1.90.1 (ma32p): 1. Handelsvertragsverhandlungen mit Polen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

Extras:

 

Text

RTF

1. Handelsvertragsverhandlungen mit Polen.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß die Besprechungen mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Vorschlage geführt haben, das Kontingent für die Einfuhr von Schweinen aus Polen auf eine bestimmte Ziffer zu begrenzen. Den Polen soll aber freigestellt werden, ihre Schweine in Deutschland für den Export nach anderen Ländern verarbeiten zu lassen. In diesem Falle könne das Kontingent verdreifacht werden. Er glaube, daß dieser Vorschlag ausreichen würde, die Verhandlungen über den Modus vivendi und die Beilegung des Zollkrieges in Gang zu bringen, wenn die deutsche Wunschliste für die industrielle Ausfuhr wesentlich verkleinert würde. Ein umfassender Handelsvertrag könne erst angestrebt werden, wenn sich die Lage der Landwirtschaft im Osten so gebessert habe, daß den polnischen Ausfuhrwünschen weiter entgegengekommen werden könne. Die Vereinbarungen zwischen den Spitzenverbänden der Industrie und Landwirtschaft über ihre Stellungnahme zu den polnischen Handelsvertragsverhandlungen hätten gewechselt und könnten nicht maßgebend sein.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab die in der Anlage formulierte Erklärung ab2.

2

Die Erklärung des REM ist am Schluß dieses Dokuments als Anlage 1 abgedruckt; siehe dort auch die sich inhaltlich anschließende Anlage 2.

Ministerialdirektor Posse berichtete, daß der Reichswirtschaftsminister an seiner bisherigen Auffassung festhalte, daß den Polen kein ungünstigeres Angebot[1037] gemacht werden könne als das Angebot, das ihnen vor Abbruch der Verhandlungen gemacht worden sei. Andernfalls bestände die Gefahr, daß Verhandlungen nicht zustande kämen. Die wirtschaftliche Lage Polens habe sich gebessert. Der Gefahr eines 100%igen Aufschlags auf die polnischen Zölle und der Ausfuhrsperre für Rundholz3 müsse durch einen Vertragsschluß begegnet werden, der sich nicht lediglich auf die Abrede der Meistbegünstigung beschränke, da diese den Polen ungleich mehr Vorteile bringe als Deutschland. Die Schweineeinfuhr dürfe nicht auf ein Kontingent, sondern nur nach dem Verwendungszweck, die Verarbeitung in Fleischfabriken, beschränkt werden. Bei Bestimmung eines Kontingents für Polen käme dieses nach der bisherigen Praxis in gleicher Höhe im Wege der Meistbegünstigung auch den anderen Schweineausfuhrländern zugute.

3

Siehe dazu Dok. Nr. 328, Anm. 12.

Der Reichsarbeitsminister äußerte Bedenken gegen die Verarbeitung polnischer Schweine zum Export. Der Ausfuhr deutscher Fleischprodukte würde dadurch geschadet.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt es für zweckmäßiger, wenn das polnische Schwein gegenwärtig auf dem Weltmarkt mit dem holländischen und dänischen konkurriere, als wenn das deutsche Schwein ausgeführt würde. Es bestehe aber die Gefahr, daß Polen in der Erweiterung seines Kontingents zur Ausfuhr in andere Länder keinen Vorteile sähe, weil der Erfolg der Exportbemühungen ungewiß sei.

Ministerialdirektor Ernst wies darauf hin, daß das Kontingent nur für die Einfuhr zur Verarbeitung in Fleischfabriken bestimmt sei und daß dadurch die Gefahren aus der Meistbegünstigung vermindert würden.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Mehrheit des Kabinetts dem Vorschlage des Reichsministers des Auswärtigen hinsichtlich der Verhandlungen mit dem poln[ischen] Delegierten über die Schweineeinfuhr zustimmt und daß das Kabinett damit einverstanden ist, wenn bei den Verhandlungen über ein Kohleneinfuhrkontingent darauf hingewiesen wird, daß eine Einigung der Interessenten beider Länder über gemeinsames Vorgehen beim Absatz der Kohlen in Deutschland vorausgesetzt wird4.

4

In einem Telegramm vom 5.11.27 teilte Stresemann der dt. Gesandtschaft in Warschau mit: „Im Hinblick auf die immer weiter zurückgehenden Schweinepreise auf den deutschen Märkten und die daraus drohenden Gefahren für die ostdeutsche, insbesondere ostpreußische Landwirtschaft hat Kabinett sich nicht entschließen können, mehr anzubieten als ein Jahreskontingent von 200 000 Doppelzentnern Schweinefleisch, beschränkt auf Fleisch- und Wurstfabriken; außerdem ein Kohlenkontingent von 200 000 Tonnen monatlich. Kabinett war sich dabei natürlich klar darüber, daß damit ein Handelsvertrag in dem früher beabsichtigten Umfang, wahrscheinlich aber auch ein Handelsvertrag in kleinerem Umfang nicht herausgeholt werden kann. Ich werde Besprechung mit [polnischem] envoyé spécial daher in dem Sinne führen, daß unter den gegebenen Verhältnissen unser Bestreben zunächst sein sollte, modus vivendi zu finden, der weitere Verschärfung des Zollkrieges vermeidet, vielmehr Zollkrieg abbaut und wieder normale wirtschaftliche Beziehungen herstellt. Beide Länder müßten die Konsequenz aus der unabänderlichen Tatsache ziehen, daß beide Länder die gleichen Dinge produzieren, nämlich Schweine, Kartoffeln, Roggen. Die Reichsregierung müsse Rücksicht auf die gegenwärtige katastrophale Lage der deutschen Landwirtschaft, besonders im Osten, nehmen. […] Die jetzigen Verhandlungen sollten sich daher darauf beschränken, daß beiderseits gleichzeitig die Kampfmaßnahmen aufgehoben werden, daß Deutschland den Polen die zwei erwähnten Kontingente gewährt und Polen eine gleichwertige Contrepartie an Deutschland gibt, über die man sich zu verständigen hätte. Vielleicht könne jetzt auch noch die eine oder andere Sonderfrage, die keine langen Verhandlungen erfordere, geregelt werden, wie z. B. die Frage des Schnittholzes und des Rundholzes. Im übrigen müsse man auf einen günstigeren Zeitpunkt hoffen. […]“ Vollständig abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 74.

Zum Fortgang der Kabinettsberatung über die dt.-poln. Handelsvertragsverhandlungen siehe Dok. Nr. 340, P. 1.

Extras (Fußzeile):