2.61.1 (vsc1p): Ausgestaltung der Arbeitslosenfürsorge.

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Ausgestaltung der Arbeitslosenfürsorge2.

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Zur vorangehenden Erörterung der Angelegenheit s. Dok. Nr. 3.

Der Besprechung lagen die mit Schreiben des Reichsministers der Finanzen vom 16. Januar d.Js. Rk. 375 mitgeteilten Aufzeichnungen3 sowie der mit Schreiben des Reichsarbeitsministers vom gleichen Tage Rk. 404 übersandte Vorschlag über die Organisation und Finanzierung der Arbeitslosenhilfe im Rechnungsjahr 19334 zu Grunde. Diese Vorschläge wurden eingehend erörtert5. Übereinstimmung[271] herrschte darüber, daß in Zukunft eine Zusammenlegung der bisherigen Arbeitslosenversicherung, der Krisenfürsorge und der gemeindlichen Fürsorge, soweit die anerkannten WE-Empfänger in Frage kommen, stattfinden soll.

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Anschreiben des RFM an den StSRkei nebst zwei von unterschiedlichen Auffassungen ausgehenden Referentenentwürfen als Anlagen (R 43 I /2044 , Bl. 116–136): MinR Poerschke trat in seinem Entw. „Neugestaltung der Arbeitslosenhilfe“ für die Zusammenfassung der drei bisherigen Unterstützungsformen (Empfang von versicherungsmäßiger Arbeitslosenunterstützung – Alu –, von Krisenunterstützung – Kru – und sog. „anerkannte“ Wohlfahrtserwerbslosenunterstützung – WE –) zu einer von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung getragenen einheitlichen Arbeitslosenhilfe ein. Die Gewährung der Unterstützung sollte (wie bisher) in den ersten 6 Wochen ohne Bedürftigkeitsüberprüfung erfolgen, danach abhängig sein von der „Bedürftigkeit“ des Empfängers (wie ursprünglich in der Krisenfürsorge), nicht mehr von dessen „Hilfsbedürftigkeit“. Den finanziell bislang überstrapazierten Gemeinden verblieb danach die Betreuung der nach der VO vom 14.6.1932 (RGBl. I, S. 273 ) nicht als Wohlfahrtserwerbslose anerkannten Arbeitslosen, zu denen z. B. die über 60 Jahre alten Arbeitnehmer gehörten. Der Referent im Finanzausgeichsreferat Markull plädierte dagegen dafür, „die gesamte Versorgung der Arbeitslosen den Gemeinden zu überlassen“, da „die öffentliche Unterstützung von Bedürftigen eine der ureigensten Aufgaben der Gemeinde ist“. Insbesondere untersuchte er die Frage, ob die erforderlichen Beträge besser durch eine Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, durch eine Notabgabe sämtlicher Einkommensbezieher oder durch eine Kombination beider Maßnahmen aufgebracht werden könnten.

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Anschreiben des RArbM an den StSRkei nebst zwei Anlagen (R 43 I /2044 , Bl. 148–155): Neben einem im wesentlichen mit Poerschkes Entw. übereinstimmenden Organisations- und Finanzierungsplan – Ausnahme: Erhöhung der unbedingten Unterstützungsdauer auf 13 Wochen –, legte Syrup eine persönliche Stellungnahme zur Neugestaltung der Arbeitslosenhilfe vor. Ausgangspunkt sei nicht die „subjektive Hilfsbedürftigkeit wie bei öffentlicher Fürsorge, sondern Mangel [an] ausreichender Arbeitsgelegenheit […]. Besondere Arbeitslosenhilfe erhält den Arbeiter (und Angestellten!) in seinen standesmäßigen Bindungen. Allgemeine Fürsorge deklassiert, proletarisiert, radikalisiert. […] Nur wenn Arbeitslosenhilfe von allgemeiner Fürsorge getrennt, können Gemeinden diese wieder wirksam durchführen.“ In gleichem Sinne hatte der RArbM bereits am 13.1.1933 an den RK geschrieben: „Bei einer Neugestaltung der Arbeitslosenhilfe muß m.E. die psychologische Auswirkung aller Maßnahmen nicht weniger ernsthaft gewürdigt werden, als das bei den finanzpolitischen und organisatorischen Fragen zu geschehen pflegt. Für den größten Teil der Arbeitnehmer und insbesondere für die auch staatspolitisch wertvollsten Schichten der Arbeiter und Angestellten bedeutet der Übergang von Versicherung und Krisenfürsorge zur öffentlichen Fürsorge eine schwere Deklassierung und macht sie damit allen radikalen politischen Strömungen besonders zugänglich.“ (R 43 I /2044 , Bl. 114 f.).

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Synopse der vorgelegten Entwürfe (R 43 I /2044 , Bl. 156–160). – StS Planck hatte auch den RWiM um eine Stellungnahme gebeten. Eine Aufzeichnung über die „Reform der Arbeitslosenhilfe“ übersandte MinR Pohl am 17.1.1933 (R 43 I /2044 , Bl. 166–177).

Der Reichsarbeitsminister vertrat den Standpunkt, daß diese zusammengefaßte Reichsarbeitslosenhilfe von den Arbeitsämtern durchgeführt werden soll und daß den Gemeinden nur die Fürsorge für diejenigen Arbeitslosen, die nach der Verordnung vom 14. Juni 1932 nicht als WE-Empfänger anerkannt werden können, verbleiben soll.

Reichsminister Popitz vertrat demgegenüber den Standpunkt, daß in Zukunft die gesamte Versorgung der Arbeitslosen den Gemeinden zu überlassen sei. Ein abschließendes Ergebnis über diese Frage wurde in der Besprechung nicht erreicht. Es wurde vielmehr verabredet, daß zunächst sowohl das Reichsarbeitsministerium wie auch Reichsminister Popitz neue Vorschläge über die zukünftige Organisation der Arbeitslosenhilfe ausarbeiten sollen, und zwar Reichsminister Syrup auf der Basis der Zusammenfassung von Alu, Kru und Wohlu in der Hand der Einrichtungen der Reichsanstalt und Reichsminister Popitz auf der Basis der Betreuung aller Arbeitslosen durch die Organe der Gemeinden. Sodann sollen in Besprechungen mit dem Reichsminister der Finanzen für beide Organisationsvorschläge Finanzierungspläne aufgestellt werden. Diese neuen Vorschläge6 sollen sodann zum Gegenstand einer erneuten Chefbesprechung unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers gemacht werden.

6

Entsprechende Vorschläge aus der Zeit des RKab. v. Schleicher sind nicht in die Akten der Rkei gelangt.

Der Reichskanzler stellte in Aussicht, daß er nach dieser erneuten Chefbesprechung die Auffassungen der maßgebenden Führer der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in Einzelbesprechungen mit ihnen sondieren wolle7. Von dem Ergebnis dieser Sondierungen soll sodann die endgültige Entscheidung der Reichsregierung zur Sache abhängig gemacht werden8.

7

Zahlreiche Eingaben dazu in: R 43 I /2044  u. 2047. Der RK trifft am 26.1.1933 mit Vertretern des ADGB zusammen (Dok. Nr. 69).

8

Die Angelegenheit bleibt vorerst unerledigt. Zum Fortgang s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 101.

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