1.48.1 (bru2p): [Vorbereitung einer neuen Notverordnung]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 28). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Brüning I und II. Band 2 Das Kabinett Brüning I Bild 183-H29788NS-Wahlversammlung im Sportpalast Bild 102-10391Arbeitslose Hafenarbeiter Bild 102-11008Bankenkrise 1931 Bild 102-12023

Extras:

 

Text

RTF

[Vorbereitung einer neuen Notverordnung]

Am Eingang der Besprechung führte der Reichskanzler aus, daß die Hauptaufgabe der Reichsregierung sei, die Solidität der Finanzen zu sichern. Die neue Notverordnung müsse so aufgebaut werden, daß im Herbst kein neuer Eingriff durch eine weitere Notverordnung erforderlich werde1. Man müsse sich auch darüber klar sein, daß der Prozeß der Schrumpfung nur bis zu einem gewissen Grade getrieben werden könne; darüber hinaus werde es ein Unding sei, weitere Maßnahmen zu treffen. Nach Möglichkeit müsse man absehen von neuen Steuern; insbesondere könne auch nicht in Erwägung gezogen werden die Frage[1082] der Erhöhung der Umsatzsteuer. Daneben müsse ein Fonds zur Arbeitsbeschaffung gegründet werden2. Außer all diesen Fragen müsse man sich auch schon klar werden über die Agrarpolitik für das nächste Jahr. Hauptaufgabe werde es für die Regierung sein, den Brotpreis von 46 Pfg. für das ganze Land zu sichern3. Im übrigen komme alles darauf an, ein einheitliches Programm zu schaffen.

1

Vgl. dazu Dok. Nr. 290, und Dok. Nr. 292, Anm. 6.

2

Vgl. Dok. Nr. 319.

3

Vgl. Dok. Nr. 302.

Im Anschluß an diese Ausführungen legte der Reichsminister der Finanzen sein Programm dar. Er führte aus, daß die neue Verordnung des Reichspräsidenten fünf Teile umfassen müsse:

1. Teil:

Änderung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 (Tabaksteuer, Steuervereinheitlichung, Krankenfürsorge).

2. Teil:

Sicherung des Haushalts.

3. Teil:

Arbeitslosenfürsorge.

4. Teil:

Wohlfahrtsfürsorge.

5. Teil:

Wohnungswirtschaft.

Wegen des Aufbaus der Verordnung wird auf Anlage 1, wegen des Deckungsvorschlages auf Anlage 2 Bezug genommen4.

4

Hier nicht abgedruckt.

Zur Frage der Gehaltskürzung bemerkte der Reichsminister der Finanzen, daß es diesmal nicht angehen werde, die Gehaltskürzung nach einem einheitlichen Prozentsatz vorzunehmen. Es müsse der Versuch der Staffelung unternommen werden. Er schlage vor, bei der Gehaltskürzung diesmal keine untere Freigrenze zu bestimmen, sondern wie folgt zu kürzen:

bei einem Gehalt bis

3 000 M

4%

bei einem Gehalt bis

6 000 M

5%

bei einem Gehalt bis

12 000 M

6%

bei einem Gehalt über

12 000 M

7%.

Daneben müsse auch in den Ortsklasse B, C. D eine weitere Kürzung um 1% erfolgen.

Diese vorgesehene Regelung werde sich auch auf die Soldaten der Wehrmacht zu erstrecken haben5.

5

Die Wehrmachtsangehörigen waren wie alle Beamten und Angestellten des Reichs zur Reichshilfe herangezogen (NotVO vom 26.7.30, RGBl. I, S. 311 ) und der Gehaltskürzung durch die NotVO vom 1.12.30 (RGBl. I, S. 522 ) unterworfen worden.

Was die Frage der Ausdehnung der Gehaltskürzung auf die Beamten der Länder und Gemeinden angehe, so müsse er vorschlagen, daß die Gehaltskürzung diesmal auch unmittelbar auf diese Beamten ausgedehnt werde6. Auch werde man die Bezüge der Angestellten in gleicher Form erfassen müssen. Fraglich erscheine es ihm allerdings, ob man auch die Löhne der Arbeiter mit kürzen solle. Eine Kürzung der Kinderzuschläge halte er im Hinblick auf die Gehälter der kleinen Beamten für außerordentlich bedenklich, da dadurch zu[1083] stark eingegriffen würde7. Für selbstverständlich halte er es, daß die Bezüge der Beamten der Reichsbahn und Reichsbank ebenfalls gekürzt würden; er könne wohl annehmen, daß diese Stellen die Kürzung von sich aus vornehmen würden.

6

Dagegen hatte die NotVO vom 1.12.30, 2. Teil, Kap. II § 4, bestimmt, daß die Länder selbständig die Gehälter kürzen sollten (RGBl. I, S. 283 ).

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 319.

Durch die vorgesehene Gehaltskürzung würde, wenn man Reich, Länder und Gemeinden und alle öffentlichen Anstalten mit erfasse, eine Ersparnis von 375 Millionen für neun Monate eintreten.

Die Zuckersteuer würde, auf neun Monate gerechnet, 110 Millionen einbringen8.

8

Vgl. Dok. Nr. 319.

Bei den Zöllen rechne er mit einer Mehreinnahme von 75 Millionen9.

9

S. Dok. Nr. 319.

Hinsichtlich der Krisensteuer bemerkte der Minister, daß er beabsichtige,

bei Einkommen bis

8 000 M

einen Zuschlag von 1%,

bei Einkommen bis

20 000 M

einen Zuschlag von 1½%,

bei Einkommen über

20 000 M

einen Zuschlag von 2%

zu erheben. Auf diese Weise würde, auf neun Monate berechnet, eine Einnahme von 220 bzw. 240 Millionen erzielt werden. Da die Beamten durch die Gehaltskürzung getroffen würden, müßten sie von der Krisensteuer befreit werden10.

10

Vgl. die NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kap. III (RGBl. I, S. 298 ). Die Beamten wurden durch § 4 Abs. 2 von der Krisensteuer befreit.

Was die Maßnahmen auf dem Gebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge angehe, so rechne er mit einer Ersparnis von 121 Millionen pro Jahr11.

11

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. IV (RGBl. I, S. 284 ).

Auch die Frage der Abgeltung von Kriegsschäden müsse in irgendeiner Form begrenzt werden. Es sei vorgesehen, daß Anträge auf Entschädigung von Liquidationen oder Gewaltschäden, soweit sie nach den geltenden Bestimmungen noch zulässig sind, bei Vermeidung des Ausschlusses bis zum 30. Juni 1931 bei der Restverwaltung für Reichsaufgaben gestellt werden müßten. Nach diesem Termin eingehende Anträge sollen nicht mehr berücksichtigt werden12. Ferner wolle er hinsichtlich des öffentlichen Glaubens von Schuldbucheintragungen bestimmte Vorschriften erlassen13.

12

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. VI, Art. 1 (RGBl. I, S. 290 ).

13

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. VI, Art. 2 (RGBl. I, S. 291 ).

Auf dem Gebiet des außerordentlichen Haushalts schlage er folgende Vorschrift vor:

„Die Reichsregierung darf in den Entwürfen der Reichshaushaltspläne für die Rechnungsjahre 1931 und 1932 Ausgabenansätze in den außerordentlichen Haushalten nicht einstellen.“14

14

Dieser Passus wurde unverändert in die NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. V, § 5 übernommen (RGBl. I, S. 290 ).

Ferner soll die Statistische Abgabe erhöht werden, wodurch eine Mehreinnahme von 3 Millionen erzielt würde15.

15

NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. VII (RGBl. I, S. 291 ).

Was die Frage der Sicherung der Haushaltsführung der Gemeinden und Gemeindeverbände angehe, so habe er den Versuch unternommen, bestimmte[1084] Vorschriften vorzulegen, wonach die Staatsaufsichtsbehörden die Haushaltskassen und Rechnungsführung sowie die Kassenlage, die Vermögenslage und das Schuldenwesen der Gemeinden zu überwachen hätten. Die Staatsaufsichtsbehörden hätten dafür zu sorgen, daß die Ausgaben der Gemeinden die Einnahmen nicht überschreiten, und daß alle zur Senkung der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen erforderlichen und zulässigen Maßnahmen ergriffen würden16. Er hoffe, daß durch die schärferen Aufsichtsbestimmungen ein Erfolg eintreten werde.

16

S. Dok. Nr. 319.

Zu den Fragen der Arbeitslosenfürsorge könne er sich dem Vorschlag des Reicharbeitsministeriums, den Anteil der Gemeinden mit 1/5 zu streichen, nicht anschließen. Darüber hinaus werde er eine Bestimmung vorschlagen, daß, wenn eine Gemeinde mit Vorschußzahlungen oder Beträgen, die sie zur Krisenfürsorge zu zahlen habe, im Rückstand bleibe, der Reichsarbeitsminister auf Verlangen der Reichsanstalt diese Beträge einschließlich der Zinsen mit Zustimmung des Reichsministers der Finanzen aus Mitteln des Reichs unter Kürzung der Überweisungssteuern der Reichsanstalt zuweisen könne.

Außerdem beabsichtige er einen Sonderfonds (Krisen- und Wirtschaftsfonds) zu schaffen, der aus der sogenannten Krisensteuer gespeist werden solle. Dieser Fonds solle verwendet werden zur Abdeckung der dem Reich neu erwachsenden Ausgaben für Krisenfürsorge, zur Gewährung von Zuschüssen zur Tilgung und Verzinsung von Krediten, die von der Reichsbahn, öffentlichen Körperschaften und gemeinnützigen Gesellschaften zur Schaffung von Arbeit aufgenommen werden, zur Gewährung von Lohnbeihilfen an die Reichsbahn, öffentliche Körperschaften und gemeinnützige Gesellschaften für die Einstellung von Erwerbslosen und schließlich zur Finanzierung von Siedlungen, Straßenbauten, Meliorationen und ähnlichen zur Linderung der Arbeitslosigkeit von öffentlichen Körperschaften und gemeinnützigen Gesellschaften unternommenen Arbeiten. Der Wirtschaftsfonds würde vorläufig 220 Millionen betragen. Außerdem wolle er sich Garantieermächtigung geben lassen, wonach er ermächtigt werde, für Kredite, die zur Ausführung von produktiven Arbeiten von den damit befaßten Stellen aufgenommen werden, Garantie bis zu einem Höchstbetrage von        Millionen RM zu übernehmen, und ferner im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der Vereinigten Industrieunternehmungen AG17 und der Deutschen Bau- und Bodenbank AG im Rechnungsjahr 1931 Vorzugsaktien der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft aus Beständen des Reichs in dem für die Kapitalerhöhung erforderlichen Umfang abzugeben18.

17

Das Aktienkapital der Viag war um 20 Mio RM erhöht worden (DAZ Nr. 209–210 vom 12.5.31).

18

Vgl. die NotVO vom 5.6.31, 2. Teil, Kap. V, § 2 (RGBl. I, S. 289 ).

Weiterhin solle für die Erfüllung der dem Reich aus der Übernahme von Garantien zur Förderung des deutschen Außenhandels erwachsenden Verpflichtungen ein Garantiesondervermögen gebildet werden19. Aus diesem Sondervermögen sollen Zahlungen nur geleistet werden können, soweit sie auf Grund[1085] derartiger Garantien des Reichs erforderlich werden, und soweit durch etwaige die Garantieübernahme vorbereitende Ermittlungen oder durch die Verwaltung des Sondervermögens dem Reiche Unkosten entstehen. Um den Gemeinden und Gemeindeverbänden auf dem Gebiet der Wohlfahrtslasten Erleichterungen zu verschaffen, beabsichtige er, vorzuschreiben, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände berechtigt sind, die Beträge, die sie infolge der Gehaltskürzung ersparen, zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten zu verwenden. Auch die Beträge, die die Länder infolge der Gehaltskürzung ersparen, sollen zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten herangezogen werden20. Darüber hinaus solle bestimmt werden, daß das Reich berechtigt ist, einen Betrag von x Millionen RM, der aus dem Aufkommen an Einkommensteuer für das Rechnungsjahr 1931 vor der Verteilung nach § 22 des Finanzausgleichsgesetzes auszuscheiden ist21, zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten zu verwenden22.

19

S. die NotVO vom 5.6.31, 3. Teil, Kap. IV (RGBl. I, S. 300 ).

20

S. die NotVO vom 5.6.31, 4. Teil, Kap. II (RGBl. I, S. 302 ).

21

Nach § 22 des Finanzausgleichsgesetzes vom 27.4.31 (RGBl. I, S. 206 ) erhielten die Länder drei Viertel von dem Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftssteuer.

22

Zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Gemeinden stellte das Reich 60 Mio RM zur Verfügung (NotVO vom 5.6.31, 4. Teil, Kap. II, Art. 1 Abs. 1, RGBl. I, S. 302 ).

Am Schlusse seiner Ausführungen erwähnte der Reichsminister der Finanzen, daß der Reichsarbeitsminister ihn bedränge, die Frage der Pensionskürzung der Beamten zu regeln23. Der Reichsarbeitsminister stehe auf dem Standpunkt, daß irgendein Weg gefunden werden müsse, um diese Frage zur Lösung zu bringen.

23

Im Schreiben vom 9.5.31 an den RFM hatte der RArbM „mit Rücksicht auf die in der Kriegsopferversorgung beabsichtigten erheblich schmerzlichen Eingriffe“ eine Pensionskürzung durch die NotVO gefordert (R 43 I /2369 , Bl. 17–18).

Zur Frage der Krisensteuer wolle er noch bemerken, daß durch diese Steuer die Finanzämter mit neuen Arbeiten belastet würden, und zwar mit Arbeiten komplizierter Art.

Im Anschluß an die Ausführungen des Reichsministers der Finanzen bemerkte Ministerialdirigent WeverWever vom Reichsfinanzministerium zur Frage der Pensionskürzung, daß man die Frage geprüft habe, ob es möglich sei, den Weg einer besonderen Reichshilfe zu beschreiten, um diese Frage zu lösen. Man habe daran gedacht, eine Abgabe von der Pension zu erheben, wenn ein bestimmtes Arbeitseinkommen erreicht sei. Gegen diese Regelung bestünden aber zwei Bedenken, nämlich

a)

rechtlicher Art, da dieser Weg als verkappte Pensionskürzung vom Reichsgericht angesehen und insofern als ungültig erklärt werden würde;

b)

technischer Art.

Hierzu äußerte sich Ministerialdirektor ZardenZarden dahin, daß die technischen Bedenken sehr groß seien, da die Arbeitgeber verpflichtet würden, zwei Steuerkarten auszugeben. Man mute durch diese Regelung den Arbeitgebern erneut Arbeit zu, die nicht ausgeführt werden könne.

Im Anschluß hieran nahm der Reichsarbeitsminister zu den Fragen wie folgt Stellung:

[1086] a) Gehaltskürzung.

Die Frage der Gehaltskürzung sei von ihm diesmal nicht betrieben worden. Er sehe aber ein, daß es kaum möglich sei, an einer neuen Gehaltskürzung vorbei zu kommen.

aa) An der Kinderzulage könne man nicht vorbeigehen. Man müsse hier eine Streichung vornehmen.

bb) Er erkenne durchaus an, daß die hohen Beamten nicht gut bezahlt seien. S. seien z. B. die Richter sehr schlecht besoldet24.

24

Die Vertreterversammlung des Dt. Richterbundes hatte am 16.5.31 in Göttingen in einer Entschließung gegen eine neue Gehaltskürzung mit der Begründung protestiert, daß jede qualifizierte Geistesarbeit, insbesondere die für den Richterstand dringend notwendige dauernde Fortbildung, dadurch gefährdet werden würde (R 43 I /2369 , Bl. 72–73).

cc) Nach seiner Meinung seien die mittleren Beamten zu gut eingestuft.

dd) Die unteren Beamten seien ebenfalls zu gut eingestuft, insbesondere bei Berücksichtigung der Kinderzulage. Auf diese Weise erhielten die unteren Beamten im Verhältnis zu den Qualitätsarbeitern viel zu viel.

b) Zuckersteuer.

Gegen die Neuregelung der Zuckersteuer habe er erhebliche Bedenken, da sie voraussichtlich zur Erhöhung des Zuckerpreises führen würde. Es sei damit zu rechnen, daß man dann in Deutschland den vierfachen Preis des Weltmarktpreises zahle. Das ginge unmöglich an.

c) Knappschaft.

In dem Programm des Reichsfinanzministers sei bisher für die Finanzierung der Knappschaft nichts vorgesehen. In der Zeit vom 1. Juli 1931 bis 31. März 1932 sei der Fehlbetrag der Knappschaft auf 84 Millionen Defizit berechnet. Die Einnahmen aus der Knappschaft betrügen etwa 66 Millionen, der Gesamtbedarf sei 150 Millionen. Hieraus ergebe sich der Fehlbetrag von 84 Millionen. Zur Deckung dieses Fehlbetrages habe er vorgesehen:

1.

Kürzung der Renten

20

Millionen

2.

Einsparung der knappschaftlichen Krankenversicherung (Senkung des Krankenkassenbeitrags um 1%)

7,5

Millionen

3.

Aus Zollmillionen zum Zwecke der Invalidenversicherung

10

Millionen

4.

Reichshilfe auf Grund des Kabinettsbeschlusses vom 23. Februar 1931

26

Millionen

5.

Weitere Reichshilfe

20

Millionen

83,5

Millionen

d) Arbeitslosenversicherung.

Die Arbeitslosenversicherung weise bei einem Gesamtaufwand von 1784 Millionen und einem Beitragsaufkommen von 1440 Millionen einen Fehlbetrag von 344 Millionen auf. Zur Deckung dieses Fehlbetrags habe er vorgesehen:

1.

Beitragserhöhung um ½%

74

Millionen

2.

Bedürftigkeit für Saisonarbeiter und verheiratete Frauen

15

Millionen

3.

Kürzung der Hauptunterstützung um 5%

125

Millionen

[1087]4.

Herabstufung der Unterstützungssätze der Saison-Arbeitslosen

50

Millionen

5.

Verlängerung der Wartezeit für sämtliche Hauptunterstützungsempfänger um 1 Woche

55

Millionen

6.

Verschärfte Rentenberechnung

28

Millionen

7.

Anpassung der Krankenversicherungsbeiträge an die veränderte Leistung der Krise

10

Millionen

357

Millionen

Es sei hierbei zu prüfen, ob man die Arbeitslosenversicherung sanieren wolle ohne Beitrag, oder mit einem Beitrag von ½%, oder mit einem Beitrag von 1%. Der Berechnung liege eine Durchschnittsziffer von 1,956 Hauptunterstützungsempfängern zugrunde.

Zur Frage der Krisenfürsorge bemerkte der Reichsarbeitsminister, daß bei der Krisenfürsorge ein Fehlbetrag von 233 Millionen zu decken sei. Wenn das Reich den bisherigen Gemeindeanteil mit übernehme, so werde ein zu deckender Fehlbetrag von 288 Millionen entstehen.

e) Arbeitsstreckung.

Auf dem Gebiet der Arbeitszeitverkürzung sehe er in der Verordnung folgende Regelung vor:

1.

Ermächtigung zur Einführung einer verkürzten Höchstarbeitszeit (unter 48 Stunden) für einzelne Gewerbe oder Arbeitnehmergruppen. Hierbei müsse eine Herabsetzung des Lohnes im Verhältnis zur Arbeitszeitverkürzung zulässig sein.

2.

Genehmigungspflicht tarifvertraglich vereinbarter Mehrarbeit.

3.

Festlegung des Überstundenzuschlags auf 25% des Grundlohns.

4.

Einführung einer Mindeststrafe bei Zuwiderhandlungen gegen Arbeitszeitbestimmungen.

5.

Zusammenrechnung der Arbeitszeiten eines bei mehreren Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmers zur Vermeidung von Schwarzarbeit.

Darüber hinaus mache er folgende Vorschläge:

1.

Aufforderung der Reichsregierung zur freiwilligen Einführung verkürzter Arbeitszeit.

2.

Verkürzung der Arbeitszeit bei den Arbeitern in den Verwaltungen des Reichs, der Länder, Gemeinden und öffentlichen Betriebe.

3.

Anweisung an die Schlichter, die Arbeitszeit herabzusetzen, und

4.

Eintreten der Reichsregierung für Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit durch internationale Abkommen25.

25

Vgl. auch Dok. Nr. 307.

Die Gewerkschaften hätten die Forderung erhoben auf generelle Einführung der 40stündigen Arbeitswoche sowie Einführung eines gesetzlichen Einstellungszwanges. Er habe den Vertretern gegen diesen Vorschlag seine Bedenken geäußert.

[1088] f) Unfallversicherung.

Er beabsichtige, die kleinen Renten zu beseitigen. Im übrigen legte der Reichsarbeitsminister dar, daß auch bei der Sozialversicherung sich der Schrumpfungsprozeß bemerkbar mache. Anscheinend gehe die Sozialversicherung den gleichen Weg wie die Reichsfinanzen. Bei gleichen Beiträgen werde die Arbeitslosenversicherung 500 Millionen weniger, die Krankenversicherung ebenfalls 500 Millionen weniger, die Invalidenversicherung 200 Millionen weniger und die Angestelltenversicherung 50 Millionen weniger Einnahmen haben.

Im Herbst müsse er an die große Reform der Sozialversicherung herangehen; sonst bestehe die Gefahr, daß die Beiträge der Invalidenversicherung um 2% für 1932 erhöht werden müßten.

Der Reichskanzler führte ergänzend aus, es würde zunächst eingehend zu prüfen sein, ob eine Erhöhung der Beiträge bei der Arbeitslosenversicherung möglich sei. Außerdem müsse das Reichswirtschaftsministerium nunmehr mit Nachdruck die Kleinhandelspreise beim Kohlenbezug regulieren. Vielleicht müsse man sogar die Bindungen durch die Kartelle usw. aufheben. Nach seinen Erfahrungen würden von den Kleinunternehmern die Listenpreise bezahlt, während die Großunternehmer Rabattpreise bekämen. Das sei ein Zustand, bei dem energisch durchgegriffen werden müsse. Außerdem halte er es für dringend erforderlich, daß das Reichswirtschaftsministerium die Wagemannsche Denkschrift über den Kapitalzuwachs bearbeiten lasse26.

26

Es handelt sich bei dieser Denkschrift um die Veröffentlichung des Instituts für Konjunkturforschung: „Die Investitionen der deutschen Wirtschaft 1924–1928“ (DAZ Nr. 187–188 vom 28.4.31).

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß vor dem Kriege ein Vermögenszuwachs von 8–10 Milliarden jährlich gewesen sei. Nach der Wagemannschen Denkschrift sei in den letzten fünf Jahren ein Vermögenszuwachs von 40 Milliarden eingetreten, also jährlich 8 Milliarden, allerdings einschließlich des ausländischen Zuflusses. Aus eigenen Mitteln seien etwa 5 Milliarden investiert. Nach seiner Auffassung seien die Ziffern so, daß man an einer mangelnden Kapitalbildung leide. Die Wagemannschen Ziffern ergäben eine Unterversorgung.

Der Reichskanzler erklärte dazu, daß bei dieser Übersicht anscheinend die Verluste nicht genügend berücksichtigt seien. Es müsse doch die Frage geprüft werden, wieviel von dem Kapital überhaupt noch Kapital sei. Das Reichswirtschaftsministerium müsse nach dieser Richtung hin eine grundlegende Bearbeitung der Denkschrift vornehmen lassen.

In den Rahmen der weiteren Betrachtung müßten auch die Agrarpolitik sowie die Frage von Industriezöllen eingestellt werden. Herr Reichsminister Schiele müsse ein Bild geben über die Absichten, die er auf diesem Gebiet für das nächste Jahr habe. Zu den Industriezöllen müsse sich das Reichswirtschaftsministerium äußern.

Der Reichsarbeitsminister führte noch aus, daß die Frage der Arbeitsstreckung ressortmäßig noch geklärt werden müsse, und zwar möglichst bald, weil Ministerialdirektor Sitzler am Freitag abend nach Genf fahren müsse.

[1089] Im übrigen halte er eine Verschärfung der Ruhevorschriften bei den Kriegsbeschädigten nicht für möglich, wenn auf dem Gebiet der Pensionskürzung keine energischen Schritte eingeleitet würden.

Die Aussprache wurde sodann geschlossen.

Der Reichskanzler erklärte, daß die Aussprache am Freitag vormittag in dem gleichen Kreise unter Hinzuziehung des Herrn Reichsverkehrsministers und des Herrn Generaldirektors Dorpmüller fortgesetzt werde. Er beabsichtige, in dieser Besprechung auch die Frage von Industriezöllen sowie die Finanzlage der Reichsbahn zur Erörterung zu stellen27.

27

S. Dok. Nr. 301.

Am Nachmittag soll unter Zuziehung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft die Agrarpolitik behandelt28 und im Anschluß daran unter Zuziehung der Staatssekretäre Joël und Zweigert die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einzelner Maßnahmen besprochen werden.

28

S. Dok. Nr. 302.

Extras (Fußzeile):