1.41.4 (bru2p): 4. Internationale Organisation für Agrarkredite.

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4. Internationale Organisation für Agrarkredite.

Der Reichsminister des Auswärtigen besprach zunächst die Tagung des Europa-Komitees, dessen Sitzung am 15. Mai beginnen soll3. Punkt 1 und 2 der Tagung (zusammenfassender Bericht des Vorsitzenden und Zuziehung des Freistaats Danzig)4 würden schnell erledigt werden, so daß die Teilnahme Rußlands und der Türkei, die erst zu Punkt 3 (Weltwirtschaftslage) eingeladen seien, entweder am 15. Mai nachmittags oder am 16. Mai vormittags beginnen könne. Die Teilnahme beider Länder sei unter diesen Umständen wahrscheinlich; jedenfalls halte er es nicht mehr für erforderlich, Schritte in dieser Angelegenheit zu Gunsten Rußlands zu tun.

3

Die Tagesordnung zur Sitzung des Europa-Komitees befindet sich in R 43 I /619 , Bl. 117–118.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 227, Anm. 3.

Der Reichsminister des Auswärtigen erbat für dieses Verhalten die Zustimmung des Reichskabinetts.

Bedenken wurden nicht geäußert.

Bei Beratung des 3. Punktes (Weltwirtschaftslage) werde naturgemäß die Frage der Zollunion5 bald zur Sprache kommen. Von deutscher Seite werde man sich bemühen müssen, den Fragenkomplex von einer höheren Warte zu[1064] beleuchten, was vielleicht auch zur Erwähnung der Reparationsfrage führen könne. Ein schwerer Kampf stehe bevor. Entscheidungen seien vor der September-Tagung kaum zu erwarten. Ihm scheine schon viel gewonnen, wenn neben der deutsch-österreichischen Aktion die französische6 parallel laufend behandelt werde. Die Haltung Österreichs glaube er als fest ansehen zu können, wenn auch die Industrie zum Teil (30%) unlustig sei. Die Versuchung für Österreich, falls ihm von den Anliegerstaaten ohne Gegenleistung Dauerpräferenzen zugesichert würden, sei erheblich. Vizekanzler Schober habe aber erklärt, Österreich werde sich nicht darauf einlassen. Von Frankreichs Gegenprojekt seien wir nur unvollständig unterrichtet7. Sein Inhalt werde vermutlich sein: 1. Entgegenkommen auf dem Gebiet der Präferentialzölle; 2. Zusage von Agrarkrediten, 3. Erleichterungen auf dem Gebiet der Industriezölle.

5

S. Dok. Nr. 263 und Dok. Nr. 267, P. 1.

6

Die Vorschläge der Frz. Reg., die nach den Worten des frz. UStS François-Poncet darauf abzielten, die dt.-österr. Zollunion „überflüssig“ werden zu lassen, hatten folgenden Inhalt: 1. Regelung des Getreideabsatzes der südosteuropäischen Länder; 2. Förderung der Wirtschaftsbeziehungen unter den Industrieländern durch den Ausbau von Kartellen; 3. langfristige Kreditgewährung an Österreich, Ungarn, die Balkanländer und Dtld. François-Poncet hatte als letztes Ziel der Wirtschaftsverhandlungen den völligen Abbau der Zollmauern in Europa bezeichnet (Telegramme Hoeschs Nr. 487 vom 2. 5. und Nr. 493 vom 4.5.31 in R 43 I /114 , Bl. 280–288 (Zitat Bl. 283) und Bl. 290–291).

7

Der frz. Botschafter de Margerie überreichte dem RAM den Plan der frz. Reg. am 12.5.31 (Aufzeichnung des RAM vom 12.5.31 in Abschrift mit Text des frz. Vorschlags vom 11.5.31 in abschriftlicher Durchschrift und dt. Übersetzung in R 43 I /619 , Bl. 129–136); s. auch Dok. Nr. 296.

Zu 1) berichtete der Reichsminister des Auswärtigen über die unerfreulichen Vorfälle bei den rumänischen Handelsvertragsverhandlungen8. Eine Fortsetzung der Verhandlungen sei erst nach Genf ins Auge gefaßt.

8

Vgl. Dok. Nr. 286, Anm. 4.

Zu 2) erbat der Reichsminister des Auswärtigen Ermächtigung für eine deutsche Beteiligung an der Internationalen Agrarkreditbank entsprechend der Vorlage des Auswärtigen Amts9. Vorbedingung für Deutschland müsse allerdings eine ausreichende Beteiligung an der Verwaltung und eine Berücksichtigung auch Deutschlands bei den Krediten sein.

9

Der VB hatte das Finanzkomitee des VB mit der Prüfung der Frage beauftragt, wie durch eine internationale Organisation des Agrarkreditwesens zur Behebung der Notlage der Landwirtschaft in Europa beigetragen werden könne. Das Finanzkomitee hatte die Gründung einer internationalen Gesellschaft für landwirtschaftliche Hypothekenkredite vorgeschlagen. Das Kapital der Gesellschaft in Höhe von 50 Mio $ sollte durch die Ausgabe von Aktien aufgebracht werden. Die Gesellschaft sollte an nationale Hypothekenbanken lang- und mittelfristige Kredite vergeben, welche diese gegen erste Hypotheken auf landwirtschaftliche Grundstücke weiterverleihen konnten (Vorlage des RAM vom 4.5.31, R 43 I /1449 , Bl. 231–236).

Zu 3), Erleichterung bei den Industriezöllen, scheine Frankreich an eine Art von Zwangssyndikaten zu denken, nach deren Zustandekommen erst an Senkung der Zölle gedacht werden könne. Der Reichsminister des Auswärtigen bat den Reichswirtschaftsminister, sich zu dieser Frage zu äußern.

Er bat ferner den Reichsarbeitsminister, zur Frage der internationalen Arbeitszeitverkürzung Stellung zu nehmen.

Endlich erbat er vom Reichsernährungsministerium einen Bericht über das internationale Niveau der Agrarzölle.

[1065] Dies wurde vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schriftlich zugesagt, der hierbei darum bat, Ministerialrat Dr. Walter als Sachverständigen für diese Frage nach Genf mitzunehmen.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte sich hiermit einverstanden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft betonte, daß für eine deutsche Beteiligung an dem Internationalen Agrarkreditinstitut der Beitritt auch anderer großer europäischen Länder, wie England, Italien und auch der nordischen Länder, Vorbedingung sein müsse. Je größer der Kreis europäischer Länder sein würde, desto schwieriger würde es für Frankreich sein, seine Hegemonie zu behaupten.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg äußerte Bedenken hinsichtlich der Erfolgsmöglichkeiten für die deutsch-österreichischen Zollpläne. Die österreichische Industrie unter Führung der Banken, wie z. B. der Rothschild-Gruppe, sei gegen das Programm.

Zu den deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen äußerte sich Staatssekretär Dr. Trendelenburg wie folgt: Einer intereuropäischen wirtschaftlichen Arbeitsteilung widersetze sich Frankreich aus Gründen der Landesverteidigung. Daneben sei auch die Sorge für die Erhaltung der französischen Märkte für Frankreich maßgebend. Das sei der Grund, weshalb es die internationale Kartellierung als Vorbedingung der Verständigung anstrebe. Eine solche Kartellierung halte man deutscherseits für technisch undurchführbar, wenigstens bei manchen Industrien, wie z. B. der Maschinenindustrie. Neu am gegenwärtigen französischen Standpunkt sei eine gewisse Nachgiebigkeit auf dem Gebiet der Präferentialzölle und die nachträgliche Ratifizierung des Genfer Handelsabkommens. Alles in allem wolle Frankreich Europa nur wirtschaftlich unter ständiger Aufsicht halten, um jede Verminderung der französischen Vormachtstellung zu verhindern.

Präsident Dr. KißlerKißler von der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt10 gab eine Schilderung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Internationalen Agrarbank, für die er wenig praktische Erfolge voraussagte. Für eine umfassende Wirkungsmöglichkeit sei das Grundkapital von 5 Millionen Dollar11 zu klein und seien die Unkosten zu groß. Aus geschäftlichen Gründen sei also eine Beteiligung nicht zu empfehlen. Würden politische Gründe zwingend für die Beteiligung sprechen, so werde die Rentenbank-Kreditanstalt kein Veto erheben. Das gelte aber nur für den Fall, daß auch andere namhafte europäische Länder sich beteiligten, also etwa England, Italien und die nordischen Staaten. Wenn es sich nur um Frankreich und die Oststaaten handele, würde für uns geradezu eine Kreditschädigung eintreten.

10

Kißler hatte als Mitglied des Finanzkomitees an den Beratungen über die Gründung der Agrarkreditbank teilgenommen (R 43 I /1449 , Bl. 234).

11

Die erste Aktientranche für die Agrarkreditbank sollte 5 Mio $ betragen (R 43 I /1449 , Bl. 235).

Der Reichsbankpräsident erklärte, daß er es begrüßen würde, wenn das Institut nicht zustande käme.

Demgegenüber bemerkte der Reichsminister des Auswärtigen daß Deutschland sich besser nicht heraushalten werde, falls aus dem Agrarinstitut eine[1066] europäische Einrichtung werde. Selbstverständlich werde auch die Politik des Auswärtigen Amts dahin gehen, daß das Institut besser nicht zustande komme.

Der Reichsminister der Finanzen bat, besonderes Augenmerk darauf zu richten, daß der deutsche Kredit nicht etwa mit dem Kredit der kleinen Ostländer zusammengeworfen werde. Dies würde eine schwere Wertminderung des deutschen Realkredits bedeuten. Andererseits dürfe man nicht den Anschein erwecken, als ob man abgeneigt sei, einer Hilfsaktion für den europäischen Südosten entgegenzukommen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß der Reichsminister des Auswärtigen ermächtigt werde, ein internationales Abkommen über die Internationale Gesellschaft für landwirtschaftliche Hypothekarkredite vorbehaltlich der Ratifikation zu zeichnen, unter der Voraussetzung, daß außer Frankreich und den östlichen Staaten sich weitere gewichtige europäische Länder beteiligten, so daß die Gründung einen gesamteuropäischen Charakter erhalte. Außerdem verwies der Reichskanzler entsprechend den vom Reichsminister der Finanzen und dem Reichsbankpräsidenten geäußerten Bedenken darauf, daß Sorge dafür getragen werden müsse, nicht den deutschen Realkredit durch eine Gleichsetzung mit dem Realkredit kleinerer Ostländer zu schädigen.

Der Reichsarbeitsminister erörterte sodann die Vorschläge des Internationalen Arbeitsamtes.

1. Einrichtung eines europäischen Arbeitsnachweises. Deutsche Bedenken bestünden dagegen nicht, andererseits dürfe man sich nichts von einer solchen Institution erwarten, da die internationale Verteilung der Arbeitskräfte nach politischen Gesichtspunkten vorgenommen werde.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß jedenfalls keine Gefahr entstehen dürfe, daß wir unliebsame ausländische Arbeitskräfte, z. B. polnische Arbeiter, aufnehmen müßten.

Eine solche Gefahr sah der Reichsarbeitsminister bei 5 Millionen deutscher Arbeitsloser nicht als gegeben an.

2. Finanzierung großer europäischer öffentlicher Arbeiten. Man denke hierbei an große internationale Durchgangsstraßen. Auch hiergegen könne er für Deutschland keine Bedenken erheben. Er halte allerdings die Finanzierung für sehr schwierig.

3. Arbeitszeit. Eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern habe man bisher nicht erzielen können. Es würde für Deutschland politisch nicht zweckmäßig sein, etwa den Standpunkt der Arbeitgeber in dieser Frage einzunehmen. Die Gewerkschaften forderten eine Stellungnahme der Reichsregierung für die Arbeitszeitverkürzung.

Der Reichsminister des Auswärtigen sprach sich dafür aus, daß die Deutsche Regierung zur Frage der Verkürzung der Arbeitszeit nur die positive Bereitschaft zur Mitarbeit an der Lösung des Problems aussprechen solle.

Es wurde vereinbart, daß eine vorsichtige Formulierung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Reichsarbeitsministerium vereinbart werden solle.

Zur Frage der deutsch-österreichischen Zollverhandlungen teilte der Reichskanzler mit, daß er eine ganze Anzahl weniger günstiger Nachrichten empfangen[1067] habe, insbesondere über die Haltung der österreichischen christlichsozialen und sozialdemokratischen Kreise12. Auch juristisch sei der deutsche Standpunkt keineswegs unbestritten.

12

Gesandter Rieth hatte am 7.5.31 aus Wien berichtet, daß die frz. Sozialisten versuchten, die österr. Sozialdemokraten gegen die Zollunion einzunehmen. MinDir. Ritter, der am 11. 5. Rieths Schreiben in Abschrift an StS Pünder übersandte, schlug vor, die SPD möge über RT-Präs. Löbe auf die österr. Sozialdemokraten zugunsten der Zollunion einwirken (R 43 I /114 , Bl. 321–323). Der RK hatte offenbar bereits mit Löbe im April über dieses Thema gesprochen (Konzept eines Schreibens Pünders an Löbe vom 25.4.31, R 43 I /114 , Bl. 176).

Der Reichskanzler erklärte es für zweckmäßig, eingehend die voraussichtlichen Stellungnahmen der einzelnen Länder zu prüfen und sich ein Bild darüber zu machen, wer für unseren Standpunkt gewonnen werden könne.

Hierzu bemerkte Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg, er glaube nicht, daß irgendein anderes Land starkes wirtschaftliches Interesse an der deutsch-österreichischen Zollunion habe. England habe sich, rein wirtschaftlich gesehen, gleichgültig verhalten, ebenso Italien. Frankreich habe den Plan als Verstärkung der deutschen Position von jeher lebhaft bekämpft. Ob Österreich einem solchen Druck standhalten werde, sei noch sehr fraglich.

Ministerialdirektor Dr. PossePosse äußerte sich sodann über die Aussichten des Präferenz-Zollsystems. In Europa und vom englischen Mutterland seien kaum Schwierigkeiten zu erwarten. Kanada und Australien brauchten nicht berücksichtigt zu werden, da sie keine Meistbegünstigungsverträge hätten. Wohl aber seien die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Argentinien interessiert. Letzteres sei vielleicht durch Gegenkonzessionen auf dem Gebiet inneramerikanischer Präferenzen zu gewinnen, was für Deutschland aber ein zu hoher Preis wäre. Die Regierung der Vereinigten Staaten habe sich noch nicht geäußert, könne aber keinesfalls zustimmen. Von hier aus sei also ein Scheitern des Planes zu erwarten.

Der Reichsminister der Finanzen setzte sich lebhaft für Weiterverfolgung des Präferenzplanes ein. Ebenso hielt er es für entscheidend wichtig, an dem Plan der deutsch-österreichischen Zollunion nicht wankend zu werden, sonst werde Österreich dem deutschen Hoheitsgebiet genauso endgültig verlorengehen wie seinerzeit Holland und die Schweiz. Deutschland müsse zu einem Gegenstoß ausholen, indem es den Franzosen in Genf offen die Zollunion anbiete.

Der Reichskanzler bemerkte hierzu, daß auch er nach wie vor grundsätzlich für unbedingtes Festhalten am Zollunionsplan sei. Man dürfe nur die Schwierigkeiten nicht unterschätzen und müsse sich rechtzeitig um ihre Überwindung bemühen.

Die Fortsetzung der Beratung über diesen Gegenstand wurde auf den 12. Mai, 9 Uhr vormittags, vertagt13.

13

S. Dok. Nr. 294, P. 1.

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