1.3.1 (wir2p): Beantwortung der Note des Generals Nollet, betreffend Schutzpolizei.

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Beantwortung der Note des Generals Nollet, betreffend Schutzpolizei1.

1

Es handelt sich um die Beantwortung einer Note Nollets an Rathenau vom 23.3.1922, in der eine Zusicherung der dt. Länder bis zum 5.4.22 gefordert worden war, daß sie zum Prinzip der Organisation der Polizei von 1913 zurückkehren. Eine Ausdehnung der Verstaatlichung der Polizei sei als Abweichung davon zu betrachten und bedürfe in jedem einzelnen Fall eines schriftlich begründeten Antrags. Weiter sei eine Angabe der Zahl der Schutzpolizeieinheiten notwendig und die Auflösung der Einheiten, die über das Kontingent von 1913 hinausgingen; für eine Vermehrung der Schutzpolizeieinheiten über den Stand von 1913 sei ebenfalls schriftlich begründeter Antrag notwendig. Schließlich wird die Beantwortung einiger organisatorischer Fragen gefordert und ein Erlaß aller notwendigen Ausführungsbestimmungen durch die Länder bis zum 25.5.1922 (Note in R 43 I /2693 , Bl. 136 f., 121 f.).

Reichsminister des Innern Dr. Köster eröffnet die Besprechung unter Hinweis auf die vorliegenden zwei Entwürfe einer Antwort. Der eine sei vom Reichsministerium des Innern in Übereinstimmung mit dem AA und der andere als Eventualvorschlag vom Auswärtigen Amt fertiggestellt2.

2

In der Anlage findet sich ein Entwurf I und ein Entwurf II; nach dem ausführlichen Entwurf I – offenbar dem des RIMin. – vertritt die dt. Reg. zunächst die Auffassung, daß der VV und die nachfolgenden Abkommen sie grundsätzlich nicht hindert, im Rahmen ihrer Verpflichtungen die Organisation der Polizei gegenüber 1913 weiterzuentwickeln; in diesem Zusammenhang hebt sie die in der Note Nollets vom 23.3.22 enthaltenen Zugeständnisse, nämlich Weiterentwicklung über den Stand von 1913 auf besonderen Antrag (siehe Anm. 1), hervor. Abschließend erkennt die dt. Reg. die Forderungen der Note vom 23.3.22 unter der Voraussetzung an, daß mit der Formel „Rückkehr zur Organisation 1913“ keine weitergehenden Verpflichtungen als die des VV und der nachfolgenden Abkommen festgelegt sind. – Entwurf II enthält nur folgende kurze Bemerkung: „Die Deutsche Regierung nimmt an, daß die Kontrollkommission unter der in der Note zum ersten Male gebrauchten Formel ‚Rückkehr zur Organisation von 1913‘ nichts anderes versteht als die Erfüllung der im Friedensvertrag, in der Note von Boulogne und in den Pariser Beschlüssen festgesetzten Verpflichtungen Deutschlands. – In dieser Voraussetzung erkennt die deutsche Regierung für sämtliche deutschen Länder den Zustand von 1913 als Grundlage für den Aufbau der Polizei an.“ (R 43 I /2693 , Bl. 154 f.).

[667] Minister Schweyer – Bayern – legt einen Gegenentwurf zur Beantwortung der Note vor, den die Bayerische Regierung aufgestellt habe3. Er betont nochmals, daß bei der Formulierung berücksichtigt werden müsse, daß das Prinzip der Rückkehr zum Zustand von 1913, wie es der General Nollet für die Schutzpolizei fordere, weder im Friedensvertrag noch in sonstigen Verträgen enthalten sei. Ferner betont er, daß der günstige Eindruck der Reichstagserklärung und die darin enthaltene Ablehnung übertriebener Ententeforderungen unter keinen Umständen abgeschwächt werden dürfe4.

3

Unter der Überschrift „Bayern-Vorschlag“ findet sich folgender, handschriftlicher Bleistiftentwurf (Schreiber nicht identifiziert) in den Akten: „Das Prinzip ‚Rückkehr zur Organisation von 1913‘ ist in dieser Form weder im Friedensvertrag, noch in den übrigen Abkommen enthalten. Die Deutsche Reichsregierung und sämtliche Länder können daher einer Formel nicht zustimmen, deren Auslegung unbekannt und deren Tragweite unübersehbar ist, zumal die Organisation 1913 in den einzelnen Ländern verschiedenartig war. Die Zustimmung wird auch nicht dadurch ermöglicht, daß ganz allgemein und unverbindlich in besonderen Einzelfällen gewisse Ausnahmen in Erwägung gezogen werden sollen. – Nur wenn die Formel ‚Rückkehr zur Organisation 1913‘ eine abgekürzte Bezeichnung der in den genannten Abkommen von Deutschland bereits unterschriebenen Verpflichtungen darstellen soll, sind die Reichsregierung und sämtliche Länder in der Lage, in diesem Umfang den ‚Zustand von 1913‘ als Grundlage für den bisherigen und weiteren Aufbau der Ordnungspolizei anzusehen. Reich und Länder bringen hierbei die Auffassung zum Ausdruck, daß weder der Friedensvertrag, noch die übrigen Abkommen sie grundsätzlich hindern, die Polizeiorganisation im Rahmen der übernommenen Verpflichtungen jeweils der inneren Lage anzupassen.“ (R 43 I /2693 , Bl. 123).

4

Regierungserklärung im RT siehe RT Bd. 353, S. 6613  ff.

Minister Lipinski – Sachsen – hält es für zweckmäßig, den bayerischen Entwurf dem Regierungsentwurf irgendwie einzufügen.

Württemberg schließt sich dem bayerischen Entwurf mit gewissen Einschränkungen an.

Staatssekretär v. Haniel weist auf die außenpolitischen Folgen einer so schroffen Ablehnung, wie sie der bayerische Entwurf enthalte, hin. Es stehe noch außerdem eine negative Antwort an die Reparationskommission bevor. Er hält es für zweckmäßig, schon aus diesem Grunde, soweit es irgendwie tragbar sei, den Forderungen des General Nollet nachzukommen, schon um einer Besetzung des Ruhrgebiets vorzubeugen.

Stadtrat Tack – Bremen – weist auf die Berücksichtigung der innerpolitischen Frage hin. Aus innerpolitischen Gründen sei eine Zerschlagung der Polizei unmöglich. Letzten Endes müßten wir auch Zwangsmaßnahmen ertragen können. Er geht sodann auf das Verlangen der Wiederherstellung des Zustandes von 1913 ein und betont, daß ja damals gänzlich andere Verhältnisse wie zur Zeit bestanden hätten. In dieser Hinsicht müsse die Kommission um Aufklärung ersucht werden, denn ein Prinzip von 1913 als solches gebe es gar nicht. Man müsse sich außerdem auf den Rechtsstandpunkt stellen, daß im Friedensvertrag und in der Note von Boulogne5 von einem Prinzip von 1913 niemals die Rede gewesen sei. Er halte den bayerischen Gegenentwurf für zweckmäßig.

5

Noten von Boulogne vom 22.6.1920 siehe Schultheß 1920 II, S. 342 und Salewski, Entwaffnung, S. 129 f.; Pariser Beschlüsse siehe Schultheß 1921 II, S. 234 ff.

Legationsrat Dr. Edward – Hessen – billigt den bayerischen Standpunkt des Rundschreibens6.

6

Rundschreiben vom 31.3.1922 in R 43 I /2693 , Bl. 140 f..

[668] Minister Remmele – Baden – meint, der Regierungsentwurf müsse teilweise angenommen werden. Die besonderen Verhältnisse der neutralen Zone müßten berücksichtigt werden.

Exzellenz Boden – Braunschweig – stimmt dem bayerischen Vorschlag zu. Die Formulierung der Antwort dürfte keine neuen Anerkenntnisse bringen.

Reichsminister Dr. Köster berichtet, daß ein Versuch, mit Nollet in persönliche Verhandlungen einzutreten, gescheitert sei, da General Nollet zur Zeit verreist sei. Er bemerkte, daß es unbedingt notwendig sei, die Antwortnote an den General Nollet so abzufassen, daß weitere Klärungen und Verhandlungen sich daran knüpften. Er bemerkte, daß das Nein in der Reparationsfrage und das Nein in der Polizeifrage hinsichtlich der sich daran evtl. zu knüpfenden Sanktionen durchaus verschieden zu bewerten seien. Die Folge des „Nein“ in der Reparationsfrage könne höchstens die Wiederherstellung des Londoner Zahlungsplanes sein, die Folge des Neins in der Polizeifrage könne aber die Besetzung des Ruhrgebiets sein. Achenbach [?], Lübeck teilt im wesentlichen den Standpunkt der Bayerischen Regierung.

Minister Schweyer stellt fest, daß sich zahlreiche Ländervertreter auf den bayerischen Standpunkt gestellt hätten und daß der bayerische Standpunkt ja auch keineswegs ein glattes Nein enthalte.

Oberregierungsrat Wagner erläutert den Entwurf der Reichsregierung. Er wendet sich gegen ein so entschiedenes Nein, wie es der bayerische Vorschlag enthalte. Es sei unbedingt notwendig, daß man zu weiteren Verhandlungen mit der Entente käme. Ein Diktat müsse unter allen Umständen vermieden werden.

Strandes – Hamburg – stimmt dem Regierungsentwurf zu, da er den Weg zu Verhandlungen aufrecht erhalte.

Reichsminister Dr. Rathenau erklärt, daß, da augenblicklich eine endgültige Verständigung unmöglich sei, letzten Endes nur der Weg der dilatorischen Behandlung bliebe. Er betont ferner darauf hin [sic], daß die letzte Note bekanntlich allen größeren alliierten Mächten mitgeteilt worden sei und daß von den Mächten hierauf noch keine Antwort eingegangen sei7. Hierauf könne man Nollet in der Antwortnote hinweisen. Die Antwortnote bekomme dadurch eine verminderte und nicht so prinzipielle Bedeutung.

7

Note des AA vom 25.3.1922, abschriftlich in den Akten der Rkei (R 43 I /2693 , Bl. 163-165).

Minister Lipinski weist auf das Verhältnis der Boulogne-Note zur Rückkehr zum Prinzip von 1913 hin, betont aber, daß die Länder ein grundsätzliches Interesse an der möglichst schnellen Klärung der Polizeifrage hätten, da die Umformung der Polizei überall in Fluß sei.

Mecklenburg-Schwerin lehnt den bayerischen Entwurf ab und stimmt für den Regierungsentwurf. Am zweckmäßigsten sei der Entwurf 2 (Auswärtiges Amt).

Minister Severing geht auf die Rückwirkungen des Notenwechsels auf die Beamtenschaft der Schutzpolizei ein, hält es auch im Interesse dieser für notwendig, daß bald ein Definitivum geschaffen würde. Angesichts Genua schlägt er zunächst dilatorische Behandlung vor und stimmt in dieser Hinsicht dem[669] Vorschlage Rathenaus zu. Er halte auch eine persönliche Fühlungnahme mit Nollet trotzdem noch für angebracht. Er ist gegen den bayerischen Entwurf.

Reichsminister Köster macht erläuternde Bemerkungen zu den beiden vorliegenden Notenentwürfen, deren erster nach wie vor der Auffassung des Reichsministeriums des Innern und Entwurf 2 der des Auswärtigen Amts entspräche.

Minister Lipinski stimmt einer dilatorischen Behandlung zu, um alsbald festzustellen, was überhaupt unter dem Zustand von 1913 zu verstehen sei.

Minister Schweyer betont nochmals, daß Bayern eine etwas bestimmtere Fassung wünsche, wenn auch keinesfalls ein absolutes Nein. Dem vorliegenden Entwurf 1) könne Bayern keinesfalls zustimmen8.

8

Bereits am 1.4.1922 hatte von Lewinski mit einem Schreiben an Wever einen Antwortentwurf übersandt, über den er sich mit MinR Sperr von der Bayer. Gesandtschaft geeinigt habe. Der Entwurf ist identisch mit dem in Anm. 1 zitierten Entwurf II.

Reichsminister Köster besteht auf Entwurf 1), erhebt Einwendungen gegen den bayerischen Entwurf, sagt jedoch zu, daß er sich schließlich zu dilatorischer Behandlung im Sinne des Auswärtigen Amts bereit erklären würde.

Minister Severing ist für Entwurf 2.

Mecklenburg-Strelitz tritt für Regierungsentwurf 1 ein.

Thüringen gegen den bayerischen Vorschlag. Falls nicht Entwurf 1) allgemein angenommen würde, sei die Thüringische Regierung auch schließlich mit dilatorischer Behandlung einverstanden.

Minister Remmele hält es für zweckmäßig, daß eine neue Formulierung der Note, die die Wünsche der Länder berücksichtige, fertiggestellt werde, die nachmittags um 5 Uhr erneut in einer Chefbesprechung, die im Reichstag stattfinden solle, beraten werden solle.

Reichsminister Köster ist mit diesem Vorschlage einverstanden.

Die Sitzung wird geschlossen.

Fortsetzung nachmittags, 5 Uhr, im Reichstagsgebäude. Reichskommissar Kuenzer legt den neuen Notenentwurf vor. Der Entwurf wird im einzelnen durchberaten. Ein bayerischer Vorschlag wird angenommen, wie auf dem Anlageentwurf vermerkt. Desgleichen ein Vorschlag Hessens. Die übrigen Abänderungsvorschläge ergibt Entwurf 3 der Note – siehe Anlage9.

9

Nach der redigierten Anlage 3 zum Protokoll sollte die Note endgültig lauten: „Die Deutsche Regierung nimmt Kenntnis von den in der Note vom 23. März enthaltenen Erklärungen der Kommission, wonach auch diese für die Länder die Möglichkeit gewahrt wissen will, im Rahmen der übernommenen Verpflichtungen die Organisation der Polizei den seit 1913 bestehenden Verhältnissen anzupassen. Sie geht davon aus, daß danach die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und damit auch des Wirtschaftslebens in Deutschland unentbehrlichen polizeilichen Grundlagen garantiert werden. – Die Deutsche Regierung nimmt an, daß die Kontrollkommission unter der in der Note zum ersten Male gebrauchten Formel ‚Rückkehr zur Organisation von 1913‘ die Erfüllung der im Friedensvertrag, in der Note von Boulogne und in den Pariser Beschlüssen festgesetzten Verpflichtungen Deutschlands versteht. Dies vorausgeschickt, erkennt die Deutsche Regierung für sämtliche Länder den Zustand von 1913 als die Grundlage für die Organisation der Polizei an.“ (R 43 I /2693 , Bl. 159).

Nach diesen Abänderungsvorschlägen wird dem Entwurf von allen Ländern zugestimmt.

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