1.48.1 (ma32p): Außenpolitische Lage.

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Außenpolitische Lage.

Der Reichskanzler teilte mit, daß die Delegation in Genf den dringenden Wunsch ausgesprochen habe, bis zum Nachmittag des heutigen Tages zu der[903] Erklärung ermächtigt zu werden, daß die deutsche Regierung zur Unterschrift unter die Fakultativklausel des Haager Statuts bereit sei2.

2

Mit der Unterzeichnung der sog. Fakultativklausel zum Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Haag (RGBl. 1927 II, S. 227  ff.) verpflichtete sich die RReg., bei künftigen Rechtsstreitigkeiten mit anderen Staaten die Schiedsgerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs gemäß Art. 36,2 des Statuts als obligatorisch anzuerkennen. Siehe hierzu: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 35, 161, 163, 173, 182 und 183; Aufzeichnungen und Berichte über Stellungnahmen verschiedener Reichsminister und des RPräs. zur Unterzeichnung der Fakultativklausel sowie über die Verhandlungen der dt. Völkerbundsdelegation befinden sich in R 43  I /324 , 325  und 500 .

Der Reichswirtschaftsminister berichtete anschließend, daß Ministerialdirektor Gaus von Genf her vor einigen Stunden nochmals dringend die Unterzeichnung befürwortet habe. Er habe hauptsächlich darauf hingewiesen, daß die Situation jetzt insofern geändert sei, als die Gefahr eines Ost-Locarno völlig beseitigt sei. Deutschland habe gerade jetzt eine günstige Gelegenheit, gegenüber der zweifellos vorhandenen Verstimmung der kleinen Mächte gegen die Locarnomächte durch diesen Schritt an Prestige zu gewinnen.

Der Reichsarbeitsminister betonte unter Hinweis auf seine schriftliche Erklärung3, daß seine Bedenken gegen die Unterzeichnung sich in erster Linie gegen eine Verknüpfung dieses Entschlusses mit dem polnischen Vorstoß4 gerichtet hätten. Sei dies wirklich vermieden, so glaube er zustimmen zu können.

3

Die Stellungnahme von RArbM Brauns zur Unterzeichnung der Fakultativklausel war der dt. Delegation in Genf durch Telegramm Nr. 51 vom 6. 9. übermittelt worden (R 43 I /324 , Bl. 32; vgl. Bl. 35–38, 40).

4

Siehe hierzu: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 161, 163, 166–168, 175, 176, 178, 179 und 187.

Vortragender Legationsrat Martius erläuterte hierauf die Entwicklungsgeschichte und tatsächliche Bedeutung der Fakultativklausel.

Staatssekretär Meissner erklärte im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten, daß dieser, wenngleich er die praktische Tragweite der Fakultativklausel für nicht sehr groß halte, zunächst doch noch gewisse Bedenken gegen die Erteilung der Vollmacht habe, weil er glaube, daß in Ostdeutschland, besonders in Ostpreußen, der Schritt doch als ein Entgegenkommen gegen Polen gewertet werden könne, und weil er es ferner für nicht erforderlich halte, daß Deutschland als erste Großmacht diesen Entschluß fasse. Den Bedenken, die von Staatssekretär Meissner vorgebracht waren, schlossen sich der Reichsminister des Innern und der Reichsminister der Justiz an. Demgegenüber wies der Reichswirtschaftsminister nochmals darauf hin, daß nach seinen Nachrichten eine Verknüpfung mit dem polnischen Vorstoß gar nicht mehr möglich sei. Er wies ferner darauf hin, daß durch Nichterteilung der Vollmacht auch eine Situation entstehen könne, in der Deutschland als alleiniger Störenfried und Feind des Haager Schiedsgerichtshofes wie im Jahre 1907 hingestellt werden könne. Der Reichsarbeitsminister wies auf die innerpolitischen Gefahren hin, die es mit sich bringen würde, wenn das Reichskabinett der Delegation in dieser sachlich ganz unbestrittenen Frage die gewünschte Vollmacht nicht erteile. Auf Grund eines Telephongesprächs mit Ministerialdirektor Gaus in Genf teilte Ministerialdirektor von Hagenow mit, daß Polen seine besonderen Anträge[904] habe fallen lassen und wieder dem deutsch-englisch-französischen Antrag beigetreten sei. Ostlocarno sei hiermit nach Ansicht der Delgation unter allen Umständen erledigt. Es wurde nunmehr im Reichskabinett erwogen, ob es für den Reichsminister des Auswärtigen nicht genügen würde, wenn er lediglich die Ankündigung vorbringe, daß er sich für Unterzeichnung der Fakultativklausel einsetzen werde und sich darin mit den großen deutschen Parteien in Übereinstimmung wisse. Hiergegen äußerte der Reichswehrminister der seine grundsätzliche Zustimmung zur Unterzeichnung bereits mitgeteilt hatte, aus innen- und außenpolitischen Gründen grundsätzliche Bedenken, den sich der Reichsarbeitsminister anschloß.

Der Reichsminister der Justiz bat, bei Erteilung der Vollmacht jedenfalls den Vorbehalt zu machen, daß ein Zusammenhang mit den polnischen Vorschlägen völlig ausgeschlossen sein müsse.

Der Reichsminister des Innern erklärte hiernach, daß er gleichwohl seine anfangs geschilderten Bedenken noch nicht beseitigt sehe.

Das Reichskabinett beschloß der Delegation in Genf folgendes mitzuteilen:

Unter der Voraussetzung, daß jeder Schein eines Zusammenhangs mit den polnischen Vorschlägen ausgeschlossen ist, ist das Reichskabinett damit einverstanden, daß Herr Reichsminister Dr. Stresemann die Zustimmung der Deutschen Regierung zur Unterschrift unter die Fakultativklausel in der belgischen Form mit fünfjähriger Befristung erklärt.

Staatssekretär Meissner sagte zu, daß die Entscheidung des Herrn Reichspräsidenten und gegebenenfalls seine Unterschrift für die Vollmacht zur Unterzeichnung des Protokolls im Laufe des Nachmittags eingeholt werden würde5.

5

Nach Zustimmung des RPräs. wurde RAM Stresemann ermächtigt, die Fakultativklausel gemäß obigem Kabinettsbeschluß zu unterzeichnen. Siehe ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 184, Anm. 5 und Dok. Nr. 185 (Vollmacht des RPräs. mit Begleitschreiben des RK an den RAM vom 10. 9. in R 43 I /540 , Bl. 30–32). Am 23.9.27 wurde die Fakultativklausel zum Statut des Internationalen Gerichtshofs in der vereinbarten Fassung von Stresemann in Genf unterzeichnet. Siehe das „Gesetz über die Anrufung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Haag“ vom 17.2.28 (RGBl. II, S. 19  f.; Denkschrift hierzu in RT-Bd. 421 , Drucks. Nr. 3862 ).

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

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