1.109.6 (mu22p): 6. Bericht über den Stand der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen.

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6. Bericht über den Stand der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen.

Vortragender Legationsrat Eisenlohr gab eine eingehende Darstellung des Verlaufs der Handelsvertragsverhandlungen mit Polen.

Nach längeren Auseinandersetzungen habe Polen in Aussicht gestellt, daß drei große deutsche Schiffahrtslinien beim Auswandererverkehr Polens beteiligt werden sollten8.

8

Siehe dazu Art. 34 des Handelsvertrags vom 17.3.30 mit den Erläuterungen im Schlußprotokoll und in der Denkschrift (RT-Drucks. Nr. 2138, Bd. 442 ).

Das Kohlenkontingent sei Polen in Höhe von 320 000 t zuzüglich des Saldos, also der deutschen Ausfuhrmenge, angeboten worden. Sie hätten sich mit der Handhabung des Kohlenausfuhrverbots einverstanden erklärt, so daß also Deutschland in der Hand habe, wie weit es Kohlen nach Polen ausführen wolle. Im Staatsvertrag solle bestimmt werden, daß die Einfuhr polnischer Kohlen den deutschen Marktpreis nicht drücken dürfe. Unterbietungen würden dadurch verhindert werden. Zwischen den Kohlenerzeugern beider Länder werde über einen Privatvertrag wegen des Absatzes polnischer Kohle verhandelt. Vorläufig beständen noch einige Meinungsverschiedenheiten9.

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Die oberschlesischen Interessenten hatten den Vereinbarungen zugestimmt (Vermerk der Rkei vom 26. 11.; R 43 I /1108 , Bl. 395 f., hier: Bl. 395 f.).

Polen wolle Deutschland auch für Zollnachlässe die Meistbegünstigung zugestehen, eine Bestimmung, auf die von der Industrie entscheidender Wert gelegt werde. Die Listen, die Reichsminister a. D. von Raumer und der Geschäftsführer des Vereins deutscher Maschinenfabriken, Lange, früher in privaten Verhandlungen mit den Interessenten über die Waren aufgestellt hätten, die[1201] in Polen nicht hergestellt werden, würden von der Polnischen Regierung als richtig anerkannt10.

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Nach einer erneuten Krise in den Verhandlungen wurden v. Raumer und Lange zu weiteren Gesprächen über elektrotechnische und Maschinenfragen in Warschau erwartet (Telegramm Rauschers Nr. 18 vom 5.2.30; R 43 I /1109 , Bl. 8 f., hier: Bl. 8 f.).

So sei der Handelsvertrag mit Ausnahme der Schweinefrage bis auf wenige nebensächliche Streitpunkte durchverhandelt.

Hinsichtlich der Schweinefleischeinfuhr, die den Polen in Höhe von 200 000 dz in die Fleischwarenfabriken angeboten worden sei, hätten die Polen drei Bedenken. Sie fürchteten den Zusammenschluß der Abnehmer zum Zwecke des Preisdruckes, die Gefährdung ihrer handelspolitischen Stellung dritten Staaten, insbesondere Österreich und der Tschechoslowakei gegenüber, die bei erheblich stärkerer Aufnahme polnischen Schweinefleisches ebenfalls die Beschränkungen der Abnahme auf Fleischwarenfabriken fordern könnten, und unzulängliche Aufnahmebereitschaft in Deutschland.

In letzter Hinsicht habe sich im entscheidenden Augenblick ergeben, daß die Liste der Fleischwarenfabriken, die unter Beachtung der Normativbestimmungen der amtlichen Veterinäre polnisches Schweinefleisch verarbeiten sollten, wesentlich reduziert worden sei. Statt 70 Firmen habe sie nur noch acht enthalten; die übrigen hätten wegen der strengen Veterinärbestimmungen ihr Einverständnis nachträglich zurückgezogen. Bemühungen zur Erweiterung der Liste hätten nur teilweise Erfolg gehabt; so hätten die preußischen Firmen nur eine Aufnahmefähigkeit von lediglich 100 000 dz aufgewiesen.

Deswegen sei die deutsche Delegation nach Berlin zurückgereist. Die Bemühungen, einen anderen Abnehmerkreis für das polnische Schweinefleisch zu finden, seien an den Bedenken der Veterinäre gescheitert. Die Verhandlungen, die mit den Fleischwarenfabriken aufgenommen worden seien, ließen aber das Zustandekommen einer ausreichenden Liste bis zum 2. Dezember erhoffen. Die Veterinäre hätten ihre Normativbestimmungen inzwischen erleichtert11.

11

Die Verhandlungen in Berlin hatten dazu geführt, „daß 14 Berliner Fleischwarenfabriken allein 125 000 Doppelzentner aufzunehmen bereit sind.“ Man hoffte, daß auch Fabriken der Provinz Fleisch abnehmen würden. Die Normativbestimmungen waren derart gewesen, daß Fleischfabriken, die polnisches Fleisch kauften, kein deutsches unverarbeitet in den Handel bringen durften. Hier sollte eine Erleichterung eintreten (Vermerk der Rkei vom 26. 11.; R 43 I /1108 , Bl. 395 f., hier: Bl. 395 f.).

Sehr fraglich sei, welche Folgerungen Polen aus der bevorstehenden Zollnovelle ziehen werde. Es bestehe die dringende Gefahr, daß Polen die Heraufsetzung des Zolles für Schweinefleisch von dem Vertragssatze von 32,– M auf den autonomen Zoll von 45,– M für den dz als prohibitiv bezeichnen und weitere Verhandlungen ablehnen werde, zumal der Zoll für lebende Schweine gleitend gestaltet werden solle.

Auf jeden Fall schlage aber das Auswärtige Amt vor, den Polen für das Kontingent von 200 000 dz im ersten Jahre eine ausreichende Liste abnehmender Fleischwarenfabriken und daneben die Einfuhr entsprechender Mengen lebender Schweine in die Seegrenzschlachthöfe anzubieten. Die Schlachtprodukte müßten dann durch das deutsche Einfuhrsyndikat entweder an die großen Städte oder, wenn Polen damit nicht einverstanden sei, auf den freien Markt geleitet werden.

[1202] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft habe dem widersprochen. Er sei nur soweit entgegengekommen, daß er die Weiterleitung an die Fleischfabriken zugestehen wolle, auch soweit diese keinen Normativbestimmungen unterworfen seien. Ob die Polen eine derartige Beschränkung annehmen würden, sei äußerst zweifelhaft.

Der Gesandte Rauscher habe wegen der Progression des Schweinefleischkontingents folgenden Vorschlag gemacht:

Die Durchfuhr von Schweinen solle von Polen in besonders konstruierten seuchensicheren Wagen erfolgen. Deutschland werde sich verpflichten, binnen Jahresfrist eine hinreichende Anzahl dieser Wagen zur Durchfuhr nach Frankreich zur Verfügung zu stellen, wo die Abnahme der Schweine in Aussicht stehe. Polen werde sich dagegen mit einer Erhöhung des Kontingents um 75 000 t nicht im zweiten, sondern im dritten Jahre, und gegebenenfalls einer niedrigeren Summe, etwa 50 000 t im vierten Jahre, abfinden. Die Veterinäre der Länder seien mit diesem Vorschlage einverstanden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab zu, daß die Liste der Fleischfabriken ohne seine Kenntnis unzureichend geworden sei. Dies sei auf die Stellungnahme der Veterinäre zurückzuführen. Auch schienen Vereinbarungen zum Preisdruck auf das polnische Schweinefleisch geplant zu sein. Es sei zu erwarten, daß die Verhandlungen über die Erweiterung der Absatzliste erfolgreich verlaufen würden.

Da die neuen Zölle die Lage für Polen erschwerten, wolle er damit einverstanden sein, wenn das vorgesehene Kontingent durch das deutsche Syndikat, soweit Schweinefleisch in Frage komme, in die Fleischwarenfabriken, soweit lebende Schweine eingeführt werden sollten, in die Seegrenzschlachthäuser geleitet würde. Das Schlachtprodukt solle dann unter Überwachung des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft entweder in die Fleischwarenfabriken oder in den Handel überführt werden. Insoweit solle das Reichsministerium des Innern nicht zuständig sein. Es sei zu befürchten, daß die Veterinäre in dieser Hinsicht den kaufmännischen Erfordernissen nicht ausreichend Rechnung trügen.

Der Reichsminister des Innern erklärte sich bereit, einer entsprechenden Teilung der Aufgaben zuzustimmen. Die Seuchenpolizei müsse aber in seinem Ressort bleiben. Bei der Aufstellung der Liste von Fleischwarenfabriken habe der Widerstand des Preußischen Landwirtschaftsministeriums überwunden werden müssen. Auch er halte das Zustandekommen einer ausreichenden Abnehmerliste in den nächsten Tagen für wahrscheinlich. Für das Fleisch in Seegrenzschlachthäusern geschlachteter polnischer Schweine sollten keine weiteren Beschränkungen mehr eingeführt werden.

Der Reichswirtschaftsminister sprach sich für den Abschluß des Polenvertrages aus. Er hatte keine Bedenken gegen die vorgesehene Regelung der Schweine- und Schweinefleischeinfuhr. Über die Frage, ob Polen auf Ausfuhrprämien verzichte, und ob eine Verständigung über die gemeinsame Ausfuhr von Roggen erzielt worden sei, wünschte er Auskunft.

Der Reichsverkehrsminister hielt es für geboten, an der Zuständigkeit des Reichsministeriums des Innern für die Veterinärangelegenheiten nichts zu[1203] ändern. Dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft sei aber zu überlassen, wohin es die in den Seegrenzschlachthäusern geschlachteten polnischen Schweine dirigieren wolle.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft beantwortete die Frage des Reichswirtschaftsministers dahin, daß das Abkommen über die Aufnahme von 20 000 t Roggen unter der Bedingung, die Roggenausfuhr im nächsten Monat einzustellen, nicht zustande gekommen sei. Wegen einer Verständigung über die gemeinsame Roggenausfuhr werde aber weiter verhandelt.

Es sei notwendig gewesen, die Presse über das Ergebnis der Kabinettsberatung zur Zollnovelle zu verständigen, um Angriffen gegen das Kabinett vorzubeugen. Auch sonst sei bisher in ähnlicher Weise vorgegangen worden.

Die privaten Verhandlungen der Interessenten wegen der Schweineeinfuhr würden fortgesetzt. Er habe hierzu den Vorstand der Marktforschungsstelle und einen Beamten seines Ministeriums abgeordnet. Ob die Polen für die Schweineausfuhr Prämien zahlten, sei ihm nicht bekannt. Ihre Roggenausfuhrprämie würden sie nicht aufgeben, die deutsche sei höher als die der Polen.

Vortragender Legationsrat Eisenlohr erklärte hierzu, daß bei den Verhandlungen die Frage der polnischen Ausfuhrprämie nicht berührt worden sei. Sie sei in den neuen deutschen Zollvorschlägen berücksichtigt. Deutschland selbst zahle Ausfuhrprämien auch bei der Ausfuhr von Schweinefleisch.

Polen hätte wegen der Änderung des § 4 des Viehseuchengesetzes verlangt, daß das polnische Fleisch dem deutschen gleichgestellt würde. Es sei ihm zugestanden worden, daß es keinen anderen Beschränkungen unterliegen solle, als denen, die im Vertrage selbst vorgesehen seien. Wenn die Polen bei der durch die beabsichtigte Zollerhöhung entstehenden neuen Sachlage die Verhandlungen fortsetzen würden, so würde ihnen mindestens kein weiteres Entgegenkommen mehr abzuringen sein.

[Diskussion zwischen dem REM und den preußischen Vertretern sowie dem RVM und dem RWiM über die Nichtbeteiligung der Konstanzer Kohlenfirma Strohmeyer an dem Kohlenimport aus Polen. Begründet wird sie mit der Gefährdung schlesischer Interessen durch Einblick in die dortige Lage seitens eines Konkurrenten.]

Vortragender Legationsrat Eisenlohr brachte noch folgendes vor: Am 5. Dezember trete in Paris eine Konferenz wegen des internationalen Abkommens zur Abschaffung der Ein- und Ausfuhrverbote zusammen. Deutschland habe seinen Beitrittt davon abhängig gemacht, daß Polen und die Tschechoslowakei diesen Beitritt ebenfalls erklären.

Es werde vom Verlauf der weiteren deutsch-polnischen Verhandlungen abhängen, ob Polen dem Abkommen über die Aufhebung der Aus- und Einfuhrverbote beitreten werde12.

12

Die polnische Forderung, noch vor den Genfer Verhandlungen das Verhältnis des Handelsvertrags zum Abkommen über Ein- und Ausfuhrverbote zu regeln, wies Rauscher zurück (Telegramm Nr. 18 vom 5.2.30; R 43 I /1109 , Bl. 8 f., hier: Bl. 8 f.).

Schwieriger sei die Lage hinsichtlich der Tschechoslowakei. Auf beiden Ländern müsse der Druck, daß Deutschland nicht seinerseits beitreten werde,[1204] wenn sie den Beitritt ablehnen, möglichst lange belassen werden. Schließlich aber müsse Deutschland seinen Beitritt erklären, auch wenn einer der beiden Staaten davon absehen würde.

Der Reichswirtschaftsminister war damit einverstanden.

Nach eingehenden Verhandlungen faßte das Kabinett folgende Beschlüsse:

1. Bei den Verhandlungen mit Polen wegen des Abschlusses eines Handelsvertrages wird das Angebot eines Kontingents aufrechterhalten. Im Rahmen dieses Kontingents soll das eingeführte polnische Schweinefleisch den hierfür zugelassenen Fleischwarenfabriken zugeführt werden.

Soweit dies nicht möglich sein sollte, wird die Einfuhr lebender Schweine in entsprechendem Umfange in die Seegrenzschlachthäuser zugelassen. Das in diesen anfallende polnische Schweinefleisch soll durch Vermittlung der hierfür einzurichtenden Stelle möglichst an Fleischwarenfabriken geleitet werden. Die Weiterleitung der Schlachterzeugnisse wird das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft überwachen13.

13

Eine neue Lage entstand, als Polen forderte, daß die Einfuhr von frischgeschlachteten Schweinen nach Deutschland über die Seegrenzschlachthäuser erfolgen sollte, wohingegen der PrLandwM dieser Forderung wegen unzureichender Kontrollmöglichkeiten und der großen Seuchengefahr widersprach. Rauscher beurteilte nach dieser Ablehnung die Lage pessimistisch, wollte sich aber weiter um einen Abschluß des Vertrags bemühen (Telegramm Nr. 231 vom 21.12.29; R 43 I /1108 , Bl. 420, hier: Bl. 420). Da Pünder zwischen diesen Verhandlungen und der zweiten Haager Konferenz eine Verbindung sah, wünschte er, daß die Frage durch den RAM in einer Kabinettssitzung behandelt werde (Vermerk vom 24.12.29; R 43 I /1108 , Bl. 422, hier: Bl. 422). Rauscher teilte dann mit, ohne ein Entgegenkommen in der Schweineeinfuhr werde keine Änderung des Liquidationsabkommens möglich sein (Telegramm Nr. 1 vom 2.1.30; R 43 I /1109 , Bl. 5 f., hier: Bl. 5 f.).

2. Von den Verhandlungen hinsichtlich der Beteiligung der Firma Strohmeyer in Konstanz am Handel mit polnischen Einfuhrkohlen, die von der Preußischen Regierung geführt werden, hat das Kabinett Kenntnis genommen.

3. Mit den Vorschlägen des Auswärtigen Amts hinsichtlich der Stellungnahme Deutschlands auf der Konferenz wegen des internationalen Abkommens zur Aufhebung der Ein- und Ausfuhrverbote, die am 5. Dezember in Paris beginnt, ist das Kabinett einverstanden.

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