1.241.1 (bru2p): Fortsetzung der Beratung über den Entwurf der dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen.

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Fortsetzung der Beratung über den Entwurf der dritten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen.

Pensionsänderungs-Verordnung.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über das Ergebnis einer zwischen ihm, dem Reichswehrminister und dem Reichsarbeitsminister zur Sache geführten Chefbesprechung1. In dieser Chefbesprechung sei man nicht einig geworden. Der Reichswehrminister wünsche, daß für die Offiziere der Wehrmacht[1756] an dem Pensionssatz von 80 v.H. bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres festgehalten werde und daß die Absenkung auf 75% erst danach zur Durchführung gelange.

1

Zum Stand der Beratung dieser Frage s. Dok. Nr. 485. Ein Durchschlag einer Aufzeichnung über die Chefbesprechung vom 25.9.31 befindet sich in R 43 I /2608 , Bl. 299–314.

Der Reichswehrminister führte aus, daß der Kernpunkt der ganzen Angelegenheit für die Reichswehr darin bestehe, daß der Beamte durchweg bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres in seiner Laufbahn verbleibe, während die Angehörigen der Reichswehr zwangsweise schon eine Reihe von Jahren vorher auf den aktiven Dienst verzichten müßten. Die Pensionsänderungsverordnung wirke sich daher in der vorgeschlagenen Form als eine Ausnahmeregelung zuungunsten der Wehrmacht aus. Er könne der vorgeschlagenen Regelung daher unter keinen Umständen zustimmen und werde sich auch genötigt sehen, dem Herrn Reichspräsidenten als dem obersten Chef der Wehrmacht in der Sache Vortrag zu halten.

Der Reichsminister der Finanzen blieb dabei, daß er eine unterschiedliche Behandlung der Beamtenschaft und der Angehörigen der Wehrmacht in der Pensionsänderungs-Verordnung nicht mitmachen könne.

Der Reichskanzler verwies die weitere Beratung darauf in eine nochmalige Chefbesprechung, die unter seinem Vorsitz stattfinden solle2.

2

Vgl. hierzu Dok. Nr. 505, P. 2.

Sondergerichte.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël trug den Inhalt des beiliegenden Entwurfs vor3. Er machte unter anderem auf die Bedenken aufmerksam, die von Preußen und Bayern gegen den Entwurf geltend gemacht worden seien4. Er führte aus, daß ein Entwurf, welcher der Reichsregierung lediglich die Ermächtigung zur Bildung von Sondergerichten zwecks Aburteilung bestimmter strafbarer Handlungen gebe, geringere politische Schwierigkeiten hervorrufen werde.

3

Die Vorlage des RJMin. vom 24.9.31, die auf dem Kabinettsbeschluß vom 19.9.31 (s. Dok. Nr. 477, Anm. 1) beruhte, sah die Bildung von Sondergerichten bei den Landgerichten vor. Die Sondergerichte, die der Rechtsaufsicht der Länder unterstehen sollten, sollten zuständig sein für betrügerischen Bankrott, Unterschlagung fremder Wertpapiere und Devisenvergehen. Außerdem sollte sich ihre Zuständigkeit erstrecken auf Sprengstoffattentate, Raub, Brandstiftung, Transportgefährdung, Aufruhr, schweren Haus- und Landfriedensbruch, Personenschäden, Aufreizung zum Klassenkampf und unerlaubten Schußwaffengebrauch (R 43 I /1247 , Bl. 28–33).

4

Der Bayer. Gesandte v. Preger hatte in einem Schreiben an StS Pünder vom 23.9.31 in Übereinstimmung mit der Pr.Reg. die Einrichtung von Sondergerichten abgelehnt. Preger hatte seiner zuversichtlichen Erwartung Ausdruck gegeben, daß im Falle der Errichtung von Sondergerichten diese den Ländern unterstellt würden. Er hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Frage, ob außerordentliche Gerichte als Gerichte des Reichs errichtet werden dürften, bereits zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen Bayern und dem Reich geführt hätte (R 43 I /1247 , Bl. 35–36). Der DIHT erhob mit Schreiben vom 2.10.31 an den RK „ernste Bedenken“, gegen die Sondergerichte (R 43 I /1247 , Bl. 41–43). Ebenso lehnte die SPD die Sondergerichte ab (Schreiben des RT-Fraktionsvorsitzenden Breitscheid an den RK vom 5.10.31, R 43 I /2374 , S. 809–810).

Staatssekretär Dr. WeismannWeismann erklärte, daß die preußische Regierung die dringende Bitte habe, den von Staatssekretär Dr. Joël vorgelegten Entwurf nicht anzunehmen. Die Preußische Staatsregierung sei der Auffassung, daß für die Einführung von Sondergerichten kein Bedürfnis bestehe.

Der Reichsverkehrsminister äußerte gleichfalls Bedenken gegen den vom[1757] Reichsministerium der Justiz dem Reichskabinett vorgelegten Entwurf. Er erklärte, daß er der von Staatssekretär Dr. Joël dargelegten Möglichkeit den Vorzug gebe, die Reichsregierung zur Bildung von Sondergerichten zur Aburteilung bestimmter strafbarer Handlungen zu ermächtigen.

Der Reichswehrminister führte aus, daß er Verständnis für die von verschiedenen Ländern gegen den Entwurf des Reichsjustizministeriums geäußerten Bedenken habe. Man werde jedoch auf die Möglichkeit der Schaffung von Sondergerichten nicht verzichten können. Die Sondergerichte müßten Gerichte des Reichs sein.

Im übrigen müsse er jedoch darauf hinweisen, daß die Preußische Regierung nicht mit genügender Schärfe gegen die KPD vorgehe. Jedenfalls sei das die Anschauung, die in weiten Kreisen herrsche.

Staatssekretär Dr. WeismannWeismann erwiderte, daß Preußen die KPD habe verbieten wollen, der Reichsminister des Innern jedoch nicht5.

5

S. Dok. Nr. 497, P. 1.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß die Länder kein Verbot der KPD wünschten, wie sich erst kürzlich bei einer Besprechung der Innenminister der Länder erwiesen habe6. Infolgedessen sei es auch für den Reichsminister des Innern unmöglich, für das völlige Verbot der KPD Schritte zu unternehmen.

6

Am 26.9.31 hatte in Berlin eine Konferenz der Innenminister unter Vorsitz des RIM stattgefunden (Schultheß 1931, S. 206).

Staatssekretär Dr. JoëlJoël erläuterte sodann den beiliegenden Entwurf eines neuen Entwurfs des Reichsjustizministeriums über Sondergerichte7.

7

Der neue NotVOEntw. ermächtigte die RReg., Sondergerichte als Gerichte der Länder zu bilden und Vorschriften über die Zusammensetzung der Sondergerichte, ihre Zuständigkeit und das Verfahren zu erlassen (R 43 I /1247 , Bl. 34).

Das Reichskabinett stimmte dem Entwurf unter dem Vorbehalt zu, daß auch der Reichskanzler, der gerade die Sitzung verlassen hatte, mit ihm einverstanden sei8.

8

S. die 3. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.31, 6. Teil, Kapitel II (RGBl. I, S. 565 ).

Der Reichskanzler erklärte nachträglich seine Zustimmung zu dem Entwurf.

Verordnung über die Herabsetzung von Gehaltsbezügen in der Privatindustrie.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël trug den Inhalt des beiliegenden Entwurfs vor9. Er führte unter anderem aus, daß die große Mehrzahl der Anstellungsverträge in der Privatindustrie eine Kündigungsklausel für den Fall wesentlicher Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse enthalte. Vielfach seien schon die Gehälter in der Privatindustrie um 30% und darüber gesenkt worden. Es sei auch zu bedenken, daß nach der Aktienrechtsnovelle die Gehälter des Vorstandes in der Gesamtsumme in der Bilanz erscheinen müßten, so daß seines Erachtens kein wesentliches Bedürfnis für den Entwurf bestehe. Er habe den Entwurf nur auf Wunsch des Reichskabinetts ausgearbeitet10 und schwere Bedenken[1758] gegen den Entwurf geltend zu machen, weil er eine Erschütterung der Vertragstreue bedeute11. Immerhin biete der Entwurf vielleicht eine Grundlage, wie man zur Herabsetzung von Gehaltsbezügen in der Privatindustrie gelangen könne.

9

Der Entw. befindet sich in R 43 I /1452 , S. 765–769. Er gestattete den Unternehmern bei schlechter Wirtschaftslage die Herabsetzung von Gehältern, die in langfristig laufenden Verträgen vereinbart worden waren. Auf Jahresgehälter bis zu 30 000 RM sollte die geplante VO nicht angewendet werden. Über die Herabsetzung der Dienstbezüge sollte das Reichswirtschaftsgericht in erster und letzter Instanz entscheiden.

10

S. Dok. Nr. 468, P. 1.

11

StS Joël hatte bereits in einem Schreiben vom 25.9.31 an den RK seine Vorlage vor allem deshalb abgelehnt, weil kein Bedürfnis für ein gesetzgeberisches Eingreifen vorliege. Die Gehälter der leitenden Angestellten in gewerblichen Unternehmungen bestünden partiell in einem Anteil an den Jahresgewinn, so daß allein durch die Folgen der Wirtschaftskrise eine Gehaltsminderung eingetreten sei. Außerdem sei die Privatindustrie schon freiwillig dem Beispiel der Gehaltskürzung in Reich, Ländern und Gemeinden gefolgt. Schließlich hatte Joël auf die bedenklichen Folgen einer Gehaltssenkung bei allen, also auch bei den wirtschaftlich gesunden Unternehmungen hingewiesen: „Die hohen Einkommen der Wirtschaftsführer stellen eine Erfolgsprämie dar. Nimmt man der Wirtschaft die Möglichkeit, Erfolge in dieser Weise zu belohnen, so wird ein Abwandern gerade der besten Kräfte in Konkurrenzbetriebe des In- und Auslandes gefördert werden“ (R 43 I /2374 , S. 147–151, Zitat S. 149).

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg betonte, daß, wenn man in das Tarifrecht eingreife, auch Eingriffe in die höheren Gehaltsbezüge in der Privatindustrie möglich sein müßten. Bei langfristigen Dienstleistungsverträgen müsse eine Kündigung möglich sein, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete sich nicht bereit erkläre, in eine angemessene Gehaltskürzung einzuwilligen.

Der Reichsarbeitsminister betonte, wie schwer es sei, hier den richtigen Weg zu finden. Keinesfalls sei es richtig, ein Mindestgehalt zu nennen, für das die Verordnung Anwendung finden solle.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg äußerte Bedenken gegen die Einschaltung des Reichswirtschaftsgerichts.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël führte aus, daß er die ordentlichen Gerichte mit diesen Dingen nicht befassen wolle. Er halte die im Entwurf vorgesehene Einschaltung des Reichswirtschaftsgerichts für zweckmäßig.

Der Reichsbankpräsident wies auf folgende Zusammenhänge hin: Die Aktienrechtsnovelle schreibe eine Anweisung der Gehälter des Vorstandes der Gesellschaft in der Bilanz vor. Durch diese Vorschrift werde ein sehr starker Druck in der Richtung ausgeübt, zu hohe Gehälter herabzusetzen. Es sei grundsätzlich zu erwägen, ob die Zeit für den Erlaß der hier vorgetragenen Verordnung schon reif sei. Nach seiner Ansicht sei die Zeit erst dann gekommen, wenn in das Einkommen überhaupt eingegriffen werde.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël führte aus, ihm schienen Vorschriften am ehesten tragbar zu sein, die eine authentische Interpretation der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über Kündigung für die jetzige Notzeit darstellten.

Es bestand im Reichskabinett Übereinstimmung darüber, daß das Reichsjustizministerium zusammen mit dem Reichswirtschaftsministerium einen neuen Entwurf ausarbeiten soll12.

12

S. Dok. Nr. 501, P. 3.

Körperschaften des öffentlichen Rechts. […]

Verhinderung von Kapitalfehlleitungen. […]

Revisionspflicht der Wirtschaftsbetriebe der öffentlichen Hand.

[1759] Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg trug den wesentlichen Inhalt seiner Vorlage vom 28. September […] vor13. Zu dem Entwurf der Verordnung bemerkte er, daß er es nach näherer Prüfung für richtiger halte, die in den Paragraphen 2 und 3 des Entwurfs vorgesehenen Bestimmungen einer Durchführungsverordnung vorzubehalten. Er empfehle daher, in die Notverordnung nur den Paragraphen 1 aufzunehmen.

13

Der Entw. über die Pflicht öffentlicher Betriebe zur jährlichen Bilanzprüfung beabsichtigte laut Anschreiben des StS Trendelenburg an den StSRkei vom 28.9.31„ „daß durch die vorgeschlagene Regelung der Entschluß der öffentlichen Körperschaften, entbehrliche und verlustbringende Wirtschaftsbetriebe abzubauen, einen starken Antrieb erfährt. Damit trägt der Entwurf der immer stärker werdenden Erregung in den Kreisen von Industrie, Handel und Handwerk über den schädigenden Wettbewerb der öffentlichen Hand […] soweit Rechnung, als dies ohne Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts der Länder und Gemeinden möglich ist“ (Anschreiben und Entw. in R 43 I /1140 , Bl. 143–144, Zitat Bl. 143).

Das Reichskabinett war hiermit einverstanden14.

14

S. Kapitel VIII des 5. Teils der 3. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen […] vom 6.10.31 (RGBl. I, S. 562 ).

Hauszinssteuer.

Der Reichsminister der Finanzen begründete in großen Zügen die in seinem Ministerium ausgearbeitete Vorlage vom 23. September […]15. Er setzte sich für eine schematische 25%ige Senkung der Hauszinssteuer ein, indem er bemerkte, daß die Hypothekenbanken ausdrücklich die vom Reichsfinanzministerium vertretene Auffassung bestätigt hätten, daß eine individuelle Senkung der Hauszinssteuer praktisch undurchführbar sei. Zu entscheiden sei sodann noch die Frage, in welcher Weise die verbleibenden 75% abgesenkt werden sollen. Er halte es nach wie vor für richtig, schon jetzt den Abbau festzulegen und nur eine restliche Belastung in bestimmter Höhe aufrecht zu erhalten.

15

Der Entw. sah für das Rechnungsjahr 1932 eine Senkung der Hauszinssteuer um 25% vor, in den folgenden 5 Rechnungsjahren sollte die Steuer um weitere je 5% gesenkt werden, so daß 1937 nur noch 50% der ursprünglichen Steuer entrichtet werden mußte. Vom 1.4.38 ab sollte der Rest von 50% in eine Rente von zehnjähriger Laufzeit umgewandelt werden. Von der Aufnahme des ursprünglich geplanten Reparaturprogramms in die Vorlage war abgesehen worden (Entw. des RFM vom 23.9.31 und Stellungnahme des RArbMin. in R 43 I /2351 , Bl. 169–180).

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß der Entwurf des Reichsfinanzministeriums zu einer Zeit aufgestellt sei, die vor der entscheidenden Wendung in der englischen Währungsfrage liege16. Er glaube aber, daß man die Frage der Umwandlung der Hauszinssteuer nur im Zusammenhang mit den Ereignissen in England beurteilen könne. Wenn die Reichsregierung binnen kurzem dazu kommen müsse, Deflationspolitik zu betreiben17, sei es ein Widersinn, schon heute den Hypothekengläubigern und dem Hausbesitz eine Verzinsung von 7½% zu garantieren. Er halte daher den Zeitpunkt für die Neuregelung der Hauszinssteuer noch nicht für gekommen.

16

S. Dok. Nr. 483, Anm. 1.

17

Vgl. Dok. Nr. 502.

Der Reichsbankpräsident erklärte, daß die Neugestaltung der Hauszinssteuer bei der Frage der Umschuldung der Länder und Gemeinden eine große Rolle spiele. Eine schnelle Lösung des Problems der Umschuldung sei unumgänglich[1760] nötig. Bei den bisherigen Besprechungen über die Umschuldung sei vorgesehen, daß aus der Hauszinssteuer für 3 bis 4 Jahre hintereinander ein Betrag von je 150 Millionen Reichsmark für Zwecke der Umschuldung abgezweigt werden.

Das Kabinett schloß sich nach längerer Aussprache grundsätzlich der Auffassung des Reichsarbeitsministeriums an. In der zur Erörterung stehenden Notverordnung soll die Neuregelung der Hauszinssteuer nur insoweit Berücksichtigung finden, als dies für die Zwecke der Umschuldung notwendig ist18.

18

Zur Fortsetzung der Beratung s. Dok. Nr. 501, P. 2.

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