2.83.1 (wir1p): [Republikschutzverordnung: Verhältnis zwischen Bayern und dem Reich]

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[Republikschutzverordnung: Verhältnis zwischen Bayern und dem Reich]1

1

Am 1.9.21 hatte die bayerische Regierung im RR durch den Gesandten von Preger gegen die VO des RPräs. vom 29.8.21 protestiert; das Protokoll vermerkt dazu: „In der Reichsratssitzung vom 1.9.21 gab der bayerische Gesandte von Preger dem Bedauern und der Überraschung Ausdruck, daß die VO des Reichspräsidenten ohne jede Fühlungnahme mit den hauptbeteiligten Landesregierungen erlassen worden sei. Die Ausschaltung der Landesregierungen sei eine Maßnahme, die schwerste Bedenken der bayerischen Regierung erwecke. Die bayerische Regierung hätte besonders gegen § 6 der VO Bedenken zu äußern gehabt. Sie sei der Anschauung, daß in derartigen Fällen nicht ein aus hohen Verwaltungsbeamten bestehender Ausschuß, sondern ein Gericht Recht zu sprechen habe. Er hoffe, daß die Reichsregierung beim Vollzuge der Verordnung mit den Landesregierungen in Fühlung trete und nicht ohne vorherige Fühlungnahme Zeitungsverbote von Berlin aus erlasse. Er möchte die Reichsregierung daher bitten, in Erwägungen einzutreten, von dem ihr zustehenden Verbotsrecht Gebrauch zu machen.“ Im weiteren Verlauf der Sitzung bemerkte der bayerische Gesandte, „daß er sich nicht gegen die rechtliche Zulässigkeit der Verordnung gewandt habe, sondern gegen ihre politische Zweckmäßigkeit. Gerade in diesem Falle hätte Bayern gehört werden müssen, da es der erste Fall sei, daß Bayern von einer vom Reichspräsidenten erlassenen Ausnahmeverordnung betroffen werde.“ (Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Bd. III, Dok. 237). Außerdem waren der StS Schweyer und der Abgeordnete Dirr (DDP) im Anschluß an eine Sitzung der Koalitionsparteien Bayerns am 1.9.21 zu einer Aussprache über die VO vom 29.8.21 nach Berlin gereist. Über das Ergebnis ihrer Verhandlungen mit Wirth, Gradnauer und Schiffer berichtete StS Schweyer am 5.9.21 im bayerischen Ministerrat, ohne daß das Protokoll seinen Bericht festgehalten hätte (GStA München, MA 99 516).

Es wurde die Frage besprochen, ob und inwieweit man den Bayern entgegenkommen[224] könne2. Die Aufrechterhaltung der Schutzhaft3, Beibehaltung der Anmelde- bzw. Genehmigungspflicht für Versammlungen wurde für unmöglich erklärt. Dagegen wurde für möglich erachtet, den Ländern die Durchführung der Verordnung zu übertragen, sich aber das Recht des Eingriffs vorzubehalten.

2

In der Sitzung des Bayerischen Staatsministeriums vom 5.9.21 hatte MinPräs. von Kahr den bayerischen Standpunkt wie folgt zusammengefaßt: „Die Frage, wie die Regierung eines Landes in ihrem eigenen Lande mit etwaigen Unruhestiftern fertig werden wolle, sei nicht Reichssache, sondern Landessache. Das Vorgehen der Reichsregierung verfolge eine zentralistische Tendenz mit dem Zweck, die Weimarer Verfassung auch in diesem Punkt ihrem unitaristischen Endziel zuzuführen. Das Vorgehen der Reichsregierung sei ein Verstoß gegen die ethischen Rechte des bayerischen Volkes, auf die es nach seiner Geschichte anspruch habe, bei denen das Volk nicht nach Bestimmungen der Verfassung frage, sondern die von ihm aufgrund der geschichtlichen Entwicklung als ganz selbstverständlich angesehen würden. Das Vorgehen der Reichsregierung sei ein grober Verstoß gegen den Gedanken der Staatsverfassung. Das Verhalten der Reichsregierung zeige, daß die Aktion einseitig gegen rechts gerichtet sei und daß sich die linksorientierten Parteien des Schutzes der Reichsregierung erfreuen durften. Schon jetzt richteten deshalb die Führer der Linksparteien ihre Beschwerden gegen Maßnahmen bayerischer Behörden nicht mehr an die bayerische Regierung, sondern an die Reichsregierung. Die große Linie, auf der sich die Dinge weiter entwickeln würden, sei folgende: Zunächst würde die Zentralisierung der Polizei erfolgen, wobei die Behörden der inneren Verwaltung von der Reichsregierung mehr herangezogen werden, dann werde die Verreichlichung der Gerichte erfolgen; letzten Endes würde man auch mit der Aufstellung hervortreten, daß eigene Regierungen und eigene Parlamente für die Länder zu teuer kämen und daß man sie in billigere Bezirksverwaltungen mit weitgehender Autonomie umbilden solle. Das alles hoffe man, wenn auch gegen den schärfsten Protest der Bayerischen Regierung, so doch aufgrund der Majorität durchsetzen zu können. Der Ministerpräsident ist der Meinung, daß die Bayerische Regierung in der gegenwärtigen Frage grundsätzlich Widerstand leisten müsse, da es sich hier um den 1. starken Einbruch in die Selbständigkeit der Länder und zugleich um eine Angelegenheit handle, die einzig und allein die Staatsregierung des beteiligten Landes beurteilen könne und verantworten müsse. Deshalb sei kein Taktieren mit der Reichsregierung und kein teilweises Preisgeben der jetzigen Rechte Bayern möglich. […] Auf die Bayerische Regierung seien nunmehr die Blicke aller im Lande gerichtet, in der Hoffnung, daß sie an ihrem Standpunkt festhalten werde. Bei der gegenwärtigen Frage handle es sich in letzter Linie um die Selbständigkeit des Bayerischen Staates. Daher gebe es keine Konzessionen, sondern nur einen festen Standpunkt. Sollte die Reichsregierung aber an die Bayerische Regierung das Verlangen stellen, den Ausnahmezustand in Bayern aufzuheben, so werde man zu entscheiden haben, ob formelles oder ethisches Recht vorzugehen habe. Komplikationen würden in keinem Falle zu vermeiden sein.“ (GStA München, MA 99 516).

3

Siehe NatVers. 341, Nr. 2068, Bd. III.

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