1.30.1 (bru3p): Wirtschaftsprogramm.

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Wirtschaftsprogramm.

Der Reichskanzler stellte durch Befragung fest, daß in dem Streite über die Priorität der privaten und öffentlichen Schulden im Jahre 1927 Deutschland nie diese Priorität anerkannt hat. Zu einer formellen Entscheidung ist es damals nicht gekommen. Deutschland hat sich nicht festgelegt1.

1

Vgl. hierzu diese Edition, Die Kabinette Marx III/IV, Dok. Nr. 399, Anm. 20 und die Rede des DDP-Abg. Dernburg am 2.12.27 im RT, RT-Protokolle Bd. 394, S. 11785 –11786.

Staatssekretär Dr. Schäffer gab dann einen Überblick über die Etatslage. Auf strengste Vertraulichkeit der Mitteilungen wurde besonders hingewiesen. Im laufenden Etatsjahr sind 400 Millionen zu decken, im nächsten ist mit einem Defizit von 800 Millionen oder mehr zu rechnen, auch wenn keine Reparationen zu zahlen sind2. Eine Deckung muß alsbald vorbereitet werden.

2

Zu den Mitteilungen über das erwartete Haushaltsdefizit siehe auch Dok. Nr. 544 und Dok. Nr. 589, Anm. 19.

Es bestand Übereinstimmung im Kabinett darüber, daß die Regierung sich nicht darauf beschränken könne, die Ausschüsse des Wirtschaftsbeirats anzuhören. Bestimmte Pläne müssen ihnen vorgelegt werden3. Im II. Ausschuß soll die Zinsfrage nach Möglichkeit zögerlich behandelt werden4.

3

Vgl. Dok. Nr. 545, P. 3.

4

Vgl. Dok. Nr. 547.

Zur Frage der Wohnungszwangswirtschaft verwies der Reichsarbeitsminister auf die neue preußische Verordnung5. Die völlige Freigabe könne vielleicht bereits 1933 erfolgen. Sozialer Mieterschutz für die Inhaber der kleinsten Wohnungen und die Kinderreichen müsse dann geschaffen werden.

5

Vgl. die 7. Vo. über die Lockerung der Wohnungszwangswirtschaft vom 26.12.31 (Pr. Gesetzessammlung, 1931, S. 228).

Zur Frage der Hauszinssteuer gab Ministerialdirektor Dr. Zarden eingehende Erläuterungen der drei vorliegenden Entwürfe6. Er wies darauf hin, daß die Reichseinnahmen wahrscheinlich in den nächsten Tagen weiter stark sinken werden, und daß deswegen die Eingänge aus der Hauszinssteuer im wesentlichen kaum entbehrt werden könnten.

6

Vgl. Dok. Nr. 493, Anm. 15 und Dok. Nr. 501, P. 2.

Auch bei den Ländern seien die Eingänge der Grundvermögensteuer immer geringer geworden, weil die Landwirtschaft zu einem guten Teil nicht in der Lage sei, den Besitz durchzuhalten.

[1924] Die Wirtschaftspartei verlange gleichwohl weiteres Absinken der Hauszinssteuer über die 20% hinaus und drohe mit Antrag auf Einberufung des Reichstags.

Die Ablösbarkeit der Hauszinssteuer werde sich bei den gegenwärtigen Zinssätzen kaum erheblich über das 3–4fache des Jahresbetrages normieren lassen, wenn ein Anreiz gegeben werden sollte. Die Absenkung der Hauszinssteuer könne wohl mit der Verpflichtung zur Vornahme von Reparaturen verbunden werden. Die Durchführung dieses Grundsatzes würde aber große Schwierigkeiten machen. Generell seien die Häuser nicht übermäßig vernachlässigt.

Gegen eine Mietraumsteuer mit entsprechender Senkung der Mieten hätten sich die Interessenten entschieden ausgesprochen. Die Frage könne nur endgültig beim Finanzausgleich geregelt werden.

Der Reichskanzler sprach sich dahin aus, daß die Hauszinssteuer nach sieben Jahren wegfallen solle, und daß die Ablösung sofort ermöglicht werde7. Die Hauszinssteuer solle schrittweise abgebaut werden. Von der Hauszinssteuerseite her könnten die Mietslasten nicht erleichtert werden.

7

Vgl. Dok. Nr. 550 und Dok. Nr. 582, P. 2.

Der Reichsarbeitsminister wies darauf hin, daß er auf Mietsenkung nicht bestehen wolle, daß sie aber nicht zu umgehen wäre, wenn Lohn- und Gehaltssenkungen einträten.

Zur Preisfrage bestand Einverständnis darüber, daß eine Einwirkung auf die freien Preise nicht erfolgen solle, weil sie bisher beträchtlich gesunken seien. Im I. Ausschuß soll die Frage zur Diskussion gestellt werden, ob alle Preisbindungen im vollen Umfange aufgehoben werden können8. Jedenfalls werde es möglich sein, bei Markenartikeln weitere Preisherabsetzungen durchzusetzen.

8

Dazu Dok. Nr. 546.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg wies auf die Notwendigkeit hin, Syndikate und Kartelle verschieden zu behandeln. Bei Aufhebung von Syndikaten würde ihr gesamter Verkaufsapparat beseitigt. Ersatz müsse in irgendeiner Weise geschaffen werden. Bei den Kartellen seien Eingriffe weniger weittragend. Ein Unterschied zwischen den horizontalen und vertikalen Bindungen dürfe grundsätzlich nicht gemacht werden. Bei Beseitigung von Syndikaten und Kartellen müsse darauf Bedacht genommen werden, daß die Neubildung möglich sei.

Zur Frage der Zölle machte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft eingehende Ausführungen über die bisherige Agrarpolitik.

Die Getreideernte sei wesentlich geringer ausgefallen als noch kürzlich angenommen worden sei. Die Qualität des Roggen sei gut. Er käme aber nicht in größeren Mengen mehr für Futterzwecke in Frage. Hafer und Gerste seien im Überfluß vorhanden9. Die Kartoffelernte betrage rund 45 Millionen Tonnen, normal nur 38 Millionen10. Auch die Zuckerernte sei gut11. Zu einer Besorgnis wegen der Bedarfsdeckung[1925] läge kein Anlaß vor. Eine Senkung des Roggenzolles sei bedenklich. Sie würde als Zeichen des Mangels gedeutet und sofort zu einer wesentlichen Preissteigerung Anlaß geben. Soweit erforderlich werde Roggen aus dem Ausland hereingebracht12. Er sei bereit, noch weitere größere Mengen auch aus Rußland zu kaufen. Allerdings beabsichtige Polen das Gleiche zu tun.

9

1931 waren 4.233.310 t Weizen (1930: 3.788.902 t), 6.680.003 t Roggen (1930: 7.679.160 t), 6.204.907 t Hafer (1930: 5.656.356 t) und 3.018.179 t Gerste (1930: 2.860.258 t) geerntet worden (Stat. Jhrb. für das Dt. Reich 52 (1933), S. 68).

10

Die amtliche Statistik wies für 1931 einen Ernteertrag von 43.866.383 t Kartoffeln aus, für 1930 dagegen 47.099.600 t (Stat. Jhrb. für das Dt. Reich 52 (1933), S. 69).

In einer Aufstellung vom 16.11.31 über die Kartoffelpreise wies das REMin. auf die überdurchschnittliche gute Ernte des Jahres 1931 hin, die um 4–6 Mio. t höher liege als die Durchschnittsernten der letzten Jahre mit 39,5 Mio. t. Dieser hohe Ernteertrag habe zu einem Preisverfall geführt. Zur Versorgung führte das REMin. aus: „Wenn eine gewisse Versteifung des Kartoffelmarktes Ende Oktober des Jahres zu Preissteigerungen geführt hat, so ist dies vor allem darauf zurückzuführen, daß im Herbst im Gegensatz zu früheren Jahren eine größere Menge von Kartoffeln eingekellert worden ist […]. Was insbesondere die Versorgung des westdeutschen Industriegebiets anlangt, so ist auch hier infolge der starken Einkellerung im vorigen Monat vorübergehend eine gewisse Verknappung von Speisekartoffeln eingetreten. Ich habe mich, sobald mir Klagen über mangelhafte Versorgung aus dem Westen – Ende Oktober – zugingen, mit den beteiligten Spitzenorganisationen der Landwirtschaft und des Fachhandels in Verbindung gesetzt und dahingehend gewirkt, daß für eine ausreichende Belieferung der westlichen Industriegebiete Sorge getragen wurde.“ Vor allem habe das REMin. den Zentralverband Dt. Konsumvereine wegen des Bezugs von Speisekartoffeln an die Kartoffelbaugesellschaft verwiesen (Schreiben mit Anlagen in R 43 I /2549 , Bl. 215–219, Zit. Bl. 215).

11

Die dt. Ernte an Zuckerrüben hatte 1931 11.039.029 t. 1930 14.918.594 t betragen (Stat. Jhrb. für das Dt. Reich 52 [1933], S. 69).

12

Mit Schreiben vom 11.11.31 an den RFM forderte der REM wegen der geringen Roggenernte einen vorsorglichen zusätzlichen Import von 100.000–200.000 t Auslandsroggen (Abschrift in R 43 I /2549 , Bl. 161–164). Vgl. auch Dok. Nr. 579.

Im übrigen komme keine Zollsenkung in Frage. Der Schweinebestand sei außerordentlich groß (25,5 Millionen Stück). Auch an Rindern herrsche Überfluß. Die Fleischpreise seien stark zurückgegangen13. Auch die Butterpreise lägen außerordentlich ungünstig14.

13

Der Index für Schlachtviehpreise im Reichsdurchschnitt von 1930 im Vergleich zu 1931: Rindvieh 57,9 im Jahr 1930 auf 45,1 im Jahr 1931, bei Kälbern von 70,1 im Jahr 1930 auf 51,2 im Jahr 1931; bei Schweinen von 66,5 auf 47,6 (Stat. Jhrb. für das Dt. Reich 52 (1933), S. 260–261).

14

Der Großhandelspreis für Butter war 1931 auf 250,18 RM gegenüber 279,02 RM 1930 zurückgegangen (Stat. Jhrb. für das Dt. Reich 52 (1933), S. 256).

Bei dieser Entwicklung sei der Anteil für Ernährung im Lebenshaltungsindex von 56 auf 50–51% zurückgegangen.

Beim Aufkauf von Getreide im Ausland müsse vorsichtig vorgegangen werden, schon wegen der Devisenlage.

Es sei zu erwägen, ob nicht der Reichsregierung nach englischem Muster Vollmacht gegeben werden solle, Richtpreise festzusetzen. Auch müßte erwogen werden, den Anschlag der Preise in den Geschäftslokalen wieder zu verfügen15. Im übrigen kaufe die Bevölkerung das billige Brot in verhältnismäßig nur geringem Ausmaße.

15

In einem Schreiben vom 21.11.31 an den StSRkei kündigte StS Heukamp die Übersendung eines VOEntw. über den Preisaushang und Preisverzeichnisse in Länden an (R 43 I /2549 , Bl. 261). Vgl. auch Dok. Nr. 568 und Nr. 571, P. 2.

In der weiteren Aussprache wurde auf die Notwendigkeit, Tauschgeschäfte mit dem Ausland, insbesondere mit Rußland, vorzusehen, sowie auf die Bedeutung der Spanne zwischen den Erzeugerpreisen und denen der letzten Verbraucher eingehend hingewiesen.

Reichsminister Schlange hielt Zwangseingriffe zur Herabsetzung der Preisspanne für dringend geboten, während der Reichskanzler auf die ungünstigen Erfahrungen hinwies, die mit Maßnahmen dieser Art gemacht worden sind.

Zum Tarifproblem wies der Reichsarbeitsminister auf die Wirkung einer Verkleinerung der Tarifgemeinschaften hin. Eine Steigerung der Streiks könne die Folge[1926] sein, da es den Arbeitern ermöglicht würde, für die Fortführung der Betriebe unentbehrliche Gruppen zum Streik zu veranlassen16. Der Ausschuß des Wirtschaftsbeirats soll sich über die Aufrechterhaltung der Tarifregelung, die Beibehaltung der Unabdingbarkeit, die Anpassung der Tarifverträge an einzelne Betriebszweige und Branchen unter Aufhebung bisheriger größerer Tarifgemeinschaften aussprechen17.

16

Hierzu notierte Luther in seinem Tagebuch: „Stegerwald sprach von einer Elastizitäts-Psychose mit Bezug auf die Löhne und meinte, die würde sehr bald verrauchen, wenn die Gewerkschaften erst wieder auf die Streikmethoden der Vorkriegszeit zurückkämen, die heute nur von den Arbeitgebern vergessen seien, nämlich das Herausziehen von Werkzeugschlossern, Fördermaschinisten, usw., wodurch immer ganze Werke stillgelegt würden. Schiele erwiderte, daß die Verhältnisse infolge Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sich wesentlich verändert hätten“ (Nachl. Luther  366, Bl. 246–247).

17

Vgl. Dok. Nr. 550 und Nr. 564.

Die Unterschiede zwischen den Löhnen der Arbeiter, die für den Export, und denen, die für den Binnenmarkt arbeiten, und die Frage, ob Tarifverträge, die noch längere Zeit laufen, mit dem Ziele einer Vereinheitlichung des Lohnniveaus vorzeitig gekündigt werden sollen, werden zur Verhandlung gestellt werden.

Der Reichsbankpräsident wies in diesem Zusammenhange darauf hin, daß für die Notenbankpolitik eine möglichst weitgehende Beweglichkeit des Wirtschaftslebens unerläßlich sei. Die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Betriebe hänge davon ab, daß sie in der Lage wären, die Löhne und Gehälter zu erarbeiten. Die Ansprüche der Landarbeiterschaft seien bereits stark herabgesetzt.

Die Wirkung der Lohnhöhe auf die Rheinschiffahrt zeigt sich nach Äußerungen von Minister Treviranus im Stilliegen von 75% der Rheinflotte und dem starken Aufschwung der fremden Flaggen auf dem Rhein18.

18

Hierzu Dok. Nr. 569, P. 1.

Die Verhandlungen wurden auf 9 Uhr abends vertagt19.

19

Hierzu Dok. Nr. 545.

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