1.161.1 (ma12p): [Regierungsbildung.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

[Regierungsbildung1.]

1

Am 15. 12. war das Kabinett Marx zurückgetreten. Am 17. 12. bot der RPräs. dem RAM Stresemann die Bildung des neuen Kabinetts an, dieser erbat sich jedoch Bedenkzeit bis zum Abend. Am Nachmittag des 17. 12. wurde folgender Fraktionsbeschluß des Zentrums bekanntgegeben: „Die Zentrumsfraktion des RT hält grundsätzlich an dem Streben zur Bildung einer Regierung der Volksgemeinschaft fest. Sie lehnt, vorwiegend aus außenpolitischen Gründen, die Beteiligung an einer Rechtskoalition ab. Sie wird sich nur an einer Regierung beteiligen, welche die Gewähr für die unveränderte Fortführung der bisherigen Politik der Mitte bietet.“ Daraufhin teilte die DVP-Fraktion am 17. 12. mit: „Die Fraktion der DVP hat heute nachmittag nach Bekanntgabe des Beschlusses der Zentrumsfraktion beschlossen, sich an der Regierungsbildung führend nicht zu beteiligen. Auf Grund dieses Beschlusses hat Dr. Stresemann den RPräs. gebeten, von der Betrauung seiner Person mit der Regierungsbildung abzusehen.“ (DAZ Nr. 595 vom 18. 12.).

Am 18. 12. wird RK Marx vom RPräs. beauftragt, erneut mit den Fraktionen Fühlung zu nehmen. Der RK empfängt am 18. 12. vormittags nacheinander Vertreter der SPD, der DVP und der BVP, nachmittags Vertreter der DDP, der Wirtschaftspartei und nochmals der DVP (Tagebuch über die Kabinettsbildung, R 43 I /1306 , Bl. 216-220). In den Akten der Rkei befinden sich ausführlichere Aufzeichnungen nur über die beiden Besprechungen mit der DVP vom 18. 12., die hier abgedruckt werden (Dok. Nr. 373 und Nr. 374).

Der Reichskanzler erörterte die gestrigen Beschlüsse des Zentrums und der Deutschen Volkspartei. Es ginge das Gerücht, daß die Deutsche Volkspartei die Kabinettsbildung vertagen wolle. Dagegen hätte er große Bedenken.

Abg. Scholz: Von einer Vertagungsabsicht bei der Volkspartei sei keine Rede.

Reichskanzler Die nächste Frage sei die, ob die sogenannte große Koalition, also von der Volkspartei bis zu den Sozialdemokraten, gebildet werden könnte.

Abg. Scholz: Das sei selbstverständlich ausgeschlossen. Nötig sei eine stabile Mehrheitsregierung mit den Deutschnationalen. Nach Ansicht der Volkspartei würden die Demokraten sich schließlich doch daran beteiligen2.[1228] Nötig sei hierzu aber eine völlig klare Haltung des Zentrums, das nun gleichfalls deutlich zu erkennen geben müsse, daß eine andere Mehrheitsbildung unmöglich sei. Die Volkspartei lehne sowohl die große Koalition wie die kleine, wie sie jetzt bestehe, rundweg ab. Eine andere Mehrheitsbildung als die mit den Deutschnationalen gäbe es nicht.

2

In einem Beschluß vom 16. 12. hatten sich Vorstand und Fraktion der DDP für die Wiederherstellung der Großen Koalition und gegen eine Rechtskoalition ausgesprochen (Vossische Zeitung Nr. 597 vom 16. 12., Ausschnitt in R 43 I /1306 , Bl. 216-220, hier: Bl. 217).

Reichskanzler Das Zentrum sei gestern bei seiner Ablehnung der Rechtskoalition davon ausgegangen, daß die Demokraten nicht hereingehen würden. Der Beschluß des Zentrums beziehe sich auf eine Regierung, in der außer ihm nur Parteien rechts vom Zentrum beteiligt seien.

Abg. Scholz: Die Mitarbeit der Demokraten lehnte die Deutsche Volkspartei nicht ab. Raffe sich das Zentrum energisch auf, die Bürgerregierung mitzumachen, so würden die Demokraten mindestens nach einiger Zeit sich beteiligen.

Der Reichskanzler bezweifelt dies letztere.

Abg. Scholz: Dann müsse die Regierung ohne sie gebildet werden.

Reichskanzler Das lehne das Zentrum ab.

Abg. Brüninghaus: Die Stellung der Demokraten sei jetzt schlechter als vor den Wahlen, denn sie hätten geglaubt, durch die Wahlen eine Linksmehrheit zu erzielen. Entscheidend für die Lage sei jetzt die Haltung des Zentrums.

Abg. Kempkes: Auch er glaube, daß die Demokraten bei fester Haltung des Zentrums sich beteiligen würden. Für die Volkspartei sei die Zuziehung der Demokraten wünschenswert. Lehnten sie ab, so müsse eben die bürgerliche Regierung ohne sie gebildet werden.

Wie würde sich die Lage für das Zentrum gestalten, wenn der Wehrminister Geßler in einem solchen Kabinett bliebe?

Reichskanzler Das sei schwer zu sagen. Die Art, wie die Deutschnationalen den Wahlkampf geführt hätten, hätte viel zerschlagen, beispielsweise ihre Äußerungen zum Sachverständigengutachten.

Abg. Scholz: Jede Koalition sei unmöglich, wenn man nicht den Wahlkampf vergesse. Symptomatisch für die jetzige Einstellung der Deutschnationalen sei die Wahl des Abg. Schiele zum Vorsitzenden der Fraktion3.

3

Schiele war am 17. 12. zum Vorsitzenden der deutschnationalen RT-Fraktion gewählt worden.

Interessant sei, daß bedeutende amerikanische Bankiers ihn gefragt hätten, warum man in Deutschland nicht endlich eine stabile bürgerliche Regierung bilde. Es spräche, wie auch hieraus hervorgehe, eine ganze Reihe außenpolitischer Momente für die bürgerliche Regierung. Ähnliche Stimmen habe er sogar aus Frankreich gehört. Die Einbeziehung der Deutschnationalen sei vor allem wegen des Räumungstermins vom 10. Januar4 notwendig.

4

Termin für die Räumung der Kölner Besatzungszone.

Reichskanzler Von anderen Seiten würde behauptet, daß die Zuziehung der Deutschnationalen die amerikanischen Kredite einschränken würde.

Abg. Kempkes: Entscheidend für die Haltung des Auslandes würde immer die außenpolitische Regierungserklärung sein und nicht Reden aus dem Wahlkampfe. Auch die Volkspartei stehe auf dem Standpunkt, daß die Deutschnationalen die Politik des Dawes-Gutachtens mitmachen müssen.

[1229] Reichskanzler Zunächst sei nun die Haltung der Demokraten entscheidend, dann evtl. die des Zentrums.

Abg. Kempkes: Die Demokraten würden die Frage des Reichskanzlers, ob sie jetzt in eine Regierung mit den Deutschnationalen hineingehen wollten, sicher verneinen. Sie seien nur durch die Tat zu beeinflussen; sähen sie, das Zentrum wolle diesen Weg gehen, dann würden die Demokraten seines Erachtens mitmachen.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

Extras (Fußzeile):