1.144.1 (bru2p): Wirtschaftslage.

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[1383]Wirtschaftslage.

Notverordnung über den Zahlungsverkehr vom 20. Juli ab.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen erläuterte den Entwurf des Reichsfinanzministeriums für eine Notverordnung über den Zahlungsverkehr vom 20. Juli ab1. Sodann schnitt er die Frage der Gehaltszahlung am nächsten Monatsersten an. Er meinte, die Gehälter müßten am 1. zur Hälfte ausgezahlt werden, zur anderen Hälfte am 10. Den Ländern müsse die Befugnis zu einer gleichen Regelung erteilt werden2.

1

Der Entw. ist in den Akten der Rkei nicht vorhanden; vgl. die 3. VO über die Wiederaufnahme des Zahlungsverkehrs nach den Bankfeiertagen vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 376 ).

2

Vgl. die NotVO über die Auszahlung von Dienstbezügen vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 381 ) sowie die DurchführungsVO vom gleichen Tage (RGBl. I, S. 381).

Dagegen wurden keine Einwendungen erhoben3.

3

Im Protokoll wurde der folgende Satz gestrichen: „Es wurde aber die Ansicht vertreten, daß eine Regelung dieser Frage in der nächsten Notverordnung noch nicht notwendig sei.“

Ferner warf der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen die Frage auf, ob Hypothekenzinsen besonders behandelt werden sollten. Er meinte aber, diese müßten gezahlt werden, sonst würde der Realkredit erschüttert werden. Eine Regelung der Hypothekenzinszahlungen gehöre übrigens auch nicht in diese Notverordnung hinein, die sich in der Hauptsache mit Gehältern und Sozialleistungen befasse.

Dann kam er zurück auf seinen in den letzten Tagen bereits nachdrücklich vertretenen Vorschlag, Silbergeld in stärkerem Umfang auszuprägen4. Das könne eine Vermehrung der Zahlungsmittel um 2–3 Millionen ausmachen. Er wiederholte seinen Hinweis darauf, daß durch den Besitz von Silbergeld das Vertrauen der Bevölkerung in die Währung gestärkt werden könne.

4

Vgl. Dok. Nr. 381; s. auch Dok. Nr. 388.

Ministerialdirigent NordenNorden und Minister HöpkerHöpker Aschoff brachten Bedenken vor, über diese Frage jetzt eine Regelung in die Notverordnung aufzunehmen.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, er habe keine Bedenken die Annahmepflicht für Silber von 20 auf 100 RM zu erhöhen. Eine Erhöhung des Kontingents für Silberausprägung solle aber möglichst in der Notverordnung nicht ausgesprochen werden. Das könnte auf das Vertrauen des Volkes zur Währung ungünstig wirken.

Reichsminister TreviranusTreviranus trat ein für eine stärkere Ausprägung von Kleinmünzen und bedauerte, daß der Plan der Ausprägung von Vierpfennigstücken, den er im vergangenen Jahr mehr verfolgt und dem Reichsminister der Finanzen nahegelegt habe, vom Reichsfinanzministerium offenbar nicht mit großem Interesse verfolgt worden sei5.

5

StS Pünder hatte am 15.11.30 unter Bezug auf eine Anregung des RM Treviranus in der Ministerbesprechung vom 11.11.30 (Dok. Nr. 167, P. 2) den RFM gebeten, die Möglichkeit einer Prägung von Vierpfennigstücken zu prüfen (Konzept in R 43 I /1252 , Bl. 266). StS Schäffer hatte in seiner Antwort vom 24.12.30 auf die Bedenken der Rbk hingewiesen, daß das Publikum die Vierpfennigmünzen möglicherweise ablehnen werde (R 43 I /1252 , Bl. 268; das Schreiben der Rbk an den RFM vom 8.11.30 in R 2 /14813 ; hier auch weiteres Material).

[1384] Ministerialdirigent NordenNorden machte Mitteilung von dem Stand dieser Angelegenheit. Der Einzelhandel sei um Stellungnahme zu dem Projekt aufgefordert worden6, habe aber seine Ansicht noch nicht abgegeben7.

6

Am 20.5.31 hatte StS Pünder beim RFM angeregt, die Hauptgemeinschaft des Dt. Einzelhandels zu einer Stellungnahme aufzufordern (Konzept in R 43 I /1252 , Bl. 278). Das Konzept des Schreibens des RFM an die Hauptgemeinschaft des Dt. Einzelhandels vom 1.7.31 befindet sich in R 2 /14813 ).

7

Die Hauptgemeinschaft des Dt. Einzelhandels und der DIHT lehnten in Schreiben an den RFM vom 13. und 15.8.31 die Einführung von Vierpfennigmünzen ab (R 2 /14813 ). Zur weiteren Behandlung dieses Projekts s. Dok. Nr. 577, P. 4.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, durch die vorgeschlagene Silberausprägung würde der Silberumlauf von 20 auf 30 M pro Kopf der Bevölkerung erhöht. Die gegenwärtige Situation würde dadurch nicht sehr erleichtert. Zudem könne die Frage unmöglich ohne Zustimmung der Reichsbank entschieden werden.

Auf Vorschlag des Stellvertreters des Reichskanzlers und Reichsministers der Finanzen wurde daraufhin der Beschluß gefaßt, die Silberausprägung zu erhöhen unter der Voraussetzung, daß die Reichsbank zustimme8.

8

Nach der Zustimmung der Rbk (Vermerk vom 21.7.31, R 2 /30728 ) erteilte der RR der entsprechenden Vorlage des RFM vom 23.7.31 (RR-Drucks. Nr. 95, Jahrgang 1931, Bd. 2) am 30.7.31 seine Genehmigung zur vermehrten Prägung von Silbermünzen (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1931, § 370, S. 286).

Ausreisegebühr.

Der Reichsminister des Innern stellte den Antrag, die Einführung einer Ausreisegebühr fallenzulassen. Er äußerte Bedenken namentlich wegen Österrech.

Staatssekretär WeismannWeismann bat in ausdrücklichem Auftrag des Preußischen Ministerpräsidenten gleichfalls, die Ausreisegebühr nicht einzuführen, weil dadurch Verärgerung geschaffen würde. Die wohlhabenden Leute würden dadurch von Auslandsreisen nicht abgehalten. Auch in der breiten Bevölkerung bestehe vielfach das Bedürfnis, aus Gesundheitsrücksichten Gegenden mit mehr Sonne aufzusuchen.

Der Reichsarbeitsminister fürchtete Schwierigkeiten für die Arbeiter, die vom Reichsarbeitsamt Kehl nach Frankreich vermittelt würden. Er wurde vom Reichsminister der Finanzen darauf aufmerksam gemacht, daß für Arbeiter ausdrücklich eine Ausnahme vorgesehen sei.

Der Reichswehrminister trat für die Maßnahme ein. Er meinte, daß Kranke und Erholungsbedürftige in Deutschland alle Bäder und Kurorte finden könnten.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen stellte fest, daß es sich um 200 Millionen handle, die durch die Maßnahme für die Volkswirtschaft gespart werden könnte. Die Verordnung sei zudem am Tage vorher unter dem Vorsitz des Reichskanzlers ausdrücklich beschlossen worden9. Der Reichskanzler habe gebeten, keine wichtigen Entscheidungen ohne ihn zu treffen und habe auf die Ausreisegebühr selbst Wert gelegt10. Er lehne es infolgedessen ab, eine neue Abstimmung wegen der Angelegenheit[1385] vorzunehmen, ebenso wie etwa die Wirkung der Verordnung hinauszuschieben.

9

S. Dok. Nr. 392 und RGBl. 1931 I, S. 376 .

10

Vgl. Dok. Nr. 393.

Verordnung über den Zahlungsverkehr vom 20.–23. Juli.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen kam dann zurück auf die Verordnung zur Regelung des Zahlungsverkehrs nach dem 18. Juli11. Er stellte fest, daß noch vier Punkte streitig wären:

11

Vgl. Anm. 1.

1.

es sei im Artikel 1 § 1 vorgesehen, die Barauszahlung zu begrenzen auf 5% des Guthabens. Es sollte jedoch nicht mehr ausgezahlt werden brauchen als bei Sparguthaben 20 RM, von sonstigen Guthaben 100 RM. Die Sparkassen erklärten zwar, sie hätten überhaupt keine Barmittel und könnten auch in diesem beschränkten Umfange nicht auszahlen.

Ministerialdirektor ErnstErnst (Preuß. Handelsministerium) teilte den Vorschlag der Sparkassen mit, in § 1 die Bestimmung einzufügen, daß nur „im Falle eines Bedürfnisses“ gezahlt werden müsse und daß die Auszahlung abhängig gemacht werden könne von dem Nachweis eines Bedürfnisses12.

12

Diese Bestimmung wurde in Artikel 1 § 1 Abs. 1 der NotVO aufgenommen (RGBl. 1931 I, S. 376 ).

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen stellte fest, daß die übrigen in Art. 1 Abs. 1 vorgesehenen Leistungen – Steuern, Abgaben, Gebühren, Frachten pp. – gezahlt werden müßten.

2.

Streitig sei ferner die Höhe, bis zu der der einzelne Kontoinhaber im Überweisungsverkehr verfügen dürfe, insbesondere, ob bis zur Hälfte des Guthabens und höchstens 2.000 RM verfügt werden dürfe13.

13

Vgl. dazu Art. 1 § 3 Abs. 1, P. 2 der NotVO vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 377 ).

Er teilte mit, daß er soeben die Nachricht erhalten habe, daß der Bankenzusammenschluß am Vormittag zustande gekommen sei. Er machte darüber einige weitere Angaben und kündigte an, daß für die Angehörigen des Bank[en]zusammenschlusses eine besondere Regelung zu treffen sei14.

14

Unter Führung der Golddiskontbank wurde am 18.7.31 von 43 Banken der Überweisungsverband gegründet; der Verband sollte den Überweisungsverkehr aus Guthaben der von der Überweisungs- und Auszahlungssperre betroffenen Konten erleichtern und mögliche Verluste nach einer bestimmten Quote auf alle Mitglieder verteilen (DAZ Nr. 325–326 vom 21.7.31; Mitglieder und Satzung in R 43 I /646 , Bl. 152–158).

3.

Bezüglich der Wechsel sei noch der Streitpunkt vorhanden, ob die Zahlungen verteilt werden könnten auf mehrere Tage.

4.

Schließlich sei noch streitig, wieweit der Schuldnerschutz gelten solle15.

15

S. Dok. Nr. 397.

Die weitere Beratung der Verordnung über den Zahlungsverkehr wurde sodann bis abends ausgesetzt, um weitere Feststellungen der Reichsbank über die vorhandenen Möglichkeiten abzuwarten.

Kapitalflucht-Verordnung.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg kam auf die Schwierigkeiten zurück, die die Reichsbank haben würde, wenn der Entwurf16 des Reichsfinanzministeriums[1386] angenommen werde. Er bat bezüglich der Anmeldepflicht für Devisen pp. den Zusatz einzufügen „bis zu einem von der Reichsregierung festzusetzenden Zeitpunkt“. Die Reichsbank würde sonst das einlaufende Material gar nicht verarbeiten können.

16

Vgl. Dok. Nr. 392, Anm. 7.

Ministerialdirektor ZardenZarden erläuterte den Entwurf des Reichsfinanzministeriums und wies darauf hin, daß seit gestern eine Änderung vorgesehen sei dahin, daß die Besitzer von Devisen usw. bezüglich deren Abgabe „Offerten“ machen sollten.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg meinte, man solle in die Verpflichtung einschließen auch Effekten, die seit etwa dem 10. oder 12. Juli, oder einem anderen Tag zu Beginn der verschärften Krise durch Umwandlung von Devisen erworben worden seien.

Ministerialdirektor ZardenZarden stellte fest, daß seit dem Tage vorher als Änderung des Entwurfs des Reichsfinanzministeriums ferner vorgesehen sei, daß

1.

Scheidemünzen von der zu verordnenden Verpflichtung ausgenommen werden sollten und auch

2.

Auslandsforderungen, soweit sie mit einer Kündigungsfrist von länger als drei Monaten verbunden wären.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg war danach damit einverstanden, daß eine Mindestgrenze für die Anmeldung fortfalle17.

17

S. Dok. Nr. 392, Anm. 8.

Staatssekretär JoëlJoël brachte die Höhe der Strafbestimmungen in § 5 zur Sprache und meinte, daß diese ganz aus dem Rahmen sonst üblicher Strafmaße hinausfielen18.

18

§ 5 der KapitalfluchtNotVO vom 18.7.31 drohte bei Verstößen gegen die VO Gefängnis, in besonders schweren Fällen Zuchthaus bis zu zehn Jahren, und Geldstrafen in unbeschränkter Höhe an (RGBl. 1931 I, S. 374 ).

Ministerialdirektor ZardenZarden erläuterte weiter die vorgesehene Anzeigenpflicht gegenüber den Steuerbehörden und die Amnestie19.

19

S. die §§ 6–8 der KapitalfluchtNotVO vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 374 ).

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen meinte, daß der Bevölkerung die Kapitalfluchtbedingungen möglichst häufig und nachdrücklich vorgehalten werden müßten. Er machte sodann Geheimrat von Kaufmann von der Presseabteilung dafür verantwortlich, daß in den nächsten Tagen täglich Bekanntmachungen darüber erfolgten in den Pressekonferenzen, den Tageszeitungen und im Rundfunk.

Geheimrat Kaufmann nahm den Auftrag zur Kenntnis.

Ministerialdirektor ZardenZarden teilte auf die Frage, ob die Amnestie auf ausländische Vermögen beschränkt werden oder allgemein Geltung haben sollte, mit, daß der Zeitpunkt für eine allgemeine Amnestie für günstig gehalten werde. Namentlich der Reichsminister der Finanzen vertrete die Ansicht, daß die Bevölkerung „mürbe“ sei. Es solle also eine allgemeine Amnestie eingeführt werden.

Es wurde der Wunsch ausgesprochen, daß die Steuerbeamten mit besonderem Nachdruck auf ihre Pflicht zur Dienstverschwiegenheit aufmerksam gemacht und daß ihnen die schärfsten Folgen bei Verstößen angedroht würden.[1387] Der Bevölkerung müsse auf diese Weise der Entschluß erleichtert werden, von der Amnestie Gebrauch zu machen, indem sie der Öffentlichkeit gegenüber davor geschützt würden, als Steuerhinterzieher bekannt zu werden.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen stellte zu den Strafbestimmungen fest, daß diese dahin geändert werden sollen, daß die verschärften Strafen nur für die neuen Tatbestände der Verordnung gelten sollen.

Ministerialdirektor ZardenZarden vertrat noch den Wunsch des Reichsfinanzministeriums nach Einführung einer verschärften Buchführungspflicht für die sogenannten „größeren Einkommen“20. Die Bestimmungen der Reichsabgabenordnung21 reichten in dem Punkt bei großen Unternehmern nicht aus.

20

§ 9 der KapitalfluchtNotVO vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 375 ).

21

Vgl. den 2. Abschnitt, 1. Titel der Reichsabgabenordnung vom 22.5.31 (RGBl. I, S. 183 ).

Der Reichspostminister teilte mit, daß die Post- beziehungsweise Telefonbeamten in häufigen Fällen Kenntnis erhielten von beabsichtigten großen Vermögensverschiebungen. Es lägen sehr krasse entsprechende Fälle vor. Das Postgeheimnis hindere in diesen Fällen, von den Kenntnissen Gebrauch zu machen. Das Postgeheimnis ausdrücklich aufzuheben, um eine Anzeige in solchem Falle zu ermöglichen, sei mit Rücksicht auf das Ausland und die internationalen Bindungen nicht möglich.

Es wurde sodann die Begründung einer Anzeigepflicht in der Notverordnung erörtert.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg hatte Bedenken gegen die allgemeine Fassung einer Verpflichtung.

Der Reichspostminister wies darauf hin, daß kein anderer Weg übrigbliebe, ohne gleichzeitig das Postgeheimnis zeitweise außer Kraft zu setzen.

Die Bedenken gegen die Anzeigepflicht wurden darauf fallengelassen22.

22

S. die §§ 6 und 7 der KapitalfluchtNotVO vom 18.7.31 (RGBl. I, S. 374 ).

Das Kabinett war mit dem Erlaß der Notverordnung unter Berücksichtigung der zu dem Entwurf des Reichsfinanzministeriums beschlossenen Änderungen einverstanden23.

23

Die NotVO gegen die Kapital- und Steuerflucht wurde am 18.7.31 im RGBl. I, S. 373  veröffentlicht.

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