1.49.1 (wir2p): [Verhandlungen des Ministers Hermes mit Mitgliedern der Reparationskommission.]

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[Verhandlungen des Ministers Hermes mit Mitgliedern der Reparationskommission.]

Reichsminister Dr. Hermes berichtete über die Verhandlungen in Paris.

Senator Petersen billigte das Vorgehen des Ministers Dr. Hermes, weil es im Rahmen der Linie sich gehalten habe, die der Reichskanzler bisher gezogen hätte, und die von seiner Partei auch gebilligt sei.

Reichstagsabgeordneter Müller (Franken) billigte die Ausführungen Petersens und erklärte, daß die in Paris befolgte Praxis der Linie der versuchten Vertragserfüllung entsprochen habe. Im einzelnen müsse noch geprüft werden, ob eine günstigere Anfangsbasis bei dem Normaldefizit zu erlangen gewesen wäre1. Er gebe der Überzeugung Ausdruck, daß man vor 12 Wochen, also vor Genua, zu diesem Ergebnis kaum gekommen sein würde. Zweierlei müsse man vor Augen halten: 1. Das Hinwegkommen über den 31. Mai2. Er könne sich nicht denken, daß eine Formel zustande gekommen wäre, ohne daß man etwas von Steuern, Kapitalverschiebung und Finanzkontrolle gesagt hätte; 2. die Anleiheverhandlungen, bei denen er glaube, daß die amerikanische Finanz auf dieselben Punkte stoßen würde. Er machte sodann einige Ausführungen[835] über den Verlauf der Debatte im Auswärtigen Ausschuß und teilte mit, daß der Ausschuß lediglich einen Bericht über die Pariser Verhandlungen gewünscht hätte und man diesen unter Ausschaltung aller Punkte, über die im Kabinett etwa noch Differenzen beständen, erstatten könne.

1

Zum Normaldefizit siehe Bericht Hermes’ aus Paris (Dok. Nr. 276 mit Anm. 9).

2

Zum Termin vom 31.5.22 siehe Dok. Nr. 278 Anm. 2.

Reichstagsabgeordneter Marx hielt es nicht für möglich, einen Bericht zu erstatten, von einer Stellungnahme aber ganz abzusehen. Es würde voraussichtlich über zwei Fragen Auskunft gewünscht werden: ob wir durch die Verhandlungen von Dr. Hermes in Paris festgelegt seien und ob eine Bindung hinsichtlich der Ausschreibung von neuen Steuern eingegangen sei. Er hoffe, daß alles von der Voraussetzung einer Gewährung einer Anleihe abhängig sei, was ihm bestätigt wurde.

Der Reichskanzler betonte, daß die Behandlung der Frage der Kapitalflucht ohne politische Bedeutung sei. Was die Frage der Kontrolle anlange, so sei sie im Hauptpunkt noch offen, abgesehen von der abwehrenden Geste. Der Kern der Sache läge in der taktischen Stellung zum Bradbury’schen Draft und in seinem Inhalt. Es müsse nun genau geprüft werden, ob wir nicht dadurch in ungeheure Schwierigkeiten kämen. Er berichtete dann über die Rückfrage in Paris und die dieser zugrunde liegenden schwierigen Probleme3. Die Festlegung auf den 31. März halte er für gefährlich. Es sei notwendig, daß die Regierungsparteien mit der Regierung in enger Fühlung blieben, da voraussichtlich von der USPD und der Deutschen Volkspartei Angriffe kommen würden4. Der Gedanke, eine politische Krise absichtlich heraufzubeschwören, sei absurd. Für ihn persönlich läge die Sache folgendermaßen: Durch wiederholte Besprechungen in Genua mit Lloyd George habe er diesem klarzulegen versucht, daß neue Lasten nicht tragbar seien; es würde jetzt für ihn mißlich sein, eine Formel zu unterschreiben, die jetzt neue Lasten bedingte.

3

Zur Rückfrage in Paris siehe Dok. 285 P. 5.

4

In der Erklärung der Reichsregierung über Genua am 29.5.22 lehnt der Reichskanzler es zwar ab, über die Verhandlungen des Ministers Hermes in Paris zu berichten, in der Fortsetzung der Besprechung über diese Erklärung am 30.5.22 nimmt der Abgeordnete Hoetzsch von der DNVP und der Abgeordnete Crispien von der USPD gegen die Pariser Verhandlungen, die zur Übergabe der Note der RReg. an die Repko geführt hatten, in scharfer Form Stellung (RT Bd. 355, S. 7673 , 7704 , 7714).

Abgeordneter Müller verstand die Bedenken des Reichskanzlers; er glaubte aber, daß der Reichstag in seiner Mehrheit das Hinwegkommen auch auf diese Weise über den 31. Mai billigen würde. Jedenfalls hielt er die Situation taktisch nicht für so schwierig. Eine Krise müsse unter allen Umständen vermieden werden; das müsse sich jeder sagen, der noch alle 5 Sinne bei sich hätte.

Minister Dr. Hermes ging nochmals auf die wesentlichen Vorteile der jetzigen Situation gegen früher ein und betonte, daß die Pariser Verhandlungen lediglich die Fortführung der Genueser bedeuteten, und daß nur auf dem in Genua vorbereiteten Boden die andere Stellung der Reparationskommission möglich geworden sei. Es sei unbedingt notwendig, ständigen und erträglichen Kontakt mit der Reparationskommission zu halten, wenn man zu erträglichen Verhältnissen kommen wolle.

[836] Senator Petersen betonte noch, daß es von großer politischer Wichtigkeit gewesen sei, in die Anleiheverhandlungen mit der Betonung des guten Willens hineinzugehen, wofür durch die Pariser Verhandlungen die Basis geschaffen sei, damit für ein Scheitern der Anleihe nicht wir, sondern Frankreich verantwortlich zu machen sei.

Über die Frage der Art der Berichterstattung im Auswärtigen Ausschuß wird die Regierung im Kabinett Beschluß fassen.

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