2.156.1 (bru1p): Zahlung der Polizeigelder an Braunschweig.

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Zahlung der Polizeigelder an Braunschweig.

Auf Wunsch des Reichskanzlers berichtete der Reichsminister des Innern über den Sachverhalt1. Er teilte unter anderem mit, er habe das Braunschweigische[585] Staatsministerium schriftlich davon in Kenntnis gesetzt, daß er sich die Überweisung der Polizeigelder vorläufig vorbehalten müsse2. Er habe die schwersten Bedenken, die Überweisung für November anzuordnen. Der Braunschweigische Minister des Innern Franzen sei durch das bisherige polizeiliche Ermittlungsverfahren der preußischen Polizei in starkem Maße der Begünstigung verdächtig. Er halte es für erwiesen, daß Franzen die Polizei belogen habe.

1

Gegen den Braunschweigischen Minister für Inneres und Volksbildung und Kieler Amtsgerichtsrat Dr. Anton Franzen war ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begünstigung eingeleitet worden, da er den während der nationalsozialistischen Krawalle in Berlin am 14.10.30 von der Polizei festgenommenen Landwirt Paul Guth als den LT-Abg. Hinrich Lohse (NSDAP) ausgegeben hatte: DAZ Nr. 479–480 vom 15.10.30 und DAZ Nr. 499–500 vom 26.10.30.

2

Eine Abschrift des Schreibens des RIM an das StaatsMin. in Braunschweig befindet sich in R 43 I /2267 , Bl. 125.

Er, Reichsminister Wirth, habe mit dem Gesandten Boden über die Angelegenheit gesprochen. Schon unmittelbar nach der Ernennung Franzens zum Innenminister habe er mit dem Gesandten Boden in dem Sinne Fühlung genommen, daß die Polizei in die Hände des deutschnationalen Ministers Küchenthal3 kommen müsse.

3

Werner Küchenthal, Vorsitzender des braunschweigischen StaatsMin. und StaatsM für Finanzen und Justiz.

Es sei nicht möglich, den Braunschweiger Fall ganz getrennt von dem Thüringer Fall zu betrachten4. Nach seiner Auffassung sei die thüringische Polizei nicht mehr ein Instrument überlegener Staatsführung. Der Prozeß des Landes Thüringen gegen das Reichsministerium des Innern wegen Weiterzahlung der Polizeigelder sei in vollem Gange auch in bezug auf die Zeugenvernehmungen5. Wenn jetzt an Braunschweig, das ebenso wie Thüringen einen nationalsozialistischen Polizeiminister habe, die Polizeigelder vom Reich weitergezahlt würden, befürchte er nachteilige Rückwirkungen auf den vor dem Staatsgerichtshof schwebenden Prozeß.

4

S. Dok. Nr. 20, P. 6.

5

Nachdem der RIM die Zahlung der Polizeikostenzuschüsse an Thüringen am 6.6.30 untersagt hatte, hatte das Land Thüringen beim Staatsgerichtshof Klage gegen das Reich erhoben. Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen das Reich war vom Staatsgerichtshof am 18.7.30 abgewiesen worden: R 43 I /2366 , Bl. 8–12. Der Prozeß zwischen Thüringen und dem Reich wurde am 22.12.30 durch einen Vergleichsvorschlag des Staatsgerichtshofs beendet. Das Reich hob die Sperrung der Polizeizuschüsse auf und zahlte die bisher einbehaltenen Beträge nach. Thüringen nahm seinen Antrag vor dem Staatsgerichtshof zurück und erkannte die Verpflichtung an, dafür Sorge zu tragen, daß der unpolitische Charakter der Schutzpolizei wie auch das unpolitische Verhalten des einzelnen Beamten im Dienst unbedingt gewährleistet wurde: WTB Nr. 2604 vom 22.12.30 in R 43 I /2316 , Bl. 116. Weiteres Material über den Polizeikostenstreit in R 43 I /2316 , Bl. 13–115.

Er beantrage, durch Beschluß des Reichskabinetts die Zahlung der Polizeigelder an Braunschweig zu sperren.

Der Reichskanzler führte aus, daß größte Vorsicht am Platze sei. Der Braunschweigische Landtag selber müsse gegen eine Umgestaltung der Polizei in radikalem Sinne Stellung nehmen. Er habe den Eindruck, daß die in Betracht kommenden Beamten im Reichsministerium des Innern zu schnell vorgingen.

Staatssekretär Zweigert nahm zunächst zu dem Fall Thüringen Stellung und wies darauf hin, daß die Zahlung der Polizeigelder an Thüringen durch den früheren Reichsminister Severing gesperrt worden sei. Reichsminister Wirth[586] habe zunächst die Sperre aufgehoben, nachdem Staatsminister Baum ihm erklärt habe, er selber führe die Polizei, Nationalsozialisten seien bisher nicht eingestellt worden.

Es seien jedoch, jedenfalls später, eine ganze Reihe von Nationalsozialisten in die thüringische Polizei eingestellt worden, was durch Zeugenaussage bewiesen werden könne. Minister Frick habe erklärt, wenn er monatelang vom Reich als Polizeiminister geduldet werde, könne er auch nicht daran gehindert werden, Nationalsozialisten in die Polizei einzustellen. Der vor dem Staatsgerichtshof schwebende Prozeß sei vom Reichsminister des Innern deshalb auch nach der Richtung hin erweitert worden, ob ein Nationalsozialist Polizeiminister sein könne.

Es bleibe gar nichts anderes übrig, als auch die Zahlung der Polizeigehälter an Braunschweig zu sperren.

Der Reichsminister des Innern betonte, daß er zu seinen Besprechungen mit Exzellenz Boden keinen Beamten außer Staatssekretär Zweigert zugezogen habe.

Der Reichskanzler gab seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß das Schreiben des Reichsministers des Innern an das Braunschweigische Staatsministerium, in dem zum Ausdruck gekommen sei, daß der Reichsminister des Innern sich die Zahlung der Polizeigelder zunächst vorbehalten müsse, in der Presse veröffentlicht worden sei, bevor es in die Hände des Ministers Küchenthal gekommen sei.

Staatssekretär Zweigert wies demgegenüber darauf hin, daß er in dauernder Verbindung mit Exzellenz Boden gestanden habe. Exzellenz Boden habe ihm versichert, daß er Minister Küchenthal telefonisch von dem Schreiben in Kenntnis gesetzt habe. Erst danach sei das Schreiben der Presseabteilung übermittelt worden.

Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß auch früher schon Indiskretionen im Reichsministerium des Innern vorgekommen seien. Über eine Unterredung, die er mit dem Reichsminister des Innern teilweise in Gegenwart des Reichskanzlers über den Fall Thüringen gehabt habe, sei eine genaue Darstellung in das „Berliner Tageblatt“ gekommen. Diese Indiskretion müsse er auf den Ministerialdirigenten Haentzschel zurückführen.

Zur Sache selber nahm der Reichsminister der Justiz folgendermaßen Stellung:

Staatsminister Frick werde ein Bruch der seinerzeit vom Reich mit den Ländern getroffenen Vereinbarungen über die Zahlung der Polizeigelder vorgeworfen, Staatsminister Franzen jedoch eine Begünstigung, die er gewissermaßen als Privatperson begangen habe. Weil Minister Franzen vielleicht als Privatperson sich habe etwas zu schulden kommen lassen, könne unmöglich der polizeiliche Zuschuß an Braunschweig gesperrt werden.

Der Reichspostminister schloß sich dieser Auffassung an und führte aus, daß zur Zeit für das Reichsministerium des Innern noch nicht der Augenblick gekommen sei, im Falle Braunschweig einzuschreiten.

Der Reichsverkehrsminister vertrat dieselbe Auffassung.

[587] Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen erklärte gleichfalls, daß es am besten sei, vorläufig die Polizeigelder weiter an Braunschweig zu überweisen.

Der Reichsminister des Innern wies darauf hin, daß General von Seeckt und Reichsminister Groener immer den Standpunkt vertreten hätten, ein Nationalsozialist könne nicht in der Reichswehr sein6. Infolgedessen könne er auch den Standpunkt vertreten, daß ein Nationalsozialist nicht Beamter, insbesondere nicht Polizeiminister sein könne.

6

S. dazu Dok. Nr. 163.

Der Reichspostminister betonte die Bedeutung dieser Frage. Er wies darauf hin, daß nach der ständigen gerichtlichen Rechtsprechung die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer radikalen Partei nicht daran hindern könne, jemanden zum Beamten zu machen bzw. im Amt zu lassen. Anders liege der Fall, wenn dieser Beamte in radikalem Sinne agitiere.

Der Reichsminister des Innern wies auf die große Bedeutung der Schutzpolizei auch bei etwaigen außenpolitischen Verwicklungen des Reichs hin. Er betonte, daß das Reich sich auf die Schutzpolizei unbedingt müsse verlassen können.

Der Reichskanzler warnte davor, die Nationalsozialisten für den Staat als ebenso gefährlich zu betrachten wie die Kommunisten. Er schlug im übrigen vor, daß das Reichskabinett ihn ermächtige, zusammen mit dem Reichsminister des Innern den Fall Braunschweig zu entscheiden7.

7

Am 31.10.30 unterzeichnete der RIM eine Kassenanweisung wegen Auszahlung der braunschweiger Polizeigelder für November 1930 (Vermerk von OBegR Pukaß vom 31.10.30, R 43 I /2267 , Bl. 128).

Das Reichskabinett erklärte sich hiermit einverstanden.

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