkeit, Arbeitskämpfe, Separatismus, rheinische Autonomiebestrebungen, Reichsexekution in Sachsen, Kommunistenaufstand, der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich, Hitlerputsch, Koalitionsstreit und Spannungen zwischen politischer und militärischer Führung schürzten sich zum dichten Knoten einer Staatskrise. Um die Tätigkeit der Kabinette Stresemann I und II in der komplizierten Vielfalt der sich stellenden Aufgaben zu belegen, erschien den Bearbeitern der nachfolgenden Dokumentation eine relativ breite Auswahl aus den Aktenbeständen der Reichskanzlei geboten. Auch die Kommentare sind ausführlich gehalten. Hierdurch konnten Handlungsstränge verfolgt und Wege in den Aktenbestand des Bundesarchivs gewiesen werden, ohne die dargebotene Dokumentenzahl zusätzlich anschwellen zu lassen. In einigen Fällen wurde vom Prinzip der Fondsedition abgewichen. Aufgrund der Doppeltätigkeit Stresemanns als Reichskanzler und Reichsaußenminister gelangten in das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes manche Aktenstücke, die inhaltlich oder ausweislich der Journalnummer dem Bestand der Reichskanzlei zuzuordnen sind. Einige von ihnen werden hier veröffentlicht1. Die Akten des Auswärtigen[XX] Amtes sind, soweit sie den politischen Entscheidungsprozessen des vom Reichskanzler/Reichsaußenminister geleiteten Kabinetts zugrunde lagen, auch für die Kommentierung ausgiebig herangezogen worden. Dies schien um so eher geboten, als sich zur Zeit der Drucklegung dieses Editionsbandes noch nicht absehen läßt, wann die Arbeit an der Serie A der „Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik“ aufgenommen werden kann. Auch der überaus reichhaltige Nachlaß Stresemanns enthält Stücke, die unmittelbar seine Stellung und Tätigkeit als Regierungschef betreffen2. In den Akten des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller fanden sich Aufzeichnungen über wichtige, die Rolle Carl Helfferichs bei der Markstabilisierung beleuchtende Besprechungen3. Aus dem Nachlaß Erkelenz konnten einzelne Regierungsberatungen mit den Führern der Koalitionsparteien belegt werden4. Wo Parallelüberlieferungen zu Kabinettssitzungen oder Besprechungen vorhanden waren, ist auf sie, zumeist in wörtlichem Abdruck, im Kommentar verwiesen worden, um dadurch einmal den Stil der Protokollführung in der Reichskanzlei zu verdeutlichen und ihre Genauigkeit zu überprüfen, dann aber auch um anzuzeigen, wo sich für die Forschung weiteres Arbeitsmaterial anbietet. Da leider keine Möglichkeit bestanden hat, Einsicht in die Bestände der zentralen Staatsarchive in Potsdam und Merseburg zu nehmen, mußte auf Ergänzungen und weiterführende Hinweise, die sich dort zweifellos ergeben hätten – insbesondere für das Büro des Reichspräsidenten und das „Rheinministerium“ – verzichtet werden.

1

Dok. Nr. 30; 38; 126; 241; 280.

2

Dok. Nr. 23; 73; 113; 134; 145; 158; 228; 234.

3

Dok. Nr. 9; 29; 67.

4

Dok. Nr. 14; 100.

Es scheint, daß nicht alle Sitzungen des Kabinetts Stresemann protokolliert worden sind, wie dies ähnlich auch für andere Kabinette gilt. Daß angefertigte Protokolle gänzlich verschollen sein sollten, ist bei der Streuung der Exemplare an die verschiedenen Ministerien nicht anzunehmen. In einem Falle, nämlich für die Kabinettssitzung vom 1. September über „Finanzmaßnahmen“, wie es in der „geheimen“ Einladung hierzu hieß, konnte eine Ersatzüberlieferung herangezogen werden; Reichssparkommissar Saemisch hatte sich Notizen über den Verlauf gemacht5. Der Inhalt einer anderen Sitzung mit dem Thema „politische Lage“, zu der am 22. September eingeladen wurde, wird vielleicht durch verschiedene Besprechungen vom 24. und 25. September über den Abbruch des passiven Widerstands6 abgedeckt. Die Tagesnotizen Stresemanns vom 1. November7 sprechen von einer Kabinettssitzung am Abend dieses Tages; überliefert ist jedoch in den Akten nur eine Sitzung vom Vormittag8, die in den Notizen nicht erwähnt wird. Vermutlich handelt es sich um einen Eintragungsirrtum Stresemanns. Bedauerlich ist die Überlieferungslücke zu den beiden Nachtsitzungen vom 26./27. September und 8./9. November. Im ersten Fall ging es um den nach Abbruch des passiven Widerstands[XXI] verkündeten Ausnahmezustand in Bayern und die Gegenmaßnahme des Reichsausnahmezustandes, im zweiten Fall mußten Entscheidungen zum Münchener Putsch gefaßt werden; General Seeckt erhielt die vollziehende Gewalt. Bei beiden Sitzungen wird die erforderliche Eile dazu beigetragen haben, auf Referenten der Reichskanzlei, die ein Protokoll hätten anfertigen können, zu verzichten. Der Zeitdruck, unter dem die Arbeit der Reichskanzlei überhaupt stand, erklärt vielleicht, daß Protokollaufzeichnungen des Ministerialrats und späteren Ministerialdirektors Kempner teils gar nicht, teils nur versuchsweise aus seiner schwer lesbaren Handschrift in Maschinenschrift übertragen worden sind, obwohl es sich hier um Grundsatzerörterungen des Kabinetts (Aufgabe des passiven Widerstands, Behandlung der sächsischen Angelegenheiten) gehandelt hat9.

5

Dok. Nr. 36.

6

Dok. Nr. 76; 77; 79; 80.

7

Vermächtnis, Bd. I, S. 192.

8

Dok. Nr. 212.

9

Dok. Nr. 80; 81; 99; 100; 193.

Ein Aspekt der Staatskrise in der Zeit der von innen und außen belasteten Kanzlerschaft Stresemanns war der aus Kabinetts- und Koalitionskrisen erwachsende Zweifel an der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems. Die reichliche Anwendung des Notstandsartikels 48 der Reichsverfassung und die Selbstbeschränkung des Reichstages durch ein der Regierung gewährtes Ermächtigungsgesetz wiesen in eine Richtung, in der nicht nur auf der politischen Rechten und bei bürgerlichen Politikern, sondern auch von Sozialdemokraten „diktatorische Maßnahmen“ gefordert wurden. In den Akten der Reichskanzlei finden sich allerdings nur wenige Andeutungen. Für die konkreteren Diktaturpläne, soweit sie im Reichswehrministerium gesponnen wurden, sind einige im Anhang dieser Edition abgedruckte Stücke aus den Nachlässen von Rabenau und von Seeckt aufschlußreich. Sie beleuchten die ambivalente Haltung des Chefs der Heeresleitung und lassen erkennen, in welchem Maße zeitweilig auch Reichspräsident Ebert, um ein Zerbrechen der Staatsautorität zu verhindern, Diktaturbestrebungen förderte. Schlüsseldokumente für die politischen Vorstellungen Seeckts sind sein „Regierungsprogramm“ und seine „Regierungserklärung“10. Von hoher Bedeutung für die Beurteilung von Charakter und Verhaltensweise Seeckts sind die erstmals veröffentlichten, aber in der Forschung als ergiebige Quelle bereits von F. L. Carsten und H. Meier-Welcker ausgewerteten „Lieber-Aufzeichnungen“11. Sie enthalten zudem Hinweise auf Besprechungen mit Stresemann, die sonst weder aus Akten der Reichskanzlei noch aus dem Nachlaß Stresemanns oder dem „Büro des Reichsministers“ im Auswärtigen Amt zu belegen sind.

10

Anhang 2 und 3.

11

Anhang 1.

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