1.33.1 (mu22p): [1. Arbeitslosenversicherung.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 9). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

[1. Arbeitslosenversicherung.]

Der Reichsarbeitsminister trug den Sachverhalt vor. Er führte aus, daß nunmehr neue Vorschläge ausgearbeitet worden seien, denen seiner Kenntnis nach das Preußische Staatsministerium zugestimmt habe2. Es müsse nunmehr wohl das Reichskabinett von einer Doppelvorlage absehen3, falls die beiliegenden Vorschläge im Reichsrat Annahme finden sollten. Er selbst könne im Kabinett nicht für diese Vorschläge stimmen.

2

Das PrStMin. hatte am gleichen Tag beschlossen: „Die vom StMin. ernannten Mitglieder des RR haben bei der Beratung des vom RArbM vorgelegten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und ALV (RR-Drucks. Nr. 108) für den Fall, daß die RReg. sich auf den Boden der Vorschläge des Entwurfs eines Gesetzes über befristete Änderungen in der ALV stellt, diesen Vorschlägen zuzustimmen. – Dieser Beschluß wurde gegen die Stimme des Herrn Ministers für Handel und Gewerbe gefaßt. – Falls die RReg. die vorerwähnten Vorschläge nicht vertritt, haben die vom StMin. ernannten Mitglieder des RR sich der Stimme zu enthalten unter Abgabe einer begründeten Erklärung.“ Der Beschluß war in Anwesenheit des StSRkei gefaßt worden (R 43 I /2287 , Bl. 260, hier: Bl. 260).

3

Der Satz begann zunächst: „Er beantragte, das RKab. solle von einer Doppelvorlage absehen.“

Der Preußische Ministerpräsident betonte, daß die Vorschläge keine ideale Lösung darstellten. Es habe sich jedoch die Mehrheit des Preußischen Staatsministeriums[924] auf den Boden der Vorschläge gestellt unter der Voraussetzung, daß das Reichskabinett denselben Beschluß fasse und diesen Standpunkt dem Reichsrat zu erkennen gebe. Nach seiner Ansicht könne der Reichsarbeitsminister jetzt nicht gegen diese Vorschläge stimmen. Es sei politisch sehr unangenehm, wenn eine derartige Haltung des Reichsarbeitsministers bekannt werden sollte. Im übrigen sei Preußen nicht in der Lage, diese Vorschläge im Reichsrat zu beantragen.

Ministerialdirektor Dr. Schäffer führte aus, er habe im Auftrage des Reichswirtschaftsministers folgende Erklärung abzugeben:

Der Reichswirtschaftsminister habe gegen die ursprüngliche Regierungsvorlage gestimmt. Er halte zwar die jetzigen Vorschläge für eine Verbesserung, diese Verbesserung sei jedoch nicht ausreichend, so daß er im Kabinett auch gegen diese Vorschläge stimmen müsse. Er behalte insbesondere sich und seiner Partei noch ausführlichere Stellungnahme zu der Frage der Beitragserhöhung vor.

Der Reichsarbeitsminister betonte, er könne unmöglich die Vorschläge als Anträge des Reichskabinetts im Reichsrat vertreten.

Der Reichsminister des Innern wies auf die Möglichkeit hin, daß Staatssekretär Zweigert in der entsprechenden Reichsratssitzung den Vorsitz übernehme4. Er selbst werde verhindert sein.

4

Vgl. zur Regelung des Vorsitzes im RR und zum Einbringen der GesEntw. §§ 12, 24 der Geschäftsordnung der RReg. (RMinBlatt 1924, S. 174 f.).

Der Preußische Ministerpräsident betonte nochmals, daß Preußen die Vorschläge im Reichstag5 nicht einbringen könne.

5

So auch im Auszug aus dem Protokoll in R 43 I /2036 , Bl. 102-106, hier: Bl. 102-106. Richtig muß es heißen „Reichsrat“.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei bat, folgende beide Möglichkeiten zu erwägen:

Entweder könne der Berichterstatter im Reichsrat, Ministerialdirektor Dr. Widmann, gebeten werden, die Anträge als anonyme Anträge zu verlesen, oder Staatssekretär Zweigert könne als Vorsitzender die Verlesung der Anträge übernehmen.

In der Debatte könne dann zum Ausdruck kommen, daß die Reichsregierung den Anträgen zustimme und die Anträge sich zu eigen mache.

Staatssekretär Schmid erklärte, er wolle mit Zustimmung des Vorsitzenden die voraussichtliche Stellung der Fraktion der Deutschen Volkspartei bekannt geben6. Er habe mit Geheimrat Zapf Fühlung genommen. Dieser habe erklärt, daß die Fraktion noch keinen formellen Beschluß gefaßt habe, jedoch so gut wie sicher die volksparteilichen Stimmen im Plenum und im Ausschuß des Reichtstags für die Anträge nicht zur Verfügung stehen würden.

6

Der Satz lautete zunächst: „StS Schmid erklärte, mit Zustimmung des Vorsitzenden die voraussichtliche Stellung der Fraktion der Deutschen Volkspartei bekanntgeben zu sollen.“

Der Reichsminister des Innern wandte sich gegen die Haltung des Staatssekretärs Schmid7. Die Minister sprächen auch immer nur als Minister im Kabinett, nicht jedoch als Mitglieder ihrer Fraktion.

7

Der Satz lautete zunächst: „Der RIM erklärte, daß ein derartiges Vorgehen nicht üblich sei.“

[925] Der Reichsminister für die besetzten Gebiete erklärte, er habe selbst es als erwünscht bezeichnet, die Stellung der Deutschen Volkspartei kennen zu lernen. Staatssekretär Schmid habe diese Erklärung in seinem Einverständnis abgegeben, andernfalls hätte er auch selber das Kabinett von der Stellungnahme der Deutschen Volkspartei in Kenntnis setzen können.

Der Reichsminister des Innern bemerkte weiter, im übrigen stehe er sachlich auf dem Standpunkt des Reichsarbeitsministers, der die Vorschläge immerhin tolerieren solle.

Staatssekretär Zweigert könne in der Reichsratssitzung den Vorsitz führen, Ministerialdirektor Widmann vielleicht die Anträge verlesen. Ministerialdirektor Weigert werde sicherlich für Auskünfte im Reichsrat zur Verfügung stehen. Im Reichskabinett wolle er sich der Abstimmung enthalten, aber in der Öffentlichkeit für die Anträge eintreten.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete machte darauf aufmerksam, daß auch noch mit den Ländern Bayern, Württemberg und Sachsen verhandelt werden müsse. Diese Verhandlungen müsse nach seiner Ansicht der Reichsarbeitsminister führen.

Der Reichsarbeitsminister lehnte es auch nach einem nochmaligen Appell des Vorsitzenden ab, die Verhandlungen zu führen.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei erklärte sich seinerseits bereit, die Verhandlungsleitung in der Besprechung mit den Ländern zu übernehmen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, seinerseits nicht für die Vorschläge des beiliegenden Gesetzentwurfs stimmen zu können, wenn der Reichswirtschaftsminister und der Reichsarbeitsminister dagegen stimmten.

Der Reichsverkehrsminister bat zu überlegen, ob angesichts der großen Aufgaben der nächsten Zukunft, besonders auf außenpolitischem Gebiet, eine Kabinettskrisis zu verantworten sei. Die noch vorhandene Differenz falle in Anbetracht der Gesamtkosten der Sozialversicherung, die mit 5 Milliarden anzusetzen seien, nicht wesentlich ins Gewicht8.

8

Nach einer Aufstellung über den „finanziellen Stand nach den Beschlüssen des RR“ betrugen die Einnahmen und Ersparnisse 1113 Mio RM jährlich gegenüber 1119 Mio RM Ausgaben. Für den Winter 1929 wurde mit 560,5 Mio RM an Einnahmen und mit Ausgaben in Höhe von 650 Mio RM gerechnet. (17. oder 18. 9., die Durchschrift trägt die Paraphe des RK; R 43 I /2036 , Bl. 129, hier: Bl. 129).

Ministerialdirektor Dr. Schäffer erklärte, er brauche dann nicht Widerspruch zu erheben, wenn die Frage gestellt werde, ob bei Annahme der Vorschläge des beiliegenden Gesetzentwurfs im Reichsrat die Reichsregierung eine Doppelvorlage machen werde.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich bereit, in der Öffentlichkeit für den Entwurf einzutreten9.

9

Danach gestrichen: „Er bat im übrigen, die von MinDir. Dr. Schäffer formulierte Frage zur Abstimmung zu stellen.“

Das Reichskabinett faßte gegen die von Ministerialdirektor Dr. Schäffer auftragsgemäß abgegebene Stimme des Reichswirtschaftsministers folgenden Beschluß:

[926] a) Die Reichsregierung begrüßt es, wenn auf Grund der beiliegenden, zwischen der Reichsregierung und der Preußischen Staatsregierung vereinbarten Kompromißvorschläge die Vorlage zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zustandekommt.

b) Der Reichsminister des Innern übernimmt es, Staatssekretär Zweigert, der in der Ausschuß- und darauffolgenden Plenarsitzung des Reichsrats den Vorsitz führen soll, dementsprechend zu instruieren. Staatssekretär Zweigert soll beauftragt werden, in der Reichsratssitzung die beiliegenden Kompromißvorschläge zu verlesen.

Der Reichsverkehrsminister warf die Frage auf, ob der Reichsrat die Vorschläge des beiliegenden Gesetzentwurfs annehmen werde.

Staatssekretär Dr. Weismann erwiderte, daß eine Gewißheit hierfür natürlich nicht vorhanden sei. Immerhin hoffe er auf eine Annahme der Vorschläge, vielleicht mit einer Mehrheit von vier Stimmen.

Staatssekretär Dr. Pünder berichtete sodann über die Beratung des Sozialpolitischen Ausschusses10.

10

Die Fassung lautete zunächst: „Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde die Verhandlung zu Punkt 2 unterbrochen, damit StS Dr. Pünder über die Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses berichten konnte.“

Er führte aus, daß der Ausschuß die politisch nicht wesentlichen Punkte des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchberaten habe und beabsichtige, spätestens am 13. September in die Verhandlung über die politisch bedeutsamen Fragen der Arbeitslosenversicherung einzutreten. Er schlug vor, daß er sofort dem Ausschuß als Willensmeinung der Kabinette des Reichs und Preußens telephonisch mitteilen solle, der Ausschuß möchte sich im Hinblick auf die zur Beilegung der Schwierigkeiten schwebenden Sonderverhandlungen bis zum 17. September vertagen.

Das Kabinett war damit einverstanden.

Der Vorsitzende ersuchte Staatssekretär Dr. Pünder, dem Ausschuß die Anschauung der Kabinette des Reichs und Preußens im Sinne der Kabinettsberatungen mitzuteilen.

Extras (Fußzeile):