2.80.2 (bru1p): 2. Erlaß von Notverordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung.

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2. Erlaß von Notverordnungen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung.

Der Reichskanzler legte dar, daß das Reichskabinett nach dem Schicksal, das die Deckungsvorlage im Reichstag erfahren habe4, nunmehr zur Frage des Inhaltes der auf Grund des Art. 48 zu erlassenden Notverordnung Stellung nehmen müsse. Bei dieser Frage könne es sich nach Lage der Verhältnisse wohl nur darum handeln, zu entscheiden, ob die Bürgersteuer in die Notverordnung mit einbezogen werden solle oder nicht. Nach seiner Meinung dürfe die Reichsregierung an der Notlage der Gemeinden nicht vorübergehen und müsse im Verordnungswege auch den Gemeinden neue Steuerquellen erschließen. Die Preußische Staatsregierung schätze den nicht gedeckten Ausgabenbedarf der Gemeinden auf 500 Millionen RM. Es sei unmöglich, diesen Bedarf nur durch Erhöhung der Realsteuern zu decken. Bei der Wahl eines solchen Weges würde die Preissenkungsaktion der Reichsregierung von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Als neue Steuerquelle für die Gemeinden könne man wählen zwischen der Bürgersteuer und der Schankverzehrsteuer. Den Großstädten werde wohl nur durch die Verzehrsteuer wirksam geholfen werden können, während für die kleinen Städte die Bürgerabgabe eine wirksamere Hilfe bedeute. Es komme hinzu, daß die Deutsche Volkspartei erklärt habe, für die Aufhebung der zu erlassenden Notverordnung stimmen zu wollen, wenn die Bürgersteuer in die Notverordnung nicht einbezogen werde. Aus diesen Erwägungen heraus halte er es nach Vorbesprechungen mit dem Reichsminister der Finanzen für richtig, zwei Notverordnungen zu erlassen. Die erste Verordnung werde inhaltlich mit der Deckungsvorlage übereinstimmen können, die dem Reichstag zur Abstimmung vorgelegen habe. Hierin sei die Bürgersteuer bekanntlich mit enthalten. Die zweite Verordnung solle die Möglichkeit zur Einführung einer Gemeindegetränkesteuer bringen.

4

Der RT hatte in der Sitzung vom 16.7.30 den Art. 2 der Drucks. Nr. 2363 (RT-Bd. 443 : Reichshilfe der Festbesoldeten) mit 256 gegen 193 Stimmen abgelehnt (RT-Bd. 428, S. 6435 ; vgl. auch S. 6407).

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß er sich ursprünglich stark gegen den Gedanken ausgesprochen habe, auch die Bürgersteuer mit Hilfe des Artikels 48 einzuführen. Es sei daher für ihn jetzt schwer, einen gegenteiligen Standpunkt durchzusetzen. Gleichwohl sei er bereit, gegen den[325] Willen seiner Partei die Bürgersteuer in die erste Notverordnung mit einzubeziehen. Er glaube auch den Widerstand seiner Partei überwinden zu können, wenn daneben in einer zweiten Notverordnung eine Möglichkeit zur Einführung einer Gemeindegetränkesteuer geschaffen werde. Auf diese Weise biete sich nämlich eine Möglichkeit, der weiteren Erhöhung der Realsteuern einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Auf dieses Ergebnis komme es seiner Partei ausschlaggebend an. In dem von ihm vorbereiteten Entwurf einer Notverordnung über die Zulassung einer Gemeindegetränkesteuer sei nur von einer fakultativen Einführung dieser Steuer die Rede. Von einer zwangsweisen Einführung wolle er Abstand nehmen wegen der starken Gegnerschaft, die dieser Steuer bei der Wirtschaftspartei begegne5. Im gegenwärtigen Augenblick komme es wohl auch nur darauf an, ein Ventil zur Behebung der Schwierigkeiten in den finanziell gefährdeten Gemeinden zu schaffen. Der Entwurf sei auch so gefaßt, daß der im Herbst zu schaffenden endgültigen Regelung für die Einführung eines beweglichen Faktors bei den Gemeindesteuern nicht vorgegriffen werde. Die Voraussetzungen des Artikels 48 der Reichsverfassung für den Erlaß der Verordnung seien zweifellos gegeben, da ohne die Erschließung dieser Steuerquelle die Wohlfahrtsfürsorge in zahlreichen Gemeinden ernstlich gefährdet sei.

5

S. Dok. Nr. 71.

Die Entwürfe der beiden Verordnungen

1. über Deckungsmaßnahmen für den Reichshaushalt 1930,

2. über die Zulassung einer Gemeindegetränkesteuer

wurden sodann eingehend durchgesprochen und vom Reichskabinett in der aus der Anlage ersichtlichen Fassung verabschiedet6.

6

Hier nicht abgedruckt. Vgl. hierzu RGBl. 1930 I, S. 207  und 212 .

Das Kabinett erörterte sodann noch die Frage, ob über die beiden Verordnungen hinaus auch andere Gegenstände, insbesondere die Reform der Sozialversicherung, dem Reichstage auf Grund des Artikels 48 aufoktroyiert werden sollen.

Von einer Beschlußfassung zur Sache wurde Abstand genommen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte mit allgemeiner Zustimmung, daß es richtiger sei, vor einer endgültigen Stellungnahme zur Sache das Schicksal der Sozialvorlagen bei den bevorstehenden Abstimmungen zweiter Lesung im Reichstage abzuwarten7.

7

Wegen der Auflösung des RT sind die Sozialvorlagen nicht mehr in zweiter Lesung beraten worden.

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