1.99 (str2p): Nr. 213 Der Reichskanzler an die Sechserkommission des „Bergbaulichen Vereins“. 1. November 1923

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[941] Nr. 213
Der Reichskanzler an die Sechserkommission des „Bergbaulichen Vereins“. 1. November 1923

R 43 I /453 , Bl. 174–176 Abschrift1

1

Das Schreiben ist abgedruckt bei H. Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 216 f., und in: Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1097. – Nach einer Notiz Kieps wurde das Schreiben entworfen und gezeichnet von StS Müller vom RMinWiederaufbau, von Vortr.LegR Ritter vom AA, von den MinR Dorn und Jaffé vom RFMin.; außerdem hatte MinR Kralik vom RWiMin. mitgewirkt. Am Abend des 1.11.23 sei das Schreiben Stinnes zugegangen (R 43 I /453 , Bl. 166). Der Entwurf trägt die Paraphen Müllers, Ritters, Dorns und Jaffés (R 43 I /453 , Bl. 173).

Der Berichterstattung der Kommission durch ihren Herrn Beauftragten vom gestrigen Tage2 habe ich folgendes entnommen3: In der Erkenntnis, daß das Reich unter den gegebenen finanziellen Verhältnissen weder zu eigener Leistung nach außen, noch zu Entschädigungen nach innen imstande ist, daß aber nur eine sofortige Wiederaufnahme der Arbeit an Rhein und Ruhr ungeheure Not von der Bevölkerung fernzuhalten vermag, hat sich die vom „Bergbaulichen Verein“ beauftragte Sechserkommission entschlossen, unter Aufnahme eigener Kredite für eine gewisse Anlaufzeit die Reparationskohlenlieferungen an die Alliierten zunächst selbst zu finanzieren. Sie hat wegen der Aufnahme der Lieferungen mit der „Micum“ verhandelt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist folgendes:

2

S. Dok. Nr. 208.

3

Dieser Absatz lautete im Entwurf: „Die Berichterstattung Ihres Beauftragten vom gestrigen Tage habe ich wie folgt verstanden:“ (R 43 I /453 , Bl. 167).

a)

Zur Abfindung der von der Gegenseite bis zum 31. Oktober 1923 geforderten4, bisher nach den geltenden Gesetzen an das Reich entrichteten Kohlensteuer zahlen die Zechen einen einmaligen Betrag von insgesamt 15 Millionen Dollar. Die Zechen sind berechtigt, diese 15 Millionen Dollar in vollem Umfange durch Sachlieferungen oder durch Hingabe von auf Gold lautenden, in deutscher wertbeständiger Währung ausgedrückten Wertpapieren abzudecken.

b)

Die Reparationskohle wird in Höhe von 16% der Förderung unentgeltlich geliefert5.

c)

Von dem gesamten künftigen Kohlenabsatz mit Ausschluß der Reparationskohle wird eine Abgabe im Gegenwert von 10 französischen Papierfranken je Tonne gezahlt, die gleichfalls durch Sachlieferungen getilgt werden6 kann. Die Kohle, die nicht für Reparationszwecke, Zwecke der Besatzung7 und der Eisenbahnregie, sowie für den Bedarf8 der besetzten Gebiete verwendet wird, kann im übrigen abgabenfrei und ohne Beschränkung sowohl in das unbesetzte Deutschland als auch in das Ausland geliefert werden.

d)

[942] Die Gegenseite fordert überdies freien Transport der Reparationskohle durch die deutsche Binnenschiffahrt.

4

Danach im Entwurf: „pflichtgemäß an Deutschland“ (R 43 I /453 , Bl. 168).

5

Im Entwurf lautete dieser Absatz: „Die Reparationskohle wird in Höhe von zunächst 16%, später 17,9% der Förderung 1921 unentgeltlich geliefert“ (R 43 I /453 , Bl. 168).

6

Im Entwurf danach: „können“ (R 43 I /453 , Bl. 169).

7

Danach im Entwurf ein Komma (ibid.).

8

Danach im Entwurf: „des besetzten Gebietes“ (ibid.).

Auf dieser Grundlage soll das9 Abkommen zunächst bis zum 15. Januar 1924, bei Einigung über feste Lieferungsverträge dann weiter bis zum 15. April 1924 in Geltung bleiben.

9

Im Entwurf danach: „gesamte“ (ibid.).

Der Gegenwert sowohl der 15 Millionen Dollar als auch der gelieferten Reparationskohle und der besonderen Abgabe im Gegenwert von 10 Frcs. je Tonne Kohle wird dem Deutschen Reich auf laufende Reparationsrechnung gutgeschrieben.

Über10 die metallurgischen Erzeugnisse und deren Behandlung ist Endgültiges noch nicht vereinbart. Freie Lieferung nach dem unbesetzten Deutschland und nach dem Ausland wird von der Sechserkommission verlangt.

10

Dieser Absatz ist in den Entwurf von Vortr.LegR Ritter eingefügt worden (R 43 I /453 , Bl. 170).

Im Hinblick auf die leitenden Gesichtspunkte, von denen aus das Abkommen geschlossen werden soll, und in der Überzeugung, daß es angesichts der drohenden und sonst unabwendbaren Not der Bevölkerung11 Pflicht der Reichsregierung ist, mit12 letzten Kräften die Wiederherstellung einer normalen Wirtschaft an Rhein und Ruhr zu versuchen, will die Reichsregierung das ihrige dazu tun, um den Abschluß und die Durchführung des Abkommens zu ermöglichen. Sie kann dies nur, wenn vor Ordnung13 der Reichsfinanzen die Bereitstellung unmittelbarer eigener Leistungen des Reichs ausgeschlossen bleibt. Die Reichsregierung stellt fest, daß die Zustimmung zu diesem Abkommen keine Anerkennung des gegenwärtigen rechtswidrigen Zustandes an Rhein und Ruhr <und keine Anerkennung einer Leistungsfähigkeit zu irgend welchen Reparationen unter den gegebenen Verhältnissen>14 bedeutet.

11

Danach im Entwurf: „unabweisbare“ (ibid.).

12

Zuvor im Entwurf: „auch“ (ibid.).

13

Danach im Entwurf: „des Haushalts“ (ibid.).

14

Nach einer Randnotiz Ritters vertrat ein Teil der Redaktionskommission (s. o. Anm. 1) die Ansicht, daß der hier in spitze Klammer gesetzte Passus „besser wegfällt“. Demgegenüber notierte Stresemann: „Ich halte diesen Satz unbedingt für notwendig“ (R 43 I /453 , Bl. 171).

Dies vorausgeschickt, ist die Reichsregierung bereit, den Zechen ihre Leistungen, und zwar wegen der rückständigen Kohlensteuer den Gegenwert eines Gesamtbetrages von 15 Millionen Dollar, ferner den Gegenwert der künftig zu liefernden Reparationskohlen und den Gegenwert der Abgabe von je 10 Franken für die Tonne der sonst abgesetzten Kohlen, soweit solche Abgabe gemäß dem Abkommen gezahlt worden ist und nicht auf die Abnehmer überwälzt werden kann, unter folgenden Bedingungen zurückzugewähren15:

15

Dieser Absatz lautete im Entwurf: „Dies vorausgeschickt, ist die Reichsregierung bereit, den Zechen den Gegenwert ihrer Leistungen, und zwar wegen der rückständigen Kohlensteuer einen Gesamtbetrag von 15 Millionen Dollar, ferner den Gegenwert der künftig zu liefernden Reparationskohlen und den Gegenwert der Abgabe von je 10 Francs für die Tonne der sonst abgesetzten Kohle, soweit solche Abgabe gemäß dem Abkommen gezahlt und nicht auf die Abnehmer überwälzt werden kann, unter folgenden Bedingungen zurückzugewähren:“ (R 43 I /453 , Bl. 171). – Zum Inhalt s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 218.

[943] 1. Das16 Reich erkennt die Verpflichtung zu Vergütung dieser Beträge mit der Maßgabe an, daß die Beträge den Zechen vom Reich gutgeschrieben und nach Ordnung der Reichsfinanzen demnächst in Anleihe oder in anderer Weise vergütet werden17.

16

Dieser Absatz ist in der Vorlage grün unterstrichen.

17

Im Entwurf lautete dieser Abschnitt: „Das Reich erkennt die Verpflichtung zur Vergütung der soeben genannten Gesamtbeträge einschließlich des Gegenwerts der noch im Eigentum der Zechen befindlichen, nichtbezahlten, aber zur Reparation verwandten Lagerbestände an mit der Maßgabe, daß die Beträge gutgeschrieben und nach Ordnung der Reichsfinanzen demnächst in Anleihen oder in anderer Weise vergütet werden“ (R 43 I /453 , Bl. 171).

2. Bis zur anderweitigen Vergütung sind die Zechen berechtigt, Reichskörperschaftssteuer, Reichsvermögenssteuer und18 Reichsumsatzsteuer durch Anrechnung der ihnen gutgeschriebenen Beträge zu tilgen, soweit diese Steuern von den liefernden Zechen als Steuerpflichtigen aus der Kohlenproduktion geschuldet und nach Beginn der Lieferungen fällig werden, und soweit sie nicht auf Grundbesitz oder19 Gewerbebetrieb im unbesetzten Gebiet entfallen. Ausgeschlossen von der Anrechnung bleiben die für die Verzinsung der Goldanleihe erforderlichen Mittel. Bei der Umsatzsteuer soll im Falle eines Eigenverbrauchs von Kohle in Verarbeitungsbetrieben eine entsprechende Anrechnung auf die Umsatzsteuer erfolgen, die bei Absatz der Produkte in den Verarbeitungsbetrieben entsteht. Die näheren Einzelheiten über die Anrechnung werden besonders festgestellt werden.

18

Im Entwurf folgt: „Umsatzsteuer“ (R 43 I /453 , Bl. 172).

19

Stattdessen im Entwurf: „und“ (ibid.).

3. Die Zustimmung der Reichsregierung zu dem vorgesehenen Verfahren setzt voraus, daß in die Kohlenlieferungen die Reparationslieferungen an Italien einbezogen werden, da sich die Reichsregierung aus Mangel an Mitteln außer Stande sieht, sie auf anderem Wege weiter zu bewirken20. Die Zustimmung21 setzt ferner voraus, daß die Transporte der Kohlenlieferungen, soweit sie nach dem22 Vertrage von Versailles frachtfrei zu erfolgen haben von der[944] deutschen Binnenschiffahrt selbst auf derselben Grundlage wie die Kohlenlieferungen durchgeführt und finanziert werden.

20

Der dt. Geschäftsträger in Paris teilte am 5.11.23 im Telegramm Nr. 1143 mit, der ital. Botschafter in Paris habe ihm gesagt, sein Land werde wegen der Kohlenlieferung sich mit Frankreich verständigen müssen und dadurch in Abhängigkeit geraten, wenn es nicht zu direkten Vereinbarungen mit Deutschland oder deutschen Interessenten komme. Da er italienische Selbständigkeit in der Kohlenfrage vorziehe, habe der Botschafter eine selbständige Regelung zwischen Deutschland und Italien angeregt. Dazu bemerkte von Hoesch weiter: „Ich gewann aus Worten Botschafters Eindruck, daß er vielleicht schon Auftrag zu Fühlungnahme mit französischer Regierung hat, jedenfalls aber bevorstehender Unvermeidlichkeit derartiger Fühlungnahme entgegensieht“ (R 43 I /453 , Bl. 217). Daß diese Vermutung richtig sei, wurde in einem Telegramm des AA an den dt. Geschäftsträger vom 7.11.23 bestätigt. Der Leiter der Micum Frantzen sei am 5. 11. aus Paris mit neuen Instruktionen zurückgekehrt, die u. a. die Einbeziehung der Kohlen für Italien in das Abkommen verlangen würden. „Gesichtspunkt, daß bei materieller gleicher Regelung formelle Einbeziehung Italiakohle aus verschiedenen Gründen zu vermeiden, wird von Reichsregierung Sechserkommission grundsätzlich geteilt. Hier besteht gleichfalls Wunsch, getrenntes gleichlautendes Abkommen über Italiakohle abzuschließen, falls und sobald Abkommen mit Micum zustande kommt.“ Wegen Verhandlungen Vöglers in Düsseldorf, bei denen auch die Kohlen für Italien möglicherweise eine Rolle spielen würden, müsse mit einer endgültigen Stellungnahme noch gewartet werden (R 43 I /453 , Bl. 218).

21

Stattdessen im Entwurf: „Sie“ (R 43 I /453 , Bl. 172).

22

Danach im Entwurf: „bestehenden“ (ibid.).

4. Im übrigen nimmt die Reichsregierung auf den Inhalt meines Antwortschreibens auf ihre Zuschrift vom 20. Oktober 192323 Bezug24.

23

S. Dok. Nr. 160.

24

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 218. Laut H. Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 224, fanden auch am 2. und 3.11.23 Verhandlungen der Sechserkommission mit der Micum statt, über die in R 43 I keine Unterlagen zu ermitteln waren.

gez. Dr. Stresemann.

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