1.64.1 (ma12p): [Stand der Londoner Konferenz.]

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[Stand der Londoner Konferenz.]

Der Vizekanzler eröffnete die Sitzung mit einem Überblick über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen in London. Er betonte zunächst, daß die Form der Verhandlungen in London von der früheren seitens der Alliierten beliebten Art wohltuend abwiche. Das den Herren bekannte Begleitschreiben der Deutschen Delegation zu den Vorschlägen der Alliierten1 habe zwei wichtige Fragen aufgerollt, nämlich die Frage der militärischen Räumung, dann auch die Frage des Verbleibens von 4–5 000 französisch-belgischen Eisenbahnern im besetzten Gebiet. Die Alliierten hätten die Absicht gehabt, die Räumungsfrage überhaupt in London nicht zu diskutieren. Mit dieser Frage sei die Reise Herriots am vorigen Sonntag [10. 8.] nach Paris in Verbindung zu bringen. Herriots Standpunkt habe über die Auffassung Nollets gesiegt. Allerdings sei Herriot von Paris aus eine bestimmte Marschroute vorgeschrieben worden, von der er offenbar nicht abweichen könne.

1

Das Begleitschreiben ist abgedr. im amtl. Weißbuch: Die Londoner Konferenz Juli– August 1924, Dok. Nr. 32. Vgl. auch den vorliegenden Band, Anhang, Dok. Nr. 1, Anm. 8.

Was die sachlichen Arbeiten betreffe, so habe das Organisationskomitee die drei Gesetzentwürfe, nämlich erstens betreffend Bankgesetz, zweitens Eisenbahngesetz und drittens die Industrieobligationen im allgemeinen unbeanstandet gelassen. Das Bankgesetz habe im übrigen bereits die Billigung der Reparationskommission gefunden.

Im übrigen seien die Aufgaben von London drei Komitees übertragen worden, bevor sie an den sogenannten Rat der Vierzehn gelangten. Außerdem sei für juristische Fragen ein juristisches Komitee gebildet worden2.

2

Die Berichte der genannten Komitees sind abgedr. in: Die Londoner Konferenz Juli– August 1924.

1) Das erste Komitee habe sich mit den beiden folgenden Fragen zu beschäftigen gehabt:

a) Sanktionen. Hier sei ein für Deutschland befriedigendes Ergebnis erzielt worden. In Zukunft würden Sanktionen nur dann möglich sein, wenn eine nachgewiesene Böswilligkeit seitens Deutschlands vorhanden sei. Im Streitfalle sei ein Schiedsverfahren vorgesehen;

[964] b) die Auslegung von § 18 und § 22 der Anlage II [zu] Teil VIII des Friedensvertrages. Hier handle es sich darum, ob und inwieweit eine einzelne Macht berechtigt sein solle, eigenmächtig Sanktionen zu ergreifen. Hier sei es nicht gelungen, eine Verständigung herbeizuführen. Der französische Standpunkt sei aufrechterhalten worden, die Deutsche Delegation habe ihren Protest zu Protokoll erklärt. Er, der Vizekanzler, glaube, daß diese Bestimmung ihre Bedeutung verloren habe, da ja für alle Fragen aus dem Dawesgutachten ein Schiedsverfahren vorgesehen sei.

2) Das zweite Komitee habe sich mit der Frage der wirtschaftlichen Räumung befaßt. Hier sei bestimmt worden, daß die Zollgrenze alsbald fortfallen solle, und zwar nach Unterzeichnung des Paktes. 45 Tage nach Annahme der Gesetze im Reichstag soll die wirtschaftliche Räumung beendet sein.

3) Das dritte Komitee habe sich mit der Transferfrage beschäftigt. Hier sei eine Verständigung erzielt, die vielleicht nicht ganz den deutschen Wünschen entspräche, die aber als erträglich zu bezeichnen sei.

Daneben ständen zur Zeit im Vordergrund die sogenannten Ehren- und politischen Fragen. Befriedigend sei gelöst die Frage der Amnestie. Im allgemeinen habe man MacDonalds Rat befolgt und das Vergangene ausgelöscht. Alle Deutschen würden amnestiert mit Ausnahme derjenigen, die durch ihre Handlungsweise den Tod eines Alliierten verursacht hätten. Diese Bestimmung sei von geringerer Bedeutung, da nur der Fall der Ermordung des belgischen Leutnants Graff in Frage komme. Diese Frage müsse wohl später zwischen Belgien und Deutschland geregelt werden. Schwer zu ertragen sei die Bestimmung, daß Deutschland auch die Separatisten, also Hochverräter und Landesverräter begnadigen müsse. Da müsse man berücksichtigen, daß, wenn es sich darum handle, die deutschen Opfer aus Feindeshand herauszubekommen, diese Möglichkeit nicht dadurch zunichte gemacht werden dürfe, daß man sich weigere, auch den Separatisten Straffreiheit beziehungsweise Begnadigung angedeihen zu lassen. In Zukunft werde Garantie dafür geschaffen werden, daß die Justizhoheit im besetzten Gebiet nicht angetastet würde, daß also künftig Hoch- und Landesverräter der ganzen Strenge des Gesetzes verfielen.

Was die Ausgewiesenen anlange, so sei die Anordnung Herriots betreffend der Rückkehr dadurch in ihren Auswirkungen abgeschwächt, daß die Ausgewiesenen zum großen Teil weder in ihre Wohnung einziehen noch ihr früheres Amt bekleiden könnten. Hier werde die deutsche Regierung darauf drängen, daß im besetzten Gebiet die Bestimmungen des Friedensvertrags und des Rheinlandabkommens, insbesondere soweit Verwaltungs- und Justizhoheit in Betracht kommen, wiederhergestellt würden.

In der Räumungsfrage habe die französische Forderung der letzten Tage 1 Jahr betragen, so daß also die Räumung nicht vor dem 1. Oktober 1925 erfolgt wäre, auch habe sich Herriot geweigert, eine etappenweise Räumung zuzusichern. Hinter das von der Deutschen Delegation hierauf ausgesprochene „Unannehmbar“ hätten sich gestern Reichspräsident und Kabinett gestellt3. Der[965] Reichskanzler und der Außenminister hätten eingehend mit Herriot, mit den Engländern und den Amerikanern verhandelt und hätten feststellen müssen, daß Herriot unnachgiebig blieb und daß die Engländer und Amerikaner kein weiteres Entgegenkommen zeigten, vielmehr rieten, nachzugeben.

3

Vgl. Dok. Nr. 274.

Zwischenzeitlich sei festgestellt worden, daß die Herriotsche Frist von einem Jahre bereits am 15. d. Mts. zu laufen beginne, so daß es sich tatsächlich nur um eine Frist von 10 Monaten ab 15. Oktober handle4. Das gelte für das Einbruchsgebiet. Was das Sanktionsgebiet anlange, so habe Herriot erklärt, daß dieses Gebiet den Alliierten unterstehe, daß also in letzter Linie die Reparationskommission zu entscheiden habe. Die Folge dieses Räumungsplans würde sein, daß auch die Kölner Zone nicht, wie im Friedensvertrag vorgesehen, am 10. Januar 1925, sondern erst am 15. August 1925 geräumt werden würde, denn es sei militärisch nicht gut möglich, die Etappe vor der Front zu räumen. Herriot habe, wie bereits erwähnt, es abgelehnt, auf etappenweise Räumung einzugehen, er habe aber erklärt, daß er nach Unterzeichnung unverzüglich mit Räumung wesentlicher Teile beginnen werde. Bei diesem Plan sei von großem Werte, daß ein fester, unabweisbarer Räumungstermin erreicht sei. Es werde vielleicht möglich sein, diese deutsch-belgisch-französische Abmachung über die Räumung in das allgemeine Protokoll der Londoner Konferenz miteinzubeziehen, wodurch dem ganzen Abkommen ein internationaler Wert verliehen würde.

4

Vgl. hierzu und zum folgenden Dok. Nr. 275 und Nr. 276.

Bis vor kurzem habe Frankreich versucht, die Räumung mit wirtschaftlichen Forderungen zu verkoppeln. Es habe sich da in der Hauptsache um Meistbegünstigung beim Handelsvertrag und um Prolongierung der elsaß-lothringischen Kontingente um drei Jahre gehandelt. Diese These sei fallengelassen worden. Am 1. Oktober d. J. sollten allerdings deutsche Vertreter in Paris über einen Handelsvertrag verhandeln. Dies stände aber in keinem Zusammenhang mit der Räumung.

Das Kabinett, an dem der Reichswehrminister Dr. Geßler und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Graf von Kanitz nicht teilgenommen hatten, hätte sich einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß man dem Vorschlage der Franzosen entsprechen müsse.

Auf Befragen des Abgeordneten Borrmann erwiderte der Vizekanzler, daß die Zollgrenze sofort wegfallen würde, daß also die Zollautonomie des Deutschen Reichs auch im besetzten Gebiet wiederhergestellt werden würde. Ausgenommen bleibe das Saargebiet.

Auf Befragen des Abg. Becker gab der Vizekanzler der Auffassung Ausdruck, daß die Ein- und Ausreisebestimmungen für das besetzte Gebiet wohl mit dem Verschwinden der Zollgrenze ebenfalls wegfallen würden. Überhaupt hätte das Kabinett in einem Telegramm nach London5 dem Wunsche Ausdruck verliehen, daß man möglichst darauf dringen solle, die Methode der Besatzung zu ändern. Ferner trug der Vizekanzler seinen früheren Ausführungen noch[966] nach, daß die Forderung des Verbleibens von 4–5 000 fremden Eisenbahnern im besetzten Gebiet fallengelassen sei.

5

Text des Telegramms am Schluß des Protokolls der Ministerratssitzung vom 15. 8. (Dok. Nr. 276).

Der Abg. Dr. Hoetzsch erklärte zunächst, er sei bis jetzt der Meinung gewesen, daß die Reparationskommission die drei Gesetzentwürfe, nämlich das Bankgesetz, Eisenbahngesetz und das Gesetz betreffend die Industrieobligationen gebilligt habe. Er müsse nunmehr feststellen, daß die Reparationskommission nur das Bankgesetz bisher genehmigt hätte.

Was die Amnestie anlange, so seien wohl noch Verhandlungen nötig in der Richtung, Eingriffe in die Justizhoheit zu verhindern.

Der Vizekanzler bestätigte die Richtigkeit dieser Auffassung.

Abg. Dr. Hoetzsch: Durch den Räumungsplan werde nunmehr die Räumung der Kölner Zone in Zusammenhang gebracht mit dem Einbruchsgebiet. Hier werde also seitens Deutschlands eine Besetzung von Köln pp. über den 10. Januar 1925 hinaus zugestanden. Das sei sehr schwer zu ertragen.

Der Vizekanzler erwiderte, daß es für Deutschland vor allem darauf ankomme, einen festen Termin sowohl für die Räumung des Einbruchsgebiets als auch für die Räumung der sogenannten Kölner Zone zu haben. Man könne wohl nicht vom Gegner erwarten, daß er die Kölner Zone vor vollständiger Räumung des Ruhrgebiets verlasse. Es sei auch für Deutschland von Wert, daß die Engländer Köln nicht vorher verließen, da sonst die Wahrscheinlichkeit bestünde, daß sie durch französische oder belgische Truppen ersetzt würden.

Abg. Dr. Hoetzsch stellte noch die Frage, ob genaue Angaben darüber vorhanden seien, daß tatsächlich die Verkoppelung der Räumung mit den wirtschaftlichen Fragen fallengelassen sei.

Der Vizekanzler verlas das entsprechende Telegramm aus London6.

6

Hierzu heißt es im Telegramm Brachts aus London an Kempner vom 15. 8. (Ankunft Berlin 10 Uhr): „Selbstverständlich ist die einjährige Räumungsfrist in keiner Weise belastet durch irgendwelche Konzessionen auf wirtschaftlichem Gebiet. Die vor drei Tagen stattgehabte Unterhaltung Luther–Trendelenburg einerseits, Clémentel–Seydoux andererseits [vgl. Anhang, Dok. Nr. 3] verlief völlig negativ und gab anderer Seite anscheinend Gewißheit über ablehnende dt. Haltung in Fragen derartiger Kombinationen. Elsässische Kontingente laufen also nach gegenwärtigem Stande ab restlos am 10.1.25; selbst Zusage, daß am 1.10.24 deutsche Vertreter zu Verhandlungen über Handelsvertrag nach Paris kommen sollen, ist noch nicht perfekt. Trendelenburg hat gestern vereinbarte Besprechung mit Seydoux in letzter Stunde abgesagt, was anscheinend von starker Wirkung war. Luther hat darauf bei persönlicher Begegnung mit Clémentel lediglich zugestanden, daß Trendelenburg und Seydoux in unverbindlichen Unterhaltungen Frage der Handelsbeziehungen weiter studieren sollen. Persönlich habe ich die Überzeugung, daß bei starkem Nachgeben auf handelspolitischem Gebiet weitere Vorteile in Räumungsfrage sehr wohl erkauft werden könnten. Dieser innerpolitische Tageserfolg wäre damit aber doch wohl zu teuer erkauft.“ (Pol. Arch. des AA: Büro StS, C, Die Londoner Konferenz, Bd. 10).

Abg. Scholz stellte fest, daß die Verbindung von wirtschaftlichen Fragen mit der Räumung wohl als fallengelassen zu betrachten sei. Auch die Verpflichtung, am 1. Oktober mit Handelsvertragsverhandlungen zu beginnen, sei erträglich und für Deutschland unter Umständen sogar wünschenswert. Diese Handelsvertragsverhandlungen würden aber bei verlängerter Besatzung unter dem Druck von Bajonetten stehen, also unter Umständen für Deutschland sehr gefährlich werden können.

[967] Die Franzosen hätten sich das Recht der Einzelsanktionen vorbehalten. Da keine mathematische Sicherheit für die Ruhrräumung gegeben sei, bestände die Möglichkeit, daß Frankreich unter irgendeinem Vorwande sein angebliches Recht auf Einzelsanktionen geltend mache und am 15. August 1925 wiederum die Räumung hinausziehe. Es müsse nach seiner Auffassung sichergestellt werden, daß die Räumung unabhängig von jeder anderen Frage erfolgen müsse.

Der Vizekanzler bat die Herren, die Verhandlung als vertraulich anzusehen und vor allem der Presse keine Mitteilungen zu machen.

Der Reichsarbeitsminister stellte fest, daß das Recht auf Einzelsanktionen in Reparationsfragen auszuschalten sei. In diesem Sinne seien heute auch noch Anweisungen nach London gegangen. Man müsse, wenn man den Herriotschen Plan ablehne, sich über die Folgen klar sein. Er wisse nicht, was dann eintreten würde, wenn die Deutsche Regierung jetzt die Verhandlungen in London zum Scheitern bringe. Es handle sich nicht um ein Diktat, sondern man hätte tagelang miteinander verhandelt, und jede der Parteien hätte ihre Ziele zurückstecken müssen.

Abg. Wels hält das Ergebnis für günstig und erklärte, daß er anstelle der Delegation nicht anders gehandelt hätte.

Der Abg. Koch stellte die Frage, ob, wenn die Besetzung des Ruhrgebiets bis zum 15. August nächsten Jahres dauere, ein Schutz gegen Übergriffe der Besatzung vorgesehen sei.

Der Vizekanzler erwiderte, daß diese Frage noch in London erörtert werden würde.

Der Abg. Koch glaubt, daß, nachdem die Räumungsfrage von wirtschaftlichen Zugeständnissen unabhängig sei, die Franzosen offenbar lediglich aus der Räumung eine Prestigefrage machten.

Der Vizekanzler ist geneigt, dieser Ansicht zuzustimmen.

Der Abg. Spahn billigte das Vorgehen der Regierung.

Der Abg. Hoetzsch stellte fest, daß die Parteien, soweit sie nicht Regierungsparteien seien, vor eine vollendete Tatsache gestellt würden. Er könne jetzt schon erklären, daß nach seiner Auffassung der Plan für seine Fraktion nicht akzeptabel sei.

Der Abg. Scholz erwiderte, daß auch die Regierungsparteien vor eine vollendete Tatsache gestellt worden seien; das hänge wohl damit zusammen, daß die Meldungen eben ganz neuen Datums seien. Durch die Presse seien Mitteilungen über eine Vertagung in London gegangen. Er stehe auf dem Standpunkt, daß diese Frage nur von der Delegation selbst entschieden werden könne. Er wolle aber eine Anregung dahin geben, daß unter allen Umständen das Räumungsabkommen in das Protokoll der Londoner Konferenz aufgenommen werden solle. Dies müsse als Bedingung für die Annahme fixiert werden.

Der Vizekanzler erklärte, daß das Kabinett ein längeres Telegramm nach London geschickt habe, das neben dem Einverständnis eine Reihe von Wünschen und Forderungen enthalte7. Den Gedanken der Vertagung halte er für verderblich, da dadurch nichts gewonnen würde.

7

S. Anm. 5.

[968] Der Reichsarbeitsminister regte an, möglichst bald den Reichstag einzuberufen.

Der Vizekanzler erklärte nach längerer Debatte, daß bereits vor einigen Tagen die Delegation gebeten worden sei, Mitteilungen hierher gelangen zu lassen, sobald die Möglichkeit einer Reichstagsverhandlung gegeben sei.

Abg. Borrmann billigte die Maßnahmen der Regierung unter der Voraussetzung, daß das dem Gegner entgegengebrachte Vertrauen gerechtfertigt sei.

Der Vizekanzler schloß die Verhandlung mit Worten des Dankes an die Herren Abgeordneten8.

8

Im telegrafischen Bericht Kempners vom 15. 8. an Bracht in London über diese Besprechung heißt es u. a.: „Zentrum, Wirtschaftspartei, Demokraten und Sozialdemokraten werden zustimmen. Volkspartei, vertreten durch Scholz und Curtius, hegte schwere Bedenken [gegen] lange Besatzungsfrist und verlangt demgegenüber wenigstens Sicherung der Räumung zum zugesagten Termin durch Konferenzbeschluß der Alliierten. Aber auch Volkspartei wird hieran anscheinend Annahme nicht scheitern lassen. Deutschnationale Volkspartei war vertreten durch Hoetzsch und Lindeiner. Hoetzsch äußerte, daß das Abkommen für seine Partei nicht annehmbar sei, hauptsächlich wegen zu weit herausgeschobener Räumungsfrist. In Privatgespräch unterschied er bezüglich Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit zwischen Eisenbahngesetz und anderer Abmachungen. Aus gesamter Besprechung ergab sich die vordringliche Bedeutung von internationaler Sicherung des Räumungstermins, Milderung der Besatzungsmethoden und von Nichtverkoppelung der Räumung mit wirtschaftlichen Dingen. Auf diese drei Forderungen legt auch Minister Geßler, der erst nach erfolgter Stellungnahme des Kabinetts eintraf, großes Gewicht.“ (R 43 I /266 , Bl. 90f).

Ergänzend teilt Kempner durch Telegramm vom 15. 8. [Abgang 16. 8.] an Bracht in London mit: „Zwei deutschnationale Führer waren heute nachmittags erst bei Jarres, dann hier. Sie äußerten neben anderen Wünschen folgende: 1. Verkürzung Räumungsfrist, 2. internationale Garantie der Räumungsfrist, 3. formale Anerkennung des Laufs der Zonenfristen, 4. Justizhoheit im altbesetzten Gebiet, 5. Einbeziehung Sanktionsgebiet in Räumung, 6. keinerlei Verschlechterung des Sachverständigengutachtens. Sie gaben zu erkennen, daß mindestens eins und zwei entscheidend für ihre Abstimmung sein werden. Sie gehen dabei wohl von Überzeugung aus, daß es unmöglich ist, das Gros der Partei für einjährige Frist zu gewinnen. Ich glaube, daß ein rasch eintretender sichtbarer Akt, wie von Herriot angedeutet, Votum beeinflussen könnte. […]“ (R 43 I /266 , Bl. 123).

Am 16. 8. telegrafiert Jarres an den RK in London: „Nach nochmaliger Rücksprache mit Deutschnationaler Volkspartei und Deutscher Volkspartei bitte ich dringend, mit allem Nachdruck auf Erreichung einer internationalen Festlegung der zehnmonatigen Räumungsfrist hinzuwirken.“ (R 43 I /266 , Bl. 124).

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