2.22 (str1p): Nr. 22 Der Pommersche Landbund an den Reichskanzler. Stettin, 24. August 1923

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RTF

[93] Nr. 22
Der Pommersche Landbund an den Reichskanzler. Stettin, 24. August 1923

R 43 I /2357 , Bl. 216–2251

1

Aus einer hs. Notiz Kempners vom 29.8.23 am Kopf des Schreibens geht hervor, daß es am 29.8.23 wahrscheinlich zugleich mit einem Schreiben des Reichslandbundes übergeben worden ist (das Schreiben des Reichslandbundes datiert vom 29.8.23; R 43 I /2357 , Bl. 213–214). Stresemann hat Vertreter des Reichslandbundes am 29.8.23, 11 Uhr, zu einer Besprechung über die „Lage der Landwirtschaft“ und „Steuern“ empfangen (BA: NL von Stockhausen  15). Grävell verfügte am 30.8.23, daß REM und RFM Abschriften des Schreibens des Pommerschen Landbundes erhalten sollten (R 43 I /2357 , Bl. 226).

[Betrifft: Steuerliche Belastung der Landwirtschaft.]

Die Gründe, aus denen heraus wir uns als Vertreter der Landwirtschaft Pommerns an den Herrn Reichskanzler wenden, sind außergewöhnlich. Sie liegen in der durch die letztbeschlossenen Steuergesetze, sowie die entstandenen Preis- und Geldverhältnisse geschaffenen Lage2. Wir wissen uns in unsrer Stellungnahme frei von irgendwelcher parteipolitischen Einstellung, weil wir uns seit Jahren zu der Überzeugung durchgerungen haben, daß nichts für die Gesundung des deutschen Volkes so hinderlich ist, als die Gruppierung des Volkes in Parteien mit den unerquicklichen Folgerungen, die sich daraus für die gesamte Staatsform, für die Handhabung des Rechts, die Wirksamkeit des Parlamentarismus und vor allen Dingen für das Gedeihen unserer Wirtschaft ergeben. Wir bedauern sogar, daß nicht von leitender Stelle her längst mit Energie das Parteiunwesen zugunsten der Zusammenfassung des Volkes zu seiner eigenen Rettung bekämpft worden ist und wir vermögen als eine derartige Zusammenfassung nicht die Verkuppelung völlig verschieden eingestellter Parteien miteinander anzusehen, sondern nur eine Einstellung des Volkes selbst auf eine unbedingt nationale und seinen eigenen Belangen förderliche Grundlage.

2

Im Schreiben des Reichslandbundes (s. o. Anm. 1) wurde auf die unterschiedliche Preisentwicklung von landwirtschaftlichen Produkten und Bedarfsartikeln der Landwirtschaft verwiesen: „Am 24.8.23 betrug die Preissteigerung gegenüber dem Friedenspreise bei dem Roggen das 626 000fache, bei der Kartoffel das 520 000fache bei der Milch das 699 000fache. Demgegenüber wiesen zur gleichen Zeit die Bedarfsartikel folgende Steigerungen auf: Superphosphat das 1 932 000fache, landwirtschaftliche Maschinen das 1 591 000fache bis 2 238 000 fache, Hufbeschlag das 4000fache, Eisen das 1 110 000fache, Kohle das 3 038 000fache des Friedenspreises“ (R 43 I /2357 , Bl. 213).

Die Lage in der Provinz Pommern ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Provinz durch ihre vorwiegend landwirtschaftliche Produktion von mitentscheidender Bedeutung für die Volksernährung ist3. Es ist daher klar, daß das Gedeihen der Provinz und ihre ruhige Fortarbeit im Dienste des Gesamtvolkes nicht gefährdet werden darf, wenn man nicht ganz besonders schwere Rückschläge für die Gesamtheit und damit besondre [!] Schwierigkeiten für die Verantwortlichkeit jedweder Regierung entstehen lassen will.

3

Nach der Zählung von 1925 bestanden in Pommern auf einer agrarischen Nutzfläche von 1 890 235 ha 185 839 landwirtschaftliche Betriebe. Dem Pommerschen Landbund gehörten etwa 140 000 Landwirte an.

[94] Übereinstimmend mit den Wahrnehmungen in den anderen Berufständen ist hinsichtlich der Landwirtschaft festzustellen, daß sie zur Aufbringung der jetzt geforderten Steuern nicht in der Lage ist. Daran ändert nichts die parteiliche Voreingenommenheit, die bei der Beurteilung der Steuern auf sozialistischer Seite vorgeherrscht hat4. Wenn Steuern in dem Ausmaße, wie jetzt bezahlt werden sollen, müssen die nötigen Zahlungsmittel mindestens vorhanden sein. Das ist nicht der Fall! Die Zahlungsmittel sind derartig knapp, daß die Bauern, anstatt die dringend nötigen Erntearbeiten zu verrichten, gezwungen sind, ihre Zeit mit der Beschaffung von Zahlungsmitteln auf jede nur mögliche Weise zu verbringen5. Wenn etwas dazu dienen sollte, das Vertrauen in die Zweckmäßigkeit obrigkeitlicher Maßnahmen in der Landwirtschaft restlos zu erschüttern, dann war es die Forderung der Erfüllung unerfüllbarer Gesetze und die daraus hergeleiteten Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Nährstand des deutschen Volkes.

4

Hier angesprochen wird der Artikel III des Betriebssteuergesetzes (RT-Drucks. Nr. 6148 , Anlage B). Der GesEntw. war im RT am 10.8.23 einstimmig angenommen worden (RT-Bd. 361, S. 11834 ).

5

Im gleichen Sinn heißt es in einem, dem RFM vom Deutschen Landwirtschaftsrat am 24.8.23 übermittelten Schreiben des Landeskulturamtes Sachsen vom 22.8.23: „Die sächsische Landwirtschaft ist mit der Bergung der Ernte beschäftigt, behindert und beunruhigt durch Plünderungen, Diebstähle und Lebensmittelunruhen, während in Gebirgsgegenden erst der Roggenschnitt beginnt. Inmitten dieser Vollbeschäftigung treten die plötzlich beschlossenen erhöhten Steuerzahlungen und Abgaben. Die Beschaffung der Zahlungsmittel stößt bei der allgemeinen Geldnot auf größte Schwierigkeiten, zumal da die Mühlen sich weigern, noch nicht lagerreifes Getreide zum Kauf anzulegen. Die unglückseligen Höchstpreisfestsetzungen für Molkereiprodukte in Sachsen verschärfte die Geldnot ganz außerordentlich.“ Um neben den Löhnen die Steuerzahlungen zu ermöglichen, seien die Bestellungen von Düngemitteln in steigendem Umfang zurückgezogen worden (R 43 I /2357 , Bl. 200–201). Dem RK teilte der Landwirtschaftsrat abschriftlich am 27. 8. ein Schreiben der Landwirtschaftskammer für Mecklenburg-Schwerin vom 25.8.23 mit, in dem ausgeführt wurde: „Die Schwierigkeiten, die sich dadurch ergeben, daß zwischen dem Tage der Bekanntgabe des Gesetzes [14.8.23; RGBl. I, Nr. 71] und dem letzten [!] Zahlungstermin [Betriebssteuer: 1.9.23; Rhein-Ruhr-Abgabe: 25.8.23] nur wenige Tage zur Verfügung stehen, sind so ungeheuer groß, daß ihre Bewältigung selbst beim besten Willen aller Beteiligten undurchführbar erscheint. Es hat sich herausgestellt, daß es den Landwirten in vielen Fällen wegen der späten Ernte ganz unmöglich ist, die erforderlichen Beträge zu beschaffen. Besonders in Norddeutschland dürften die Erntearbeiten noch viel mehr im Rückstand sein als Süd- und Mitteldeutschland“ (R 43 I /2357 , Bl. 204). Ähnliche Äußerungen enthält auch das Schreiben des Reichslandbundes an den RK vom 29.8.23.

Diese Rücksichtslosigkeit geht so weit, daß, wo der Landwirt den Verkauf von Produkten und Vorhandensein des entsprechenden Betrages auf seinem Bankkonto nachweisen konnte, die Banken jedoch zur Auszahlung der betreffenden Summe nicht in der Lage waren, trotzdem die Finanzämter erklärten, irgendwelche Rücksicht darauf nicht nehmen zu können. Wenn es uns auch nicht überrascht, daß nach jahrelanger Mißwirtschaft und verfehlten wirtschaftlichen Maßnahmen die Dinge heute so stehen, wie der Herr Finanzminister sie in seiner letzten Rede dargelegt hat6, so scheint es deshalb doch fraglich, ob wirtschaftliche Dinge, zumal nach den Erfahrungen mit der Zwangswirtschaft, sich lediglich unter dem Gesichtswinkel neuer sozialistischer Staatsauffassungen[95] betrachten und behandeln lassen. Das Problem dürfte nicht damit gelöst werden, daß der Herr Finanzminister die notwendigen Zahlungsmittel durch Polizeiverordnungen zu ersetzen sich bemüht7.

6

Gemeint sein dürfte Hilferdings Rede vor dem Haushaltsausschuß vom 23.8.23, in der der RFM die Höhe des Defizits dargelegt hatte (Die Zeit, Nr. 195 vom 25.8.23; Beusch, Währungszerfall und Währungsstabilisierung, S. 110–113).

7

Dies dürfte sich auf jenen Teil der Rede beziehen, in dem Hilferding im Hinblick auf die Devisenbeschaffung erklärt hatte: „Es ist uns aus Wirtschaftskreisen selbst gesagt worden: Mit dem Weg der Freiwilligkeit geht es nicht; wir brauchen gegen diejenigen, die noch immer die Not des Reiches nicht begreifen, die noch immer nicht begreifen, daß zwischen Politik und Wirtschaft, zwischen dem Interesse des Reiches und dem der Wirtschaft in letzter Linie und auf die Dauer kein Widerspruch sein kann, weil mit dem Untergang des Staates, mit dem Untergang des Reiches, natürlich der Untergang der deutschen Wirtschaft sofort verbunden wäre, auch Zwangsmaßnahmen.“ Im Anschluß an diese Ausführungen hatte Hilferding erklärt, daß mit den Wirtschaftlern eine Vereinbarung über das weitere Vorgehen erzielt worden sei.

Abgesehen von der rein technischen Unmöglichkeit der Steuerzahlung wird die materielle Untragbarkeit der Steuern in der Landwirtschaft ähnliche Folgeerscheinungen zeitigen, wie schon in der Industrie, nämlich Betriebseinstellung bzw. Umstellung in der Richtung, daß die Zahl der Arbeitslosen sich zwangsläufig vermehren muß. Das alles geht naturgemäß auf Kosten der Erzeugung und es erscheint der Lage angemessen zu erwägen, ob ein kurzfristiger Aufschub der endgültigen Wirtschaftskatastrophe mit der Preisgabe des heute wichtigsten Berufstandes erkauft werden kann, anstatt daß endlich die naheliegenden Maßnahmen zur Belebung der Produktion des Berufsstandes getroffen werden, der letzten Endes doch das Fundament zur Gesundung sein muß. Wir nehmen dabei an, daß der Herr Reichskanzler selbst restlos davon überzeugt ist, daß die zielbewußte Hinarbeit der Sozialdemokratie auf die Zerschlagung jedweden Besitzes nach Maßgabe ihres Fortschreitens dem deutschen Volk seine Existenzmöglichkeiten nimmt. Die Landwirtschaft hat wenigstens nicht die Absicht und ist auch nicht in der Lage, dauernd von sich Opfer fordern zu lassen – auch solche freiwilliger Art – und im Übrigen als Versuchsfeld für sozialistische Experimente zu dienen. Vielmehr erachtet sie weitere Experimente in dieser Richtung als schwerste Schädigung des Gesamtvolkes und nicht zuletzt der angeblich von der Sozialdemokratie vertretenen Arbeiterschaft. Daß sich durch die letzten Steuern sowie auch durch die abwegigen Versuche teils des Proletariats teils aber auch der gewerblichen Produktion, sich in der Lohn- und Preisfestsetzung auf Gold in Anlehnung an Friedensverhältnisse umzustellen, die Lebenshaltung des Volkes sich knapper und dem entsprechend teuerer gestalten muß, ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß man ungestraft nicht aus den Betrieben Mittel herausnehmen darf, deren sie zu ihrer Fortführung bedürfen, zumal wenn ansich schon die Produkte der Landwirtschaft heute in keinem Preisverhältnis zu oben erwähnter Goldfestsetzung stehen. Die Preise der Landwirtschaft8 stehen zum Teil heute auf der Hälfte der Friedenspreise.

8

Der Reichslandbund (s. o. Anm. 1 und 2) wies darauf hin, daß z. B. der Roggenpreis 1 Dollar betrage, während der Friedenspreis 2 Dollar ausgemacht habe.

Unter solchen Umständen ist es selbstverständlich, daß jede Opferwilligkeit der Landwirtschaft, mag sie noch so groß und noch so häufig bewährt sein, an den vom Staate geschaffenen wirtschaftlichen Verhältnissen ihr Ende findet. Es läßt sich also die Lage wie folgt zusammenfassen:

[96] 1. Auf dem Gebiete der Zahlungsmittel herrscht bereits völlige Anarchie. Ihr zu steuern, schufen Kommunalverbände, Städte und einzelne Unternehmungen bereits eigene Zahlungsmittel. Auf dem Lande fehlt daran der notwendigste Bedarf. Die Banken können Kreditposten nicht bezahlen, noch viel weniger Kredit gewähren. Zahlkräftig ist anscheinend nur ein Teil des Handels und es ist zu befürchten nach früheren Erfahrungen, daß Produkte in seinen Händen aus Gründen der Konjunktur allzu lange ihrer weiteren Verwendung harren müssen. Die verspätete Ernte gestattet den Verkauf von Produkten in größerem Umfange noch nicht.

[2.] Ein Teil der Industrie schließt die Betriebe. Damit wächst Arbeitslosigkeit, Not und Unruhe. Die Landwirtschaft weit entfernt helfen zu können, wird selbst zur Umstellung der Betrieb gezwungen. Es kommt noch hinzu, daß durch ungesunde Siedlungspropaganda aus parteipolitischen Rücksichten eine bedenkliche Unruhe und Unsicherheit hinsichtlich des Besitzbegriffes in sie hineingetragen worden ist. Die Aussichten für die nächstjährige Bestellung vermindern sich durch Einschränkung der Betriebsmittel. Zu all diesen wirtschaftlichen Gefahren treten bedenkliche Stimmungsmomente hinzu. Auf Grund Unkenntnis wirtschaftlicher Dinge und parteipolitischer Verhetzung in der städtischen Bevölkerung herrscht Haß da, wo oft genug seitens der Landwirtschaft geholfen oder zu zweckmäßigen Hülfsmaßnahmen geraten wurde. Diese Verhetzung lassen amtliche Stellen gewähren, stattdessen unterdrücken sie berechtigte Kritik aus der mittlerweile lächerlich wirkenden Furcht vor dem Phantom eines Umsturzversuches von rechts. Es mag dahingestellt sein, ob die heutige Staatsform nicht grade durch dieses Verfahren erst recht gefährdet worden ist.

[3.] Die Stimmung in der Landwirtschaft muß abgesehen davon darunter leiden, daß sie, wo andre sich im Achtstundentag auf Kosten des Volkes schonen, selbst seit der Revolution unter Aufbietung aller Kraft arbeitete, dafür aber durch Zwangsmaßnahmen und Steuern mehr und mehr entkräftet wurde und sich gegenüber den Zertrümmerungsabsichten des sozialistischen Parteifanatismusses von keiner Stelle geschützt sieht. Sie vermißt bisher bei den nachrevolutionären Regierungen den Willen, die heute mehr denn je nötige Opferwilligkeit und die dazu erforderlichen nationalen Impulse gestärkt zu sehen, vielmehr sah sie, wie die nationale Gesinnung in Wort und Schrift aus parteidoktrinären Gründen amtlich unterdrückt wurde.

Aus all diesen Gründen, und weil es sich heute nicht um die Belebung eines sterilen Sozialismus, sondern um die Errettung des Volkes vom Untergang handelt, erlauben wir uns die Wünsche, die sich als nächstliegende zur Abwehr des Schlimmsten ergeben9, in folgendem zusammenzufassen:

9

In gleicher Richtung bewegt sich ein Aufruf des Landbundes Mecklenburg-Schwerin, den die Reichszentrale für Heimatdienst dem StSRkei am 14.9.23 zuleitete. Dort wurde ausgeführt: „Das jetzige Wirtschafts- und Währungssystem hat unser Volk in eine Verelendung geführt, dessen [!] Umfang sich täglich vergrößert. Politische Schlagworte im Verein mit sozialistischen, internationalen Utopien haben die Massen betört und dem Volk seinen Charakter als Nation genommen. Unerhörte Not steht uns bevor; wir können ihrer nur Herr werden, wenn wir uns zu der uns Allen gemeinsamen vaterländischen Zugehörigkeit und Landsmannschaftlichkeit zurückfinden und alle internationalen undeutschen Ideen entschlossen über Bord werfen. Nur staatliche Autorität und Disziplin, Tat und Arbeit verbürgen Frieden, Freiheit und Brot, nicht aber Abstimmungen und Mehrheitsbeschlüsse“ (R 43 I /2276 , Bl. 49/50).

[97] Da es nicht das Privileg irgendwelcher Parteien ist, auch nicht in ihrem Vermögen liegt, Volk und Vaterland retten zu können, ist es Pflicht der Regierung die nationale Arbeit und Betätigung mit allen Mitteln zu fördern. Dazu ist Vorbedingung ein Mindestmaß an Großzügigkeit gegenüber jeder Kritik auch von nationaler Seite. Wir müssen daher die Beseitigung jeder vom Parteiwesen beeinflußten Justiz und jeder amtlichen Unterdrückung nationaler und deshalb ehrenwerter Gesinnung fordern.

Die Regierung wird ihre Maßnahmen über die Beseitigung augenblicklicher Not hinweg auf die Gesundung der Volkswirtschaft durch Hebung der Produktion mit allen Mitteln einstellen müssen10.

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Auf eine Besserung der Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft hin drängten auch die Schreiben des Deutschen Landwirtschaftsrates und des Reichslandbundes, die zur Erleichterung der agrarischen Situation Stundung der Steuern vorschlugen. Außerdem meinte G. Roesicke, der das Schreiben des Reichslandbundes unterzeichnete und am 29. 8. zu den Sachverständigen gehörte, denen Helfferich seinen Plan darlegte: „Eine wesentliche Erleichterung würde für die Landwirtschaft darin bestehen, daß die Regierung anstelle der Barzahlung von der Landwirtschaft die Zahlung der Steuern in Natura, d. h. in Roggen annimmt, und zwar derart, daß die angebotene Lieferung später erfolgen kann, nachdem der geerntete Roggen ohne Störung der Wirtschaft ausgedroschen und entsprechend zur Ablieferung gebracht werden kann. Es läge hierin zugleich für die Regierung eine Wertbeständigkeit, die besser wirkt, als die Strafleistungen, die bei verspäteter Zahlung angedroht sind. Zugleich erwürbe hierdurch die Regierung auf leichteste Weise die Brotreserve, die sie sich gesetzmäßig zu schaffen hat. Eine derartige Lösung würde der Förderung der Produktion daher ebenso dienen, wie der Sicherung der Brotzuführung, gerade an die bedürftigsten Kreise. Wir empfehlen der Regierung dringend diesen Weg zu beschreiten, für den Einzelausführungen zu geben, wir jederzeit bereit sind“ (R 43 I /2357 , Bl. 214). Die Landwirtschaftskammer für Mecklenburg-Schwerin hatte in ihrem Schreiben vom 27. 8. vorgeschlagen, den zu stundenden Steuerbetrag nach dem am Fälligkeitstage gültigen Marktpreis in Roggenzentner umzurechnen und den entsprechenden Wert für Roggen zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen (R 43 I /2357 , Bl. 204).

Demgemäß ist restlose Abkehr von jedwedem sozialistischen Programm ebenso notwendig, wie die Einschaltung der Privatinitiative auf Grund des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts am Besitz. Unbedingt erforderlich dazu ist ferner die Befreiung der Arbeit von jedem gesetzlichen und gewerkschaftlichem, das Arbeitsmaß einschränkendem Zwange. Für alle Berufstände, die sich am Gedeihen der Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit verantwortlich betätigen wollen, ist das Gefühl unerträglich, daß eine verantwortliche Reichsregierung in irgendeiner Weise unverantwortlicher und nur auf die Vertretung eines Volksteils bedachter gewerkschaftlicher Druckausübung ausgesetzt ist. Ebenso unerträglich ist die auf Erfahrung begründete Erkenntnis, daß ungesunde Ausartungen des Parlamentarismus Hemmungen für eine gesunde Entwicklung unserer Verhältnisse zu schaffen in der Lage sind. Wir sehen eine erfolgreiche Tätigkeit irgendeiner Regierung nur dann entstehen, wenn sie auf unbedingt nationalen, bewußt und subjektiv deutschem Boden stehen und lediglich bedacht ist, von obigen Hemmungen unbeeinflußt, Volk und Volkswirtschaft zu innerer Gesundung und äußerer Freiheit zu führen11.

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Dazu heißt es im Aufruf des mecklenburg-schwerinschen Landbundes (s. o. Anm. 9): „Wir fordern daher völlige Abkehr von den bisherigen Regierungsmethoden und den unheilvollen Parlamentarismus, insbesondere von der im Wege der Steuergesetzgebung durchgeführten Sozialisierung und Enteignung, die in kürzester Zeit die gesamte Wirtschaft zum Erliegen bringen und die großen Massen des deutschen Volkes brotlos machen muß, den Bauern von Haus und Hof vertreiben, jedes ehrliche Handwerk und Gewerbe vernichten wird. Eine Gesundung kann nur kommen durch die Erhaltung der Produktionsmittel bei genügender Arbeitsgelegenheit und tatkräftigem Arbeitswillen aller Schichten des deutschen Volkes; sie kann nach der jetzigen Lage der Dinge nur ausgehen von den einzelstaatlichen Kräften unter völliger Ausschaltung von Parteidoktrinen und Parteiunwesen. Die politischen Parteien haben in ihrer Aufgabe, das Schicksal unser Aller zum Guten zu führen und das Vaterland zu retten, restlos versagt, weil sie niemals das Volksganze über ihre Sonderinteressen zu stellen vermochten“ (R 43 I /2276 , Bl. 50).

[98] Für das alles ist der unbedingte Wille und die Kraft, Ruhe, Ordnung und Sicherheit der Arbeit unter allen Umständen zu gewährleisten, selbstverständliche Voraussetzung.

Unsre Stellungnahme stützt sich auf die klare Erkenntnis, daß wir schon heute bolschewistischen Zuständen, wenn auch in noch relativ unblutiger Form, bedenklich nahegerückt sind. Wird das Steuer nicht jetzt mit aller Kraft herumgerissen, dann scheitert auch das Letzte, was zu Hoffnungen für eine Gesundung des Volkes heute noch berechtigt. Wir halten es für unsre unabweisliche Pflicht, auf Grund des Gewichts der Provinz in mehr als einer Hinsicht den Herrn Reichskanzler mit nachdrücklichstem Ernste auf unsre Auffassung von der Lage aufmerksam zu machen. Es dürfte die letzte Stunde sein, Rechte und Pflichten jedes bewußt deutschen Mannes in einer der Gesamtheit dienlichen Form zur Geltung kommen zu lassen.

von Flemming v. Dewitz

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