1.122 (bru2p): Nr. 374 Besprechung mit Reichstagsabgeordneten der SPD am 10. Juli 1931

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Nr. 374
Besprechung mit Reichstagsabgeordneten der SPD am 10. Juli 1931

R 43 I /2371 , S. 45–58

Anwesend: Brüning (wegen einer Besprechung mit Sackett nur anfangs anwesend), Dietrich, Stegerwald; MdR Hertz, Breitscheid, Hilferding und Wels; Protokoll: MinDir. v. Hagenow.

Nach Eröffnung der Besprechung bemerkte der Reichskanzler daß er es im Hinblick auf die kurze ihm zur Verfügung stehende Zeit für zweckmäßig erachte, gleich in eine Erörterung der Einzelheiten der Wünsche der Sozialdemokratischen Partei einzutreten.

[1316] Hierauf führte Reichstagsabgeordneter Dr. BreitscheidBreitscheid aus, daß die Bevölkerung durch die Maßnahmen der Notverordnung, die sich demnächst in ihrer vollen Schwere auswirken werden, stark beunruhigt sei. Es müsse mit allen Mitteln angestrebt werden, die sozialen Härten zu beseitigen. Hierbei käme zunächst eine Umlagerung der Krisensteuer1 in Frage, sodann müßten die Subventionsmaßnahmen2 beseitigt werden, und schließlich sei unter anderem bei den Beamten die Kinderzulage in der alten Regelung wieder herzustellen3. Ergänzend bemerkte Reichstagsabgeordneter WelsWels, daß es Aufgabe der Reichsregierung sein müsse, eine moralische Entlastungsoffensive zu unternehmen. Die Notverordnung drücke die ärmere Bevölkerung stärker, während auf der anderen Seite hinsichtlich der hohen Pensionen nichts geschehe. Gegen das Treiben der Industriekräfte, wie es sich im Fall Nordwolle herausgestellt habe, müsse die Reichsregierung unbedingt schärfste Maßnahmen ergreifen. Gegen diesen Korruptionsskandal könne man nur mit der äußersten Schärfe vorgehen. Auch die Nachrichten, die ihnen über die Durchführung der Osthilfe zugegangen seien, seien äußerst bedenklich. Man gewinne im Volk den Eindruck, daß die Sozialdemokraten die Hörigen der Regierung Brüning geworden seien. Deswegen könne er nur dringend raten, daß die Regierung eine moralische Entlastungsoffensive unternehme, andernfalls die Gefahr bestehe, daß alles zusammenbrechen werde.

1

NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III (RGBl. I, S. 298 ).

2

Vgl. die NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kapitel III § 1 Abs. 1 (RGBl. I, S. 298 ).

3

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kapitel I, § 4 (RGBl. I, S. 283 ).

Reichskanzler BrüningBrüning bemerkte, daß die Angriffe gegen die Oststelle nicht begründet seien. Er müsse sich scharf gegen die nicht stichhaltigen Gerüchte wehren. Nach eingehender Ermittlung sei nur ein Fall vorhanden, der ohne Mitwirkung der Preußischen Regierung beschlossen worden sei. Im übrigen hätten die Herren der Preußischen Regierung, insbesondere Staatssekretär Krüger, der zur Sozialdemokratie gehörte, jede Möglichkeit, sich über die Durchführung der Osthilfe zu unterrichten und bei ihr mitzuwirken4.

4

Einem Gutsbesitzer in Hinterpommern war vom Reich gegen den Willen Preußens eine Umschuldungshypothek gewährt worden. MinPräs. Braun hatte sich in der Chefbesprechung vom 27.6.31 über die mangelnde Zusammenarbeit des Reichs mit Preußen in der Osthilfe beschwert (Vermerk des RegR Krebs vom 13.7.31, R 43 I /1810 , Bl. 164; in diesem Bd. befindet sich weiteres Material über die Reibungen zwischen dem Reich und Preußen).

Reichstagsabgeordneter HertzHertz führte hierzu aus, daß nach seiner Mitteilung in 22 Fällen Anträge auf Umschuldung gestellt seien, die nicht umgeschuldet werden dürften.

Reichskanzler BrüningBrüning bemerkte hierzu, daß er die Stellung solcher Anträge nicht hindern könne. Entscheidend sei nur, ob solche Anträge von der Regierung berücksichtigt würden oder nicht. Obwohl die mitarbeitenden Kräfte genauen Einblick in die Dinge der Osthilfe hätten, würden in unverantwortlicher Weise wilde Gerüchte verbreitet.

Abgeordneter BreitscheidBreitscheid führte noch aus, daß das Halbdunkel, was zur Zeit über die Stützungsaktionen ausgebreitet sei, gelüftet werden müsse. Die Unruhe sei auch durch die Reise des Reichsbankpräsidenten Luther noch verstärkt[1317] worden5. Es müsse deshalb etwas geschehen, um diese Unruhe abzubauen.

5

Der RbkPräs. reiste vom 8.–11.7.31 nach London und Paris, um von den Banken von England und Frankreich einen weiteren Rediskontkredit zu erreichen: s. Dok. Nr. 376; Luther, Vor dem Abgrund, S. 184–188.

Abgeordneter WelsWels bezeichnete es als unbedingt notwendig, daß den zur Zeit obwaltenden Gerüchten energisch entgegengetreten werde. Man erzähle, daß die Danatbank notleidend sei6, und daß auch die Dresdner Bank in Mitleidenschaft gezogen sei. Von französischer Seite aus werde behauptet, daß die katastrophale Situation hervorgerufen sei durch die Abwanderung der Mark, nicht durch die Kreditabzüge. Es handele sich in vorliegendem Falle um schwere Vergehen der Wirtschaftskapitäne, die man nicht ungesühnt lassen dürfe.

6

WTB hatte am 7. 7. einen Bericht der „Baseler Nationalzeitung“ über die Schwierigkeiten der Danatbank dementiert (DAZ Nr. 303–304 vom 8.7.31).

Reichstagsabgeordneter HertzHertz wies auf die im Preußischen Landtag gestellte Interpellation hin und bemerkte, daß auch die Reichsregierung das größte Interesse daran haben müsse, daß diese Interpellation so schnell als möglich beantwortet werde7.

7

Nicht ermittelt.

Reichskanzler BrüningBrüning betonte, daß die landwirtschaftlichen Genossenschaften unglaublich gewirtschaftet hätten. Sie hätten Bürgschaften für Großgrundbesitzer übernommen, deren Übernahme vorschriftswidrig gewesen sei. Der Kern des Übels und die schwere Schuld der Genossenschaften seien der Reichsregierung durchaus bekannt. Es werde auch durch energische Maßnahmen jetzt eingegriffen werden. Über die angebliche Subvention würden weitgehend falsche Auffassungen vertreten. Es gäbe durchaus Fälle, wo man Fabriken im Interesse der Arbeiterschaft lebensfähig machen müsse. An einem Konzern hingen heutzutage zu viele Menschen. Zehntausende von Arbeitern würden arbeitslos werden, wenn man einen solchen Konzern zusammenbrechen ließe, ohne den Weg einer Stützung zu finden. Im Interesse der Arbeiterschaft sei es durchaus geboten, an und für sich gesunde und lebensfähige Betriebe mit Subventionsmitteln aufrechtzuerhalten.

Abgeordneter HertzHertz wies noch darauf hin, daß die Buchprüfer in manchen Fällen Feststellungen getroffen hätten, die nicht verantwortet werden könnten.

Reichsminister DietrichDietrich bemerkte dazu, daß bei der Buchprüfung der „Nordwolle“ ungeheure Tatsachen herausgekommen seien8. Das Reichsfinanzministerium habe in dieser Beziehung sofort die notwendigen Schritte eingeleitet. Im übrigen schilderte der Reichsminister der Finanzen die Lage der Großbanken und bemerkte dabei, daß Zusammenbrüche von Großbanken schwer zu verantworten seien.

8

Vgl. Dok. Nr. 360, Anm. 3.

Hierzu betonte Reichstagsabgeordneter WelsWels, daß im Interesse der Bevölkerung nur ein entschlossenes Vorgehen gegen die Kräfte erforderlich sei, die sich strafbar gemacht hätten.

[1318] Der Reichskanzler betonte, daß er alles getan habe, um mit Strenge gegen die Leute vorzugehen, die an Zusammenbrüchen schuldig seien. Er habe bereits vor einigen Tagen Herrn Abgeordneten Breitscheid auf den Ernst der Wirtschaftslage aufmerksam gemacht und ihm auch mitgeteilt, daß die Regierung sich nicht scheuen werde, gegen die Unternehmer, die sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hätten, vorzugehen.

Reichstagsabgeordneter WelsWels betonte hierbei noch einmal, daß es unbedingt notwendig sei, von den Verderbern der Wirtschaft abzurücken. Er verkenne durchaus nicht, daß auch im Interesse der Arbeiterschaft die Wirtschaft erhalten bleiben müsse. Er müsse aber immer wieder betonen, daß eine Entlastungsoffensive der Wirtschaft geschehen müsse.

Der Reichskanzler bemerkte, daß der Fall der Rheinischen Landesbank9, der ja den Herren auch bekannt sei, nicht unter den Begriff „Wirtschaft“ fallen könne. Es handele sich hier um einen Zusammenbruch eines öffentlichen Verbandes. Für den Fall der Rheinischen Landesbank seien auch Kräfte verantwortlich, die der Sozialdemokratischen Partei nahe stehen. Wenn auch in den einzelnen Fällen einigen Wirtschaftsführern Vorwürfe zu machen seien, so könne man doch nicht, wie es der Herr Reichstagsabgeordneter Wels tue, die Wirtschaft einfach verdammen. Die Sozialdemokratie müsse anerkennen, daß auch im Interesse der Arbeiterschaft für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft Sorge getragen werden müsse.

9

S. Dok. Nr. 364, P. 2 a, Dok. Nr. 365 und Dok. Nr. 369.

Herr Reichstagsabgeordneter BreitscheidBreitscheid bat, zu den Fragen der Notverordnung überzugehen und trug noch einmal die Gedankengänge der Sozialdemokratischen Partei vor10.

10

Vgl. dazu im einzelnen Dok. Nr. 355.

Hierzu bemerkte Reichsfinanzminister DietrichDietrich folgendes. Es handele sich nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Breitscheid um folgende Punkte:

1.

Umbau der Krisensteuer und Heranziehung der selbständigen Unternehmer zur Krisensteuer. Auf dem Gebiete der Krisensteuer werde vor allem von den Sozialdemokraten verlangt, Abbau der Sätze der Krisenlohnsteuer und schärferen Ausbau der Krisensteuer der Veranlagten.

2.

Auf dem beamtenpolitischen Gebiete werde gefordert, Wiederherstellung der alten Kinderzulage für das erste Kind, Durchführung der einheitlichen Staffelung und ferner Beseitigung des erhöhten Kürzungssatzes in den Ortsklassen B, C und D.

3.

Frage der Subventionen.

4.

Landwirtschaft: Beseitigung der vorgesehenen landwirtschaftlichen Steuerregelung.

5.

Mineralöle.

Die Hauptforderung sei der Umbau der Krisensteuer. Würde der Umbau nach den Vorschlägen der Sozialdemokratie erfolgen, so würden dadurch keine Mehreinnahmen von 120 Millionen, wie es von den Sozialdemokraten behauptet[1319] werde, herauskommen. Wenn er auch zugebe, daß durch den Umbau neue Einnahmen entstehen werden, so müsse er doch auf der anderen Seite sagen, daß man einen solchen Umbau wirtschaftlich nicht verantworten könne. Die Wirtschaft sei in gegenwärtigen Zeitverhältnissen nicht leistungsfähig, zumal es ihr an dem erforderlichen Absatz fehle. Im übrigen komme hinzu, daß in der Frage des Umbaus der Krisensteuer die Parteien des Reichstags verschiedener Meinung sein werden. Auch das erschwere den Umbau außerordentlich.

Was die Frage der Subventionen angehe, so sei eine Subvention des Steinkohlenbergbaus abgelehnt worden. Im übrigen komme eine Subvention in Höhe von 40–60 Millionen in Frage, um die erforderlichen Arbeiten der Reichsbahn in Gang zu bringen. Man könne hier nicht von Subvention im eigentlichen Sinne sprechen. Das Bestreben der Reichsregierung sei gewesen, die Reichsbahn mit neuen Aufträgen zu versehen, um eine größere Anzahl Arbeitskräfte wieder einzustellen. Weiterhin verfolge die Reichsregierung das Ziel, Land anzukaufen, um Leute anzusiedeln.

Reichstagsabgeordneter HertzHertz bemerkte dazu, auf dem Gebiet der Krisensteuer werde von der Sozialdemokratischen Partei eine Angleichung gewünscht, indem man eine stärkere Heranziehung der Veranlagten fordere. Man schlage eine innere Umgruppierung vor, und zwar unter Sicherung des Gesamtergebnisses. Im übrigen ständen aus dem Krisenfonds etwa 80–100 Millionen zur Verfügung. Dieser Betrag müsse genommen werden, um auf sozialpolitischem Gebiete Erleichterungen zu schaffen.

Reichsarbeitsminister StegerwaldStegerwald betonte dazu, daß er nicht mehr glaube, daß dieser Betrag frei sei. Man müsse doch anerkennen, daß die große Pleite, die jetzt eintrete, die Arbeitslosigkeit wieder vermehre. Er befürchte, daß man nicht mehr mit der Durchschnittszahl von 1 Million Krisenfürsorgeberechtigter auskommen werde. Das habe zur Folge, daß die Krisenfonds für die Unkosten der Arbeitslosigkeit herangezogen werden müßten. Er überschlage den Betrag, der zur Verfügung stehe, auf höchstens 30 Millionen RM.

In diesem Zusammenhang kam Reichstagsabgeordneter HertzHertz auf die Frage der hohen Pensionen zu sprechen und legte noch einmal dar, daß auf diesem Gebiete unbedingt etwas geschehen müsse. Hierzu bemerkte der Reichsminister der Finanzen daß er sich wie auch die Reichsregierung in den letzten Wochen und Tagen dauernd den Kopf zerbrochen habe, das Problem der hohen Pensionen zu meistern11. Im Wege des Artikels 48 könne man hier aber keine Regelung treffen, da dieser Eingriff eine Verletzung der Verfassung darstelle. Im übrigen sei die Zahl der hohen Pensionäre nicht so groß wie angenommen werde12. Es gäbe im ganzen nur 6–8 Generale, die Pensionen über 15 000 M hätten, und das seien nicht Generale der alten Armee, sondern verabschiedete Generale der Reichswehr. Die früheren Minister und Reichskanzler bekämen an Pensionen nicht mehr als die aktiven Minister und Kanzler. Der schlimmste Fall sei bisher der Fall Marx gewesen. Reichskanzler Marx habe aber auf 20% verzichtet. Er habe infolgedessen weniger, als der gegenwärtige Reichskanzler[1320] Brüning an aktivem Gehalt habe. Kürzungen seien auch von Minister Köhler13 und Minister Koeth angeboten worden. Ein bedenklicher Fall sei allerdings der Fall des Ministers Stingl. Man müsse aber zugeben, daß in dieser Beziehung eine Verhandlung mit Herrn Minister Stingl unmöglich sei, da Minister Stingl jedes Entgegenkommen ablehnen werde. Bei dieser Sachlage habe man sich entschlossen, nicht an die Minister schriftlich heranzutreten, um sie zu einem freiwilligen Verzicht auf einen bestimmten Pensionsbetrag zu bewegen.

11

S. Dok. Nr. 339, P. 5.

12

Vgl. Dok. Nr. 339, Anm. 14.

13

S. Dok. Nr. 339, Anm. 12.

Reichstagsabgeordneter HertzHertz betonte noch einmal, daß er nicht verstehe, daß man nicht den Weg der Sonderbesteuerung der hohen Pensionen ginge. Man könne nicht anerkennen, daß das ein Eingriff in wohlerworbene Rechte sei. Im übrigen müsse man sich darüber klar sein, daß, wenn man die Frage der hohen Pensionen im Wege der Volkswirtschaft lösen wolle, das Volk den Standpunkt der Regierung nicht teilen werde.

Hierzu bemerkte Herr Minister StegerwaldStegerwald, daß nach seiner erneut vorgenommenen Prüfung der Weg der Sonderbesteuerung nicht gangbar sei, es müsse damit gerechnet werden, daß das Reichsgericht diese Regelung als verfassungswidrig aufheben werde. Im übrigen werde der Herr Reichspräsident sich schwer dazu entscheiden, zu einer Verordnung seinen Namen herzugeben, die mit der Verfassung nicht im Einklang stehe.

Reichstagsabgeordneter BreitscheidBreitscheid kam noch einmal auf die Wünsche der Sozialdemokratie hinsichtlich der Notverordnung zu sprechen und fragte, wie man sich denn eigentlich die soziale Entlastung denke.

Hierzu bemerkte Minister StegerwaldStegerwald, daß erst eine finanzielle Grundlage geschaffen werden müsse. Sobald diese Grundlage feststehe, könne er von seinem Ressort aus Vorschläge machen.

Reichsminister DietrichDietrich bemerkte, er könne im gegenwärtigen Augenblick keine derartige finanzielle Grundlage schaffen, da die Finanzlage des Reiches derartig schlecht sei, daß es beim besten Willen nicht möglich sei, einen bestimmten Weg zu beschreiten.

Reichstagsabgeordneter WelsWels wies noch einmal auf die unbedingte Notwendigkeit hin, den Wünschen der Sozialdemokratie entgegenzukommen. Jetzt schon werde die Sozialdemokratie als Hüter der Notverordnung angesehen. Dieser Zustand könne von ihr unmöglich ertragen werden. Die Regierung müsse sich des Ernstes der Lage bewußt sein und nicht die Parteileitung dazu zwingen, den bisher von der Partei verfolgten Kurs zu verlassen und den Hebel umzulegen. Im übrigen verstehe man es im Volke nicht, daß der Herr Reichspräsident bei derartig angespannter Situation von Berlin abwesend sei. Der Herr Reichspräsident müsse alsbald nach Berlin zurückkommen, damit er sich an Ort und Stelle ein Bild von dem Ernst der Lage machen könne.

Reichstagsabgeordneter HertzHertz betonte die drei Wünsche der Sozialdemokratie noch einmal, nämlich

Umbau der Krisensteuer durch Erhöhung der Sätze der Veranlagten,

Streichung der Subvention,

innere Ausgleichsabgabe (Benzin und Benzol).

[1321] Reichstagsabgeordneter BreitscheidBreitscheid legte noch einmal mit allem Ernst und Nachdruck dar, daß unbedingt jetzt etwas geschehen müsse. Die Sache könne nicht mehr länger hingehalten werden. Der Reichsfinanzminister müsse in der Lage sein, einen genauen Finanzplan aufzustellen, der die sozialen Erleichterungen bringe.

Reichsminister DietrichDietrich erwiderte mit allem Nachdruck, daß er in der Lage sei, jede Rechnung aufzumachen, die von der Sozialdemokratie gewollt sei. Eine solche Aufstellung einer Rechnung habe aber bei der gegenwärtigen Situation keinen Zweck, da sie morgen überholt sei. Was solle man machen, wenn die Kassen leer seien. Es handele sich hierbei auch um eine Kassenfrage.

Reichsminister HilferdingHilferding kam in diesem Zusammenhang zu sprechen auf den Nachlaß der Reparationen im Wege des Hoover-Planes und führte u. a. aus, daß der Nachlaß gegeben worden sei, um eine soziale Entlastung zu bringen. 80 Millionen seien noch frei. In Verbindung mit der Ausgleichsabgabe würde dieser frei werdende Betrag sich auf 100 Millionen belaufen ohne das Ergebnis eines Umbaus der Krisensteuer. Bei der Krisensteuer müsse eine mittlere Linie gefunden werden, die sich daraus ergebende Summe müsse zur Verfügung gestellt werden. Am Schlusse seiner Darlegungen hob Reichstagsabgeordneter Hilferding noch einmal hervor, daß etwas geschehen müsse, um einen Ausgleich zu schaffen.

Reichsminister DietrichDietrich bezeichnete den Weg dahin, einen gewissen Betrag locker zu lassen, um soziale Erleichterungen zu bringen.

Reichstagsabgeordneter WelsWels schlug vor, daß Reichsminister Dietrich sich mit Herrn Hertz zusammensetzen möge, um den ganzen Fragenkomplex durchzusprechen. Wenn nichts erreicht werde, dann wisse er nicht, was komme. Am Dienstag trete der Parteiausschuß zusammen14. Würde er gezwungen zu erklären, daß die Verhandlungen mit der Regierung zu keinem Ergebnis geführt hätten, dann könne er nicht absehen, welche Haltung die Sozialdemokratie demnächst zur Regierung Brüning einnehmen werde.

14

14.7.31. Vgl. die Kundgebung der SPD zur Lage in Schultheß 1931, S. 158 f.

Zu den außenpolitischen Fragen bemerkte Abgeordneter WelsWels, daß der Reichsbankpräsident den Weg mit Frankreich verschüttet habe, nämlich durch seine Verhandlungen mit England15. Nach den ihnen gewordenen Mitteilungen wäre es richtiger gewesen, nicht über London nach Paris zu fahren, sondern über Paris nach London.

15

Vgl. Dok. Nr. 376.

Abgeordneter BreitscheidBreitscheid betonte noch einmal, daß die Öffentlichkeit nicht unterrichtet werde. Die Öffentlichkeit stehe vor einer Mauer und wisse nicht, was dahinter liege. Auch er könne nur betonen, daß die Reichsregierung sich im Hinblick auf den Parteiausschuß am Dienstag sich genau überlegen müsse, was zu machen ist. Würde ein negativer Bescheid erteilt, dann ergeben sich für kommenden Dienstag die größten Gefahren.

Am Schluß der Aussprache erklärte sich der Reichsminister der Finanzen bereit, mit Herrn Abgeordneter Hertz über die einzelnen Fragen zu sprechen.

[1322] Nachdem die sozialdemokratischen Abgeordneten sich entfernt hatten, besprachen die Reichsminister DietrichDietrich und StegerwaldStegerwald die Angelegenheit unter sich.

Reichsminister StegerwaldStegerwald stellte die Punkte wie folgt zusammen:

1.

Abänderung der Bestimmungen über die Kriegsbeschädigten. Die vorgesehene Abänderung werde nichts kosten.

2.

Behandlung der Jugendlichen bei der Arbeitslosenfürsorge. Er glaube, daß die Sozialdemokratie auf diesen Punkt nicht zurückkommen werde.

3.

Gewährung der allgemeinen Unterstützungssätze an die Saisonarbeiter in den Sommermonaten (April bis einschließlich Oktober). Dies werde eine Mehrausgabe von 26 Millionen ausmachen.

4.

Regelung der Löhne der Gemeindearbeiter unter Beseitigung der vorgesehenen starken Kürzungen.

5.

Arbeitsdienstpflicht.

6.

Erhöhung der Unterstützungssätze. Eine solche Erhöhung werde wieder starke Mehrausgaben zur Folge haben. Er glaube, daß in diesem Punkte nichts geschehen könne.

Der Reichsfinanzminister schlug im Laufe der Besprechung vor, den Sozialdemokraten eine Summe von 80 Millionen zur Erleichterung der sozialen Bestimmungen zur Verfügung zu stellen, und zwar

a)

20 Millionen für die Saisonarbeiter (Bauarbeiter),

b)

60 Millionen den Gemeinden zur Bestreitung der Ausgaben der Wohlfahrtslasten.

Auf dieser Grundlage werde er mit Herrn Abg. Hertz verhandeln.

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