1.173.1 (wir2p): [Koalitionsverhandlungen und Rücktritt der Regierung.]

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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[1169][Koalitionsverhandlungen und Rücktritt der Regierung.]

Der Reichskanzler erklärt, Ziel der Politik sei in den letzten Tagen die Bildung der Großen Koalition gewesen1. Die bürgerlichen Parteien und auch die Bayerische Volkspartei hätten den Eintritt der Deutschen Volkspartei in die Regierung verlangt. Von diesem Verlangen habe er den vereinigten Sozialdemokratischen Parteien2 in der Form einer Frage Kenntnis gegeben dahingehend, ob die Sozialdemokratischen Parteien bereit seien, in einem Kabinett mit der Deutschen Volkspartei mitzuwirken. Wie er gehört habe, sei diese Frage von den Sozialdemokratischen Parteien verneint worden. Er bäte den Vizekanzler Bauer hierüber zu referieren, soweit ihm dies möglich sei.

1

Vgl. dazu die Aussage des RK in Dok. Nr. 404.

2

Auf dem Parteitag der USPD vom 20.–23.9.22 war am 23.9.22 die Vereinigung mit der MSPD beschlossen worden; am 24.9.22 hatte daraufhin der Parteitag der Vereinigten Sozialdemokratie in Nürnberg stattgefunden (Schultheß 1922, S. 122). Schon seit dem 14.7.22 hatten die beiden Reichstagsfraktionen sich zu einer sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen (Schultheß 1922, S. 92).

Vizekanzler Bauer erklärt, es habe in der Frage der Vereinigten Sozialdemokratischen Parteien eine längere Debatte stattgefunden, und mit übergroßer Mehrheit sei das Verlangen der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft3 abgelehnt worden.

3

Als Antwort auf den Zusammenschluß der beiden sozialdemokratischen Fraktionen zu einer Arbeitsgemeinschaft im RT hatte sich am 19.7.22 die Arbeitsgemeinschaft der verfassungstreuen Mitte gebildet, der die Fraktionen der DVP, des Zentrums und der DDP angehörten (Schultheß 1922, S. 96).

Der Reichskanzler frug, ob es das letzte Wort der Vereinigten Sozialdemokratischen Parteien sei.

Vizekanzler Bauer bejahte diese Frage und fügte hinzu, er halte den Rücktritt der jetzigen Regierung für unvermeidlich.

Der Reichskanzler erklärte, daß das Kabinett diese Erklärung zur Kenntnis nehme. Er habe die gleiche Auffassung wie der Vizekanzler Bauer äußern wollen. Auch er halte einen Rücktritt des Kabinetts für erforderlich.

Reichsminister Dr. Köster bat dringend um Anberaumung einer Kabinettssitzung ohne die Fraktionsführer.

Der Reichskanzler bat die Fraktionsführer, den Saal zu verlassen; bemerkte jedoch, daß auch beim Sturz des Kabinetts Fehrenbach die Fraktionsführer anwesend gewesen seien4.

4

Siehe Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 245.

Es wurde nun in die eigentliche Kabinettssitzung eingetreten.

Minister Dr. Brauns frug, ob die Sozialdemokratischen Parteien damit nur die Große Koalition an sich abgelehnt hätten und eventuell eine andere Eventualität noch bestehe.

Der Reichskanzler bemerkte, daß die Frage eindeutig gewesen sei und daß die Antwort ebenso eindeutig gewesen sei und daß die Antwort ebenso eindeutig nein gelautet hätte.

Da die Minister noch nicht vollzählig erschienen waren, wurde eine Pause eingelegt.

[1170] Fortsetzung der Kabinettssitzung vom 14.11.1922, 22 Uhr

Anwesend: Wirth, Bauer, Groener, Geßler, Fehr, Hermes, Giesberts, Köster, Radbruch, Schmidt; StS Hemmer; MinDir. Müller; MinR Wever, Kempner; RegR von Stockhausen; Protokoll: ORegR Offermann.

Vizekanzler Bauer referiert nochmals über die Fraktionssitzung der Vereinigten Sozialdemokratischen Parteien.

Der Reichskanzler wiederholt seine früheren Ausführungen.

Minister Dr. Köster frug an, ob und von wem die Anregung einer großen Koalitionsbildung ausgegangen sei, ob von der Volkspartei oder den Bürgerlichen Parteien oder vom Herrn Reichskanzler persönlich.

Der Reichskanzler erwiderte, die Arbeitsgemeinschaft hätte den Rücktritt gewünscht. Auch er habe sich diesem ganzen Plan angeschlossen.

Die an die Reparationskommission abgegebene letzte Note habe die Billigung aller Parteien gefunden5. Auch der Herr Reichspräsident habe sich sowohl für die Note wie für die Große Koalition eingesetzt.

5

Note vom 14.11.22 siehe Dok. Nr. 407 Anm. 1.

Minister Dr. Köster betont, daß er den vom Herrn Reichskanzler gewählten Augenblick zur Bildung einer Großen Koalition für ungünstig halte.

Der Reichskanzler erwiderte, daß es nicht üblich sei, den Rücktritt des Kabinetts mit Vorwürfen zu verbinden.

Er stellte dann fest, daß ein Widerspruch gegen die Demission des Kabinetts nicht erhoben werde und daß er demgemäß sofort dem Herrn Reichspräsidenten die Demission des Gesamtkabinetts überreichen werde.

Der Herr Reichskanzler begab sich dann zu dem Herrn Reichspräsidenten.

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