2.241.1 (bru1p): Osthilfe.

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Osthilfe.

Reichsminister Treviranus erläuterte den Entwurf eines Osthilfegesetzes1.

1

Es handelte sich hier um den dritten Entw. eines Osthilfegesetzes. Zu den beiden anderen Entwürfen s. Dok. Nr. 222, Anm. 1, Dok. Nr. 230 und Dok. Nr. 233, Anm. 1. Die Mittel aus der Aufbringungsumlage für die Umschuldung waren gegenüber dem zweiten Entw. von 650 auf 500 Mio RM herabgesetzt worden. Für die Rechnungsjahre 1931–1936 waren die Umschuldungsmittel für den Reichshaushalt von jährlich 50 auf 36 Mio RM gesenkt worden. Die Bestimmungen über die Bildung von Haftungsverbänden waren neu formuliert. Zusammen mit dem OsthilfeGesEntw. hatte RM Treviranus einen GesEntw. zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung und einen GesEntw. über die Abwicklungsumlage und die Bank für Industrieobligationen vorgelegt (Gesetzentwürfe mit Anschreiben von Treviranus vom 11.2.31 in R 43 I /1807 , Bl. 233–270).

Der Preußische Finanzminister führte die Bedenken aus, die im Preußischen Staatsministerium dagegen vorliegen. Bürgschaften dürften nicht zugunsten einzelner Schuldner, sondern nur für das Zentral-Kreditinstitut seitens des Reichs und Preußens übernommen werden2. Es müsse darauf hingewirkt werden, daß die Bank für Industrieobligationen die Vorschüsse an das Reich und Preußen sobald wie möglich zurückzahle. Eine Begrenzung der Beträge sei notwendig, die von der Bank im Vorgriff beschafft werden könnten3. Gegen die Haftungsverbände brachte der Preußische Finanzminister lebhafte Bedenken vor4. Es sei damit zu rechnen, daß alle Landwirtschaftskammern die Haftungsverbände beantragen würden. Mit dem Haftsummensystem hätte die Preußenkasse bei den Kreditgenossenschaften üble Erfahrungen gemacht. Dieselbe Gefahr bestehe jetzt bei den Haftungsverbänden, wenn die sorgfältige Prüfung der Landstellen durch sie ausgeschaltet werden könnte.

2

§ 17 des Entw. ermächtigte den RFM, gemeinsam mit der zuständigen Landesreg. und zu gleichen Teilen mit ihr bis zum Gesamtbetrag von 250 Mio RM Bürgschaft für Entschuldungszwecke zu übernehmen (R 43 I /1807 , Bl. 242).

3

Im Vorgriff auf die ihr zufließenden Mittel sollte die Bank für Industrieobligationen alsbald Mittel für die Entschuldung zur Verfügung stellen (§ 15 Abs. 3 des Entw., R 43 I /1807 , Bl. 241).

4

Die Verpflichtung der Entschuldungsbetriebe zum Zusammenschluß von Haftungsverbänden (Dok. Nr. 233, Anm. 1) war im neuen Entw. in eine Kann-Bestimmung umgewandelt worden (§ 24). Die Entschuldungsanträge sollten von den Landstellen im Zusammenwirken mit der Bank für Industrieobligationen und, soweit vorhanden, mit den Haftungsverbänden geprüft werden. Wenn es keine Haftungsverbände gab, sollte eine Vertretung der Landwirtschaft bei den Landstellen gebildet werden (§ 27) (R 43 I /1807 , Bl. 246–249).

Bedenklich sei auch die Schaffung eines großen neuen Apparates. Neben den Filialen der Industrieobligations-Bank würden die Haftungsverbände einzurichten[864] sein. Die Autorität der Landstellen würde durch sie schwer beeinträchtigt, wenn die Bank für Industrieobligationen und die Haftungsverbände gegen deren Willen Entschuldungen durchführen könnten. Bedenklich sei auch die Belastung der Schuldner mit Haftung und Beiträgen. Die Preußenkasse hätte Bedenken, sich an der Umschuldung weiter zu beteiligen, wenn ihr Risiko durch die Neugestaltung vergrößert würde. Sie fordere in diesem Falle eine Anweisung der Preußischen Regierung.

Der Preußische Handelsminister wünschte den Wegfall der Industriebelastung in Niederschlesien, sobald der deutsch-polnische Handelsvertrag5 in Kraft trete. Die Unterstützung der Landwirtschaft komme nicht allen industriellen Betrieben unmittelbar zugute. Deswegen müsse der Fonds von 25 Millionen für Kreditgewährung an gewerbliche Unternehmungen mindestens um den Betrag erhöht werden, der sich aus der Beteiligung der Fischereien an der Kredithingabe aus diesen Mitteln ergebe6.

5

Vgl. Dok. Nr. 20, P. 2 und Dok. Nr. 24, P. 2.

6

Nach § 7 des Entw. sollte die Bank für Industrieobligationen den Gewerbebetrieben und Fischereien im Osthilfegebiet Darlehen bis zur Höhe von 25 Mio RM gewähren (R 43 I /1807 , Bl. 236).

Der Reichskanzler sah keine Schwierigkeiten, wenn die Industriebelastung im Osthilfegebiet aufgehoben würde. Auch eine Benachteiligung der westlichen Kohle durch die östliche sei nicht zu befürchten. Die rheinisch-westfälische Schwerindustrie werde sich mit einer solchen Regelung abfinden müssen. Sie habe 1924 mehr als 700 Millionen Goldmark erhalten7.

7

Das Reich hatte der Ruhrindustrie im Jahre 1924 die finanziellen und materiellen Aufwendungen erstattet, die dieser durch das Abkommen mit der Micum entstanden waren: vgl. diese Edition, Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 64, P. 1, Dok. Nr. 265 sowie Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 10, Anm. 2.

Die Entschuldung der Landwirtschaft sei insbesondere auch notwendig wegen des gewerblichen Mittelstandes und der Städte.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, der Verzicht auf Industrieobligationen sei nur möglich, wenn der Etat ordnungsmäßig angenommen würde8. Auch er trat für eine Begrenzung der Mittel ein, die von der Bank für Industrieobligationen im Wege des Vorgriffs aufgenommen würden. Hinsichtlich der Ablösungsscheine hatte er keine Bedenken, weil die Reichsbank zugestimmt habe, und weil sie zuerst abgelöst würde9. Der Schaffung von Haftungsverbänden stimmte er zu. Bei Aufkauf von Land müsse die Siedlungsbank eingeschaltet werden, eine Neugründung komme nicht in Frage.

8

Nach § 1 Abs. 2 des GesEntw. über die Aufbringungsumlage sollten von der Umlage für die Zwecke des Reichshaushalts für das Rechnungsjahr 1931 180 Mio RM und für das Rechnungsjahr 1932 80 Mio RM in Anspruch genommen werden. Danach sollte die Umlage ausschließlich zugunsten der Wirtschaft, vor allem der Landwirtschaft im Osthilfegebiet, verwendet werden (R 43 I /1807 , Bl. 254).

9

Das Reich konnte die Bürgschaft auch für die Einlösung verzinslicher Verpflichtungsscheine zentraler Kreditinstitute (Ablösungsscheine) übernehmen (§ 17 Abs. 1 des OsthilfegesEntw., R 43 I /1807 , Bl. 242).

Der Preußische Ministerpräsident schloß sich grundsätzlich den Bedenken des Preuß. Finanzministers gegen die Haftungsverbände an. Die Solidarhaftung habe wenig Zweck, weil die Verbände leistungsschwach sein würden. Würden sie notleidend, so müßten das Reich und Preußen eintreten. Sie könnten nicht[865] zum Konkurs getrieben werden. Daraus würde sich keine Entlastung, sondern eine weitere Mehrbelastung ergeben. Der Zweck könne in gewissem Grade auch durch Beiräte bei den Landstellen erreicht werden.

Auf die Erklärung des Reichskanzlers daß bei der politischen Lage und Kräfteverteilung die Schaffung der Haftungsverbände eine Notwendigkeit sei, und daß auch auf die Industrie Rücksicht genommen werden müsse, die sich zu freiwilliger Weiterzahlung der Industrieumlage erboten habe, erklärte der Preuß. Ministerpräsident, daß sich Preußen unter Berücksichtigung der parlamentarischen Lage mit den Bestimmungen über Haftungsverbände im Gesetzentwurf abfinden wolle. Es sei zu hoffen, daß im Reichstag eine Korrektur der Bestimmungen im Sinne der vorgebrachten Bedenken erfolgen werde, vielleicht aus Kreisen der Landwirtschaft selbst.

Reichsminister Treviranus erklärte hierzu, daß sich die Vertreter der Landwirtschaft mit ihrer Unterschrift auf die vorgeschlagene Fassung der Bestimmungen festgelegt hätten. Die Landwirte legten auf die Wirtschaftsfunktionen der Verbände mehr Gewicht als auf die Haftung selbst.

Der Reichskanzler verwies auf die Vorgänge vor 100 Jahren, über die in der Öffentlichkeit Aufklärung geschaffen werden möchte. Unter starker Selbstverwaltung seien damals zahlreiche Grundbesitzer in Ostpreußen zusammengebrochen, die Gläubiger hätten schweren Schaden erlitten, tüchtige Landwirte seien dann zu günstigen Bedingungen Besitzer geworden. Praktisch werde wohl nur die Landwirtschaftskammer Pommern den Antrag auf Schaffung von Haftungsverbänden stellen. Die Industriebank müsse für alle Güter einen einheitlichen Wirtschaftsplan schaffen. Sie werde nach rein kaufmännischen Grundsätzen vorgehen.

Bei der weiteren Aussprache über die Siedlungsprobleme wurde Einigkeit darüber erzielt, daß die Siedlungsbank nicht selbst Land aufnehme, sondern den Kauf durch Kreditgewährung ermöglichen solle, und daß dabei Einvernehmen mit den Landstellen herbeigeführt werden müsse. Der Ankauf von Land dürfe sich nicht nur nach den Interessen des zu entschuldenden Gutes richten, der Verwertbarkeit müsse entscheidende Bedeutung beigelegt werden.

Im Anschluß an die Besprechung fand in Abwesenheit des Reichskanzlers noch eine kurze Auseinandersetzung mit den Vertretern der Preuß. Staatsregierung darüber statt, daß die Zinsverbilligung auf die Haftungsverbände übergehen solle, wenn sie mit der Bank für Industrieobligationen gegen den Willen der Landstellen die Entschuldung eines Betriebes beschlossen hätte.

Reichsminister Treviranus behielt hierzu die Entscheidung des Kabinetts vor10.

10

Zur weiteren Behandlung des GesEntw. s. Dok. Nr. 242.

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