2.167.5 (bru1p): 5. Arbeitslosenproblem.

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5. Arbeitslosenproblem20.

20

Dem RKab. lagen Vorschläge des PrHandM Schreiber zur Minderung der Arbeitslosigkeit vor, die dieser dem PrStMin. am 16.10.30 zugeleitet hatte. Der PrMinPräs. hatte eine Abschrift dieser Vorschläge dem RK am 23.10.30 mit einem Anschreiben zugeleitet. Schreiber hatte drei Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angeregt:

1. Die RReg. sollte ein Gesetz erlassen, durch das bis auf weiteres jede Verminderung der Belegschaft in allen gewerblichen Betrieben untersagt werden sollte, solange in den einzelnen Betrieben eine Beschäftigung der verschiedenen Arbeitnehmergruppen von durchschnittlich 40 Wochenstunden noch möglich war. Von dieser Regelung sollten Landwirtschaft und Gärtnereien nicht betroffen sein.

2. Die gesetzliche Schulpflicht sollte um ein Jahr verlängert werden. Dadurch würde verhindert werden, daß 250 000 junge Menschen neu auf dem Arbeitsmarkt erscheinen würden. Das neue, neunte Schuljahr sollte der Berufsausbildung der Jugendlichen dienen. Die Aufwendungen für dieses weitere Schuljahr hatte der PrMinPräs. in seinem Begleitbrief auf etwa 23 Mio RM beziffert; einen Bruchteil dieser Summe sollte das Reich übernehmen.

3. 1931 sollen keinerlei Genehmigungen für die Einreise ausländischer landwirtschaftlicher Wanderarbeiter gegeben werden. Als Ersatz für den Ausfall dieser Arbeitskräfte sollte für arbeitslose Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr eine zeitlich beschränkte Pflichtarbeit eingeführt werden. Das Einreiseverbot für ausländische Wanderarbeiter würde etwa 110 000 dt. Arbeitslosen Arbeit vermitteln (Schreiben Brauns an den RK vom 23. 10. mit Abschrift des Rundschreibens Schreibers vom 16. 10. in R 43 I /2038 , Bl. 238–243). Das PrStMin. hatte in der Sitzung vom 21.10.30 den Vorschlägen Schreibers grundsätzlich zugestimmt (Protokollauszug in R 43 I /2038 , Bl. 300).

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß er über die Frage der Vierzigstundenwoche am 12. November mit den Vertretern der Interessenten verhandeln werde21. Er fürchte eine Steigerung der Gestehungskosten, die weniger[625] denn je erträglich sei22. Andererseits würde die Anregung zur Beruhigung der Arbeitermassen beitragen. Zu erstreben sei eine freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Kürzung der Arbeitszeit.

21

Die Vereinigung der Dt. Arbeitgeberverbände hatte am 27.10.30 in einem Schreiben an den RK die Vorschläge des PrHandM abgelehnt. Die 40-Std.-Woche würde zu einer Erhöhung der Gestehungskosten und dadurch zu einer Vergrößerung der Arbeitslosigkeit führen. Ebenso war von der Vereinigung die Einführung des 9. Schuljahrs abgelehnt worden, weil dadurch der durch die geburtenschwachen Jahrgänge ohnehin vorhandene Lehrlingsmangel erheblich verschärft und demzufolge die Heranbildung eines ausreichenden Qualitätsarbeiternachwuchses ernsthaft gefährdet würde. Aus Gründen der „Erhaltung deutscher Qualitätsarbeit und damit deutscher Wettbewerbsfähigkeit“ müsse dieser Vorschlag abgelehnt werden (Schreiben mit Anlage in R 43 I /2038 , Bl. 286–297); der Vorstand der Arbeitgeberverbände hatte in einer Entschließung, die dem RK am 4.11.30 überreicht worden war, ähnlich argumentiert (R 43 I /2038 , Bl. 336–349). Dagegen beschloß der Reichsverband kommunaler und anderer staatlicher Arbeitgeberverbände am 15. 11., daß von den einzelnen Verwaltungen erwartet werde, „daß sie, soweit solches möglich, vor Arbeiterentlassungen eine Streckung der Arbeit vornehmen“ (Entschließung vom 15. 11. mit Anschreiben vom 21. 11. in R 43 I /2038 , Bl. 394–395).

22

In einer Stellungnahme zu den Vorschlägen Schreibers hatte Trendelenburg am 3. 11. auf die Erhöhung der Gestehungskosten bei einer Arbeitszeitverkürzung hingewiesen (R 43 I /2038 , Bl. 320–323, hier 320–322), während der RArbM die 40-Std.-Woche grundsätzlich für zweckmäßig und durchführbar gehalten hatte (Schreiben vom 5.11.30, R 43 I /2038 , Bl. 329).

Das Ergebnis der Verhandlungen des Reichsarbeitsministeriums mit den Interessenten soll vor weiterer Beschlußfassung abgewartet werden.

Zur Frage des 9. Schuljahres führte der Reichsarbeitsminister aus, daß der Erfolg voraussichtlich gering sein werde, weil nur in mäßigem Umfange ein Ersatz der Schulentlassenen durch Arbeitslose zu erwarten sei23. Preußen möchte die Ersparnisse der Arbeitslosenversicherung für diese Maßnahme verwendet wissen. Die Arbeitslosenversicherungsanstalt werde aber darauf nicht eingehen.

23

Trendelenburg hatte mit der gleichen Begründung wie die Arbeitgebervereinigung die Einführung des 9. Schuljahrs abgelehnt (Schreiben vom 3.11.30, R 43 I /2038 , Bl. 322 bis 323). Der RArbM hatte der Verlängerung der Schulpflicht grundsätzlich zugestimmt (Schreiben vom 5.11.30, R 43 I /2038 , Bl. 329). Die Arbeitsgemeinschaft Dt. Frauenberufsverbände hatte am 10. 11. die Einführung eines 9. Schuljahrs begrüßt (R 43 I /2038 , Bl. 360 bis 362).

Ministerialdirektor Weigert wies auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Preußischen Kultusministerium und dem Preußischen Handelsministerium in der Frage hin. Ersteres wolle das 9. Schuljahr zur Verbesserung der Allgemeinbildung, letzteres zur fachlichen Ausbildung benutzt wissen.

Staatssekretär Dr. Weismann erklärte hierzu, daß sich die Preußische Staatsregierung dem Standpunkt des Kultusministeriums anschließe. Wichtig sei der moralische Nutzeffekt. Die Entwöhnung von der Arbeit, die bei den Arbeitslosen eintrete, werde durch das 9. Schuljahr hinausgeschoben.

Reichsminister Treviranus schlug vor, die Schulpflicht ein Jahr später beginnen zu lassen.

Der Reichswehrminister dagegen hielt das 9. Schuljahr zur Verbesserung der Ausbildung für erforderlich. Die Rekruten wiesen einen erstaunlichen Mangel an Allgemeinbildung auf.

Der Reichskanzler sprach sich für den Vorschlag des Ministers Treviranus aus. Er bat Staatssekretär Dr. Weismann, die Frage im Preußischen Staatsministerium zur Sprache zu bringen.

Über die ausländischen Landarbeiter äußerte sich der Reichsarbeitsminister dahin, daß es sich bei den 100 000, die 1930 zugelassen worden seien, zu 80% um ausländische Mädchen handele, die für die Rübenkultur benötigt würden. Es sei fraglich, ob die Arbeitsämter geeigneten Ersatz vermitteln könnten24. Wäre es möglich, den Rübenbau vermehrt auf kleinere und mittlere Betriebe umzustellen, so würde eine entsprechende Verminderung des Bedarfs[626] an Arbeitskräften dieser Art eintreten. Zu berücksichtigen sei bei dieser Frage auch die Tatsache, daß eine nicht unerhebliche Anzahl deutscher Arbeiter ins Ausland gehe.

24

Vgl. Dok. Nr. 160.

Reichsminister Treviranus hielt es für geboten, in der Frage zwischen deutschstämmigen und anderen Arbeitskräften zu unterscheiden und etwa 60 000 zunächst hereinzulassen. Das Umlernen der Arbeitslosen sei nicht aussichtslos. Ihre Arbeitsfreudigkeit habe zugenommen. Sie könnten zweckmäßig auf den Gütern untergebracht werden, die von den Siedlungsgesellschaften in Zwischenbewirtschaftung genommen würden, oder als Restgüter in ihrer Hand blieben. Diese Maßnahmen müßten bis Mitte März organisiert werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt es für schwierig, die Umstellung in kurzer Frist durchzuführen. Nach seiner Auffassung müßten ungefähr 75 000 ausländische Arbeiter hereingelassen werden. Davon liefere Polen etwa 80–90%.

Darin sah der Reichsminister des Auswärtigen keine Bedenken. Das Verhältnis zu Polen sei so schlecht, daß es kaum durch diese Frage weiter getrübt werden könne.

Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Die Angelegenheit soll in einer Woche erneut verhandelt und dann zur Entscheidung gebracht werden25.

25

Vgl. Dok. Nr. 190, P. 7.

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