1.36 (vpa2p): Nr. 165 Das Reichsbankdirektorium an den Reichskanzler. 11. Oktober 1932

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Nr. 165
Das Reichsbankdirektorium an den Reichskanzler. 11. Oktober 1932

R 43 I /2438 , Bl. 187–189

[Gefahren der Kontingentierungspolitik, Devisenlage der Reichsbank, Außenhandelspolitik, deutsche Auslandsschulden]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Die uns über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen in Rom betreffend die Kontingentierungsfrage und betreffend die Devisenbeziehungen zwischen[751] Deutschland und Italien1 zugegangenen Nachrichten, ferner die Nachrichten über die Rückwirkungen dieser Verhandlungen in Italien und über die sonstigen Auswirkungen der Kontingentierungsbestrebungen, endlich die Beobachtungen, welche der Präsident unseres Kollegiums und das Mitglied unseres Kollegiums Geheimer Finanzrat Dr. Vocke gelegentlich der gestrigen Verwaltungsratssitzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel gemacht haben, legen uns im Interesse der deutschen Währung die Verpflichtung auf, der Reichsregierung gegenüber auszusprechen, daß wir ernste Gefahren für die deutsche Währung und für die deutsche Wirtschaft heraufziehen sehen, wenn nicht als entscheidender Gesichtspunkt der deutschen Handelspolitik die Gewinnung eines möglichst großen Devisenüberschusses aus dem deutschen Wirtschaftsverkehr mit dem Auslande betrachtet und die tatsächliche Handelspolitik auf dieses Ziel gerichtet wird. Wir können uns angesichts der für die Währung drohenden Gefahren der Verpflichtung zu diesen Darlegungen nicht entziehen, obwohl es uns fernliegt, zu der Handelspolitik als solcher irgendwie Stellung nehmen zu wollen.

1

Vgl. dazu Dok. Nr. 144, dort bes. Anm 4; Dok. Nr. 163, P. 6. – Zum Verlauf der dt.-ital. Verhandlungen, die am 17.10.32 in Rom zur Unterzeichnung eines beiderseitigen Devisenabkommens führten, s. ADAP, Serie B, Bd. XXI, Dok. Nr. 41, 44, 57, 105, 110.

Trotz der großen Erschwernisse im Wirtschaftsverkehr zwischen den Völkern hat seit dem Inkrafttreten des Deutschen Kreditabkommens 1932 (sogenannten zweiten Stillhalteabkommens)2 der Bestand der Reichsbank an seinen primären Deckungsmitteln (Gold und Devisen) bis zum 30. September 19323 nur insofern eine Verminderung erfahren, als aus Gründen besonderer Art gewisse Kapitalrückzahlungen stattgefunden haben, z. B. zwecks Hinausschiebung des Fälligkeitstermins des Lee-Higginson-Kredites4. Sieht man von diesen Kapitalrückzahlungen ab, so hat sich von Anfang März 1932 (Inkrafttreten des Deutschen Kreditabkommens 1932) bis heute der Bestand der Reichsbank an eigenen primären Deckungsmitteln sogar erhöht, und zwar um einen Betrag, der bis auf 85 Millionen RM angenommen werden kann. Hierbei ist zusätzlich zu beachten, daß in der Zwischenzeit (genau vom 31. Januar 1932 bis 31. August 1932) gemäß stattgefundenen Erhebungen der Bestand Deutschlands an Auslandsbonds ebenfalls, und zwar um rund 90 Millionen RM, zugenommen hat. Der bisherige Verlauf des Monats Oktober hat weiterhin eine geringfügige Besserung in der Devisenlage der Reichsbank erbracht.

2

Zu diesem am 17.2.32 zwischen der Rbk und ausländ. Gläubigervertretern geschlossenen Abkommen s. Anm 7 zu Dok. Nr. 111; ferner: Anm 1 und 2 zu Dok. Nr. 51.

3

Bestand der Rbk am 30.9.32: Gold = 796 Mio, Devisen = 133 Mio RM (Verwaltungsbericht der Reichsbank 1932, S. 29).

4

Vgl. dazu Anm 9 zu Dok. Nr. 107.

Was die Zukunft anbelangt, so geht das Ergebnis von Schätzungen der Reichsbank, die für die Zeit bis Ende September 1933 aufgestellt sind, dahin, daß bei Beibehaltung etwa des durchschnittlichen Ausfuhrüberschusses der letzten Monate unter Berücksichtigung einer natürlichen Einfuhrschrumpfung infolge des diesjährigen deutschen Ernteergebnisses nicht nur der Zinsendienst aller Auslandsschulden5 und die regelmäßige Tilgung der langfristigen Anleihen aus den laufenden[752] Devisenanfällen bestritten werden kann, sondern daß darüber hinaus diejenigen Kapitalrückzahlungen beglichen werden können, an die Deutschland durch besondere Verträge gebunden ist, darunter auch die von jetzt ab fällig werdenden Rückzahlungsquoten der von der Golddiskontbank gemäß den Stillhalteabkommen garantierten ausländischen Privatforderungen6. Selbstverständlich enthalten diese Schätzungen Unsicherheitsmomente, besonders auch wegen möglicher Mehranforderungen für Einfuhrdevisen bei steigenden Preisen und anwachsender Konjunktur, verlieren dadurch aber nicht ihre Bedeutung.

5

Zur dt. Auslandsverschuldung der Präs. des Statistischen Reichsamts in einem an den RFM am 4.3.33 übersandten Aufsatzmanuskript u. a.: Die Anmeldestelle für Auslandsschulden habe für den Stand vom 30.9.32 folgende Gesamtbeträge ermittelt: 1) Langfristige Auslandsschulden (fällig nicht vor dem 1.10.33): 10 181 Mio RM; 2) Kurzfristige Auslandsschulden (fällig vor Ablauf eines Jahres), von denen rd. 4000 Mio RM unter das Stillhalteabkommen vom 17.2.32 (vgl. oben Anm 2) fielen: 9347 Mio RM, zusammen also 19 528 Mio RM. Nicht erfaßt seien durch die Erhebung: „1. die im Besitz von Ausländern befindlichen deutschen Aktien, G.m.b.H.-Anteile und sonstigen Beteiligungen an deutschen Unternehmungen in der juristischen Form des Eigentums, ferner Tochtergesellschaften und Filialunternehmungen des Auslandes; diese Kapitalbeträge können auf 2,5 bis 3,5 Mrd. RM geschätzt werden; 2. der in der Hand von Ausländern befindliche Grundbesitz in Deutschland; dieser wird auf etwa 2 Mrd. RM gschätzt. Ferner sind nicht erfaßbar […] die im Inlande begebenen Schuldverschreibungen, die in ausländischen Besitz übergegangen sind; diese können schätzungsweise auf rd. 0,4 Mrd. RM beziffert werden. Endlich sind die Verpflichtungen der Schuldner, die im ganzen weniger als 5000 RM an das Ausland schulden, zu berücksichtigen. Eine Zuschlagsschätzung von 0,1 Mrd. RM dürfte hier als ausreichend anzusehen sein. Damit erhöhen sich die ausländischen Kapitalanlagen in Deutschland gegenüber den von der Anmeldestelle für Auslandsschulden erfaßten Verpflichtungen von rd. 19,5 Mrd. RM um rd. 5 bis 6 Mrd. RM. Die gesamten ausländischen Kapitalanlagen in Deutschland können also mit der runden Zahl von 25 Mrd. RM angesetzt werden.“ (R 2 /4072 , Bl. 93–111).

6

Hierzu heißt es in einer Ausarbeitung der Statistischen Abteilung der Rbk vom 8.10.32 u. a.: Die Dt. Golddiskontbank (errichtet durch Gesetz vom 19.3.24 als Währungsbank mit Notenausgaberecht, umgewandelt in eine Kreditbank zur Förderung des dt. Exports kurz nach Erlaß des Bankgesetzes vom 30.8.24, RGBl. II, S. 71  und 246) „hat, gestützt auf die durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 8. Juli 1931 [RGBl. I, S. 351 ] geschaffene Wirtschaftsgarantie, sich im Basler Stillhalte-Abkommen [vom 17.9.31, vgl. Anm 1 zu Dok. Nr. 51] bereit erklärt, die ausländischen Gläubigerbanken von einem Teil ihres Kreditrisikos in der Weise zu entlasten, daß sie auf Antrag bestimmte Prozentsätze der nach Deutschland gegebenen kurzfristigen Kredite übernimmt oder garantiert. Auf Grund dieser Abmachungen wurden bis zum 31. Dezember 1931 Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von 127,7 Mill. RM übernommen. Hiervon fielen auf die Übernahme von Krediten 63,5 Mill. und auf Garantieleistungen 64,2 Mill. RM. Das an die Stelle des Basler Abkommens getretene Deutsche Kreditabkommen von 1932 [s. oben Anm 2] sieht nur noch eine Garantieleistung vor. Derartige Garantien hatte die Golddiskontbank am 30. September 1932 in Höhe von 347,7 Mill. RM einschließlich der aus dem Basler Abkommen übergeleiteten Verbindlichkeiten übernommen.“ (NL Luther  348). – Ergänzend hierzu eine nicht signierte, offenbar reichsbankinterne Ausarbeitung vom 7.10.32: „Von den durch die Golddiskontbank garantierten Stillhaltekrediten ist auf Grund der Stillhalteabkommen in der Zeit vom 1. Oktober 1932 bis zum 15. April 1933 ein Betrag von rund 100 Millionen zurückzuzahlen. Die Golddiskontbank hat an alle Debitoren entsprechende Schreiben gerichtet und um Anschaffung der Beträge vor Fälligkeitsdatum gebeten. Die Bezahlung macht selbstverständlich den einzelnen Schuldnern erhebliche Schwierigkeiten, und eine Beitreibung in dem einzelnen Fall würde sehr erhebliche wirtschaftliche Nachteile für das einzelne Unternehmen bedeuten. Die Aufbringung eines Betrages von rund 100 Millionen innerhalb von 6 Monaten würde auf die Wirtschaft einen genau gegenteiligen Einfluß ausüben, wie es mit dem Regierungsprogramm beabsichtigt ist.“ Infolgedessen hätten „seit mehreren Wochen Verhandlungen darüber stattgefunden, auf welchem Wege die Aufbringung der rund 100 Millionen gesichert werden könnte, ohne daß die Golddiskontbank dabei in erheblichem Umfange in Vorlage zu treten braucht“ (NL Luther 348).

Wir haben das Vorstehende nicht erwähnt, um in diesem Zusammenhang irgendwie zu der Frage Stellung zu nehmen, ob hinsichtlich des Schuldendienstes an das Ausland über die bisher ergriffenen Maßnahmen hinaus, besonders über eine Fortsetzung der von der Reichsbank eingeleiteten und von ihr mitsamt dem Deutschen Schuldnerausschuß durchgeführten Zinssenkung der kurzfristigen Schulden hinaus zur Zeit Weiteres getan werden soll und welche Schritte etwa angezeigt erscheinen.[753] Wir haben die Erwähnungen vielmehr nur gemacht, um darauf hinzuweisen, daß bis jetzt ein Zustand der Stabilität mit leichter Besserung in den primären Deckungsmitteln der Reichsbank aufrechterhalten worden ist und daß auch gewisse Aussichten der Aufrechterhaltung dieser Stabilität für die Zukunft bestehen.

Diese Stabilität (die an sich natürlich nicht genügt, sondern allmählich einer fühlbaren Besserung der Devisenlage Platz machen muß) wird, wie wir überzeugt sind, durch die zurzeit schwebenden oder in Angriff genommenen Kontingentierungsmaßnahmen in ernste Gefahr gebracht. Wir können in keiner Weise annehmen, daß künstliche Einfuhrdrosselungen derart, wie sie jetzt in Erörterung stehen, für die Devisenbilanz Nutzen bringen. Wir sind umgekehrt überzeugt, daß die unmittelbare Ersparnis an Devisen, die durch die geplanten Einfuhrbeschränkungen eintreten würden, um ein Vielfaches durch die Verluste übersteigert wird, die unsere Ausfuhr im Zusammenhang mit dieser künstlichen Einfuhrdrosselung erleiden würde. Wir sehen besonders auch die Gefahr, daß ein etwaiger „Devisenkrieg“ sich mit großer Geschwindigkeit verbreiten könnte, indem Land nach Land Maßregeln ergreift, infolge derer Devisenüberschüsse uns überhaupt nicht mehr zufließen. Das würde dann nicht eine Einstellung des deutschen Schuldendienstes in einer Weise bedeuten, für die das Ausland Verständnis aufbringen würde, indem man den Vorgang als eine Folge höherer Gewalt zu betrachten vermöchte, sondern das Ausland würde eine solche Entwicklung als lediglich durch Deutschland verursacht bewerten, und daraus würden sich Folgen entwickeln, die wir als unabsehbar bezeichnen müssen. Ohne die produktionspolitischen Zusammenhänge und die Rückwirkungen auf das aufbauende Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung des näheren zu erwähnen, wollen wir nur noch darauf hinweisen, daß nur wenige Länder der Erde zurzeit handelspolitisch noch aktiv sind und daß Deutschland unter diesen Ländern eine hervorragende Stelle einnimmt.

Wir möchten hoffen, daß diejenigen nicht Recht haben, die glauben, bereits jetzt sei ein Schaden entstanden, der nicht völlig wiedergutzumachen wäre. Wir sehen indessen die Sachlage nunmehr als so ernst an, daß wir uns im Interesse der deutschen Währung verpflichtet fühlen, Ihnen, sehr geehrter Herr Reichskanzler, diese dringenden Vorstellungen zu unterbreiten.

Wir haben uns gestattet, Abschrift dieses von den in Berlin anwesenden Mitgliedern unseres Kollegiums unterzeichneten Schreibens an alle Mitglieder der Reichsregierung zu senden7.

7

Das Schreiben gelangte durch eine Indiskretion in die Presse und löste dort heftige Auseinandersetzungen über die möglichen Folgen der Kontingentierungspolitik aus. Vgl. dazu Dok. Nr. 168, P. 5. – Von einer Beantwortung dieses Schreibens wurde, obwohl vom RK zunächst beabsichtigt (Materialien hierzu, u. a. ein längerer Antwortentwurf des Handelspolitischen Ausschusses, in R 43 I /2438 , Bl. 190, 196–201), aus nicht ersichtlichen Gründen Abstand genommen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Reichsbank-Direktorium

Luther

Dreyse

Bernhard

 

Seiffert

Vocke

Schneider

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