1.5.1 (bru2p): Innenpolitische Angelegenheit.

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Innenpolitische Angelegenheit.

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung und stellte den anliegenden Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen zur Erörterung1.

1

Der NotVO-Entw. befindet sich als Anlage zu diesem Protokoll in R 43 I /1449 , Bl. 5 bis 8. Der Entw. war der Rkei am 13.2.31 vom RIMin. übersandt worden (VOEntw. mit Anschreiben des MinDirig. Häntzschel an MinR Wienstein in R 43 I /2701 , Bl. 317–321). Zur bisherigen Beratung des Entw. s. Dok. Nr. 235.

Der Preußische Minister des Innern äußerte vor allem Bedenken gegen den § 7 des Entwurfs. Er führte aus, daß der § 7 die Interessen der gesamten Presse in starkem Maße berühre2. Nach seiner Auffassung lasse sich das Ziel, das der § 7 verfolge, durch energische Verbote von Zeitungen auf Grund des Republik-Schutzgesetzes erreichen3.

2

§ 7 des Entw. lautete: „Der verantwortliche Schriftleiter einer periodischen Druckschrift ist verpflichtet, eine Entgegnung zu den darin mitgeteilten Tatsachen auf Verlangen der Reichsregierung oder der von ihr bestimmten Stelle ohne Einschaltung oder Weglassung unentgeltlich aufzunehmen. Der Abdruck hat unverzüglich, bei Tageszeitungen spätestens in der nach Eingang der Entgegnung nächstfolgenden, für den Druck nicht bereits abgeschlossenen Nummer zu erfolgen. Die Entgegnung ist an der vom Einsender bestimmten Stelle, mit der von ihm bestimmten Überschrift und in der von ihm bestimmten Schrift zum Abdruck zu bringen. Eine Stellungnahme zu der Entgegnung in der gleichen Nummer ist unzulässig“ (R 43 I /2701 , Bl. 319 f.).

3

Vgl. das Gesetz zum Schutze der Republik vom 25.3.30, RGBl. I, S. 91 , insbesondere §§ 12–14.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß bei sensationellen, allgemeinschädlichen Nachrichten, wie sie seinerzeit von der „BZ am Mittag“ gebracht worden seien4, nur ein Zeitungsverbot für längere Zeit Abhilfe schaffen werde.

4

Vgl. Dok. Nr. 116, Anm. 2.

Der Pressechef der Reichsregierung betonte, daß die Presse gegen den § 7 des Entwurfs Sturm laufen werde.

Der Reichskanzler bat zu überlegen, ob nicht der § 7 aus dem Entwurf herauszunehmen sei und abgewartet werden müsse, bis ein akuter Anlaß für die Erlassung einer derartigen Vorschrift bestehe.

Im übrigen bat der Reichskanzler, nunmehr auf die grundsätzliche Frage einzugehen, ob eine Verordnung dieses Inhalts überhaupt und ob sie jetzt erlassen werden solle.

[933] Der Preußische Ministerpräsident äußerte starke Bedenken dagegen, daß jetzt eine derartige Verordnung erlassen werde. Er führte u. a. aus, daß er, im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten, in der letzten Zeit mehrfach Journalisten, vor allem auch ausländische, empfangen habe, deren erste Frage gewöhnlich der Putschgefahr gegolten habe. Selbstverständlich habe seine Antwort stets gelautet, daß eine Putschgefahr absolut nicht vorhanden sei. Wenn nunmehr eine derartige Verordnung erlassen werde, werde vor allem das Ausland den in Umlauf befindlichen Gerüchten über eine Putschgefahr in Deutschland in stärkerem Maße als bisher Glauben schenken.

Im übrigen solle man die Situation der Sozialdemokratie im Reichstag nicht noch mehr erschweren. Wenn die Notverordnung nach der Verabschiedung des Etats, vielleicht Anfang April, erlassen werde, werde die Sozialdemokratie sich voraussichtlich auch mit ihr abfinden. Im Moment befürchte er Schwierigkeiten bei der Sozialdemokratie, wenn eine solche Verordnung erlassen werde.

Der Preußische Minister des Innern äußerte sich in demselben Sinne.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß die Stimmung im Reichstag für den Erlaß einer derartigen Notverordnung gut vorbereitet sei. Auf jeden Fall sei es für ihn unmöglich, den Erlaß der Bestimmungen des Verordnungsentwurfs zum Schutze der Religion5 noch länger zu verzögern.

5

§ 8 des Entw. enthielt über den Schutz der Religion folgende Bestimmung: „Druckschriften, […] in denen […] eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, ihre Glaubenssätze oder Einrichtungen beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden, können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden“ (R 43 I /2701 , Bl. 320).

Im übrigen sei zu bedenken, daß am 7. April in Preußen das Volksbegehren beginne6. Die Situation werde für die Preußische Regierung erschwert werden, wenn kurz vorher oder zu gleicher Zeit eine derartige Notverordnung erscheine.

6

Der Stahlhelm hatte am 4.2.31 einen Antrag auf ein Volksbegehren über die Auflösung des Pr. LT eingereicht (Schultheß 1931, S. 26). Der LT lehnte am 9.7.31 das Volksbegehren ab (Schultheß 1931, S. 156). Der dem Begehren folgende Volksentscheid, der von den Rechtsparteien, einschließlich DVP, und von der KPD unterstützt wurde, scheiterte am 9.8.31 (Schultheß 1931, S. 178).

Der Pressechef der Reichsregierung betonte, ebenso wie der Preußische Ministerpräsident, daß ausländische Journalisten immer wieder nach einer angeblich in Deutschland vorhandenen Putschgefahr fragten. Nach seiner Ansicht sei es daher sehr unzweckmäßig, im gegenwärtigen Augenblick eine derartige Notverordnung zu erlassen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg unterstrich diese Bedenken des Pressechefs der Reichsregierung. Er wies ferner darauf hin, daß in letzter Zeit in kreditpolitischer Beziehung eine Entspannung eingetreten sei. Diese Situation würde sich gleich wieder verschlechtern, wenn eine derartige Verordnung erlassen werde.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß die Nationalsozialisten wahrscheinlich in den Reichstag zurückkommen würden, wenn eine derartige Notverordnung erlassen werde. Er befürchte dann einen gewaltigen Eklat im Reichstag und eine erneute Kreditschädigung Deutschlands. Nach seiner Auffassung[934] solle der Reichsminister des Innern die Innenminister der Länder zusammenrufen und bitten, in energischer Weise für Ruhe und Sicherheit zu sorgen und vor allem auch den Schutz der Religionsgesellschaften sich angelegen sein zu lassen. Auf diese Weise werde dann eine geeignete Plattform für den Erlaß der Notverordnung geschaffen.

Auch der Reichspostminister stellte abschließend fest, daß der Erlaß der Notverordnung zunächst vertagt werden solle. Wahrscheinlich komme der Erlaß unmittelbar nach Vertagung des Reichstags in den ersten Tagen des April in Frage.

Es sei zweckmäßig, daß der Reichsminister des Innern die Minister der Länder möglichst bald zusammenrufe7.

7

Am 18.3.31 fand eine Besprechung des RIM mit den IMM der Länder statt, in der „einstimmige Übereinstimmung“ darüber erzielt wurde, „daß die Angriffe auf die Meinungsfreiheit unerträglich seien und eine Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Meinungsfreiheit, die auch Vorschriften zum Schutz der Religion enthalte, nach Vertagung des Reichstags dringend erwünscht sei“ (Vermerk Wiensteins vom 18.3.31, R 43 I /2701a , Bl. 12).

Ferner müsse das Reichsministerium des Innern, als das im Reich federführende Ressort, umgehend in nochmaligen Ressortbesprechungen mit den in Frage kommenden Reichs- und preußischen Ressorts eine endgültige Einigung über den Text der Notverordnung herbeiführen.

§ 7 müsse gestrichen werden8.

8

Am 26.3.31 übersandte StS Zweigert an StS Pünder den vom RIMin., RJMin. und PrIMin. überarbeiteten Entw. Strittig war lediglich, ob in § 1 Nr. 2 („daß zur oder bei Bekämpfung der verfassungsmäßig festgestellten Staatsform Organe, Einrichtungen, Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden“) die gesperrt gesetzte Formulierung wegfallen sollte. Das RJMin. wünschte die Streichung der Worte, weil die VO nicht nur dem Schutz der verfassungsmäßigen Staatsform, sondern der Bekämpfung politischer Ausschreitungen schlechthin diene. Das RIMin. und Preußen waren für die Beibehaltung der Worte, u. a. aus folgenden Gründen: „Es bestehe die Gefahr, daß nationalsozialistische Minister mit der Vorschrift, wenn man die Worte streiche, Mißbrauch treiben würden […] im Falle der Streichung der Worte werde der peinliche Eindruck entstehen, als ob Minister und leitende Beamte sich gegen persönliche Verunglimpfungen nur um des lieben Ich willen, nicht um des Staates willen schützen wollten.“ Zweigert bat um die Entscheidung des RK (VOEntw. mit Anschreiben Zweigert in R 43 I /2701a , Bl. 21–31). Die NotVO „zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen“ vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 79 ), die zwei Tage nach der Vertagung des RT erschien, enthielt weder die strittige Formulierung in § 1 Nr. 2 noch den § 7.

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